892. Sitzung des Bundesrates am 10. Februar 2012
A
Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz empfiehlt dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Zur Vorlage allgemein
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Ziele der Kommission im Hinblick auf eine EU-weite Bekämpfung der Antibiotikaresistenzproblematik. Insbesondere die Entwicklung eines ganzheitlichen Konzepts, das wesentliche, den Antibiotikaeinsatz mitbestimmende Faktoren einbezieht, wird unterstützt. Die Berücksichtigung von Human- und Tiermedizin sowie die Bereiche Landwirtschaft, Umwelt und Forschung sind ebenso wichtig und notwendig wie der internationale Ansatz der Mitteilung.
- 2. Er teilt die Einschätzung, dass die Antibiotikaresistenz ein globales Gesundheitsproblem darstellt.
- 3. Der Bundesrat unterstützt die Auffassung der Kommission, dass die bisher getroffenen Maßnahmen zwar in die richtige Richtung gehen, sie aber die steigende Gefahr der Antibiotikaresistenz nicht eindämmen konnten und es deshalb - einer erheblichen Verschärfung der gegenwärtigen sowie - weiterer umfassender Maßnahmen bedarf, um eine Reduzierung des Einsatzes von Antibiotika zu erreichen und die weitere Ausbreitung von Resistenzen zu verhindern.
- 4. Der Bundesrat begrüßt die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen, hält diese jedoch im Sinne eines ganzheitlichen Konzepts für nicht ausreichend. So werden u.a. für erforderlich gehalten:
- 5. - eine Neudefinition von Tierhaltung mit europaweit klaren und umfassenden Standards einer tiergerechten Haltung;
- 6. - Benennung von konkreten Minimierungsstrategien in der Veterinärmedizin (Vorrang der Einzeltierbehandlung vor der Bestandsbehandlung, rechtlich verbindliche Verankerung von europaweit gültigen Antibiotikaleitlinien); darunter zählen auch Modelle einer Begrenzung des Antibiotikaeinsatzes in Beständen mit nachfolgender Absenkung und Sanktionen bei Überschreiten von Grenzwerten;
- 7. - Erarbeitung eines Antibiotika-Minimierungskonzeptes, in dem die einzelnen Schritte zur notwendigen Reduktion des Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung festgelegt werden;
- 8. - Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Errichtung von nationalen Datenbanken, in denen die Antibiotikaabgabe und -anwendung vom pharmazeutischen Unternehmer und Großhändler über den Tierarzt bis hin zum Landwirt lückenlos und umfassend dokumentiert wird.
- 9. Die Ziele der vorgelegten Maßnahmen werden begrüßt. In Bezug auf einzelne Maßnahmen bittet der Bundesrat die Bundesregierung jedoch, Folgendes zu berücksichtigen:
Zu Maßnahme Nummer 2
Stärkung des Regelungsrahmens für Tierarzneimittel und Fütterungsarzneimittel
- - Der Bundesrat bittet die Kommission, Fütterungsarzneimittel weiterhin als Arzneimittel zu betrachten und nicht dem Futtermittelrecht unterliegen zu lassen.
- - Dazu sollte die Kommission im Zuge der Neuregelung des europäischen Tierarzneimittelrechts die Regelungsinhalte der Richtlinie 90/167/EWG zur Festlegung der Bedingungen für die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung von Fütterungsarzneimitteln in die Richtlinie 2001/82/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel bzw. deren Nachfolgevorschrift aufnehmen.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Als Fütterungsarzneimittel werden derzeit fast ausschließlich Antibiotika an Lebensmittel liefernde Tiere verabreicht. Nach derzeit geltendem Recht darf daher nur ein Tierarzt über die Anwendung von Fütterungsarzneimitteln entscheiden (Verschreibungspflicht), um die Wirksamkeit der Arzneimittelanwendung zu gewährleisten, der Entwicklung von Antibiotikaresistenzen entgegenzuwirken und Antibiotikarückstände in Lebensmitteln zu verhindern. Herstellung und Vertrieb sind vergleichbar zu anderen Arzneimitteln reglementiert.
In der Verordnung (EG) Nr. 767/2009 über das Inverkehrbringen und die Verwendung von Futtermitteln werden Fütterungsarzneimittel als eine Form von Futtermitteln beschrieben (Erwägungsgrund Nr. 3). Futtermittel sind in der Gemeinschaft frei verfügbar. Ihr Bezug und ihre Verabreichung an alle Tierarten können durch jedermann und ohne jegliche tierärztliche Entscheidung erfolgen.
