847. Sitzung des Bundesrates am 19. September 2008
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS), der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ), der Finanzausschuss (Fz), der Ausschuss für Kulturfragen (K), der Rechtsausschuss (R) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Allgemeine Anmerkungen
- 1. Der Bundesrat [begrüßt und] teilt die Einschätzung der Kommission, dass die wirksame Bekämpfung von Diskriminierungen aller Art sowie die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen wichtige Aufgaben sind. Er bekennt sich nochmals zu dem Grundsatz, dass Diskriminierungen wegen der Religion oder Weltanschauung, der Behinderung, des Alters sowie der sexuellen Ausrichtung in einer aufgeklärten, den Grundrechten verpflichteten Gesellschaft keinen Platz haben. Dieser Grundsatz gilt uneingeschränkt auch für den Bereich außerhalb des Arbeitsmarkts.
- 3. Der Bundesrat begrüßt, wenn durch europaweite Kampagnen wie z.B. dem Europäischen Jahr der Chancengleichheit 2007 auf Wertvorstellungen und Ansichten in der Gesellschaft eingewirkt wird. Der beste Diskriminierungsschutz besteht nicht in einem Staat mit den meisten Diskriminierungsverboten, sondern in einer vorurteilsfreien toleranten Gesellschaft. Der Bundesrat bezweifelt jedoch, dass solche Werte den Menschen mit Vorschriften verordnet werden können.
- 4. Der Bundesrat hält an seiner bisherigen Haltung fest, wonach angesichts des ausreichenden Rechtsrahmens der EU im Bereich der Antidiskriminierungspolitik weitere Initiativen in diesem Bereich [derzeit] nicht erforderlich und daher abzulehnen sind (vgl. Stellungnahmen des Bundesrates vom 8. Juni 2007, BR-Drucksache 153/07(B) und vom 14. März 2008, BR-Drucksache 134/08(B) zu den Mitteilungen der Kommission: Jährliche Strategieplanung für 2008 bzw. 2009).
- 6. Der Bundesrat stellt zunächst fest, dass der Richtlinienvorschlag in der vorliegenden Form von Artikel 13 Abs. 1 EGV nicht gedeckt ist und der Subsidiaritätsgrundsatz nicht beachtet wird.
Nach Artikel 13 Abs. 1 EGV kann der Rat Vorkehrungen treffen, um Diskriminierung aus verschiedenen Gründen zu bekämpfen. Solche Vorkehrungen sind aber ausdrücklich nur "im Rahmen der durch den Vertrag auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten" möglich. Dass diese Voraussetzungen in Bezug auf den Richtlinienvorschlag erfüllt sind, hat die Kommission nicht dargelegt. Artikel 13 EGV schafft über die im EGV eingeräumten Handlungsermächtigungen hinaus keine neue oder gar übergeordnete Kompetenz.
- 7. Wie die Kommission in ihrer Stellungnahme selbst einräumt, ist Diskriminierung nicht in erster Linie mit Rechtsvorschriften zu bekämpfen. Gerade vor dem Hintergrund unterschiedlicher Rechtssysteme und -traditionen muss es vorrangig den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, wie sie den Schutz vor Diskriminierung gewährleisten. Der Erlass einer weiteren Richtlinie verstößt daher sowohl gegen den Subsidiaritäts- als auch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Stattdessen sollte auf verhältnismäßige Maßnahmen, wie etwa eine politische Koordinierung anhand einer Empfehlung, auf Erfahrungsaustausch und Best Practice gesetzt werden. Die Ausführungen der Kommission zur Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Subsidiaritätsgrundsatz sind unzureichend und entsprechen nicht den Anforderungen des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Sie beschränken sich vorliegend lediglich auf einen schlichten Hinweis zur Notwendigkeit der Schaffung einheitlicher Mindeststandards. Es wird nicht dargelegt, wieso das Ziel des Abbaus von Diskriminierungen außerhalb des Bereichs des Arbeitsmarkts nicht auch auf nationaler Ebene erfolgen kann. Darüber hinaus ist die Schaffung einheitlicher Mindeststandards für sich allein genommen kein Ziel im Sinne des Artikels 5 Abs. 2 EGV.
