Der Bundesrat hat in seiner 985. Sitzung am 14. Februar 2020 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu § 1 Absatz 1
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob die in § 1 Absatz 1 des Gesetzentwurfs enthaltene Legaldefinition der "Konversionsbehandlung" im Sinne der Rechtssicherheit und -klarheit einer weitergehenden Konkretisierung im Hinblick auf objektive Merkmale bedarf.
Begründung:
§ 2 des Gesetzentwurfs normiert ein Verbot der Durchführung von Konversionsbehandlungen, welches flankiert ist durch die Strafvorschrift des § 5. Der Begriff der Konversionsbehandlung ist legaldefiniert in § 1 Absatz 1 als "alle am Menschen durchgeführten Behandlungen, die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität gerichtet sind". Diese Definition wiederholt mit dem Wort "Behandlungen" den Kern des zu definierenden Begriffs und leistet damit nicht die erforderliche Konkretisierung des Begriffsinhalts.
Da eine "Behandlung" bereits sprachlich nicht mit einer beliebigen "Handlung" gleichzusetzen ist und eine beliebige Handlung nicht allein durch Hinzutreten einer subjektiven Zweckrichtung ("die auf ... gerichtet sind") zu einer "Behandlung" wird, bedarf es im Sinne der Rechtssicherheit und -klarheit auch in objektiver Hinsicht einer Eingrenzung der Handlungen, die unter das Verbot fallen sollen. Die objektive Reichweite des Verbots dürfte ein wesentlicher Umstand sein, der einer Bestimmung unmittelbar durch Gesetz bedarf.
Soweit es in der Begründung des Gesetzentwurfs heißt, die Behandlung müsse "auch objektiv "gerichtet sein auf ..."", bleibt unklar, worin eine "objektive" Zweckrichtung bestehen bzw. anhand welcher Kriterien eine solche festzustellen wäre. Da in der Begründung des Entwurfs von "Einwirkungen" (physischer oder psychischer Natur) die Rede ist, lässt dies vermuten, dass eine Behandlung über ein bloßes Handeln hinaus das Vorliegen eines davon abgrenzbaren Erfolgs erfordern könnte. Indes sind - so zutreffend die Begründung des Entwurfs - die zu untersagenden "Behandlungen" gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie von vornherein ungeeignet sind, den beabsichtigten Erfolg herbeizuführen. Daher bleibt unklar, was in objektiver Hinsicht eine tatbestandsmäßige Einwirkung ausmachen soll. Unter die Legaldefinition des Entwurfs lässt sich im Ergebnis jedes beliebige Tun, Dulden oder Unterlassen subsumieren, sobald es mit der entsprechenden subjektiven Zielrichtung ("gerichtet auf") erfolgt. Laut Begründung des Entwurfs müssen Einwirkungen "ein hinreichendes Gewicht haben", um zur tatbestandlichen "Behandlung" zu werden, ohne dass diese Einschränkung näher erläutert wird. Insbesondere ließe die bisherige Fassung der Legaldefinition es durchaus zu, auch die in der Entwurfsbegründung als regelmäßig tatbestandslos bezeichneten seelsorgerischen Gespräche bei entsprechender Zweckrichtung des Gesprächspartners als Konversionsbehandlung zu bewerten.
Wirft die Bestimmtheit der Reichweite des vorgesehenen Verbotstatbestands schon nach öffentlichrechtlichen Maßstäben Zweifel auf, so verstärken sich diese Zweifel mit Blick auf die für jede Strafnorm verfassungsrechtlich gebotene Bestimmtheit des gesetzlichen Tatbestands ( Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes). Die vorgesehene Strafvorschrift des § 5 Absatz 1 stellt das (vorsätzliche, § 15 StGB) "Durchführen" einer "Konversionsbehandlung" unter Strafandrohung. Eine Versuchsstrafbarkeit ist nicht vorgesehen (vergleiche § 23 Absatz 1 StGB). Damit markiert die Vollendung einer "Behandlung" oder ihrer "Durchführung" die Grenze der Strafbarkeit. Hier stellt sich die Frage, wann objektiv die Grenze zwischen (straflosem) Versuchsstadium (unmittelbares Ansetzen) und strafbarer Vollendung erreicht sein soll. Sofern ein objektiver Erfolg tatbestandlich nicht vorausgesetzt sein soll, es sich also um ein schlichtes Tätigkeitsdelikt handeln soll, bleibt fraglich, welches Handeln objektiv vorliegen muss, um die relevante Schwelle zur Vollendung ("Behandlung" oder "Durchführung") zu erreichen.
