Der Bundesrat hat in seiner 846. Sitzung am 4. Juli 2008 beschlossen, die aus der Anlage ersichtliche Entschließung zu fassen.
Anlage
Entschließung des Bundesrates zum Nationalen Aktionsplan zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit zusammenhängenden Krankheiten
Im Wissen um die große Bedeutung von guter Ernährung und vielfältiger Bewegung für die Lebensqualität der Menschen sowie in Kenntnis der Tatsache, dass Ernährungs- und Bewegungsverhalten langfristig Auswirkungen auf Wohlbefinden und Gesundheit haben, erklärt der Bundesrat zum geplanten Nationalen Aktionsplan zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit zusammenhängenden Krankheiten:
I. Ausgangslage Vor dem Hintergrund, dass
- - die Gesundheitsberichterstattung und zahlreiche Studien belegen, dass in Deutschland ebenso wie in anderen Industrienationen Fehlernährung, Übergewicht, Bewegungsmangel und Krankheiten wie z.B. Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes mellitus, Bluthochdruck und Gicht zunehmen,
- - viele dieser Erkrankungen ernährungs- und bewegungsbedingte Krankheiten sind und somit durch eine ausgewogene Ernährung und ausreichend Bewegung im Alltag in vielen Fällen vermeidbar wären,
- - die genannten Erkrankungen auch als "Wohlstands-" oder "Zivilisationskrankheiten" bezeichnet werden, weil sich der Lebensstil in Deutschland und anderen Industrienationen während der letzten Jahrzehnte stark in Richtung zunehmender Bewegungsarmut verändert hat und dadurch bei einem großen Teil der Bevölkerung ein ungesundes Verhältnis zwischen zu hoher Energiezufuhr und zu niedrigem Energieverbrauch entstanden ist,
- - Basisinformationen bezüglich gesundheitsfördernder Ernährung und Bewegung zwar das Wissen über die Zusammenhänge in der Bevölkerung verbessert haben, aber nicht das Ess- und Bewegungsverhalten,
- - in Deutschland wie in allen entwickelten Industrienationen eine epidemische Zunahme von Übergewicht und Adipositas in spezifischen Bevölkerungsgruppen, aber auch Fehl- und Mangelernährung bei extrem unterernährten Jugendlichen oder älteren Menschen zu beobachten ist,
- - diese Entwicklung laut Weltgesundheitsorganisation (WHO 2002) dazu geführt hat, dass 60 % der jährlichen Todesfälle und 47 % der weltweiten Krankheitskosten ursächlich mit unausgewogener Ernährung und mangelnder Bewegung in Verbindung gebracht werden können,
- - im November 2006 die europäischen Gesundheitsminister in Istanbul die "Europäische Charta zur Bekämpfung der Adipositas" unterzeichnet haben, die zum Ziel hat, einen Lebensstil zu fördern, der die sozioökonomischen und kulturellen Eigenheiten der Bevölkerungsgruppen in Einklang mit Gesundheitszielen bringt, um so gesundheitsförderliche Entscheidungen zu erleichtern, hält der Bundesrat verstärkte zielorientierte Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention zur Verbesserung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens in allen Altersgruppen für dringend geboten.
Die 80. Gesundheitsministerkonferenz (4./5. Juli 2007 in Ulm) und die 3. Verbraucherschutzministerkonferenz (VSMK, 13./14. September 2007 in Baden-Baden) haben die Initiative der Bundesregierung für einen Nationalen Aktionsplan zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit zusammenhängenden Krankheiten ausdrücklich begrüßt. Die zentralen Ziele des vorgesehenen Aktionsplans,
- - das Ernährungs- und Bewegungsverhalten nachhaltig zu verbessern,
- - die Zunahme von Übergewicht bei Kindern zu stoppen und
- - die Verbreitung von Übergewicht zu verringern, werden unterstützt. Um dies erreichen zu können, werden Handlungsfelder und Maßnahmen benannt, die die Menschen in Deutschland in ihrem Bemühen stärken, einen gesunden Lebensstil zu verfolgen. Dazu haben die Länder bereits eine Reihe von Aktivitäten ergriffen.