- 8. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Verpflichtung der Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und des Staates zu Vorkehrungen zur Verwirklichung der Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben von den bisherigen Antidiskriminierungsregeln und deren Vertragsgrundlage abweicht. Die Politik für Menschen mit Behinderungen muss auch weiterhin in der Gestaltungskompetenz der Mitgliedstaaten liegen.
Dabei ist es unerheblich, auf welche Weise die einzelnen Mitgliedstaaten Diskriminierungen verhindern, ob durch Verbote, Sensibilisierungsmaßnahmen, Werbekampagnen, Aufklärungsmaßnahmen etc., solange sie damit im Ergebnis erfolgreich sind.
Diese Auffassung gilt ungeachtet dessen, dass der Bundesrat für Deutschland keinen Handlungsbedarf sieht; das auf der Grundlage der bisherigen Antidiskriminierungsregeln erlassene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006 (BGBl. I. S. 1987) geht über die dortigen gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen hinaus. Jedenfalls ist nicht dargelegt, weshalb eventuell bestehende Lücken im Diskriminierungsschutz nicht auf nationaler Ebene geschlossen werden können. Das gilt umso mehr, als die in einzelnen Mitgliedstaaten eventuell vorhandenen Lücken sich häufig nicht decken werden, so dass für alle gleichermaßen geltende Maßahmen wenig erfolgversprechend erscheinen.
- 9. Nach Ansicht des Bundesrates sind neben den Rechtsetzungsakten verhältnismäßigere Maßnahmen - wie z.B. eine politische Koordinierung - zielführender, um im Sinne eines voneinander Lernens Erfahrungen zu gewinnen, welche Ansätze der Mitgliedstaaten sich bei der Bekämpfung von Diskriminierung als erfolgreich erweisen. Dabei müssen die unterschiedlichen Rechtssysteme und -traditionen der Mitgliedstaaten berücksichtigt werden und es muss diesen überlassen bleiben, wie sie den Schutz vor Diskriminierung gewährleisten. Auf überzogene und unverhältnismäßige Vorgaben für die Gesetzgebung in den Mitgliedstaaten durch die Kommission sollte dabei ganz verzichtet werden.
- 10. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der von der Kommission gewählte horizontale Ansatz überzogen ist. Das bislang von der Kommision geschaffene Regelwerk zur Diskriminierungsbekämpfung wird vom Bundesrat als ausreichend angesehen.
- 11. Zu Recht weist die Kommission in ihrer begleitenden Mitteilung "Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit: Erneuertes Engagement" vom 2. Juli 2008 (KOM (2008) 420 endg.) darauf hin, dass die EU bereits jetzt über einen der weltweit fortschrittlichsten Rechtsrahmen im Bereich der Nichtdiskriminierung verfügt. Das Schutzniveau geht in der Bundesrepublik Deutschland und vielen anderen Mitgliedstaaten über die europäischen Vorgaben noch hinaus. Auch das spricht dafür, es bei dem bisher Erreichten zu belassen und den hohen Stand zu konsolidieren. Angesichts des erreichten hohen Niveaus ist es nicht verhältnismäßig, durch weitere europäische Rechtsetzung zum jetzigen Zeitpunkt neue Anforderungen und damit erneuten Anpassungsbedarf mit Unsicherheiten und Unruhe den öffentlichen Stellen und den Unternehmen in der Gemeinschaft aufzuerlegen.
