836. Sitzung des Bundesrates am 21. September 2007
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Gesundheitsausschuss empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, die Arbeit zur Unterstützung der Organtransplantation im Rahmen verschiedener Gemeinschaftsprogramme fortzusetzen und die Ergebnisse bisheriger Projekte für die Weiterentwicklung von EU-Maßnahmen zu nutzen, die den politischen Herausforderungen der Organspende und -transplantation auf Gemeinschaftsebene Rechnung tragen.
- 2. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass der Organmangel ein wesentliches Problem der transplantationsmedizinischen Versorgung ist, und stimmt dem Vorschlag eines Aktionsplans zur verstärkten Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu, um insbesondere - den Wissens- und Erfahrungsaustausch über Verfahren zur Erhöhung der Organverfügbarkeit zu unterstützen sowie leistungsfähige Systeme für die Organspendererkennung zu ermitteln, die anderen Mitgliedstaaten - unter Berücksichtigung der jeweiligen kulturellen und organisatorischen Gegebenheiten - als Vorbild dienen können,
- - einen einheitlichen Zugang zur gesundheitlichen Versorgung innerhalb der Gemeinschaft zu erreichen, indem Mitgliedstaaten, deren transplantationsmedizinische Versorgung noch nicht ausreichend entwickelt ist, im Aufbau unterstützt werden,
- - das Bewusstsein der Öffentlichkeit über die Notwendigkeit von Organspenden
- - soweit unter Berücksichtigung der jeweiligen nationalen und kulturellen Besonderheiten möglich - durch EU-weite Öffentlichkeitsarbeit zu schärfen
- 3. und im Zusammenhang damit ggf. einen europäischen Organspendeausweis einzuführen.
- 4. Der Bundesrat weist ausdrücklich auf Artikel 152 Abs. 5 Satz 2 EGV hin, wonach die Spende und die medizinische Verwendung von Organen der Zuständigkeit der Gemeinschaft entzogen sind. Er sieht insoweit keinen gemeinschaftsrechtlichen Spielraum für die in Erwägung gezogene Förderung der Lebendspende oder den Einsatz eines erweiterten Spenderkreises. Darüber hinaus wären solche Regelungen mit dem geltenden Recht und der herrschenden Rechtsauffassung in Deutschland nicht vereinbar.
- 5. In Deutschland gelten, wie in anderen Mitgliedstaaten mit leistungsfähigen Transplantationssystemen, hohe Standards für Qualität und Sicherheit, die ständig weiterentwickelt werden. Der Bundesrat hält daher die Schaffung eines EU-Rechtsinstruments zu Qualität und Sicherheit von Organspende und -transplantation nicht für erforderlich. Der Bundesrat befürchtet vielmehr, dass sich die von der Kommission angeführten Regelungsbestandteile wie die Errichtung einzelstaatlicher Aufsichtsbehörden, die Zulassung von Einrichtungen und Programmen für Organspende und -beschaffung und die Einrichtung von Inspektionsstrukturen nachteilig auf die leistungsfähige Organisationsstruktur auswirken und mit einem erheblichen bürokratischen Aufwand verbunden sein könnten.
Deshalb bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich gegenüber der Kommission dafür einzusetzen, dass bei der Entwicklung eines europäischen Rechtsrahmens für Qualität und Sicherheit menschlicher Organe gemäß Artikel 152 Abs. 4 Buchstabe a EGV unter Beachtung von Artikel 152 Abs. 5 EGV das Subsidiaritätsprinzip strikt gewahrt wird.
Das bedeutet, dass eine EU-Richtlinie über die Qualität und Sicherheit von menschlichen Organen sich ausschließlich auf die Anwendung von Testverfahren zum Nachweis von Infektions- bzw. Tumorerkrankungen (Risikobewertung), Konservierung, Beförderung und Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit von Organen sowie die Meldung etwaiger schwerer unerwünschter Zwischenfälle nach der Transplantation erstrecken darf.
- (setzt Annahme von Ziffer 2 voraus)
- 6. Soweit Mitgliedstaaten noch nicht über ausgebaute Transplantationssysteme einschließlich dafür entwickelter Datenerfassungssysteme verfügen, hält der Bundesrat es für vordringlich, diese Mitgliedstaaten im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der jeweils spezifischen Problemlage bei der Organisation ihrer Transplantationssysteme zu unterstützen. Solange in einigen Mitgliedstaaten das gesundheitliche Versorgungssystem keinen allgemeinen Zugang zur Versorgung mit Organtransplantaten gewährleisten kann, können diese Staaten auch nicht von einem Organaustausch oder von Leitlinien für Verfahren zum Angebot überzähliger Organe profitieren.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Die Kommission wird zwar durch Artikel 152 Abs. 4 Buchstabe a EGV zur Durchführung von "Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Organe und Substanzen menschlichen Ursprungs sowie für Blut und andere Blutderivate" ermächtigt.
