Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag und den Bundesrat zur Bedeutung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Sozialen Pflegeversicherung vom 3. April 2001 (1 BvR 1629/94) für andere Zweige der Sozialversicherung

Bundesministerium für Gesundheit Bonn, den 3. November 2004
und Soziale Sicherung
Bundesministerin

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Matthias Platzeck

Sehr geehrter Herr Präsident,
hiermit übersende ich den Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag und den Bundesrat zur Bedeutung des


Das Bundeskabinett hat diesem Bericht heute zugestimmt.
Der Bericht wurde auch dem Präsidenten des Deutschen Bundestages übersandt.


Mit freundlichen Grüßen
Ulla Schmidt

Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag und den Bundesrat
zur Bedeutung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Sozialen Pflegeversicherung vom 3. April 2001 (1 BvR 1629/94) für andere Zweige der Sozialversicherung

I. Ausgangslage: Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001

Das Bundesverfassungsgericht hat es mit Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes für unvereinbar gehalten, dass Mitglieder der Sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen und damit neben dem Geldbeitrag einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden (Urteil vom 3. April 2001, Aktenzeichen 1 BvR 1629/94, BVerfGE 103, 242). Es hat dem Gesetzgeber aufgegeben, bis spätestens zum 31. Dezember 2004 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.

Bei der Bemessung dieser Frist hat das Bundesverfassungsgericht nach eigener Aussage berücksichtigt, dass die Bedeutung des Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen sein wird (aa0, Seite 270). Das Ergebnis dieser von der Bundesregierung durchgeführten Prüfung wird in Abschnitt II. dargelegt. Die Bundesregierung wird den vorliegenden Bericht nach der Beschlussfassung durch das Bundeskabinett dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat vorlegen.

II. Stellungnahme der Bundesregierung

Die Bundesregierung hat mögliche Auswirkungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils auf die Gesetzliche Rentenversicherung, die Gesetzliche Krankenversicherung, die Gesetzliche Unfallversicherung und die Arbeitsförderung (Arbeitslosenversicherung) sorgfältig geprüft. Nach dem Ergebnis dieser Prüfung ist aus ihrer Sicht die in der Sozialen Pflegeversicherung für erforderlich gehaltene beitragsrechtliche Differenzierung zwischen kindererziehenden und kinderlosen Pflichtbeitragszahlern nicht auf andere Zweige der Sozialversicherung zu übertragen. In diesem Prüfergebnis spiegelt sich auch der dem Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich zugebilligte große Spielraum wider, wie die Betreuungs- und Erziehungsleistung von beitragspflichtigen Versicherten mit Kindern zu berücksichtigen ist.

Die Bundesregierung teilt die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass an der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Familien ein Interesse der Allgemeinheit besteht (Urteil vom 3. April 2001, aa0, Seite 265). Wenn daher in einem bestimmten sozialen Versicherungssystem nicht die Möglichkeit besteht, diesen Bedarf systemadäquat und systemimmanent zu berücksichtigen, muss der Ausgleich von Kosten der Kinderbetreuung und -erziehung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe durchgeführt werden, etwa im Rahmen des Familienleistungsausgleichs im Steuerrecht. Diese Aufgabe ist daher durch den familienpolitischen Gesamtansatz zu lösen, und zwar auch unter Berücksichtigung der bereits durchgeführten oder noch geplanten Verbesserungen bei der Betreuungs- und Erziehungsinfrastruktur.

Nur wenn ein wesentlich umlagefinanziertes soziales Leistungssystem ein Risiko abdecken soll, das vor allem die Altengeneration trifft, dann ist für ein solches Versicherungssystem nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht nur der Versicherungsbeitrag, sondern auch die Kindererziehungsleistung konstitutiv (Urteil vom 3. April 2001, aa0, Seite 265 f.). Schon vor diesem Hintergrund sieht die Bundesregierung keine relevanten Auswirkungen des Urteils auf die Gesetzliche Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung, da das Krankheits-, Unfall- und Arbeitslosigkeitsrisiko nicht "vor allem die Altengeneration" betrifft. Entsprechendes trifft zwar auf die Gesetzliche Rentenversicherung nicht zu, doch machen hier die gegenüber der Sozialen Pflegeversicherung wesentlichen Strukturunterschiede Änderungen infolge des Urteils nicht notwendig.

Die Bundesregierung legt im Folgenden dar, welche Aussagen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 (1 BvR 1629/94) zu entnehmen sind (III.). Sie stellt dar, welche Konsequenzen für die Soziale Pflegeversicherung gezogen werden sollen (IV.), und begründet den aus ihrer Sicht fehlenden Handlungsbedarf im Bereich der Gesetzlichen Rentenversicherung (V.), der Gesetzlichen Krankenversicherung (VI.), der Gesetzlichen Unfallversicherung (VII.) und der Arbeitsförderung (VIII.). Abschließend erläutert sie die sachgerechte Einbettung der Kinderbetreuungs- und -erziehungsthematik in ihre allgemeine Familienpolitik (IX.).

