Der Bundesrat hat in seiner 817. Sitzung am 25. November 2005 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat hat bereits in seinem Beschluss vom 13. Juli 2001 zum CAFE-Prozess (Clean Air For Europe, BR-Drucksache 385/01(Beschluss) ) ein konsistentes System der europäischen Luftreinhaltung gefordert, in dem nicht nur Immissionsstandards, sondern auch konkrete Emissionsbegrenzungen nach dem Stand der Technik für alle genehmigungsbedürftigen und wichtigen, nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen festgelegt werden. Harmonisierte Emissionsstandards dienen auch der Schaffung vergleichbarer Wettbewerbsbedingungen in Europa.
- 2. Nach Auffassung des Bundesrates können anspruchsvolle Immissionsstandards in Europa nur mit einer integrierten und systematischen Minderungsstrategie erfüllt werden, die alle maßgeblichen Quellen erfasst. Realistische und einhaltbare Standards sind so festzulegen, dass ein vertretbares Kosten-Nutzen-Verhältnis erreicht wird. Hohe Beiträge grenzüberschreitender Schadstoffe zu den Immissionen dürfen nicht dazu führen, dass in bestimmten Mitgliedstaaten unverhältnismäßige Maßnahmen erforderlich würden.
- 3. Die von der Kommission vorgelegte "Thematische Strategie zur Luftreinhaltung" wird diesen Forderungen noch nicht gerecht. Sie setzt derzeit einseitig auf die Festlegung von Immissionsstandards und trifft Vorfestlegungen für die in der Revision befindliche Richtlinie über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe (NEC-Richtlinie). Dabei fehlen Aussagen darüber, mit welchen Maßnahmen und Aktivitäten diese Werte eingehalten werden können. Zudem besteht die Gefahr, dass die mit der Strategie angestrebten Emissionshöchstmengen in den einzelnen Mitgliedstaaten die unterschiedlichen Situationen in den jeweiligen Mitgliedstaaten nicht ausreichend berücksichtigen und deshalb zu unverhältnismäßigen Belastungen von Staaten führen, in denen bereits erfolgreich Maßnahmen zur Schadstoffminderung umgesetzt wurden.
Beispielsweise ist ein ökologischer Nutzen bei SO2 nicht ersichtlich, weil Deutschland in den letzten 20 Jahren die SO2-Fracht bereits auf deutlich unter 10 % gesenkt hat.
- 4. Nach Auffassung der Kommission kommt der Partikelfraktion PM2,5 aus Gründen des Gesundheitsschutzes verstärkte Aufmerksamkeit zu, sodass sie die Exposition des Menschen gegenüber PM2,5 in der Luft in Kapitel 4.1.1 ihrer Mitteilung "Thematische Strategie zur Luftreinhaltung" aufgreift.
- 5. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich bei den weiteren Diskussionen dafür einzusetzen, dass Grenzwerte für PM10 und PM2,5 nicht parallel vorgeschrieben werden, da nach heutigem Kenntnisstand PM2,5-Grenzwerte zusätzlich zu den PM10-Grenzwerten keine erkennbaren Vorteile für den Gesundheits- und Umweltschutz bieten. Durch zwei Grenzwerte würde zudem ein nahezu doppelter Messaufwand entstehen. Von der Festsetzung eines PM2,5-Grenzwerts sollte abgesehen werden, solange keine ausreichenden Erkenntnisse über die gesundheitlichen Auswirkungen von PM2,5 und über die praktische Erreichbarkeit des Grenzwerts bis 2010 vorliegen. Weiter bittet der Bundesrat, sofern ausreichende Erkenntnisse die Festsetzung eines Jahresmittelwerts für PM2,5 ermöglichen, die Grenzwerte für PM10 zu streichen. Bei der Festlegung neuer Grenzwerte sollte generell darauf geachtet werden, dass diese wissenschaftlich ermittelt und nachvollziehbar sind.
- 6. Die Kommission begründet die von ihr vorgeschlagene Strategie mit einer Folgenabschätzung, die kritisch bewertet werden kann.
Der Bundesrat hält die Begründung für die in der Zielvorstellung vorgegebene Höhe der Emissionsreduktion allein auf Grund des Hinweises auf "Analyse" und "Folgenabschätzung" (S. 5 Mitte der Vorlage) für nicht ausreichend. Hier wäre, nicht zuletzt aus Gründen des globalen Wettbewerbs, auch die "internationale Dimension" bereits mit einzubeziehen (Verfrachtungen), zu der sich die Kommission nur vage äußert (Nr. 4.2.5).
Vor allem erscheinen die angegebenen Kostenabschätzungen als zu niedrig. Die hohen Werte für den Nutzen der Strategie sind auf die Monetarisierung von Gesundheitseffekten und die monetäre Bewertung menschlicher Lebensjahre zurückzuführen, wobei zum einen über die Auswirkungen auf die Gesundheit Unsicherheit herrscht, zum anderen die Monetarisierung von Gesundheit und Leben grundsätzliche Probleme aufwirft.
