Der Bundesrat hat in seiner 832. Sitzung am 30. März 2007 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat weist darauf hin, dass der Rat im Jahr 2003 ausdrücklich nur "europäische Durchschnittsbezugswerte" als mit der Zuständigkeit der EG vereinbar festgestellt hat. Der unübersetzte Begriff "benchmark" kann deshalb in seiner Vieldeutigkeit nicht akzeptiert werden.
- 2. Der Bundesrat lehnt darüber hinaus Begriffe ab, deren Bedeutung sich im Deutschen nicht erschließt, wie z.B. "Stratifikation der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung" (vorgeschlagener Indikator 13) oder "Verbundindikator", und mahnt vermehrte Sorgfalt bei der Übersetzung aus der ursprünglichen Sprachfassung an.
- 3. Der Bundesrat betont erneut die nach dem EGV begrenzten Zuständigkeiten der Gemeinschaft im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung. Danach kann die Gemeinschaft die Mitgliedstaaten bei der Verbreitung bewährter Verfahren unterstützen, wodurch Impulse für die Gestaltung der nationalen Bildungspolitiken geschaffen werden können. Sie kann den Mitgliedstaaten jedoch keine Vorschriften machen, welche Ziele sie zu erreichen haben und von ihnen entsprechende Daten zur Kontrolle dieser Zielerreichung einfordern. Das widerspricht dem subsidiären Charakter gemeinschaftlichen Handelns, das die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Inhalte und die Organisation der Bildung strikt zu beachten hat. Durch das vorgeschlagene engmaschige Netz von 20 Indikatoren wird eine alle Bildungsbereiche umfassende vollumfängliche Kontrolle der Bildungssysteme der Mitgliedstaaten mit der impliziten Zielsetzung der Steuerung durch die Kommission vorgegeben, die der Bundesrat zurückweist.
- 4. Der Bundesrat bekräftigt in diesem Zusammenhang seine Stellungnahmen zum Kommissionsvorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Statistische Programm der Gemeinschaft 2008 bis 2012 (BR-Drucksache 869/06(Beschluss) ) und zur Kommissionsmitteilung zu Effizienz und Gerechtigkeit in den Bildungssystemen (BR-Drucksache 687/06(B) ). Der Bundesrat weist erneut unter Hinweis auf den EGV jede auch indirekte Entwicklung zur Formulierung von bildungspolitischen Leitlinien auf Gemeinschaftsebene und eine einen allgemeinen Gültigkeitsanspruch erhebende Bewertung der Bildungspolitiken einzelner Mitgliedstaaten zurück.
- 5. Der Bundesrat sieht nicht die vorgegebene Notwendigkeit der "Deckung der Datenbedürfnisse der EU" durch die Kommission. Die Einforderung dieser Datenfülle beachtet zum einen nicht die Vielfalt der nationalen bzw. regionalen Bildungssysteme, sondern dient vielmehr den beanspruchten Vergleichs- und Überwachungszwecken der Kommission. Zum anderen ergibt sich daraus für die Mitgliedstaaten ein großer bürokratischer Aufwand, der im Widerspruch zur Kommissionsinitiative zum Bürokratieabbau steht. Der Bundesrat lehnt des Weiteren eine pauschale uneingeschränkte und kontinuierliche Unterstützung der Kommission bei der Erarbeitung neuer Indikatoren sowie eine uneingeschränkte Beteiligung sämtlicher Mitgliedstaaten auch an Erhebungen internationaler Organisationen ab. Das gilt auch für eine Funktion der Kommission als Berichterstatterin über die genügende oder nicht genügende Beteiligung an der Entwicklung neuer Indikatoren zur Deckung eines von der Kommission bestimmten Datenbedarfs der EU.
- 6. Im Hinblick auf die "Modernisierung der Schulbildung" verweist der Bundesrat auf seine Stellungnahme vom 29. September 2000, mit der er u. a. auch die nunmehr wieder im Kommissionsvorschlag enthaltenen multifunktionalen lokalen Lernzentren (Indikator 11) als Eingriff in die Kulturhoheit der Länder zurückgewiesen hatte (BR-Drucksache 274/00(Beschluss) ). Ebenso lehnt er aus den oben genannten grundsätzlichen Gründen die Indikatoren "Schulverwaltung" (Indikator 10), "berufliche Entwicklung von Lehrkräften und Ausbildern" (Indikator 12) und "Stratifikation (gemeint ist wohl Gliederung bzw. Organisation) der Bildungs- und Ausbildungssysteme" (Indikator 13) strikt ab.