Anknüpfend an die bestehenden Vorhaben und Strukturen sollen in den Ländern und Kommunen Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheitsförderung und Prävention nachhaltig initiiert und möglichst flächendeckend etabliert werden. Dauerhafte Kooperationen mit allen Beteiligten werden als zielführend erachtet.
Die Verzahnung des Nationalen Aktionsplans mit anderen Programmen zur Gesundheitsförderung und Prävention und mit den Gesundheitsziele-Prozessen auf Bundes- und Länderebene soll sichergestellt werden. Dies sollte auch im Falle der Verabschiedung eines Präventionsgesetzes berücksichtigt werden.
II. Erwartung des Bundesrates
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, die Länder an der Entwicklung und der Umsetzung der Ziele des Nationalen Aktionsplans zur Prävention von Fehlernährung, Übergewicht, Bewegungsmangel und den damit zusammenhängenden Krankheiten im Rahmen ihrer Kompetenzen zu beteiligen. Der Bundesrat sieht die Notwendigkeit, eine breite, von vielen gesellschaftlichen Gruppen getragene Initiative für ein gesundheitsförderndes Lebensumfeld und einen gesundheitsfördernden Lebensstil durch gesunde Ernährung und mehr Bewegung zu schaffen.
Der Bundesrat betont die Verantwortung jeder Bürgerin und jedes Bürgers für einen gesundheitsfördernden Lebensstil, der gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung einschließt. Zugleich liegt es in der Verantwortung der Länder, die Rahmenbedingungen für gesundheitsförderliche Lebensstile und Lebenswelten zu verbessern, Impulse für gesunde Ernährung und eine neue Kultur der Bewegung zu geben und am Gelingen des Nationalen Aktionsplans zur Prävention von Fehlernährung, Übergewicht, Bewegungsmangel und damit zusammenhängenden Krankheiten mitzuwirken.
Zu den wichtigen Rahmenbedingungen für einen gesundheitsfördernden Lebensstil zählt auch eine aussagekräftige und verständliche Nährwertkennzeichnung. Der Bundesrat spricht sich für die rasche Einführung eines Nährwertkennzeichnungsmodells mit farblicher Gestaltung, mit Symbolen und einer einheitlichen verbindlich vorgegebenen Bezugsgröße aus, das als Vorschlag für ein einheitliches Modell auf europäischer Ebene dienen soll.
Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Ziele des Nationalen Aktionsplans nur im Zusammenwirken von Bund, Ländern, Kommunen, Selbstverwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft erreicht werden können.
Er begrüßt es daher, dass der Nationale Aktionsplan als ein auf Dauer angelegter Prozess und als Instrument des Dialogs angelegt ist, und die Länder an diesem Dialog durch regelmäßigen Austausch über Programme, Strategien und Maßnahmen guter Praxis teilnehmen werden. Dabei wird großer Wert darauf gelegt bestehende Ansätze und Strukturen in die Fortschreibung und Umsetzung des Nationalen Aktionsplans einzubinden.
Vor diesem Hintergrund erwartet der Bundesrat, dass
- - der Nationale Aktionsplan als längerfristige und gesellschaftliche Aufgabe verstanden wird und alle Politikfelder und Ebenen einbezieht, die einen Beitrag zur Entwicklung gesundheitsfördernder Lebensstile leisten,
- - bei der Entwicklung und Umsetzung des Nationalen Aktionsplans alle betroffenen Akteure der Prävention von ernährungs- und bewegungsbedingten Krankheiten und insbesondere die vielfältigen Angebote des Sports einbezogen und unterstützende Strukturen gefördert werden,
- - ein Schwerpunkt bei allen Maßnahmen des Nationalen Aktionsplans darauf gelegt wird, die Personengruppen zu erreichen, die als sog. Risikogruppen in besonderem Maße von Übergewicht und Adipositas sowie Bewegungsmangel betroffen sein können,
- - die Ergebnisse des Nationalen Aktionsplans im Sinne der definierten Ziele dokumentiert und bewertet werden,
- - bei allen Schritten im Rahmen des Nationalen Aktionsplans eine enge Abstimmung mit den Ländern und zwischen den Ländern unter Nutzung bestehender Strukturen und Wahrung der Länderkompetenzen erfolgt.
Unter Berücksichtigung der Verantwortung der Erziehungsberechtigten für gesunde Ernährung und Bewegungsförderung ihrer Kinder und der Notwendigkeit ihrer Einbeziehung in entsprechende Maßnahmen sieht der Bundesrat Möglichkeiten für zielgerichtetes Handeln insbesondere
- - in der Entwicklung und Unterstützung von Maßnahmen, die dort stattfinden, wo Kinder, Jugendliche und Eltern sowie auch die Risikogruppen erreicht werden (Stadtteile mit überdurchschnittlichen Anteilen von Arbeitslosigkeit und von Familien mit Migrationshintergrund, Kindertageseinrichtungen, Schulen, Sportvereine), jeweils unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Ressourcen;
- - in der fächerübergreifenden Verankerung einer handlungsorientierten Ernährungs- und Verbraucherbildung sowie Bewegungsförderung in Schulen, um so das Bewusstsein über die langfristigen gesundheitlichen Konsequenzen eines unausgewogenen Ernährungs- und Bewegungsverhaltens zu schärfen. Ernährungs- und Verbraucherbildung soll - integriert in weitere Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention - pädagogisches Element der Schulentwicklung jeder Schule werden;
- - in der Integration von Themen der Gesundheitsförderung und -Bildung in die Kind- und sozialbezogenen Ausbildungsberufe und Studiengänge sowie die Lehreraus- und -fortbildung;
- - in der Förderung eines gesunden und ausgewogenen Verpflegungsangebotes in Kindertageseinrichtungen und an Schulen nach den Empfehlungen der deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) sowie einer umfassenden Bewegungserziehung durch Sicherung eines besseren Angebotes an Bewegung, Spiel und Sport. Dabei sollen die Schülerinnen und Schüler lernen, dass Bewegung Spaß macht und auch zur Entspannung beiträgt. Das Vorhaben des Bundes, Vernetzungsstellen zur Umsetzung der DGE-Qualitätsstandards für die Verpflegung in Kindertageseinrichtungen und Schulen in den Ländern zu unterstützen und Ansätze zum Ausbau von Bewegungskindergärten werden ausdrücklich begrüßt;
- - im Ausbau der Kinder- und Jugendarbeit in den Sportvereinen mit einer breiten Bewegungserziehung und Förderung eines gesundheitsfördernden Ernährungsverhaltens;
- - in der Verbesserung der Ernährungs- und Bewegungssituation älterer und von chronischen Erkrankungen betroffener Menschen;
- - in der stärkeren Nutzung der Potenziale des Gesundheitswesens und der Verbesserung der dazu erforderlichen Rahmenbedingungen; Ärzte, Pflegende, Angehörige der Gesundheitsfachberufe, Sozialversicherungsträger, Öffentlicher Gesundheitsdienst, Selbsthilfegruppen und Verbände sind wichtige Ansprechpartner für die präventive Arbeit, sie können durch Informationen zur Lebensweise und Beratung zu unterstützenden Angeboten dazu beitragen, gesundheitsbezogene Kompetenzen zu stärken;
- - in der Initiierung, Unterstützung und Verstetigung kommunaler, regionaler und bundesweiter Netzwerke, in denen Akteure aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen Maßnahmen zur Prävention von Übergewicht und Adipositas entwickeln und umsetzen. Kommunale Netzwerke sollten dabei ein besonderes Augenmerk auf die Elternarbeit legen und damit Maßnahmen in Kindertagesstätten und Schulen ergänzen.