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Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) und der Rechtsausschuss (R) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Initiative der Kommission, im Rahmen einer Konsultation ("Grünbuch-Verfahren") die politischen und fachlichen Positionen aller an der Thematik Migration i. w. S. Beteiligten und Interessierten einzuholen.
Die Kommission kommt mit dieser Maßnahme einer entsprechenden Vorgabe des "Haager Programms" sowie des "Aktionsplans zum Haager Programm" nach.
- 2. Der Bundesrat ist aber der Auffassung, dass für einige der im Grünbuch erwogenen Vorschläge keine ausreichende Kompetenz der EG bestehen würde.
Dies gilt zum einen für die Erwägung, die Aufgaben des Europäischen Migrationsnetzes (EMN) dahin gehend anzureichern, dass dieses Standpunkte und Stellungnahmen veröffentlichen soll, die dann als "Richtschnur und Beratung" mit Blick auf Politikgestaltung und -durchführung bestimmt wären.
Der Vollzug der Einwanderungs- und Asylgesetzgebung ist ausnahmslos Sache der Mitgliedstaaten. Eine Zuständigkeit der Kommission oder einer etwaigen Agentur, auf diesem Feld verbindliche Empfehlungen abzugeben, besteht nicht.
Unter dem Gesichtspunkt der Gemeinschaftskompetenz bedenklich ist nach Auffassung des Bundesrates auch der Gedanke, Mindestanforderungen für die nationalen Kontaktstellen, u. a. hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit, festzulegen.
Zwar wird man es der Gemeinschaft nicht verwehren können, auch gewisse Mindeststandards im Hinblick auf die Ausstattung der Kontaktstellen festzulegen weil davon die Qualität der Informationsgewinnung durch das EMN abhängt.
- 3. Die Auswahl und die Einrichtung der Kontaktstelle sowie die Ausgestaltung der Struktur des nationalen Netzwerks, auf die sich die Empfehlung, die Kontaktstelle als unabhängige Stelle einzurichten, mittelbar ebenfalls auswirken würde ist hingegen Sache der Mitgliedstaaten.
- 4. Die Einrichtung und Ausgestaltung der Struktur des nationalen Netzwerks bzw. der nationalen Kontaktstellen ist grundsätzlich - bei Wahrung von Mindeststandards im Hinblick auf die Ausstattung - Sache der Mitgliedstaaten.
- 5. Gegen die genannten Vorschläge bestünden auch erhebliche Bedenken unter den Gesichtspunkten der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Es ist nicht ersichtlich dass im Bereich der Einwanderungs- und Asylpolitik Schwierigkeiten gegeben sind, die auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend bewältigt werden können und für die deshalb eine Richtschnur seitens der Kommission bzw. einer etwaigen Agentur erforderlich wäre. Gleiches gilt für die erwogenen Mindestanforderungen an die nationalen Kontaktstellen, soweit sie deren Ausgestaltung betreffen und mittelbar Einfluss auf die Struktur des (bei Annahme entfällt Ziffer 4) nationalen Netzes haben. Für die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Netzes dürfte es genügen, Vorgaben für die Qualität der von den nationalen Kontaktstellen zu liefernden Informationen zu machen. Die Frage, durch welche organisatorischen Vorkehrungen diese Qualität gewährleistet werden kann kann aber den Mitgliedstaaten überlassen bleiben.
- 6. Die Bundesregierung wird ferner gebeten, darauf hinzuwirken, dass die folgenden Länderpositionen zu den im Konsultationsverfahren erhobenen Fragestellungen Berücksichtigung finden:
Zu 5.1 Allgemeine Zielsetzung und Maßnahmenbereiche
- - Dem in der Fragestellung skizzierten Auftrag für ein künftiges EMN kann zugestimmt werden. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass Analysen und Forschungen des EMN Auswirkungen auf die nationalen Migrations- und Integrationspolitiken haben werden und im Ergebnis zu Vorfestlegungen in Richtung einer forcierteren EU-Einwanderungspolitik führen können. Die Befugnisse des EMN als Zusammenschluss nationaler Kontaktstellen dürfen daher keine Gemeinschaftskompetenzen entstehen lassen.
- - Unter dem Gesichtspunkt der Informationsfreiheit ist die Veröffentlichung grundsätzlich zu begrüßen. Die Beachtung der allgemeinen und besonderen datenschutzrechtlichen Belange bzw. der eventuellen Schutzwürdigkeit von Informationen wird dabei vorausgesetzt.
Zu 5.2 Konkrete Aufgaben
- - Die gegenwärtig bereits wichtigsten Aufgaben des EMN (Informations- und Datensammlung, begrenztes Maß an Forschung, Austausch, Dokumentierung und Analyse der Daten, Erstellung vergleichender Berichte und Kontaktaufbau und -pflege) sollten auch zumindest mittelfristig den Aufgabenbereich des EMN prägen. Besonderes Gewicht kommt hierbei der Weiterentwicklung einer geeigneten gemeinsamen Methodik im Interesse der Vergleichbarkeit von Informationsbasen zu. Insgesamt erscheint gegenwärtig die Konsolidierung der Struktur und die Integration weiterer Mitgliedstaaten in das EMN vorrangig. Hinsichtlich der angedachten Ausweitung der Forschungstätigkeit "in Bereichen mit erwiesenen Informationslücken" wird die Kommission um Konkretisierung gebeten. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 4. November 2005 zum Vorschlag für eine Verordnung zu Gemeinschaftsstatistiken über Wanderung und internationalen Schutz - BR-Drucksache 699/05(B) - festgestellt dass die bisher in Deutschland zu Migrationsgeschehen und Flüchtlingswesen vorliegenden Daten als Grundlage für das politische Handeln ausreichend waren. Soweit die Forschungsplanungen - bisher in den Mitgliedstaaten nicht erfasstes - weiteres Datenmaterial voraussetzen, wären sie im Interesse der Vermeidung zusätzlicher Bürokratisierung abzulehnen. Abzulehnen ist auch die von der Kommission vorgeschlagene Veröffentlichung von Standpunkten und Stellungnahmen als Richtschnur für Politikgestaltung und -durchführung. Die Kommission stellt damit den eigenen Anspruch der objektiven Informationsbereitstellung in Frage. Das EMN dient nicht der Einengung nationaler Spielräume und Gestaltungsmöglichkeiten. Der Vollzug der Einwanderungs- und Asylpolitik ist alleinige Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Das Ziel einer proaktiven Informations- und Aufklärungsarbeit sollte angesichts des bereits durch die Kommission erkannten erheblichen zusätzlichen Ressourcenbedarfs zurückgestellt werden.
- - Im Vordergrund sollte die Dienstleistung für die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten stehen. Wichtig ist insbesondere eine schnelle Befriedigung von Informationsbedürfnissen zwischen den Mitgliedstaaten.
Zu 5.3 Beziehungen zu anderen informationserhebenden Stellen und institutionellen Akteuren
- - Zur Vermeidung von Reibungsverlusten und Doppelarbeit ist besonders auf eine klare Aufgabendifferenzierung sowie auf eine nachvollziehbare Abschichtung von Verantwortlichkeiten insbesondere im Hinblick auf die EU-Projekte "System der gegenseitigen Information", "GDISC" sowie "Gemeinschaftsstatistiken über Wanderung und internationalen Schutz" zu achten alternativ könnten auch organisatorische Bündelungen erwogen werden. Die von der Kommission konstatierte Befassung verschiedener Akteure auf Gemeinschaftsebene mit gleich gelagerter Informationszusammenstellung und -analyse (z.B. Grundrechte-Agentur und CARIM) ist jedenfalls kein Beitrag zu Bürokratieabbau und Kostenreduzierung. Nur auf der Basis abgegrenzter Aufgabenbereiche kann die Arbeit dieser Stellen sinnvoll und institutionalisiert verknüpft werden.
- - Die Struktur des EMN sollte auf den bestehenden nationalen Kontaktstellen aufbauen da sich dieser Aufbau im Grundsatz in der Vergangenheit bewährt hat.
Zu 5.4 Form und Struktur
- - Vorzugswürdig erscheint ein bei der Kommission (Generaldirektion Justiz, Freiheit und Sicherheit) angesiedeltes, aus nationalen Kontaktstellen bestehendes Netz. Die nationalen Kontaktstellen sollten von den Mitgliedstaaten und nicht von der Kommission ausgewählt werden. Neben den von der Kommission hervorgehobenen Vorteilen (politische Gesamtverantwortung der Kommission, voraussichtlich relativ reibungslose Umstellung vom gegenwärtigen auf das künftige EMN) vermeidet diese Struktur insbesondere die Nachteile der Agentur-Lösung. Die Agentur-Lösung ist kein Beitrag zu Bürokratieabbau und Kostenreduzierung. Sie benötigt den Aufbau zusätzlicher Organisationsstrukturen mit einem Verwaltungsrat aus Vertretern der Mitgliedstaaten und der Kommission. Generell muss auf schlanke Strukturen geachtet werden, um zusätzliche bürokratische Belastungen für die Verwaltungen in den Mitgliedstaaten zu vermeiden. Inwieweit eine Agentur - wie von der Kommission behauptet -Informationen effektiver zur Verfügung stellen kann, ist nicht nachvollziehbar. Damit ist auch die Frage der Erforderlichkeit ungeklärt.
- - Entgegen der Auffassung der Kommission ist die Regierungsunabhängigkeit der nationalen Kontaktstellen keine Voraussetzung für deren ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung. Im Gegenteil sind Kontaktstellen, die integrativer Bestandteil des nationalen Behördenaufbaus sind, eher als regierungsunabhängige Organisationen in der Lage, wie von der Kommission gefordert den jeweiligen Mitgliedstaat weitgehend abzudecken, die kontinuierliche Aktualisierung der Datenbank zu gewährleisten und den Angelpunkt eines nationalen Netzes einschlägiger Akteure auf dem betreffenden Gebiet zu bilden. So hat etwa das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als nationale deutsche Kontaktstelle bereits in einem ersten Schritt ein ausgewogenes nationales Netzwerk zu wichtigen Institutionen im Bereich Migration, Integration und Asyl zum Austausch von Informationen aufgebaut (Europäisches Forum für Migrationsstudien (efms) an der Universität Bamberg; Center on Migration, Citizenship and Development (COMCAD) an der Universität Bremen; Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA); Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), Essen; Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) an der Universität Osnabrück; Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld; Forschungszentrum für internationales und europäisches Ausländer- und Asylrecht an der Universität Konstanz; Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), Nürnberg; Forschungsgesellschaft für das Weltflüchtlingsproblem (AWR), Höchberg; Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Nürnberg; Informationszentrum Sozialwissenschaften (IZS), Bonn; Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (die), Bonn; Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung (RISP) an der Universität Duisburg-Essen; Institut für Entwicklungsforschung, Wirtschafts- und Sozialplanung (ISOPLAN), Saarbrücken; Bundespolizei, Koblenz; Bundeskriminalamt, Wiesbaden).
B
- 7.
Der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik und
der Ausschuss für Familie und Senioren
empfehlen dem Bundesrat,
von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG
Kenntnis zu nehmen.