III. Aussagen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 (1 BvR 1629/94)

Das Bundesverfassungsgericht hat beitragsrechtliche Regelungen in der Sozialen Pflegeversicherung - § 54 Absätze 1 und 2, § 55 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 sowie § 57 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) - für unvereinbar mit Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes erklärt, soweit die Mitglieder der Sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen, bei gleich hohem beitragspflichtigen Einkommen mit einem betragsmäßig gleich hohen Beitrag zur Pflegeversicherung belastet werden wie kinderlose Mitglieder.

Zur Begründung führt es aus, bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Beitragsregelungen, die Personen mit oder ohne Kinder behandeln, sei der besondere Schutz zu beachten, den der Staat nach Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes der Familie schulde. Vorliegend sei Artikel 3 Absatz 1 - der allgemeine Gleichheitssatz - in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes dadurch verletzt, dass die Betreuung und Erziehung von Kindern bei der Bemessung von Beiträgen beitragspflichtiger Versicherter keine Berücksichtigung finde. Denn die Erziehungsleistung versicherter Eltern begünstige innerhalb eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems, das der Deckung eines maßgeblich vom Älterwerden der Versicherten bestimmten Risikos diene, in spezifischer Weise Versicherte ohne Kinder.

Das Risiko, pflegebedürftig zu werden, werde in hohem Maße vom Lebensalter des Versicherten bestimmt. Entscheidend sei, dass der durch den Eintritt des Versicherungsfalls verursachte finanzielle Bedarf überproportional häufig in der Großelterngeneration (60 Jahre und älter) auftrete. Werde ein solches allgemeines, regelmäßig erst in höherem Alter auftretendes Lebensrisiko durch ein Umlageverfahren finanziert, so habe die Erziehungsleistung konstitutive Bedeutung für die Funktionsfähigkeit dieses Systems. Denn bei Eintritt der ganz überwiegenden Zahl der Versicherungsfälle sei das Umlageverfahren auf die Beiträge der nachwachsenden Generationen angewiesen.

Sowohl die Gruppe der Eltern, die unterhaltsbedürftige Kinder haben, als auch die Gruppe der kinderlos bleibenden Versicherten seien bei einer Finanzierung der Sozialversicherung im Umlageverfahren darauf angewiesen, dass Kinder in genügend großer Zahl nachwüchsen. Damit entstehe Versicherten ohne Kinder im Versicherungsfall ein Vorteil aus der Erziehungsleistung anderer beitragspflichtiger Versicherter, die wegen der Erziehung zu ihrem Nachteil auf Konsum und Vermögensbildung verzichteten.

Ein gewisser Ausgleich der Benachteiligung erziehender Versicherter bestehe zwar darin, dass die kinderbetreuenden und -erziehenden Versicherten bei gleichen Beiträgen, wie sie Kinderlose zahlen, Leistungen auch für die anderen Familienangehörigen (beitragsfrei mitversicherte Ehegatten und Kinder) erhielten. Diese Begünstigung wiege aber den mit der Erziehungsleistung zusätzlich erbrachten generativen Beitrag - die Sorge für die zukünftigen Beitragszahler zur Abdeckung des Pflegerisikos aller im Alter - angesichts des Vorteils, der den Kinderlosen durch die Erziehungsleistung zuwachse, nicht vollständig auf.

Wenn also ein soziales Leistungssystem ein Risiko abdecken solle, das vor allem die Altengeneration treffe, und seine Finanzierung so gestaltet sei, dass sie im Wesentlichen nur durch das Vorhandensein nachwachsender Generationen funktioniere, die jeweils im erwerbsfähigen Alter als Beitragszahler die mit den Versicherungsfällen der vorangegangenen Generationen entstehenden Kosten mittragen, dann sei für ein solches System nicht nur der Versicherungsbeitrag, sondern auch die Kindererziehungsleistung konstitutiv. Die kindererziehenden Versicherten sicherten die Funktionsfähigkeit der Pflegeversicherung also nicht nur durch Beitragszahlung, sondern auch durch Betreuung und Erziehung von Kindern. Werde dieser generative Beitrag nicht mehr von einer deutlichen Mehrheit der Versicherten erbracht, führe dies zu einer spezifischen Belastung kindererziehender Versicherter im Pflegeversicherungssystem, deren benachteiligende Wirkung auch innerhalb dieses Systems auszugleichen sei.

Konkret sei die Benachteiligung von erziehenden Versicherten im Beitragsrecht auszugleichen. Der zwischen Eltern und kinderlosen Personen vorzunehmende Ausgleich müsse durch Regelungen erfolgen, die die Elterngeneration bereits ab dem ersten Kind während der Zeit der Betreuung und Erziehung relativ entlasteten, denn die Beiträge, die von der heutigen Kindergeneration später im Erwachsenenalter auch zugunsten kinderloser Versicherter geleistet werden, die dann den pflegenahen Jahrgängen angehören oder pflegebedürftig sind, basierten maßgeblich auf den Erziehungsleistungen ihrer heute versicherungspflichtigen Eltern.