2. Zu § 2
Der Bundesrat bittet darum, im weiteren Gesetzgebungsverfahren die vorgesehene Altersgrenze von 18 Jahren zu überprüfen. Insbesondere im Hinblick auf den Schutz junger Volljähriger sollte zumindest eine Anhebung der Altersgrenze erwogen werden.
Begründung:
Der Gesetzentwurf sieht in § 2 ein generelles Verbot der Durchführung von sogenannten "Konversionsbehandlungen" lediglich bei Personen unter 18 Jahren vor. Angesichts der nachgewiesenen erheblichen schädlichen Wirkungen dieser "Behandlungen", für die keinerlei Indikation besteht, stellt sich die Frage, ob dies ausreicht. Insbesondere junge Menschen sollten auch über das 18. Lebensjahr hinaus effektiv geschützt werden. Coming Out-Prozesse finden auch jenseits der Altersgrenze von 18 Jahren statt. Zudem können auch bei jungen Volljährigen finanzielle Abhängigkeitsverhältnisse von Eltern bestehen. Die emotionale und soziale Verselbständigung findet - insbesondere aufgrund längerer Schul- und Ausbildungszeiten - zunehmend später statt. Der Ablösungsprozess ist häufig mit besonderen sozialen Schwierigkeiten verbunden. Aus diesem Grund sieht das Kinder- und Jugendhilferecht in § 7 Absatz 1 SGB VIII eine Altersgrenze von 27 Jahren vor. Zumindest bis zu dieser Altersgrenze liegen oft noch der Minderjährigkeit vergleichbare Gefährdungslagen vor, so dass eine entsprechende Anhebung der Altersgrenze erwogen werden sollte.
3. Zu § 3 Absatz 1, Absatz 2 und § 5 Absatz 2
Der Gesetzentwurf ist wie folgt zu ändern:
a) § 3 ist wie folgt zu fassen:
" § 3 Verbot der Werbung, des Anbietens und des Vermittelns
Es ist untersagt, für eine Intervention im Sinne des § 1 Absatz 1 zu werben, diese anzubieten oder zu vermitteln."
b) § 5 Absatz 2 ist zu streichen.
Begründung:
Zu Buchstabe a:
Die Erlaubnis, für Interventionen an Volljährigen nichtöffentlich zu werben, diese nichtöffentlich anzubieten oder zu vermitteln, ist nicht zu rechtfertigen und mit Rechtsunsicherheit und der Gefahr der Umgehung des jetzt in § 3 Absatz 2 des Gesetzentwurfs vorgesehenen Verbots verbunden.
Zu Buchstabe b:
Die Regelung in § 5 Absatz 2 des Gesetzentwurfs suggeriert, dass Fürsorgeoder Erziehungsberechtigte Konversionsinterventionen durchführen können, ohne dabei ihre Fürsorge- oder Erziehungspflicht gröblich zu verletzen. Das konterkariert die auch in der Begründung zitierten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die zweifellos die Schädlichkeit solcher Interventionen belegen, bis zur Gefahr eines Suizids. Die Durchführung einer unethischen, untauglichen und schädlichen Intervention ist stets eine gröbliche Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht.
Eltern und anderen Fürsorgepersonen kommt eine besondere Schutzfunktion gegenüber den leiblichen oder ihnen anvertrauten Kindern zu.
Das gilt auch und besonders für die sexuelle und geschlechtliche Entwicklung, die einen wesentlichen Teil der Persönlichkeitsentwicklung darstellt. Daher sollten Eltern und andere Fürsorgepersonen bei einem Verstoß gegen das Verbot einer Konversionsbehandlung an Minderjährigen nicht privilegiert werden, denn die Durchführung einer Konversionstherapie an einem Kind oder an einem Jugendlichen stellt einen schweren Eingriff in die körperliche und vor allem seelische Unversehrtheit dar.
4. Zu § 4 Absatz 3 - neu -
Dem § 4 ist folgender Absatz 3 anzufügen:
(3) Die Beratung soll insbesondere über die Entwicklung der sexuellen und geschlechtlichen Identität informieren sowie Betroffene in ihrem Selbstwertgefühl stärken. Sie klärt über schädliche Folgen von Konversionsbehandlungen auf."
Begründung:
Die mit der Einrichtung des umfassenden Beratungsangebots verfolgte wesentliche Zielsetzung sollte nicht nur in der Gesetzesbegründung genannt, sondern in ihrem Kern im Gesetz selbst verankert werden.
Nach § 2 Absatz 2 des Gesetzentwurfs ist die Durchführung von "Konversionsbehandlungen" an Personen mit vollendetem 18. Lebensjahr, deren Einwilligung auf einem Willensmangel beruht, untersagt.