Eine Zuordnung der Fütterungsarzneimittel zum Futtermittelrecht ist nicht akzeptabel, da dies mit dem Wegfall der Verschreibungspflicht verbunden sein könnte. Dies würde die Verabreichung von Antibiotika an große Tierzahlen ohne die Hinzuziehung von tierärztlichem Sachverstand ermöglichen und ein unkalkulierbares Risiko für den Verbraucherschutz darstellen.
Zu Maßnahme Nummer 3
- 10. Einführung von Empfehlungen zur umsichtigen Verwendung in der Veterinärmedizin, einschließlich Folgeberichte
Der Einsatz von Antibiotika muss sachgemäß, angemessen und entsprechend wissenschaftlich fundierter Leitlinien erfolgen. Der Tierärzteschaft in Deutschland stehen bereits seit 2000 (aktualisiert 2010) Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit antibakteriell wirksamen Tierarzneimitteln zur Verfügung. Im Zusammenhang mit den von der Kommission vorgeschlagenen Folgeberichten wird eine Berichtspflicht für die Länder abgelehnt.
Zu Maßnahme Nummer 5
- 11. Einführung eines neuen Rechtsinstruments zur Verstärkung von Infektionsschutz und -bekämpfung bei Tieren durch das neue Tiergesundheitsrecht
Die Bestrebungen bezüglich einer Optimierung der den Antibiotikaeinsatz maßgeblich bestimmenden Faktoren und einer Verbesserung von Vorbeugungsmaßnahmen, insbesondere im Rahmen von Impfungen, werden begrüßt. Die Vorschläge des Aktionsplans berücksichtigen jedoch nicht ausreichend, dass Antibiotika bei der Bekämpfung von Tierseuchen, aber auch im Rahmen der Durchführung präventiver Maßnahmen gegen Tierseuchen, von untergeordneter Bedeutung sind.
- 12. In diesem Zusammenhang stellt der Bundesrat fest, dass es bei der Betrachtung der Antibiotikaanwendung in Tierhaltungen nicht ausreicht, nur den arzneimittelrechtlichen Ansatz zu verfolgen. Eine Notwendigkeit der Behandlung von Tieren mit Antibiotika kann neben anderen Faktoren auch in einem unzureichenden Hygiene- und Gesundheitsmanagement begründet sein. Deshalb müssen zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes auch die Aspekte Tiergesundheit, Tierschutz und Tierzucht zwingend berücksichtigt werden.
Zu Maßnahme Nummer 10
- 13. Verstärkung der Überwachungssysteme für Antibiotikaresistenz und Antibiotikaverbrauch in der Veterinärmedizin
Die Überwachung des Antibiotikaverbrauchs und die Erfassung der Verbrauchsmengen sowie das Monitoring der Resistenzsituation in Human- und Tiermedizin sind neben der kontinuierlichen Aufklärung und Sensibilisierung von Medizinern, Tierärzten, aber auch der Bürgerinnen und Bürger weitere wichtige Pfeiler, um dieser globalen Herausforderung wirksam zu begegnen. Im Rahmen dieser Maßnahme sollte auf Grund des zu erwartenden Nutzens für den Verbraucherschutz auch eine verstärkte Untersuchung tierischer Lebensmittel auf Antibiotika entlang der gesamten Lebensmittelkette berücksichtigt werden. Sollten sich dabei Erkenntnisse über Häufungen von Nachweisen bestimmter Antibiotika ergeben, so können Rückschlüsse auf die Verabreichung dieser Antibiotika in den jeweiligen Tierhaltungen gezogen werden. Das würde eine risikobasierte Überwachung unterstützen.
Zu Maßnahme Nummer 11
- 14. Verstärkung und Koordinierung von Forschungsanstrengungen
Zur besseren Information und Koordinierung und im Sinne von Synergieeffekten wäre es sinnvoll, wenn die Forschungsvorhaben der Mitgliedstaaten allgemein zugänglich gemacht würden (z.B. auf einer Internetplattform der Kommission).
Zu weiteren Maßnahmen
- 15. Der Bundesrat stellt fest, dass Kontroll- und Aufzeichnungspflichten für Tierhalter derzeit in mehreren Rechtsvorschriften verschiedener Rechtsbereiche enthalten sind. Die Informationen können nur mit erheblichem Aufwand gebündelt werden, um einen ganzheitlichen, risikoorientierten Überwachungsansatz sicherstellen zu können. Gerade die Tierarzneimittelüberwachung deckt mit dem derzeitigen gesetzlichen Auftrag diesen umfassenden Ansatz noch nicht ab.