Spätestens bis zum 31. Dezember 2004 habe der Gesetzgeber eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen; bei der Bemessung dieser Frist habe das Bundesverfassungsgericht berücksichtigt, dass die Bedeutung dieses Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen sein werde.

IV. Umsetzung des Urteils in der Sozialen Pflegeversicherung

Zur Umsetzung des Urteils vom 3. April 2001 (1 BvR 1629/94) räumt das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber ausdrücklich einen weiten Gestaltungsspielraum ein. Der Gesetzgeber müsse "prüfen, welche Wege zur Herbeiführung einer verfassungskonformen Rechtslage tragfähig und finanzierbar sind" (aa0, Seite 270). Das Gericht hat insbesondere offen gelassen, ob der Beitragsabstand zwischen Kindererziehenden und Kinderlosen durch einen Zuschlag für die einen oder eine Ermäßigung für die anderen oder durch beides erreicht werden soll. Aus der kinderbedingten besonderen Belastung hat das Bundesverfassungsgericht jedenfalls ein Abstandsgebot im Verhältnis der Beiträge der Mitglieder mit Kindern zu denen der Mitglieder ohne Kinder abgeleitet, dem der Gesetzgeber durch die Neuregelung Rechnung tragen gen muss (relative Entlastung).

Der Deutsche Bundestag hat am 1. 0ktober 2004 den von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/die GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Berücksichtigung der Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung (Bundestagsdrucksache 15/3671) beschlossen. Mit dem Gesetz sollen die Mitglieder der Sozialen Pflegeversicherung, die kinderlos sind, mit einem erhöhten Beitrag von 0,25 Beitragssatzpunkten (Beitragszuschlag) belastet werden. Damit werden Mitglieder, die Kinder haben oder gehabt haben, in der Sozialen Pflegeversicherung auf der Beitragsseite, wie es das Bundesverfassungsgericht gefordert hat, relativ besser gestellt als solche ohne Kinder.

Das Gesetz enthält im Einzelnen folgende hier interessierende Regelungen:

V. Zur Gesetzlichen Rentenversicherung

Nach dem Ergebnis ihrer Prüfung besteht aus Sicht der Bundesregierung keine Notwendigkeit, die in der Sozialen Pflegeversicherung erforderliche beitragsrechtliche Differenzierung zwischen kindererziehenden und kinderlosen Pflichtbeitragszahlern auf die Gesetzliche Rentenversicherung zu übertragen.

Bereits im Jahr 2001 ist der Sozialbeirat vom damaligen Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung um eine Stellungnahme zu den Pflegeversicherungsurteilen des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 gebeten worden. In seiner Stellungnahme vom 2. Mai 2001 (Bundestagsdrucksache 014/6099) kommt er zu dem Schluss, dass er "keine zwingende Notwendigkeit" sehe, "vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Pflegeversicherung bestehende oder geplante Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung zu ändern". Da das Urteil auf eine Berücksichtigung von Kindererziehungsleistungen innerhalb des Systems abstelle und in der Sozialen Pflegeversicherung eine solche Honorierung nur auf der Finanzierungsseite erfolgen könne, sei daraus keineswegs der Schluss zu ziehen - da eine Berücksichtigung von Kindererziehungsleistungen in der Gesetzlichen Rentenversicherung auch auf der Leistungsseite erfolgen könne -, dass auch in der Rentenversicherung die Beitragsseite entsprechend zu modifizieren sei. Im Ergebnis erscheine vielmehr eine Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten auf der Leistungsseite als die systemadäquatere, zielgenauere und sachgerechtere Lösung.

In seinem Gutachten vom 22. November 2001 zum Rentenversicherungsbericht 2001 (Bundestagsdrucksache 014/7639) hat der Sozialbeirat die Einsetzung einer Kommission angeregt, die sich mit den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 zur Pflegeversicherung befasst und ihre eventuellen Auswirkungen auf die Rentenversicherung prüft.

Daraufhin hat sich die im November 2002 von der Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung eingerichtete Kommission "Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme" unter anderem auch dieser Thematik angenommen.

Zur Begründung ihrer Auffassung führt die Kommission insbesondere folgende fünf Argumente an:

Gestützt auf diese gutachtlichen Äußerungen sieht die Bundesregierung, wie nachfolgend dargelegt wird, keine Notwendigkeit, in der Gesetzlichen Rentenversicherung eine beitragsrechtliche Differenzierung zwischen kindererziehenden und kinderlosen Pflichtbeitragszahlern vorzunehmen.