Artikel 152 Abs. 5 EGV schränkt aber eine über hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards hinausgehende Kompetenz der Kommission deutlich ein, indem "die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt" und "insbesondere...einzelstaatliche Regelungen über die Spende oder die medizinische Verwendung von Organen und Blut unberührt" bleiben.
Die Definition von Qualität und Sicherheit im Rahmen der Organspende und -transplantation wird aber insbesondere durch die Spende und medizinische Verwendung der Organe beeinflusst. Die Qualität eines Spenderorgans, d. h. im Wesentlichen die Funktion und Funktionsdauer des Transplantats, ist von mehreren Faktoren abhängig. Ein wichtiger Faktor ist dabei die jeweilige Erfahrung des Transplantationszentrums und die medizinische Expertise der involvierten Ärzte. Die Sicherheit, d. h. insbesondere die Vermeidung der Übertragung von Infektionen und verschiedenen Krebserkrankungen, kann nur durch ein gut organisiertes und standardisiertes Spendeverfahren an den Krankenhäusern ermöglicht werden.
In Deutschland bestehen durch den vom Transplantationsgesetz (TPG) vorgegebenen Rechtsrahmen etablierte und leistungsfähige Systeme für die Organspende und -transplantation sowie der Organverteilung im Eurotransplant-Verbund. Diese können als vorbildliche Systeme für diejenigen Mitgliedstaaten dienen, deren Transplantationssysteme noch nicht ausreichend entwickelt sind.
Derzeit den Bedarf für einen Organaustausch zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten zu ermitteln, ist verfrüht. Zunächst sollte eine umfassende Analyse der potenziellen Organspender, Melderaten und tatsächlichen Spenderzahlen auf der Basis einheitlicher Parameter in den einzelnen Mitgliedstaaten durchgeführt werden. Mittels einer solchen Potenzialanalyse können dann Strategien zur Erkennung und Meldung potenzieller Organspender gefördert werden die wesentlich zur Verminderung des Organmangels beitragen. Erst dann kann der Organaustausch zwischen den Mitgliedstaaten wirksam eingesetzt werden. Hierfür bietet sich im Übrigen die schrittweise Ausweitung der Aktivitäten von Eurotransplant an.
Die Datenlage zum Organhandel in Europa ist mangelhaft. Nach eigener Aussage der Kommission hat die strafrechtliche Verfolgung des Organhandels bisher keinen Nachweis erbracht und bewegt sich nach aktuellen Schätzungen auf relativ bescheidenem Niveau. Das deutsche TPG verbietet ausdrücklich jeglichen Handel mit Organen. Dem internationalen Organhandel sollte vorgebeugt werden indem gerade die osteuropäischen Staaten im Aufbau ihrer Gesundheitssysteme gefördert und Maßnahmen aller Mitgliedstaaten unterstützt werden die der Verringerung des Organmangels dienen. Zunächst sollte eine qualitative und quantitative Analyse der Problematik stattfinden, bevor an EU weite Maßnahmen zu denken ist.
Die altruistische Lebendspende zu fördern, ist weder sachdienlich noch zielführend.
Einerseits macht die Zahl der Lebendspenden nur einen vergleichbar kleinen Teil der Spenden aus - und das sollte sowohl wegen möglicher gesundheitlicher Risiken für den Spender als auch aus ethischen Gründen (Ultima Ratio) so bleiben. Andererseits wäre, ungeachtet dessen, möglicherweise sogar mit einer Abnahme der Zahl der Spenderorgane insgesamt zu rechnen. Zudem darf die Möglichkeit der Lebendspende nicht dazu führen, dass das Bemühen um die Gewinnung postmortal gespendeter Organe vernachlässigt wird. Diese Gefahr besteht aber, wenn die Öffentlichkeit den Eindruck gewinnt, ein auf eine Transplantation wartender Patient könne gut einen Lebendspender suchen.
Äußerst kritisch stellt sich auch eine Ausweitung des Spenderkreises ("extended criteria donors" - ECD) dar. Dies kann zwar zur Steigerung der Organspendezahlen beitragen, darf aber nur dann in Frage kommen, wenn Transplantationsergebnisse erzielbar sind, die für den Empfänger eine Verlängerung der Lebenserwartung und eine Erhöhung der Lebensqualität bedeuten.
Auch muss die Ausweitung des Spenderkreises nicht notwendigerweise zu einer Erhöhung der Zahl der Spenderorgane führen.