- 7. Der Bundesrat weist darauf hin, dass in Bezug auf die Entwicklung eines europäischen Sprachenindikators (Indikator 5), der von der Kommission für Frühjahr 2007 in Aussicht gestellte Fortschrittsbericht noch aussteht. Der Bundesrat betont, dass eine Entscheidung über einen kohärenten Rahmen für Indikatoren und europäische Durchschnittsbezugswerte nicht als Paketlösung gesehen werden kann; vielmehr wird eine präzise Einzelprüfung eines jeden Indikators durchzuführen sein, die im Falle des europäischen Sprachenindikators erst nach Vorlage des Fortschrittsberichts erfolgen kann. Daher fordert der Bundesrat Klärung bezüglich der Erhebungsmodalitäten für alle vorgeschlagenen Indikatoren, so vor allem zur Teilnahme an der Vorschulbildung, an sonderpädagogischer Förderung, zu Bürger- und Lernkompetenzen, zur Qualifikation von Erwachsenen sowie zum Ertrag der allgemeinen und beruflichen Bildung.
- 8. Der Bundesrat vermisst schließlich eine Darlegung der finanziellen Implikationen der Kommissionsvorschläge für die Gemeinschaftsebene, aber auch für die Mitgliedstaaten.
- 9. Der Bundesrat stellt unabhängig von seiner grundsätzlichen und ablehnenden Haltung in fachlicher Hinsicht fest, dass die Schaffung der von der Kommission beabsichtigten neuen zusammengesetzten Indikatoren gewöhnlich längere Zeiträume, z. T. mehrere Jahre, benötigt und sich in der Regel äußerst kostenintensiv gestaltet. Vor diesem Hintergrund ist die geringe Frist bis zu der von der Kommission bereits für das Jahr 2008 in Aussicht gestellten Berichterstattung an den Rat über die Implementierung des kohärenten Rahmens für Indikatoren und die Beteiligung der Mitgliedstaaten an der Entwicklung neuer Indikatoren zur Deckung des Datenbedarfs der EU nicht einzuhalten.
- 10. Der Bundesrat erinnert daran, dass statistische Erhebungen in der EU nur mit Zustimmung der Mitgliedstaaten und auf gesetzlicher Grundlage durchgeführt werden dürfen. Der Bundesrat weist auf die noch nicht abgeschlossenen Verhandlungen für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erstellung und den Ausbau von Statistiken über Bildung und lebenslanges Lernen sowie auf seine Stellungnahme vom 10. März 2006 (BR-Drucksache 902/05(B) ) hin.
- 11. Unbeschadet der grundsätzlichen Einschätzung bemängelt der Bundesrat aus fachlicher Sicht, dass für die Indikatoren "Schulverwaltung" (Indikator 10), "Schulen als Mehrzwecklernzentren" (Indikator 11), "berufliche Entwicklung von Lehrkräften und Ausbildern" (Indikator 12), "Stratifikation (gemeint ist wohl Gliederung bzw. Organisation) der Bildungs- und Ausbildungssysteme" (Indikator 13) und "Qualifikation von Erwachsenen" (Indikator 17) laut der Mitteilung bisher weitgehend die Datengrundlagen fehlen. Der Bundesrat sieht in der Absicht der Kommission, die Entwicklung diesbezüglicher Datenquellen zu unterstützen, die Gefahr der Nutzung neuer Erhebungen und Untersuchungen in einzelnen Mitgliedstaaten zur Druckausübung auf die übrigen Mitgliedstaaten, diese Daten ebenfalls zur Verfügung zu stellen. Der Bundesrat fordert generell hinsichtlich der Schaffung zusammengesetzter Indikatoren eine umfassende Darstellung der methodischen Entwicklung durch die Kommission, insbesondere der Frage, mit welchen Gewichtungen deren einzelne Bestandteile in die Indikatoren einfließen sollen. Da die Mitteilung auf diese Erhebungsgrundlagen nicht eingeht, sieht der Bundesrat die Gefahr, dass durch diese fehlende Transparenz erheblicher Spielraum für unzulässige politische Bewertungen der Daten durch die Kommission gegeben ist.