Verfassungsrechtlich und sachlich besteht in der Gesetzlichen Rentenversicherung eine andere Ausgangssituation als in der Sozialen Pflegeversicherung:

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Grundsatzurteil zu Kindererziehungszeiten vom 7. Juli 1992 (BVerfGE 87, 1, 40) festgestellt, dass sich aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes keine Pflicht des Gesetzgebers ergebe, hinsichtlich der Begründung von Rentenanwartschaften die Kindererziehung der Beitragszahlung gleichzustellen. Angesichts des in der Rentenversicherung seit 1957 geübten Umlageverfahrens seien Kindererziehung und Beitragszahlung nicht gleichartig. Die Erziehungsleistung wird vom Bundesverfassungsgericht neben den monetären Beiträgen der Erwerbstätigen als eigener Beitrag zur Aufrechterhaltung der Gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt; allerdings rechtfertige die unterschiedliche Funktion der beiden Leistungen für das Rentensystem auch ihre Ungleichbehandlung bei der Begründung von Rentenanwartschaften.

Der Kontext zum oben genannten Kindererziehungszeitenurteil, in dem ausdrücklich die Honorierung auf der Leistungsseite als systemgerecht angesehen wurde, lässt auf eine diesbezügliche Interpretationsoffenheit des Pflegeversicherungsurteils vom 3. April 2001 (1 BvR 1629/94) schließen. Das Bundesverfassungsgericht selbst hebt darin unter Bezugnahme auf das Kindererziehungszeitenurteil diesen Aspekt hervor, wenn es ausführt, dass "verheiratete Eltern, die wegen der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder gänzlich oder weitgehend auf Erwerbsarbeit verzichten, ... anders als in der durch Lohn- und Beitragsbezogenheit geprägten gesetzlichen Rentenversicherung ... gegenüber kinderlosen Versicherten, die erwerbstätig sind, keine Nachteile bei der Inanspruchnahme der durch die soziale Pflegeversicherung gewährten Leistungen" erlitten (BVerfGE 103, 242, 260).

Zwischen der Sozialen Pflegeversicherung und der Gesetzlichen Rentenversicherung bestehen deutliche Strukturunterschiede. Dies betrifft insbesondere die Verknüpfung von Beitrags- und Leistungsseite. In der Pflegeversicherung erhalten Versicherte Sach- und Geldleistungen entsprechend dem Grad ihrer Pflegebedürftigkeit - unabhängig von der Höhe der zuvor gezahlten Beiträge. In der Rentenversicherung hingegen gilt vom Grundsatz her das Prinzip der Vorleistungsabhängigkeit der Rentenansprüche.

Dem Prinzip der Beitragsäquivalenz Rechnung tragend und dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts von 1992 (Kindererziehungszeitenurteil) zum Ausbau familienfördernder Leistungen in der Rentenversicherung folgend (BVerfGE 87, 1, 41: "ist... sicherzustellen, dass sich mit jedem Reformschritt die Benachteiligung der Familie tatsächlich verringert") hat der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren in erheblichem Umfang familienfördernde Elemente in das Leistungsspektrum der Gesetzlichen Rentenversicherung eingebaut und damit die Kindererziehungsleistung berücksichtigt:

Aufgrund des für die Gesetzliche Rentenversicherung maßgebenden Prinzips der Beitragsäquivalenz lässt sich diesen Leistungen zugunsten Kindererziehender wirtschaftlich auch eine konkrete Ersparnis beim Beitragsaufwand zuordnen. Denn um entsprechende Leistungsteile durch Beitragszahlungen zu erwerben, wäre für nicht Kindererziehende ein Beitragsaufwand in erheblichem Umfang erforderlich. Zum Beispiel entsprechen die Rentenanwartschaften, die allein für das erste Kind aufgrund von Kindererziehungszeiten gutgeschrieben werden, gegenwärtig einer Beitragsleistung von gut 17.000 Euro. Rechnet man noch die Höherbewertung von Beitragszeiten während der Kindererziehung bis zum 10. Lebensjahr des Kindes sowie zwei Entgeltpunkte für die Kindererziehung bei der Hinterbliebenenrente hinzu, kann sich derzeit ein Maximalwert in Höhe von knapp 42.000 Euro Beitragsersparnis ergeben.

Für ihre - eigenen - Beiträge erhalten kindererziehende Versicherte in der Gesetzlichen Rentenversicherung daher bereits jetzt ein "Mehr" an Leistungen als kinderlose Versicherte bzw. sie müssen für die Leistungen, die sie erhalten, weniger aufwenden als diese. Bereits gegenwärtig werden daher in der Gesetzlichen Rentenversicherung kindererziehende Versicherte weniger belastet - oder mehr entlastet - als kinderlose Versicherte. Mit der dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 (1 BvR 1629/94) zugrunde liegenden spezifischen Situation in der Sozialen Pflegeversicherung, in der Versicherte Sach- und Geldleistungen entsprechend dem Grad ihrer Pflegebedürftigkeit und somit unabhängig von der Höhe der zuvor gezahlten Beiträge erhalten, ist der Bereich der Gesetzlichen Rentenversicherung daher nicht vergleichbar. Insoweit gibt es also keine Grundlage für eine Übertragung der Urteilsgrundsätze auf die Gesetzliche Rentenversicherung