- 7. Der Bundesrat hält es nicht für sinnvoll, neue Ziele festzulegen, ohne zugleich eine Einigung über die zur Zielerreichung notwendigen Maßnahmen herbeizuführen. Er bittet daher die Bundesregierung, sich bei den anstehenden Ratsverhandlungen dafür einzusetzen, dass die Kommission aufgefordert wird, so schnell wie möglich Vorschläge für EU-weit einheitliche Emissionsstandards unter Berücksichtigung der Ziele der europäischen Lissabonstrategie vorzulegen. In Zusammenhang mit diesen Vorschlägen sollen dann der von der Kommission vorgelegte Vorschlag zur Fortschreibung der Rahmenrichtlinie Luftqualität sowie der für nächstes Jahr angekündigte Vorschlag für eine Fortschreibung der NEC-Richtlinie beraten und verabschiedet werden.
- 8. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich bei den anstehenden Beratungen zu der Vorlage ferner dafür einzusetzen, dass im Rahmen der "Thematischen Strategie zur Luftreinhaltung" anspruchsvolle Maßnahmen zur Emissionsminderung auf der Ebene der EU festgelegt und mit den Anforderungen der Luftqualitätsrichtlinie abgestimmt werden.
- 9. Der Bundesrat erkennt die Notwendigkeit, auf eine Verringerung auch landwirtschaftlich bedingter Emissionen hinzuwirken, um im Sinne des Ziels des Sechsten Umweltaktionsprogramms den Gesundheitsschutz der Bevölkerung zu verbessern und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen.
Der Bundesrat hält das unter anderem im Sechsten Umweltaktionsprogramm zum Ausdruck gebrachte Grundanliegen für richtig, die Anstrengungen zur Luftreinhaltung weiter zu verstärken.
Nach den Schätzungen der Kommission sind zur Erreichung dieses Ziels bis 2020 weitere Senkungen der relevanten Emissionen im Vergleich zu 2000 notwendig. In der Mitteilung werden für die einzelnen Sektoren, u. a. für die Landwirtschaft, die Maßnahmen nur allgemein ausgeführt. Weitere Konkretisierungen und Umsetzungsschritte werden notwendig sein und sind teilweise auch angekündigt.
Vor dem Hintergrund der Agrarreform von 2004 und der weiteren Öffnung zum Weltmarkt muss beachtet werden, dass mögliche neue Auflagen die Produktionskosten weiter erhöhen und damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Landwirtschaft im internationalen Vergleich schmälern. Dieses bedeutet, dass bei internationalen Verhandlungen, u. a. den WTO-Verhandlungen, die Folgen dieser Umweltstandards berücksichtigt werden sollten.
Um die Reduktionsverpflichtungen für den Verursacherbereich Landwirtschaft, die sich aus der Thematischen Strategie zur Luftreinhaltung bzw. der in ihrer Folge zu erwartenden Rechtsvorschriften ergeben, quantifizieren und darauf aufbauend die Auswirkungen auf die Landwirtschaft beurteilen zu können, wird die Bundesregierung gebeten, rechtzeitig belastbares Datenmaterial insbesondere zu der Entwicklung der Gesamtemissionen von NH3 und N₂O sowie zu der Rolle von NH3 bei der Feinstaubproblematik bereitzustellen.
Grundsätzlich wird die Bundesregierung gebeten darauf zu achten, dass aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit die nationale Umsetzung nicht über die Vorgaben der EU hinausgehen wird. Dies bedeutet auch, dass auf EU-Ebene die Rechtsetzung stärker auf der Festlegung materieller Standards und nicht auf Verfahrensregelungen liegt. Insofern verweist der Bundesrat auf seinen Beschluss zum Sechsten Umweltaktionsprogramm (BR-Drucksache 151/01(Beschluss) ).
- 10. In Nummer 4.2.3 ist zur Thematik Landwirtschaft u. a. aufgeführt, dass "zum Erreichen der nunmehr neuen Reduktionsziele unter Umständen nationale Aktionspläne (wie bisher) entwickelt werden müssen, einschließlich von Vorschriften, die auf Ebene der einzelnen landwirtschaftlichen Betriebe Anwendung finden". Vor dieser Zielsetzung wird die Bundesregierung gebeten, insbesondere darauf zu achten, dass diese Ansätze den allgemeinen Bestrebungen zur Entbürokratisierung nicht entgegenlaufen und nicht zu zusätzlichen Regulierungen führen.
- 11. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang auf die zahlreichen Anstrengungen zur Verwaltungsvereinfachung und zum Bürokratieabbau, die nicht zuletzt auch von der Kommission selbst - beispielsweise mit der Initiative des Vizepräsidenten der Kommission, Kommissar Verheugen - gefordert werden. Dem muss auch die künftige "Thematische Strategie zur Luftreinhaltung" Rechnung tragen.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im Zuge der weiteren Beratungen zu der Strategie die Länder frühzeitig und eng einzubinden.