In der Begründung wird dazu näher benannt, dass dies denkbar ist, "wenn eine volljährige Person über den therapeutischen Nutzen der Behandlung getäuscht wird oder aufgrund nicht hinreichender Aufklärung über vorhandene Risiken oder die nicht bewiesene Wirksamkeit der Behandlung irrt". Weiter wird wie folgt ausgeführt:
"Den Staat trifft ein Schutzauftrag, auch diese Personen vor den negativen Auswirkungen von Konversionsbehandlungen auf ihre Gesundheit und Persönlichkeit zu schützen."
Eine Aufklärung lege artis über eine schädliche Pseudotherapie durch Angehörige approbierter Heilberufe ist nicht darstellbar, eine Aufklärung oder Information durch "jedermann" kann jeglicher fachlichen Grundlage entbehren. Somit ist es wesentlicher Auftrag des Staates, in einem in diesem Kontext geschaffenen professionellen Beratungsangebot, neben einer ergebnisoffenen Unterstützung und Stärkung der Entwicklung der sexuellen Identität von zu beratenden Personen, nach aktuellen wissenschaftlichen Standards und evidenzbasiert verlässlich insbesondere über die gesundheitsschädlichen Folgen von "Konversionsbehandlungen" aufzuklären.
5. Zum Gesetzentwurf allgemein
- a) Der Bundesrat begrüßt die in § 4 vorgesehene Einrichtung eines Beratungsangebots für Betroffene sowie für Interessierte.
- b) Der Bundesrat ersucht die Bundesregierung, den § 4 um flankierende Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit zu erweitern mit dem Ziel, die Akzeptanz und Wertschätzung im gesellschaftlichen Miteinander zu fördern, der Pathologisierung von Homo- und Bisexualität sowie Transgeschlechtlichkeit entgegenzuwirken und homosexualitäts- und transfeindlich motivierte Diskriminierung und Gewalt zu verhindern bzw. zu beseitigen.
- c) Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, Maßnahmen zu prüfen, die der historischen Aufarbeitung und Dokumentation der Rolle und Verantwortung staatlicher Institutionen in Zusammenhang mit Versuchen, die sexuelle oder geschlechtliche Identität gezielt zu verändern, dienen.
Begründung:
§ 4 zielt gemäß der Begründung des Gesetzentwurfs darauf ab, Personen, die von Konversionsbehandlungen betroffen sind oder sein können, sowie Personen, die beruflich oder privat mit den genannten Themen befasst sind, ein umfassendes Beratungsangebot anzubieten. Weitere flankierende Maßnahmen der Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit sowie der gesellschaftlichen Akzeptanzförderung würden jedoch dazu beitragen, über diesen Personenkreis hinaus in der Breite der Gesellschaft Respekt und Wertschätzung im gesellschaftlichen Miteinander zu fördern, der Abwertung oder Pathologisierung von Homo- und Bisexualität sowie Transgeschlechtlichkeit entgegenzuwirken und homosexualitäts- und transfeindlich motivierte Diskriminierung und Gewalt zu verhindern bzw. zu beseitigen. Denn erst in einer offenen und informierten Gesellschaft, die mit Vielfalt respektvoll umzugehen weiß, wird "Konversionstherapien" nachhaltig die Nachfrage entzogen.
Auch nach Inkrafttreten eines Gesetzes zum Schutz vor "Konversionsbehandlungen" werden in der Bundesrepublik Menschen leben, die in ihrer Biographie von solchen Behandlungen betroffen waren. Aus Verantwortung gegenüber ihnen und vor dem Hintergrund, dass auch noch nach 1945 einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen in der Bundesrepublik Deutschland bis 1969 und in der Deutschen Demokratischen Republik bis 1968 strafrechtlich verfolgt wurden, ist eine historische Aufarbeitung und Dokumentation der Rolle und Verantwortung insbesondere staatlicher Institutionen in Zusammenhang mit Versuchen, die sexuelle oder geschlechtliche Identität gezielt zu verändern, geboten. Diesen Bedarf benennt auch der von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld herausgegebene Abschlussbericht zur "Wissenschaftlichen Bestandsaufnahme der tatsächlichen und rechtlichen Aspekte von Handlungsoptionen unter Einbeziehung internationaler Erfahrungen zum geplanten "Verbot sogenannter Konversionstherapien" in Deutschland zum Schutz homosexueller Männer, Frauen, Jugendlicher und junger Erwachsener vor Pathologisierung und Diskriminierung".