Der Bundesrat hat in seiner 843. Sitzung am 25. April 2008 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die von der Kommission mit der Mitteilung angestrebte Weiterentwicklung der Agenda für eine bessere Rechtsetzung in der EU. Der Bundesrat betont in diesem Zusammenhang erneut die Bedeutung der Verbesserung der Qualität des EU-Regulierungsrahmens wie auch der Verringerung der Bürokratiekosten in der EU für die notwendige Anpassung Europas zur Bewältigung der Herausforderungen eines globalen Marktes und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen.
- 2. Der Bundesrat erkennt die Fortschritte bei der Verbesserung des regulatorischen Umfelds in der EU seit der Vorlage der ersten strategischen Überlegungen zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds vom 14. November 2006 (BR-Drucksache 871/06 (PDF) ) an. Dazu gehören insbesondere der Start des Aktionsplans zur Verringerung der Verwaltungslasten aufgrund von EU-Rechtsvorschriften um 25 Prozent bis 2012, die Einsetzung eines Ausschusses für Folgenabschätzungen, die verstärkte Nutzung von Folgenabschätzungen zu EU-Gesetzgebungsvorschlägen und die Durchführung und Ergänzung des Programms zur systematischen Vereinfachung des bestehenden EU-Rechts.
- 3. Trotz aller Anstrengungen der Kommission fehlt es allerdings immer noch an konkreten Erfolgen und spürbarer Entlastung für die Bürger und Unternehmen in der EU. Die hierzu von der Kommission wiederholt genannten Einsparpotentiale des Bürokratieabbaus und die Anzahl der Amtsblattseiten, die im Zuge der Rechtsvereinfachung bereits gestrichen wurden, sind hierzu wenig aussagekräftig. Daher sollte noch stärker als bisher darauf geachtet werden, dass die Initiative für eine bessere Rechtsetzung den wirtschaftlichen Akteuren, aber auch der Verwaltung und den Bürgern echte und substantielle Vorteile bringt. Hierzu bedarf es noch erheblicher gemeinsamer Anstrengungen von Rat, Kommission und Europäischem Parlament.
Gesetzesfolgenabschätzungen
- 4. Der Bundesrat begrüßt die Vorschläge der Kommission zur Stärkung ihres Instrumentariums für die Folgenabschätzung, wie beispielsweise die Ausweitung der Durchführung von Folgenabschätzungen auf Maßnahmen, die im Komitologieverfahren beschlossen werden sollen, die Überarbeitung der Leitlinien für die Folgenabschätzung und eine verstärkte Rolle des kommissionsinternen Ausschusses für Folgenabschätzungen, als einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Qualität des Folgenabschätzungssystems. Nach Auffassung des Bundesrates kann allerdings noch mehr getan werden, um das Potential einer umfassenden Folgenabschätzung für den Gesetzgebungsprozess auf europäischer Ebene voll nutzen zu können.
- 5. In diesem Zusammenhang unterstreicht er nachdrücklich die Bedeutung der Durchführung von Folgenabschätzungen zu einem besonders frühen Zeitpunkt für den politischen Prozess. Die Kommission wird zudem aufgefordert, bei Folgenabschätzungen noch stärker solche Aspekte zu berücksichtigen, die für die externe Wettbewerbsfähigkeit der EU relevant sind. Hierzu sollten insbesondere internationale Vergleiche und Richtwerte herangezogen werden.
- 6. Der Bundesrat zeigt sich erfreut darüber, dass die Kommission seiner Aufforderung vom November 2006 (Stellungnahme des Bundesrates vom 3. November 2006, BR-Drucksache 434/06(B) ) gefolgt ist und nunmehr der Prüfung des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Durchführung von Folgenabschätzungen größere Aufmerksamkeit schenken will. Er begrüßt, dass die Kommission zu diesem Zweck die Notwendigkeit neuer Methoden festgestellt hat, und sieht mit Interesse den entsprechenden Vorschlägen entgegen. Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang an seine langjährige Forderung, ein einheitliches Subsidiaritätsprüfraster auf europäischer Ebene zu entwickeln. Ein solches Subsidiaritätsprüfraster, das die Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Subsidiaritätsprüfung erhöhen würde, sollte im Rahmen der geplanten Überarbeitung der Leitlinien zur Folgenabschätzung in diese integriert werden. Auf die entsprechenden Forderungen des Bundesrates zur inhaltlichen Ausgestaltung eines solchen Prüfkatalogs wird ausdrücklich verwiesen (Stellungnahme des Bundesrates vom 9. November 2007; BR-Drucksache 390/07(B) , Ziffer 7).