- 12. Auch für die Schaffung einer Reihe einfacher Indikatoren besteht erheblicher Klärungsbedarf: So sollen Indikatoren in bestimmten Bereichen (z.B. "Stratifikation" (Indikator 13)) mit qualitativen Daten arbeiten, ohne dass dargelegt wird, wie diese in messbare Informationen umgesetzt werden. Auch hier sieht der Bundesrat die Gefahr einer nicht akzeptablen Bewertung der Daten durch die Kommission.
- 13. Bei der Bewertung des von der Kommission geplanten Indikators zur länderübergreifenden Mobilität von Studierenden ist klarzustellen, ob es sich um den bisher verwendeten Indikator auf der Grundlage der Mobilität im Rahmen der gemeinschaftlichen Bildungsprogramme handelt, oder um einen neuen Indikator, der über Datenerhebungen zu Mobilitätsmaßnahmen des Aktionsprogramms "Lebenslanges Lernen" (2007 bis 2013) hinausgeht. Im Fall einer umfassenderen Erhebung der studentischen Mobilität weist der Bundesrat vorsorglich darauf hin, dass eine statistische Erfassung ausländischer Studenten, die gleichzeitig "Bildungsinländer" sind, in einigen Mitgliedstaaten zu Abgrenzungsproblemen führt und Änderungen an der nationalen Hochschulstatistik erforderlich machen würde.
- 14. Der Bundesrat lehnt die implizite Annahme ab, dass die Effizienz der Bildungssysteme eng mit der Höhe der Investitionen in die allgemeine und berufliche Bildung verknüpft sei. Dies gilt auch für die Investitionen Privater in die berufliche Bildung im dualen System. Internationale Studien widerlegen ein direkt proportionales Verhältnis zwischen Steigerung der Investitionen und gesteigerter Effizienz. Der Bundesrat weist des Weiteren erneut darauf hin, dass die Behauptung, das Hochschulwesen in Europa sei im Vergleich zu den Hochschulsektoren der weltweiten Wettbewerber unterfinanziert, im Zusammenhang mit den dort erhobenen nicht unbeträchtlichen Studiengebühren zu sehen ist, für deren Festlegung die Mitgliedstaaten autonom ihre Entscheidungen nach ihrem jeweiligen innerstaatlichen Rechtssystem treffen. In diesem Zusammenhang wird die Kommissionsforderung zur Einführung eines neuen europäischen Durchschnittsbezugswerts zur Festlegung von Mitteln von mindestens 2 % des BIP zur Modernisierung des Hochschulwesens in Europa bis 2015 in Form einer Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten zurückgewiesen.
- 15. Der Bundesrat bemängelt die von der Kommission gewählte unvollständige Darstellung der Erhebungsmodalitäten in Bezug auf den im Jahr 2003 angenommenen europäischen Durchschnittsbezugswert zur Teilnahme der Erwachsenen am lebenslangen Lernen. Der Bundesrat hat bereits darauf hingewiesen (BR-Drucksache 830/05(B) ), dass die im Rahmen der Erhebungen erzielten geringen Beteiligungswerte auf Grund des gewählten zeitlichen Rahmens (Fortbildungsmaßnahmen, die in einem Zeitraum von vier Wochen vor der Befragung abgeleistet wurden) indikatorinduziert sind, und bittet die Bundesregierung, die Kommission aufzufordern, bei künftigen Erwähnungen dieses Indikators den knappen zeitlichen Rahmen, der der Erhebung zugrunde liegt, klar herauszustellen. Der Bundesrat betont, dass Eurostat bei anderer statistischer Grundlage (Fortbildungsmaßnahmen, die während eines Zeitraums von zwölf Monaten vor dem Befragungszeitpunkt stattfanden) einen europäischen Durchschnittswert von 42 % für die Beteiligung der Erwachsenen am lebenslangen Lernen ermittelt hat. Unbeschadet der grundsätzlichen Einschätzung sollte die Kommission daher jedenfalls nur solche Erhebungsmodi pflegen, die mit den nationalen Erhebungssystemen kompatibel sind und international vergleichbare Ergebnisse liefern.
- 16. Der Bundesrat stellt fest, dass die überwiegende Zahl der vorgeschlagenen Indikatoren in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder für den schulischen Bereich fällt und der Bund kein Recht zur Gesetzgebung hat. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, diese Stellungnahme nach § 5 Abs. 2 EUZBLG maßgeblich zu berücksichtigen. Darüber hinaus fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, gemäß § 6 Abs. 2 EUZBLG die Verhandlungsführung auf die Länder zu übertragen.