Zudem wird gegenwärtig mehr als ein Drittel des gesamten Finanzaufkommens der Gesetzlichen Rentenversicherung aus Mitteln des Bundeszuschusses oder auf andere Weise aus Steuermitteln finanziert. Zumindest soweit diese Mittel aus dem Aufkommen der Lohn- bzw. Einkommensteuer stammen, sind Kindererziehende an der Aufbringung dieser Finanzmittel erheblich geringer beteiligt als Kinderlose, da die Bemessung der individuellen Lohn- und Einkommensteuerschuld auf die Leistungsfähigkeit der Besteuerten abstellt und in diesem Rahmen die Erziehungsleistung durch entsprechende Freibeträge berücksichtigt. So werden Personen mit Kindern im Durchschnitt deutlich geringer belastet als Kinderlose.

Für einen ergänzenden weiteren Ausbau der familienpolitischen Komponenten in der Gesetzlichen Rentenversicherung sind in der gegenwärtigen angespannten Finanzsituation der öffentlichen Haushalte, die der Gesetzgeber nach dem Kindererziehungszeitenurteil berücksichtigen darf, im Übrigen keine Spielräume vorhanden. Letztlich wird ohnehin eine weiter zunehmende Erwerbstätigkeit zu deutlich höheren eigenständigen Rentenanwartschaften von Erziehenden, d.h. in der Regel von Frauen, führen. Deshalb legt die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode ihre Prioritäten auf die Verbesserung der entsprechenden Rahmenbedingungen (siehe unter IX.). Anzumerken ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass viele der in der vergangenen Zeit umgesetzten kindbezogenen Maßnahmen in der Gesetzlichen Rentenversicherung erst bei künftigen Rentenzugängen ihre volle Wirksamkeit entfalten. Der Rentenertrag aus der Berücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung wird sich daher auch ohne weitere Maßnahmen künftig weiter verbessern.

Zu Recht weist die Kommission "Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme" im Übrigen darauf hin, dass bei jeder weiter gehenden Berücksichtigung von Kindererziehung in der Gesetzlichen Rentenversicherung darauf zu achten wäre, keine Fehlanreize zu setzen, die dem Wiedereinstieg von Erziehenden in das Erwerbsleben entgegenstehen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass mit der beitragsfreien Hinterbliebenenversorgung eine Leistung von derzeit jährlich 35 Milliarden Euro erbracht wird, die insbesondere Müttern, die nicht oder wenig erwerbstätig waren, zugute kommt.

Auch die Bundesregierung kommt bei ihrer Prüfung der Auswirkungen des Urteils auf die Gesetzliche Rentenversicherung zu dem Ergebnis, dass der vom Gesetzgeber beschrittene Weg, Kindererziehung auf der Leistungsseite zu honorieren, sachgerecht ist. Eine Beitragsumverteilung zwischen kindererziehenden und nicht kindererziehenden Versicherten sollte nicht in Betracht gezogen werden und ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Es besteht daher insoweit Übereinstimmung mit der Kommission "Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme" sowie dem Sozialbeirat.

Kindererziehende leisten einen unverzichtbaren generativen Beitrag auch für den Fortbestand der Gesetzlichen Rentenversicherung. Daher ist ein Ausgleich der erziehungsbedingten finanziellen Nachteile von Familien notwendig und wird auch geleistet (siehe Abschnitt IX). Ein Familienlastenausgleich ist aber nach Ansicht der Bundesregierung keine originäre Aufgabe der Solidargemeinschaft der Rentenversicherten, sondern eine über Steuern zu finanzierende Aufgabe der Gesamtgesellschaft. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Kindererziehungszeitenurteil 1992 festgestellt, dass die erziehungsbedingten Nachteile ihre Wurzeln nicht allein im Rentenrecht haben und folglich nicht nur dort behoben werden brauchen. Für den Bereich der Gesetzlichen Rentenversicherung hat es darüber hinaus im Jahr 1996 in einem Nichtannahmebeschluss die Verfassungsmäßigkeit der bestehenden Regelungen zur Anerkennung der Kindererziehung bestätigt (Kammerbeschluss vom 29. März 1996, Az.: 1 BvR 1238/95). Danach steht nach Auffassung des Gerichts dem Gesetzgeber ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum zur Verfügung, wobei er insbesondere auch die jeweilige Haushaltslage und die finanzielle Situation der Rentenversicherung berücksichtigen darf.

Aus den genannten Gründen hält es die Bundesregierung für sachgerecht und folgerichtig, dem Gesetzgeber für die Gesetzliche Rentenversicherung keinen der für die Soziale Pflegeversicherung vorgesehene Regelung analogen Vorschlag zu machen.