- 7. Der Bundesrat sieht in einer engeren institutionellen Zusammenarbeit zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission bei der Folgenabschätzung einen bedeutenden Beitrag zu einer besseren Rechtsetzung. Dabei hält der Bundesrat die Forderung der Kommission nach Durchführung von eigenständigen Folgenabschätzungen durch Rat und Europäisches Parlament in Fällen, in denen wesentliche Änderungen an einem Vorschlag der Kommission beabsichtigt sind, nur für bedingt vereinbar mit den sehr engen Fristen des europäischen Gesetzgebungsverfahrens sowie den institutionellen Fähigkeiten des Europäischen Parlaments und des Rates in diesem Bereich. Er ermuntert daher die drei Institutionen, die noch für dieses Jahr angekündigte Überprüfung des interinstitutionellen "Gemeinsamen Konzepts" für die Folgenabschätzung zum Anlass zu nehmen, Verfahren zu ermitteln, die es ermöglichen, in Zukunft in diesen Fällen gemeinsame Folgenabschätzungen von Rat, Kommission und Europäischem Parlament durchzuführen.
- 8. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass sich die nach den Leitlinien der Kommission zur Folgenabschätzung vorgesehene Pflicht zur Durchführung einer Folgenabschätzung für alle Vorhaben, die im Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission aufgeführt sind, nicht bewährt hat. Folgenabschätzungen sollten bei allen bedeutsamen Rechtsetzungsvorhaben zum frühest möglichen Zeitpunkt durchgeführt werden und unterschiedliche Handlungsoptionen umfassen. Folgenabschätzungen dürfen keinesfalls dazu dienen, eine vorgegebene politische Option lediglich zu rechtfertigen, wie es die Evaluierung der bisherigen Praxis ergeben hat.
- 9. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, wonach bei jeder einzelnen Folgenabschätzung der Umfang der Analyse im Verhältnis zur Bedeutung der Initiative festzulegen ist. Der Bundesrat unterstützt daher die Absicht der Kommission, bei Initiativen, die nur begrenzte Auswirkungen erwarten lassen, den Umfang der Folgenabschätzung zu beschränken. Dagegen lehnt er den gänzlichen Verzicht auf die Durchführung von Folgenabschätzungen ab. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Gebote der Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Kommissionshandelns es erfordern, dass mit jedem neuen Regelungsvorschlag der Kommission auch eine nachvollziehbare Aussage über die damit verbundenen Auswirkungen insbesondere im Hinblick auf mögliche Verwaltungslasten einhergeht.
- 10. Nach Auffassung des Bundesrates ist es im Interesse einer einheitlichen Anwendung der Folgenabschätzung durch die Kommission von entscheidender Bedeutung, dass die Qualität der Folgenabschätzungen einer unabhängigen Überprüfung unterzogen wird. Zwar erkennt der Bundesrat an, dass die Einrichtung des Ausschusses für Folgenabschätzung bei der Kommission im November 2006 die Qualität der Folgenabschätzungen verbessert hat. Dies stellt allerdings nur einen ersten Schritt dar. Insbesondere bewertet der Bundesrat die organisatorische Ansiedlung beim Präsidenten der Kommission und die personelle Besetzung des Ausschusses mit hochrangigen Kommissionsbeamten kritisch. Interessenkonflikte mit dem Auftrag des Ausschusses zur unabhängigen und objektiven Bewertung der von einzelnen Kommissionsdienststellen erarbeiteten Folgenabschätzungen können so nur beschränkt ausgeschlossen werden.
- 11. Der Bundesrat ist überzeugt, dass ein externes unabhängiges Gremium besser geeignet ist, qualitativ hochwertige und nachvollziehbare Folgenabschätzungen zu gewährleisten. Daher würde es der Bundesrat begrüßen, wenn es auch auf EU-Ebene gelänge, ein Gremium zu etablieren, das bürokratische Kosten und Folgen künftiger Gesetze ähnlich abschätzt, wie es bereits der Aufgabe und Praxis des unabhängigen Normenkontrollrats in Deutschland oder des "Adviescollege toetsing administratieve lasten (Actal)" in den Niederlanden entspricht.
- 12. Vor diesem Hintergrund begrüßt der Bundesrat ausdrücklich die Einsetzung der Hochrangigen Gruppe unabhängiger Interessenträger im Bereich Verwaltungslasten. Allerdings ist das Mandat der Gruppe bislang im Wesentlichen beschränkt auf Aufgaben, die unmittelbar mit der Umsetzung des Aktionsprogramms zum Abbau von Verwaltungslasten zusammenhängen. Nach Auffassung des Bundesrates sollte im weiteren Fortgang der Arbeiten der Gruppe und der dabei gesammelten Erfahrungen die Übertragung zusätzlicher Aufgaben geprüft werden.
- 13. Der Bundesrat erachtet insbesondere die Ausweitung des Mandats auf die Abgabe von Stellungnahmen zu ausgewählten Folgenabschätzungen der Kommission als auch die umfassende Möglichkeit der Beratung der Kommission hinsichtlich des Abbaus von Verwaltungslasten auch in solchen Bereichen, die derzeit außerhalb der vorrangig von der Kommission untersuchten liegen, als sinnvoll. Darüber hinaus sieht der Bundesrat in der Veröffentlichung der Stellungnahmen der Hochrangigen Gruppe einen wichtigen Beitrag für eine größere Transparenz im europäischen Gesetzgebungsverfahren.
Vereinfachungsprogramm
- 14. Der Bundesrat nimmt die Ankündigung der Kommission, die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstandes bis zum Ende des Mandats des aktuellen Kollegiums abschließen zu wollen, zur Kenntnis und unterstreicht die Notwendigkeit, die Vereinfachungsbemühungen auf EU-Ebene auch über das Jahr 2009 hinaus fortzuführen.
- 15. Der Bundesrat stellt allerdings mit Bedauern fest, dass das im Oktober 2005 gestartete und in der Zwischenzeit mehrmals erweiterte mehrjährige Programm zur Vereinfachung des EU-Rechts langsamer als erwartet vorankommt. Von den mittlerweile ca. 160 Vereinfachungsinitiativen sind insgesamt erst 40 verabschiedet worden, davon erst 16 vom europäischen Gesetzgeber im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens. Weitere 44 Initiativen befinden sich noch immer im Gesetzgebungsverfahren. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Kodifizierungsprogramm. Von etwa 400 für eine Kodifizierung in Frage kommenden Rechtsakten haben bislang lediglich 87 den Kodifizierungsprozess durchlaufen. Weitere 65 Rechtsakte sind noch immer bei Rat und Europäischem Parlament anhängig. Damit bleibt bis zum Ablauf der Legislaturperiode von Kommission und Europäischem Parlament Ende 2009 nur noch wenig Zeit, die gemachten Zusagen auch tatsächlich einzuhalten.
- 16. Vor diesem Hintergrund hält es der Bundesrat für dringend geboten, dass Kommission, aber auch Rat und Europäisches Parlament ihre Bemühungen im Bereich der Rechtsvereinfachung deutlich intensivieren. Insbesondere gilt es, die Arbeitsmethoden und -strukturen von Rat und Europäischem Parlament den Anforderungen des Vereinfachungsprozesses rasch anzupassen und bereits vorhandene Konzentrationsmöglichkeiten für ein beschleunigtes Verfahren voll auszuschöpfen.
- 17. Um zügig spürbare Ergebnisse zur Verbesserung der Wettbewerbfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu erzielen, sollte auch daran gedacht werden, diejenigen Vereinfachungsmaßnahmen im Gesetzgebungsverfahren prioritär zu behandeln, die schwerpunktmäßig der Vereinfachung bestehender Regelungen dienen und den größten wirtschaftlichen Nutzen für Unternehmen und Verbraucher mit sich bringen.
Verringerung der Verwaltungslasten
- 18. Der Bundesrat sieht in der Annahme des Aktionsprogramms zur Verringerung der Verwaltungslasten in der EU im Frühjahr 2007 unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine der wichtigsten Initiativen im Bereich der Besseren Rechtsetzung, die wesentlich zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit Europas beitragen wird.
- 19. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass neben den bereits angestoßenen Maßnahmen, wie den beiden Maßnahmenpaketen mit insgesamt 21 Sofortmaßnahmen, noch weitere Schritte erforderlich sind, um bis zum Jahr 2012 eine Reduzierung der Verwaltungslasten um 25 Prozent zu erreichen.
- 20. So weist der Bundesrat darauf hin, dass das Aktionsprogramm auf die Reduzierung von Verwaltungslasten aus bestehendem europäischen Recht abzielt. Um eine dauerhafte Entlastung von Unternehmen zu erzielen, ist es nach Auffassung des Bundesrates unabdingbar, dass der Abbau von bestehenden Verwaltungslasten mit der Ermittlung und Vermeidung von Bürokratiekosten bei neuen Regelungsvorhaben einhergeht.
- 21. Hierzu sollte ein "Netto-Reduzierungsziel" formuliert werden, welches das Verhältnis zwischen reduzierten Verwaltungslasten und durch neue Rechtsnormen hervorgerufenen Verwaltungslasten stärker in den Mittelpunkt rückt.
- 22. Vor diesem Hintergrund unterstützt der Bundesrat die Bemühungen der Kommission, die Verwaltungskosten, die auf neue EU-Vorhaben zurückzuführen sind, durch die Nutzung der methodischen Grundlage des Standardkostenmodells bei der Folgenabschätzung zu erfassen. Gleichzeitig sollte klargestellt werden, dass im Zusammenhang mit neuen Rechtsetzungsvorhaben entstehende Verwaltungslasten durch zusätzliche Abbaumaßnahmen kompensiert werden müssen.
- 23. Der Bundesrat sieht den angekündigten Empfehlungen zur Verringerung des Verwaltungsaufwands bei der Umsetzung von Richtlinienanforderungen in innerstaatliches Recht mit Interesse entgegen. Insbesondere erwartet er wichtige Erkenntnisse für den innerstaatlichen Umsetzungsprozess von Richtlinien, wenn erstmals auf europäischer Ebene dargelegt wird, welche Pflichten über EU-Anforderungen hinausgehen und welche Kosten damit für Unternehmen verbunden sind. Allerdings darf dieser Vergleich nicht zum Anlass genommen werden, den Schwerpunkt des EU-Aktionsprogramms auf das nationale Recht zu verschieben. Eine Vermischung von nationalen und europäischen Abbauzielen sollte vermieden werden, damit nicht zuletzt die Zielerreichung auf europäischer Ebene mess- und nachprüfbar bleibt. Der Vergleich der Richtlinienumsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten sollte daher kein Schwerpunkt des EU-Aktionsprogramms sein.
- 24. Der Bundesrat unterstreicht erneut die Notwendigkeit, dass die Bemühungen auf europäischer Ebene durch Maßnahmen auf nationaler Ebene flankiert werden müssen, wenn das mit dem Aktionsprogramm verfolgte Entlastungspotential für die europäische Wirtschaft von 25 Prozent bis 2012 tatsächlich erreicht werden soll. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die in Deutschland von Bund und Ländern unternommenen erheblichen Anstrengungen im Bereich der Bürokratiekostenmessung und des -abbaus. Der Bundesrat ermuntert die Kommission, dem deutschen Beispiel zu folgen, und die Bürokratiekostenermittlung und den -abbau nicht nur auf ausgewählte Bereiche und Sektoren zu beschränken, sondern auf den gesamten europäischen Rechtsbestand auszuweiten, sobald die vorrangigen 13 Rechtsbereiche abgearbeitet sind.
- 25. Daneben sieht es der Bundesrat kritisch, dass die Kommission bislang den Fokus des Aktionsprogramms auf Informationspflichten von Unternehmen beschränkt. Er fordert die Kommission erneut auf, als nächsten Schritt das Aktionsprogramm auf jeglichen Verwaltungsaufwand auszudehnen (Stellungnahme des Bundesrates vom 14. März 2008, BR-Drucksache 134/08(B) ).
- 26. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.