Der Bundesrat hat in seiner 844. Sitzung am 23. Mai 2008 beschlossen, dem vom Deutschen Bundestag am 24. April 2008 verabschiedeten Gesetz mit der in Artikel 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Artikel 79 Abs. 2 des Grundgesetzes vorgeschriebenen Mehrheit zuzustimmen.
Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschließung gefasst:
I.
- 1. Der Bundesrat unterstützt den Vertrag von Lissabon nachdrücklich als einen Gesamtkompromiss, der die Handlungsfähigkeit der EU stärkt und die EU demokratischer, transparenter und bürgernäher gestaltet, auch wenn das Vertragswerk nicht alle seine Anliegen berücksichtigt. Er verweist insoweit auf seine umfassende Stellungnahme vom 15. Februar 2008 (BR-Drucksache 928/07(B) ).
- 2. Der Vertrag von Lissabon bietet eine gute Grundlage für die weitere Entwicklung der EU. Die EU muss die verbesserte vertragliche Grundlage dazu nutzen, die großen übergreifenden Herausforderungen der Globalisierung, der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas und des europäischen Sozialmodells, der Bekämpfung von Terrorismus, schwerer grenzüberschreitender Kriminalität und illegaler Einwanderung, der Energieversorgungssicherheit sowie des Umwelt- und Klimaschutzes effektiv anzugehen und die Werte und Interessen Europas im internationalen Rahmen wirksam zu vertreten.
- 3. Der Bundesrat erwartet, dass die neuen Bestimmungen zur Stärkung des Subsidiaritätsprinzips konkrete Auswirkungen in der EU-Praxis haben. Nötig ist ein Paradigmenwechsel hin zu einer echten Subsidiaritätskultur in Europa. Der Bundesrat wird seine neuen Rechte der Subsidiaritätsrüge und Subsidiaritätsklage nach dem Vertrag von Lissabon dazu nutzen, die Einhaltung der Kompetenzordnung und des Subsidiaritätsprinzips einzufordern. Nach Auffassung des Bundesrates muss auch ein Verstoß gegen die Kompetenzordnung von den nationalen Parlamenten mit einer Subsidiaritätsrüge bzw. -klage geltend gemacht werden können. Zum einen ist das Vorliegen einer ausreichenden EU-Kompetenz eine notwendige Vorfrage für die Frage, ob die Ausübung dieser Zuständigkeit dem Subsidiaritätsprinzip entspricht. Außerdem wäre es widersprüchlich und den nationalen Parlamenten auch politisch nicht vermittelbar, wenn sie zwar Verstöße gegen das Subsidiaritätsprinzip, nicht aber den noch schwerer wiegenden Eingriff in ihre Rechte, den ein Handeln der EU ohne Zuständigkeit darstellt, rügen könnten. Zudem weist der Bundesrat darauf hin, dass ein Verstoß gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit vielfach zugleich einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip darstellen wird.
- 4. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission - seiner Bitte entsprechend - ihre seit September 2006 geübte Praxis der direkten Einbindung der nationalen Parlamente in die europäische Politikgestaltung, die ihnen die fristungebundene Möglichkeit einer umfassenden Stellungnahme zu allen Vorschlägen und Konsultationspapieren der Kommission gibt, fortsetzen wird.
II.
- 5. Der Bundesrat begrüßt, dass es bei den Gesprächen zwischen Bund und Ländern zur Überarbeitung der Bund-Länder-Vereinbarung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union gelungen ist, eine Verständigung über zentrale Anliegen der Länder zu erzielen.
Mit der Einigung zum Begriff des EU-Vorhabens wurde klargestellt, dass die Informations- und Mitwirkungsrechte der Länder sich nicht auf rechtsverbindliche Handlungsinstrumente der EU beschränken, sondern sich auch auf Grünbücher, Weißbücher, Aktionsprogramme, Mitteilungen und Empfehlungen erstrecken. Der vereinbarte Konfliktlösungsmechanismus für die Fälle, in denen strittig ist, ob durch ein EU-Vorhaben im Schwerpunkt Länderkompetenzen betroffen und somit Bundesrats-Stellungnahmen von der Bundesregierung maßgeblich zu berücksichtigen sind, wird dazu beitragen, eine übereinstimmende Haltung zu erzielen. In den Bereichen, in denen die Länder das (mit der Föderalismusreform neu geschaffene) Recht der Abweichungsgesetzgebung haben, ist eine übereinstimmende Haltung anzustreben. Schließlich wurde eine stärkere Einbindung der Länder in Beitrittsverhandlungen erreicht. Die Bundesregierung informiert den Bundesrat künftig über einen beabsichtigten Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen und unterrichtet über ihre Willensbildung. Außerdem informiert die Bundesregierung auf Verlangen den Ausschuss für Fragen der Europäischen Union des Bundesrates über die Entwicklung von Beitrittsverhandlungen.
Nach Auffassung des Bundesrates bietet die neue Bund-Länder-Vereinbarung eine gute Grundlage für die weitere Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in EU-Angelegenheiten im Interesse einer effektiven Vertretung der deutschen Interessen in Brüssel.
- 6. Der Bundesrat begrüßt, dass das "Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union" weitgehend unverändert die Bestimmungen des entsprechenden Begleitgesetzes übernimmt, das im Rahmen der Ratifizierung des Vertrags über eine Verfassung für Europa im Jahr 2005 von Deutschem Bundestag und Bundesrat angenommen worden war. Es enthält Regelungen, die dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat die effektive Ausübung der durch den Vertrag von Lissabon eingeräumten Rechte der Subsidiaritätsrüge und der Subsidiaritätsklage ermöglichen. Es regelt auch die Ausübung des Vetorechts, das den nationalen Parlamenten gegen die Inanspruchnahme der Brückenklausel zusteht, die es dem Europäische Rat ermöglicht, einstimmig den Übergang von der Einstimmigkeit zu Mehrheitsentscheidungen in noch der Einstimmigkeit unterliegenden Fällen zu beschließen. Außerdem werden Deutscher Bundestag und Bundesrat künftig an der Benennung der deutschen Richter und Generalanwälte des EuGH sowie der deutschen Mitglieder des Gerichts der Union beteiligt. Der Bundesrat begrüßt, dass das Begleitgesetz - wie von ihm gefordert - um eine Regelung ergänzt wurde, wonach die Bundesregierung vor der Zustimmung zu einem Beschluss des Rates über die Zusammensetzung des Ausschusses der Regionen das Einvernehmen mit dem Bundesrat herstellt. Der Bundesrat unterstützt die verfassungsrechtliche Absicherung der Regelungen des Begleitgesetzes durch das "Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 23, 45 und 93)".