- 12. Nach Ansicht des Bundesrates lässt sich mit dem Argument, dass einige Mitgliedstaaten einen über die bisherigen Regelungen hinausgehenden rechtlichen Schutz vor Diskriminierungen gewähren (wie in Deutschland das AGG), eine Ausdehnung der europäischen Antidiskriminierungsmaßnahmen nicht rechtfertigen. Denn dann käme es zu einer unzulässigen schrittweisen Harmonisierung auf höchstem Niveau, obwohl eine 1:1-Umsetzung der durch die Richtlinien vorgegebenen Mindestschutzanforderungen genügt. Hinzu kommt, dass ein europäischer Konsens zur Art und Weise des Diskriminierungsschutzes offensichtlich nicht besteht - was nicht zuletzt die Vielzahl der Vertragsverletzungsverfahren zeigt, die im Hinblick auf die Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien aus dem Jahr 2000 gegen etwa die Hälfte der Mitgliedstaaten von der Kommission initiiert wurde.
- 13. Bevor überhaupt neue Rechtsakte im Bereich der Antidiskriminierung ins Auge gefasst werden, müssen zunächst die Erfahrungen der Mitgliedstaaten mit den noch jungen Gesetzen zur Umsetzung der bisherigen Antidiskriminierungsrichtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG, 2002/73/EG und 2004/113/EG abgewartet werden. Die Mitgliedstaaten haben erst vor kurzem in Umsetzung der bisherigen Antidiskriminierungsrichtlinien ihre nationalen Gesetze erlassen. Die Vielzahl der hierzu von der Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren (nach der Mitteilung der Kommission "Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit: Erneuertes Engagement" vom 2. Juli 2008 (KOM (2008) 420 endg.) sind etwa die Hälfte der Mitgliedstaaten betroffen) macht die erheblichen Schwierigkeiten der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der bestehenden Richtlinien deutlich.
- 14. [Die Schwierigkeiten zahlreicher Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der bisherigen Antidiskriminierungsvorschriften belegen, dass] schon die bestehenden Richtlinien keinen hinreichend klaren Rechtsrahmen gesetzt haben. Die {bestehende} Rechtsunsicherheit würde durch den weiteren Richtlinienvorschlag der Kommission zum Diskriminierungsschutz {zum jetzigen Zeitpunkt, zu dem die zutage getretenen unterschiedlichen Auffassungen zur Lesart der bisherigen Richtlinien noch keiner Klärung zugeführt sind, nur} noch verstärkt.
- 15. Der Vorschlag - dessen Umsetzung mit erheblichem Änderungsbedarf im deutschen Recht verbunden wäre - würde der Gesetzgebung in den Mitgliedstaaten gleichsam übergestülpt und hätte häufig Friktionen mit den nationalen Gesetzen, die erst vor kurzem in Umsetzung der vorangegangenen Antidiskriminierungsrichtlinien erlassen wurden, zur Folge. Die Kommission scheint sich dieser Problematik selbst bewusst zu sein, wenn sie in ihrer Mitteilung etwa äußerst unterschiedliche Ausgangslagen beim Schutz von Menschen mit Behinderungen einräumt und den Mitgliedstaaten daher eine "gewisse Flexibilität" zugestehen will.
- 16. Der Bundesrat lehnt - auch wenn der deutsche Gesetzgeber im Bereich des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots bislang keine Obergrenzen für Entschädigungen bzw. Schadensersatzleistungen vorgesehen hat - eine Bestimmung, die die Beschränkung einer Schadensersatzleistung durch Einführung von Obergrenzen verbietet, als zu weitgehende Einmischung in das nationale Sanktionenrecht ab. Die Erfahrungen mit der arbeitsrechtlichen Regelung zeigen, dass die dort vorhandene Deckelung gerade für mittelständische Unternehmen, die sich häufig keine eigene Rechtsabteilung leisten können, von großer Bedeutung ist, weil sie die Prämien für Versicherungen gegen "AGG-Haftungsschäden" bezahlbar hält.
- 17. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass der Richtlinienvorschlag durch unscharfe und von den Mitgliedstaaten nicht flexibel handhabbare Vorgaben weitere erhebliche Rechtsunsicherheit und überflüssige Belastungen für das Wirtschafts- und Rechtsleben schafft. Eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten könnte provoziert werden, die für die wirtschaftlichen Abläufe erforderliche Vorhersehbarkeit des Rechts würde empfindlich gestört. Dies gilt besonders für das Zivilrecht.