VI. Zur gesetzlichen Krankenversicherung

Aus Sicht der Bundesregierung besteht in der gesetzlichen Krankenversicherung ebenfalls keine Notwendigkeit, über die dort schon verankerten beitrags- und leistungsrechtlichen Regelungen zugunsten von Familien mit Kindern hinausgehend neue Regelungen zu treffen und damit in den Solidarausgleich einzugreifen.

Ein Vergleich zwischen Gesetzlicher Krankenversicherung und Sozialer Pflegeversicherung macht deutlich, dass es zwischen beiden Versicherungen erhebliche Unterschiede in den rechtlichen Ansprüchen und den finanziellen Lasten bei Mitgliedern mit Kindern oder Familien und bei Mitgliedern ohne Kinder gibt.

Unter beitrags- und leistungsrechtlichen Gesichtspunkten ist insbesondere auf Folgendes hinzuweisen:

Zusätzlich werden Familien begünstigt, weil für Kinder in der Regel keine Zuzahlungen erhoben werden. Eine weitere Familien-Kinder-Komponente stellen die gestaffelten Kinderfreibeträge als Entlastungsfaktoren bei der Feststellung von Belastungsgrenzen im Rahmen der Zuzahlungsregelungen dar.

Die genannten Unterschiede im spezifisch familien- und kinderorientierten Leistungsspektrum der Gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber der Sozialen Pflegeversicherung verdeutlichen bereits, dass die Solidarkomponente in der Gesetzlichen Krankenversicherung zugunsten von Mitgliedern mit Kindern und Familien erheblich stärker wirkt als in der Sozialen Pflegeversicherung.

Zur Beurteilung des monetären Beitrags, den Mitglieder ohne Kinder in der Gesetzlichen Krankenversicherung u. a. über den Solidarausgleich fiktiv für Mitglieder mit Kindern leisten und der damit gewissermaßen als Ersatz für die nicht erbrachte Erziehungsleistung betrachtet werden muss, lassen sich die folgenden finanziellen Wirkungen über eine Betrachtung der Ausgabenvolumina für die Leistungsinanspruchnahme von Familien heranziehen:

Für Familien wird damit in der Gesetzlichen Krankenversicherung, insbesondere in der Phase der Kindererziehung, ein Vielfaches des entsprechenden Anteils der Ausgaben und Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung ohne eigene Beitragszahlungen erbracht.

Es ist erkennbar, dass der angenommene "höhere" Gesamtbeitrag von Eltern - bestehend aus Erziehungsleistung und Geldbeitrag - im Vergleich zum angenommenen "niedrigeren" reinen Geldbeitrag von Mitgliedern ohne Kinder und ohne Erziehungsleistung in der Gesetzlichen Krankenversicherung im Unterschied zur Sozialen Pflegeversicherung weitgehend innerhalb des Systems ausgeglichen wird. Dieser wird u. a. über den Solidarausgleich von Mitgliedern ohne Kinder finanziert und entlastet Erziehende.

Beim Vergleich der Ausgaben- und Beitragszahlungen von Rentnern in der Pflegeversicherung und der Krankenversicherung zeigen sich weiterhin gravierende Unterschiede bei den Finanzierungsanteilen, die durch Aktive einerseits und Rentner andererseits aufgebracht werden. Der Finanzierungsanteil, den also auch Eltern in der Pflegeversicherung erbringen müssen, liegt mit 75 Prozent weit höher ist als in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Denn Rentner müssen in der Pflegeversicherung nur rund 25 Prozent ihrer Leistungsausgaben durch Beitragszahlungen selbst aufbringen, verursachen jedoch gleichzeitig mehr als 80 Prozent der Gesamtausgaben der Pflegeversicherung. Daher stellt sich nur in der Pflegeversicherung das Problem der Beitragsentlastung der Aktiven, die Kinder erziehen und gleichzeitig einen "höheren" Gesamtbeitrag erbringen. Demgegenüber liegt der Eigenfinanzierungsanteil von Rentnern in der Gesetzlichen Krankenversicherung immerhin bei rund 46 Prozent ihrer Leistungsausgaben. Diese betrugen im Jahr 2003 rund 66 Milliarden Euro, die einem Anteil von rund 48 Prozent an den Gesamtausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen und deren Anteil damit deutlich niedriger ist als in der Pflegeversicherung. Gründe für eine Beitragsentlastung für erziehende Beitragszahler sind daher in der Gesetzlichen Krankenversicherung auch aus diesen Gesichtspunkten nicht gegeben.

Zusätzlich ist für die Gesetzliche Krankenversicherung zu berücksichtigen, dass die heutige Rentnergeneration während der Phase ihrer Erwerbstätigkeit im Rahmen des Generationenvertrags Defizite der früheren Rentnergeneration durch vergleichsweise höhere Beiträge ausgeglichen hat und selbst geringere Ausgaben verursacht hat. Dies trifft für die Pflegeversicherung, die erst ab 1995 eingeführt wurde, nicht zu. Den hohen Leistungsausgaben für die heutige Rentnergeneration stehen keine entsprechenden Beitragszahlungen und geringeren Ausgaben aus früheren Altersperioden der heute von den Leistungen der Pflegeversicherung profitierenden Alterskohorten gegenüber.