Der Bundesrat unterstützt daher die Forderung nach einem ganzheitlichen Konzept von Maßnahmen, um damit einerseits den Antibiotikaeinsatz zu verringern und andererseits die weitere Ausbreitung von Resistenzen zu minimieren.
- 16. Der Bundesrat nimmt mit Sorge die Ergebnisse der jüngsten Studien in den Ländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zum Einsatz von Antibiotika in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zur Kenntnis.
- 17. Die Ergebnisse geben Anlass für eine nachhaltige Verbesserung der Tiergesundheit in Tierhaltungen mit hohem Antibiotikaeinsatz, insbesondere durch Optimierung des Hygienestandards, der Haltungsbedingungen sowie des Bestandsmanagements.
Im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes gilt es, unter besonderer Berücksichtigung von Fragestellungen des Tierschutzes, der Tierzucht, der Gesunderhaltung von Tierbeständen, der Erhaltung und Entwicklung bäuerlicher Existenzen und von Arbeitsplätzen in ländlichen Regionen, eine intensive Überprüfung vorzunehmen mit dem Ziel, dass der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung nur noch in therapeutisch begründeten Einzelfällen notwendig und dadurch auf das absolut unerlässliche Maß beschränkt wird. Dies gilt auch für den Haustierbereich.
- 18. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, in Zusammenarbeit mit den Ländern ein verbindliches nationales Antibiotika-Minimierungskonzept zu erarbeiten, in dem die einzelnen Schritte zur notwendigen Reduktion des Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung festgelegt werden. Dieses Konzept muss konkrete Maßnahmen enthalten, die insbesondere Tierhalterinnen und Tierhaltern wie auch Überwachungsbehörden dabei unterstützen, dieses Ziel um- beziehungsweise durchzusetzen. Die erforderlichen Rechtsgrundlagen sind schnellstmöglich zu schaffen.
- 19. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass das Antibiotika-Minimierungskonzept praktikable Lösungen vor allem auch für folgende Punkte enthalten soll:
- - die verbindliche Verankerung von Indikatoren (z.B. Therapiehäufigkeit/Verlustrate) zur quantitativen beziehungsweise qualitativen Einschätzung des Antibiotikaeinsatzes und des Tiergesundheitsstatus in Nutztier haltenden Betrieben; - im Rahmen wirksamer Eigenkontrollsysteme für Tierhaltungen Verpflichtung der Tierhalter, bei hohem Antibiotikaeinsatz eigenverantwortlich zusammen mit dem bestandsbetreuenden Tierarzt oder dem Tiergesundheitsdienst ein betriebsindividuelles Konzept zur Verbesserung der Tiergesundheit zu erstellen und umzusetzen sowie dieses Konzept der zuständigen Behörde im Rahmen ihrer Kontrollkompetenzen auf Anforderung vorzulegen;
- - eine rechtliche Verbindlichkeit der "Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit antimikrobiell wirksamen Tierarzneimitteln" (Antibiotika-Leitlinien) der Bundestierärztekammer und der Arbeitsgruppe Tierarzneimittel der Arbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz, des "Leitfadens für die orale Anwendung von Tierarzneimitteln im Nutztierbereich" und des Einsatzes von genormten Dosiergeräten für oral anwendbare Fertigarzneimittel;
- - Festlegung von Antibiotika, deren Anwendung allein der Humanmedizin vorbehalten bleiben soll (Reserveantibiotika) und für die eine Anwendung am Tier im Regelfall ausgeschlossen ist; - eine Änderung des Arzneimittelgesetzes und der DIMDI-Arzneimittelverordnung im Hinblick auf eine vollständige Transparenz der Vertriebswege von zur Anwendung bei Tieren bestimmten Arzneimitteln bis hin zur einzelnen tierärztlichen Hausapotheke;
- - die Entwicklung eines für Tierhalter, Tierärzte und Behörden effektiv nutzbaren bundeseinheitlichen datenbankgestützten Systems zur Erfassung und Auswertung des Antibiotikaeinsatzes in den Betrieben. Dabei sollten vorhandene landwirtschaftliche Datenbanken (z.B. HIT) genutzt werden;
- - die Beauftragung von Forschungsvorhaben und die Auflage von Programmen zur Verbesserung der Tiergesundheit z.B. durch tiergerechtere Haltungsverfahren und Züchtung weniger krankheitsanfälliger Nutztierrassen;
- - eine ergebnisoffene Überprüfung des tierärztlichen Dispensierrechts.
- 20. Er hält es für dringend geboten, die Minimierung des Antibiotika-Einsatzes auch auf europäischer Ebene weiter zu forcieren.
B
- 21. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union, der Gesundheitsausschuss, der Ausschuss für Kulturfragen und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.