- 18. Vor dem Hintergrund des bestehenden AGG ist der Richtlinienvorschlag sowohl hinsichtlich seines Anwendungsbereichs wie auch seiner konkreten Anforderungen und den daraus entstehenden Folgebelastungen für die Wirtschaft bedenklich.
- 19. Der Bundesrat befürchtet, dass auch, wenn auf den bereits eingeführten Rechtsinstrumenten aufgebaut wird, der Vorschlag zu weiteren, unverhältnismäßigen Belastungen für die - insbesondere deutsche - Wirtschaft führen würde. Bereits das geltende AGG hat nach wissenschaftlichen Untersuchungen im ersten Jahr der Geltung zu großen Belastungen der deutschen Unternehmen geführt.
- 20. Der Bundesrat weist darauf hin, dass aufgrund der vorgesehenen zumindest teilweisen Beweislastumkehr der Aufwand für alle diejenigen, die vom Anwendungsbereich der Richtlinie betroffen sind, ihre Entscheidungen zu dokumentieren, erheblich steigen wird. Denn wenn es der Person, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für verletzt hält, gelingt, Tatsachen für eine Diskriminierung glaubhaft zu machen, soll es dem Beklagten obliegen, zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat. Dies ist u. a. möglich, wenn der Beklagte die Umstände der Entscheidung so dokumentiert und registriert, dass er im Bedarfsfall unberechtigte Vorwürfe abzuwehren imstande ist.
- (bei Annahme entfällt Ziffer 21)
- 21. Mit der im Richtlinienvorschlag enthaltenen teilweisen Beweislastumkehr steigt der Aufwand der Anbieter, ihre Entscheidungen zu dokumentieren, erheblich. Dem potenziell Beklagten ist der Beweis, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorliegt unter anderem möglich, wenn der Beklagte die Umstände der Entscheidung so dokumentiert und registriert, dass er im Bedarfsfall unberechtigte Vorwürfe abzuwehren imstande ist.
- 22. Bei einem Unternehmer sind sämtliche Kontakte zu Kunden und Interessenten, von der Begrüßung über Informationen und Produktangebote, die Konditionen, das Beratungsgespräch oder die Verhandlung bis hin zum Vertragsabschluss zu erfassen. Der Bundesrat befürchtet, dass sich der beabsichtigte Diskriminierungsschutz in sein Gegenteil verkehrt, wenn z.B. Vermieter angesichts der auf sie zukommenden Dokumentations- und Rechtfertigungslasten auf einen Vertrag mit möglichen Diskriminierungsopfern von vorneherein verzichten.
- 23. Die in Artikel 8 (Beweislast) und 7 (Rechtsschutz) vorgesehenen Regelungen würden insbesondere im Hinblick auf die beabsichtigten Bestimmungen in Artikel 4 (Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen) i. V. m. Artikel 2 Abs. 5 (Verweigerung angemessener Vorkehrungen) zu einer nicht überschaubaren Dokumentationsbürokratie und einer Vielzahl von Klageverfahren führen. Die Pflicht, im Vorfeld Maßnahmen zu ergreifen, die eine Benachteiligung verhindern, kann auch bedeuten, dass beispielsweise Schulgebäude umgebaut oder die gesamte Verkehrsinfrastruktur umgestaltet werden muss. Über die Frage der Zumutbarkeit dürften bei Sachverhalten von hohem allgemeinen Interesse regelmäßig Rechtsstreitigkeiten entstehen. Ein Unternehmen müsste gegebenenfalls zum Nachweis einer Nichtbenachteiligung wegen vorliegender Unverhältnismäßigkeit sämtliche internen Daten offen legen. Zusätzliche europäische Rechtsakte ohne konkreten Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger konterkarieren die nachdrücklichen Bemühungen um bessere Rechtsetzung.
- 24. Auch wenn an einigen Stellen der Richtlinienvorschlag, wie in Artikel 4 (Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen) auf die Verhältnismäßigkeit der Belastung abhebt und damit der reduzierten Leistungsfähigkeit von KMU Rechnung tragen will, bringt das Regelungswerk insbesondere für KMU einen hohen zusätzlichen Verwaltungsaufwand mit sich. Sie müssen sich, ohne dass sie über in dem Maße spezialisierte Personal- und Rechtsabteilungen verfügen, mit den Vorschriften vertraut machen und sie anwenden. Der Umfang der zu beachtenden europäischen Vorschriften wird erhöht.
- 25. Der Bundesrat vermisst eine konsequente Umsetzung des Grundsatzes der Kommission "Zuerst an die KMU-Dimension denken". In ihrer Mitteilung "Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft - eine zeitgemäße KMU-Politik für Wachstum und Beschäftigung" (KOM (2005) 551 endg.) möchte die Kommission diesen Grundsatz allen gemeinschaftlichen Politiken voranstellen und sich für die Vereinfachung der Rechts- und Verwaltungsverfahren einsetzen. Der neue Richtlinienvorschlag zur Antidiskriminierung geht mit diesem Denken nicht konform.
- 26. Der Bundesrat weist ebenfalls darauf hin, dass die Bemühungen der Kommission, mit dem Aktionsprogramm zur Verringerung der Verwaltungslasten in der EU (KOM (2007) 23 endg.) die Informationspflichten der Unternehmen bis 2012 um ein Viertel zu reduzieren, konterkariert werden, wenn, wie in der begleitenden Mitteilung vorgeschlagen, regelmäßige statistische Erhebungen über die Zahl und Auswirkungen von Diskriminierungen durchgeführt werden.
- 27. Die im Richtlinienvorschlag vorgesehene Ausdehnung hätte einen massiven, zum effektiven Schutz vor Diskriminierung in dieser Form nicht erforderlichen Eingriff in den auch gemeinschaftsrechtlich anerkannten Grundsatz der Vertragsfreiheit zur Folge. Ohne das Prinzip der Privatautonomie sind moderne Gesellschaften indes nicht denkbar. Zivilgesellschaften sind auf das vor allem durch Verträge in freier Selbstbestimmung gesetzte private Recht angewiesen. Der Richtlinienvorschlag ist nach Auffassung des Bundesrates insoweit nicht geeignet, das berechtigte Interesse des Einzelnen, vor Diskriminierung geschützt zu werden, mit den berechtigten Interessen von Wirtschaft und Gesellschaft in ein ausgewogenes und angemessenes Verhältnis zu bringen.
Zu den Regelungen im Einzelnen
- 28. Wenngleich der Richtlinienvorschlag eine Reihe von Ausnahmeregelungen für den Bildungsbereich enthält, weist der Bundesrat darauf hin, dass im Hinblick auf Artikel 149, 150 EGV dennoch erhebliche Rechtsunsicherheiten und daraus resultierende Abgrenzungsprobleme dadurch entstehen, dass nach Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe c des Richtlinienvorschlags die Bildung pauschal in den Anwendungsbereich der neuen Rechtsvorschrift einbezogen werden soll.
- 29. Der Richtlinienvorschlag nimmt vom Diskriminierungsverbot nur die nichtgewerblichen Vermieter aus (vgl. Artikel 3 Abs. 1 Satz 2). Aber auch den gewerblichen "kleinen" Vermietern werden durch die Dokumentationslasten der Richtlinie ein unverhältnismäßig großer organisatorischer Aufwand und damit unverhältnismäßig hohe Kosten auferlegt.
- 30. Ungleichbehandlungen - beispielsweise wegen einer Behinderung oder des Alters - sind nicht per se diskriminierend. Nicht selten folgen sie objektiven Notwendigkeiten (z.B. Zugangsbeschränkungen bei gefährlichen Dienstleistungen aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht). Entsprechend fehlt im Richtlinienvorschlag eine Generalklausel, die es den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der vorgeschlagenen Richtlinie generell ermöglicht, bei Vorliegen eines sachlichen Grunds insbesondere im Bereich des Zivilrechts eine Ungleichbehandlung im Einzelfall zuzulassen.
- 31. Der Bundesrat stellt fest, dass die mit dem Vorschlag angestrebte Rechtssicherheit hinsichtlich der Rechte und Pflichten der Wirtschaftsakteure und Bürgerinnen und Bürger nicht erreicht wird. Vielmehr entstehen durch unscharfe und nicht handhabbare Vorgaben für die nationale Gesetzgebung Rechtsunsicherheit und Anlässe für Rechtsstreitigkeiten.
- 32. So sind die Regelungen des Richtlinienvorschlags an zentralen Stellen so vage und unklar, dass eine Umsetzung, die eine verlässliche Rechtsanwendung in den Mitgliedstaaten ermöglicht, nicht zu leisten ist:
- (bei Annahme entfällt Ziffer 33)
- 33. Die Regelungen des Richtlinienvorschlags sind an zentralen Stellen so vage und unklar, dass eine verlässliche Umsetzung und Rechtsanwendung in den Mitgliedstaaten nicht möglich wäre:
- 34. - Nach Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe d des Richtlinienvorschlags soll das Diskriminierungsverbot in Bezug auf den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum für alle Personen im öffentlichen und privaten Bereich gelten. Dies bedeutet im Grundsatz eine Ausweitung des [zivilrechtlichen] Benachteiligungsverbots auf alle privatrechtlichen Rechtsgeschäfte, mit Ausnahme der familien- und erbrechtlichen Schuldverhältnisse. {Dass} dies eine völlig unverhältnismäßige Überreglementierung des täglichen Lebens bedeuten würde, {ist offenbar auch der Kommission bewusst}. Die daher vorgesehene Einschränkung, für Einzelne solle das Diskriminierungsverbot nur insoweit gelten, als sie ihre berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausüben, ist allerdings in ihrer Reichweite unklar und für eine verlässliche Rechtsanwendung ungeeignet. Was die Kommission unter "beruflicher oder gewerblicher Tätigkeit" versteht, erschließt sich nicht. Die Erläuterung, "Transaktionen zwischen Privatpersonen, die als solche handeln" sollten nicht erfasst sein, kann zu einer Klärung des Anwendungsbereichs nichts Substantielles beitragen.
- 36. So beschränkt sich der Richtlinienvorschlag in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d nicht auf Massengeschäfte, wie es entsprechend in § 19 Absatz 1 Nr. 1 AGG vorgesehen ist, sondern stellt ein grundsätzliches Diskriminierungsverbot für den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen auf. Bei Geschäften, für die das Ansehen von Personen eine Rolle spielt, müsste es jedoch den Unternehmen überlassen bleiben, ob sie einen Vertragsabschluss ablehnen oder nicht. Auch für den Bereich der gewerblichen und beruflichen Wohnraumvermietung lässt die Richtlinie die bisherige praxisgerechte Beschränkung des AGG auf gewerbliche Vermieter von mehr als 50 Wohneinheiten nicht zu.
- 37. Wenn die Kommission hinsichtlich des Artikel 3 Nr. 1 Buchstabe d des Richtlinienvorschlags Handeln im privaten Bereich von vornherein ausschließen will, wäre bereits der Anwendungsbereich der Vorschrift auf das Handeln von Personen im öffentlichen Bereich einzugrenzen. In der Mitteilung vom 2. Juli 2008 spricht die Kommission - anders als in den Erläuterungen zum Richtlinienvorschlag - davon, dass Privatpersonen dann betroffen sein sollen, wenn ihre Tätigkeiten auf einen "Erwerbszweck" ausgerichtet sind. Danach blieben - in der Sache viel zu weit gehend - alle entgeltlichen Rechtsgeschäfte von Privatpersonen in den Anwendungsbereich einbezogen.
- 38. Die in Artikel 3 Abs. 2 enthaltene Einschränkung des Geltungsbereichs ist zu eng und missverständlich gefasst. Dass einzelstaatliche Gesetze über Ehe- oder Familienstand von dieser Richtlinie unberührt bleiben ist im Grunde selbstverständlich und deklaratorischer Natur, da mit der Richtlinie keine personenstandsrechtlichen Regelungen getroffen werden sollen. In Artikel 3 stehen jedoch von Ehe- und Familienstand u. U. abhängige Leistungen in Rede. Sinnvoll erscheint daher nur, dass einzelstaatliche Gesetze, die diese Leistungen an den Ehe- oder Familienstand anknüpfen, von der Richtlinie unberührt bleiben. Dies wurde auch bereits im Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2000/78/EG niedergelegt, auf der dieser neue Richtlinienvorschlag basiert und an den Artikel 3 Abs. 2 ersichtlich anknüpfen soll. Um Missverständnisse zu vermeiden, ist daher in Artikel 3 Abs. 2 eine Klarstellung erforderlich.
- 39. - Ebenso unklar ist die Regelung des Artikels 4 Abs. 1 Buchstabe a des Richtlinienvorschlags, wonach für Menschen mit Behinderung ein effektiver diskriminierungsfreier Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum und Transport, [im Voraus] zu gewährleisten {und im Voraus vorzusehen} ist, {einschließlich angemessener Veränderungen oder Anpassungen}. Dies hätte zur Folge, dass Anbieter von Waren und Dienstleistungen grundsätzlich verpflichtet wären, alle Güter und Dienstleistungen {(auch)} in einer Form auf den Markt zu bringen, die eine Nutzung durch Menschen mit Behinderung ermöglicht.
- 40. - So würde durch die Regelung z.B. ein Anspruch auf behindertengerechten Wohnraum statuiert. Für die gesetzliche Verankerung eines solchen Anspruchs fehlt der EU jedoch die Regelungskompetenz. Der Bereich des Wohnungswesens unterfällt eindeutig der Gesetzgebungskompetenz der Mitgliedstaaten.
- 41. Eine derart weitgehende Verpflichtung würde letztlich jeden Anbieter überfordern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach dem Wortlaut des Richtlinienvorschlags jede Art von Waren und Dienstleistungen (nicht nur Wohnungen oder Verkehrsmittel) und jede Art von Behinderung (nicht etwa nur Gehbehinderungen) erfasst wären. Der Versuch der Kommission, den viel zu weit gefassten Anwendungsbereich der Vorschrift nachträglich dadurch einzuschränken, dass "unverhältnismäßige Belastungen" ausgenommen werden sollen (wobei insbesondere auf "Größe, Ressourcen und Art" des Anbieters abgestellt wird), ist unpraktikabel. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung kann nur im jeweiligen Einzelfall - im Nachhinein - erfolgen. Die für die Anbieter zwingend erforderliche Vorhersehbarkeit des Rechts wäre nicht mehr gewährleistet. Angesichts der Vielfalt möglicher Fallgestaltungen erscheint es auch nicht vertretbar, darauf zu vertrauen, dass die unbestimmten Regelungen in absehbarer Zeit durch die Rechtsprechung der Gerichte handhabbar gemacht werden.
- 42. Dies gilt umso mehr, als die für die Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgesehenen Kriterien (z.B. Größe und Ressourcen des Anbieters) in jedem Einzelfall mit großem Aufwand geprüft werden müssten.
Aus Sicht des Bundesrates wird bereits durch die beiden oben genannten Beispiele aufgezeigt, dass der Richtlinienvorschlag Rechtsunsicherheit schaffen und eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten provozieren würde. Die für die wirtschaftlichen Abläufe erforderliche Vorhersehbarkeit des Rechts würde empfindlich gestört.
- 43. - Unklar bleibt auch, ob Artikel 14 des Richtlinienvorschlags das Verbot eines verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruchs für alle Bereiche, insbesondere das Zivilrecht, nach sich zieht. In den Aufforderungsschreiben der Kommission vom 23. Oktober 2007 (Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/2253 betreffend die Umsetzung der Richtlinie 2000/43/EG) bzw. vom 31. Januar 2008 (Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/2362 betreffend die Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG) heißt es zu den insoweit inhaltsgleichen Artikeln 15 bzw. 17, dass ein Verstoß gegen die Antidiskriminierungsvorschriften per se kein Verschulden voraussetze und etwaige Sanktionen deshalb an ein solches Erfordernis nicht geknüpft werden dürften. Unklar bleibt aber, ob sich diese Sichtweise angesichts der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH ausschließlich auf den Bereich des Arbeitsrechts oder - im Hinblick auf die Umsetzung der Richtlinie 2000/43/EG - auch auf den Bereich des Zivilrechts beziehen soll.
- - Das ausnahmslose Verbot eines verschuldensabhängigen Schadenersatzanspruchs hätte - insbesondere für das Zivilrecht - weit reichende und nach Auffassung des Bundesrates nicht tragbare Konsequenzen. Das deutsche Zivilrecht knüpft, wie das Zivilrecht in den meisten europäischen Staaten, Schadenersatzansprüche aus gutem Grund - von wenigen Ausnahmen im Bereich der Gefährdungshaftung einmal abgesehen - an das Erfordernis des Vertretenmüssens bzw. im Bereich der EU-Rechtsetzung an das Erfordernis der Verantwortlichkeit des Schuldners. Die Folge einer in Artikel 14 des Richtlinienvorschlags normierten verschuldensunabhängigen Haftung wäre hingegen eine Art "Gefährdungshaftung" für Diskriminierung mit unkalkulierbaren Risiken für die betroffenen Vertragspartner. Eine derart weitgehende Sanktion ist für einen effektiven Schutz vor Diskriminierungen im Zivilrechtsverkehr indes nicht erforderlich. Den Interessen der Betroffenen kann in diesem Bereich auch durch andere Maßnahmen wie z.B. durch verschuldensunabhängige Unterlassungs- bzw. Beseitigungsansprüche, die durch einen verschuldensabhängigen Schadenersatzanspruch flankiert werden, wirksam und in ausreichendem Maße Rechnung getragen werden.
- - Der Richtlinienvorschlag lässt offen, wer bei der Realisierung des Anspruchs auf Herstellung des Zugangs zu einer konkreten Wohnung die Kosten der erforderlichen Umbaumaßnahmen zu tragen hat. Eine Belastung des Vermieters wäre aber nicht sachgerecht.
- 44. Die Ausnahme des Artikels 2 Abs. 7, dass Ungleichbehandlungen für die Merkmale Alter und Behinderung bei Finanzdienstleistungen zulässig sind, ist zu eng gefasst. Das Erfordernis der exakten versicherungsmathematischen oder statistischen Daten verkennt, dass die Versicherungsmathematik zum großen Teil auf Annahmen und Wahrscheinlichkeitsberechnungen basiert. Das Erfordernis, dass die Berücksichtigung des Alters oder einer Behinderung ein zentraler Faktor sein muss, steht nicht im Einklang damit, dass bei Versicherungsleistungen - auch und gerade im Bereich der Altersversorgung - zahlreiche Faktoren für die Risikobeurteilung eine Rolle spielen. Sollte das Erreichen einer Altersgrenze für die pauschale Höherbewertung eines Versicherungsrisikos nicht ausreichen, wäre für die Versicherungswirtschaft eine effiziente Risikobewertung nicht gewährleistet. Zudem entsprechen sich Text und Begründung des Artikels 2 Abs. 7 der Richtlinie nicht. Während in den Erläuterungen des Vorschlags der Richtlinie (Nummer 15) die Rede davon ist, dass die Ausnahme für Versicherungs-, Bank oder Finanzdienstleistungen gelten soll, sind in der vorgeschlagenen Richtlinie lediglich die Finanzdienstleistungen benannt. Beteiligung eines Bundesratsbeauftragten und Direktzuleitung der Stellungnahme
- 45. Der Bundesrat stellt fest, dass für die von der Kommission eingesetzte Regierungsexpertengruppe für Nichtdiskriminierung die Beteiligung eines Bundesratsbeauftragten erforderlich ist.
- 46. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.