Im Sinne einer familienfreundlichen Ausgestaltung aller Politikbereiche sind im Rahmen des GKV-Modernisierungsgesetzes Maßnahmen enthalten, die zu einer zusätzlichen Entlastung von Familien im Vergleich zu Mitgliedern ohne Kinder führen. Im Einzelnen handelt es sich insbesondere um folgende Neuregelungen:

Als Gesamtergebnis der Prüfung der Konsequenzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts für die Ausgestaltung der Beitragsbemessung in der Gesetzlichen Krankenversicherung kann aufgrund der geschilderten beitrags- und leistungsrechtlichen Besonderheiten der Gesetzlichen Krankenversicherung festgehalten werden, dass aus Sicht der Bundesregierung keine Notwendigkeit zur weitergehenden Entlastung von Mitgliedern mit Kindern und Familien gesehen wird.

Hauptgrund hierfür ist die Tatsache, dass in der Gesetzlichen Krankenversicherung der Erziehungsleistung, die Mitglieder mit Kindern als nichtmonetären, generativen Beitrag im Vergleich zu Mitgliedern ohne Kinder zusätzlich erbringen, gewissermaßen ein Gegenwert auf der Leistungsseite gegenüber steht, der in der Sozialen Pflegeversicherung nicht gegeben ist. Hierbei handelt es sich hauptsächlich um Leistungen mit spezifischem familienpolitischem Charakter und Leistungen für Kinder, die ausschließlich dieser Gruppe zugute kommen. Ergänzt werden diese Leistungen durch beitragsrechtliche Neuregelungen des GKV-Modernisierungsgesetzes, insbesondere durch die Erhöhung der Beiträge für Versorgungsbezüge und die Neuregelung der Zuzahlungen.

Aus Sicht der Bundesregierung besteht demzufolge keine Notwendigkeit, über die in der Gesetzlichen Krankenversicherung schon verankerten beitrags- und leistungsrechtlichen Regelungen zugunsten von Familien mit Kindern hinausgehend neue Regelungen zu treffen, die in den Solidarausgleich eingreifen. Weitere - insbesondere beitragsrechtliche - Maßnahmen sind daher nicht erforderlich.

VII. Zur Gesetzlichen Unfallversicherung

Im Bereich der Gesetzlichen Unfallversicherung kommt eine Entlastung von Versicherten, die Kinder erziehen, auf der Beitragsseite schon deshalb nicht in Betracht, weil die Finanzierung der Umlage hier grundsätzlich allein durch die Arbeitgeber erfolgt. Überdies deckt die Gesetzliche Unfallversicherung weder ein Risiko ab, das vor allem die ältere Generation trifft, noch ist die Kindererziehungsleistung in diesem sozialen Leistungssystem konstitutiv, weil die nachwachsenden Generationen auch dann, wenn sie in das erwerbsfähigen Alter gelangen, mangels Arbeitnehmerbeitrag nicht als Beitragszahler die mit den Versicherungsfällen entstehenden Kosten mittragen. Beides wird jedoch vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorausgesetzt.

VIII. Zur Arbeitsförderung (Gesetzliche Arbeitslosenversicherung)

Aus Sicht der Bundesregierung hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 (1 BvR 1629/94) auch keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Recht der Arbeitsförderung (Arbeitslosenversicherung). Wie erwähnt kommt das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Erziehungsleistung nur dann eine konstitutive Bedeutung für die Funktionsfähigkeit eines sozialen Sicherungssystems hat, wenn durch ein Umlageverfahren ein regelmäßig erst in höherem Alter auftretendes Lebensrisiko finanziert wird. Diese Voraussetzung liegt bei der Arbeitslosenversicherung nicht vor. Das Risiko der Arbeitslosigkeit besteht für Erwerbstätige grundsätzlich unabhängig vom Lebensalter. Es wird in erster Linie durch die wirtschaftliche Entwicklung bestimmt und tritt jedenfalls nicht "regelmäßig erst in höherem Alter" auf.

0hnehin ist die Arbeitslosenversicherung nicht als "intergenerative", sondern vielmehr als "intragenerative" Versicherung ausgestaltet. Um Arbeitslosengeld in Anspruch nehmen zu können, reichen Beitragzahlungen irgendwann in der Vergangenheit nicht aus. Vielmehr müssen innerhalb einer Rahmenfrist von zwei Jahren, beginnend mit dem Tag vor der Erfüllung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen auf Arbeitslosengeld (u. a.: Arbeitslosigkeit), mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis zurückgelegt worden sein. Beitragszahlung und Leistungsanspruch stehen bei der Arbeitslosenversicherung also in einem engen zeitlichen Zusammenhang (vgl. hierzu auch BVerfG, Urteil vom 12. Februar 1986, 1 BvL 039/83 , BVerfGE 72, 9); es finanziert somit nicht - wie in der Sozialen Pflegeversicherung - eine Generation mit ihren Beiträgen die Leistungen für die nächste Generation. Im Gegensatz zu den anderen Bereichen der Sozialversicherung kann in der Arbeitslosenversicherung davon ausgegangen werden, dass sich mit der mittelfristig zu erwartenden Abnahme des Erwerbspersonenpotenzials das Verhältnis von Beitragszahlern und Leistungsempfängern sogar verbessert.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 (1 BvR 1629/94) ist zudem deswegen nicht auf die Arbeitslosenversicherung übertragbar, weil spezifische Wirkungszusammenhänge des Systems der Sozialen Pflegeversicherung, auf die das Bundesverfassungsgericht abstellt, in der Arbeitslosenversicherung nicht existieren. Das Bundesverfassungsgericht hat beispielsweise darauf hingewiesen, dass bei Eltern der Aufwand der Pflegeversicherung geringer sein kann als bei kinderlosen Mitgliedern der Sozialen Pflegeversicherung, weil bei ihnen die Pflege durch Kinder an die Stelle der Pflege durch Dritte treten kann. Eine vergleichbare den "Versicherungsschaden" gegebenenfalls mindernde Eigenleistung durch die Kinder des Versicherten ist in der Arbeitslosenversicherung nicht denkbar.

Das Bundesverfassungsgericht hat schließlich verlangt, dass die Benachteiligung von erziehenden Versicherten - unterstellt, sie läge vor - im Beitragsrecht auszugleichen sei. Allerdings hat es in der beitragsfreien Mitversicherung von Familienangehörigen, die damit ohne eigene Beitragszahlungen Leistungsansprüche in der Sozialen Pflegeversicherung erwerben können, einen gewissen Ausgleich sehen wollen, auch wenn er im konkreten Fall nicht ausreichte, um den Vorteil vollständig aufzuwiegen, der den Kinderlosen durch die Erziehungsleistung zuwächst. Damit ist es grundsätzlich von den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts gedeckt, wenn ein Ausgleich der erziehenden Versicherten auch über das Leistungsrecht gesucht wird. In diesem Zusammenhang ist von Belang, dass die Höhe des Arbeitslosengeldes bei Kinderlosen und Kindererziehenden differiert. Für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Absätze 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes haben, sowie für Arbeitslose, deren Ehegatte oder Lebenspartner mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Absätze 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes hat, beträgt das Arbeitslosengeld, wenn beide Ehegatten oder Lebenspartner unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts, für die übrigen Arbeitslosen hingegen nur 60 Prozent (allgemeiner Leistungssatz). Das bestimmt § 129 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III).

IX. Bessere Rahmenbedingungen für das Leben mit Familien - Berücksichtigung von Betreuungs- und Erziehungsleistungen durch eine bereichsübergreifende Familienpolitik

Ausgangspunkt des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 (1 BvR 1629/94) ist der notwendige Ausgleich der spezifischen Belastung kindererziehender Versicherter im Pflegeversicherungssystem, welche dadurch entstehe, dass nicht mehr in der Regel alle Versicherten einen "generativen Beitrag" erbringen. Mit der Feststellung, dass jede staatliche Gemeinschaft auf die Wertschöpfung durch heranwachsende Generationen angewiesen ist, identifiziert das Bundesverfassungsgericht selbst das Erbringen des "generativen Beitrags" als die zentrale Frage. Neben die Erforderlichkeit eines Belastungsausgleichs tritt die Notwendigkeit eines bereichsübergreifenden familienpolitischen Ansatzes, mit dem die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger gefördert wird, Kinder zu bekommen, zu betreuen und zu erziehen.

Die Entscheidung für Familie und Kinder ist keine lediglich nach wirtschaftlichen Kriterien getroffene Entscheidung. Dementsprechend können finanzielle Anreize oder der Ausgleich von finanziellen Nachteilen nur teilweise erfolgreich sein: Ebenso wichtig sind familienfreundliche Rahmenbedingungen, eine familienfreundliche Infrastruktur und eine familienfreundliche Gesellschaft.

Die Bundesregierung hat seit 1998 in der Familienpolitik eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen, die zu größerer Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität für Familien in unserer Gesellschaft beitragen sollen. Sie hat in der Familienpolitik einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Deutschland liegt bei der materiellen Familienförderung heute im EU-Vergleich im oberen Drittel. Deshalb tritt neben die materiellen Leistungen nun als weiterer Bestandteil der "Agenda 2010" der Schwerpunkt der Verbesserung der Infrastruktur für Familien. Damit sollen folgende Ziele erreicht werden:

Mit zentralen familienpolitischen Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat die Bundesregierung seit ihrem Amtsantritt diese Rahmenbedingungen verbessert: