Antrag des Landes Hessen
Entschließung des Bundesrates für eine gerechte und zukunftsorientierte Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik in Deutschland

Der Hessische Ministerpräsident
Wiesbaden, den 9. September 2013

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Winfried Kretschmann

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Hessische Landesregierung hat beschlossen, dem Bundesrat die anliegende Entschließung für eine gerechte und zukunftsorientierte Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik in Deutschland mit dem Antrag zuzuleiten, die Entschließung zu fassen.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Plenarsitzung am 20. September 2013 aufzunehmen.

Mit freundlichen Grüßen
Volker Bouffier

Entschließung des Bundesrates für eine gerechte und zukunftsorientierte Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik in Deutschland

Der Bundesrat möge beschließen:

Der Bundesrat sieht in einer gerechten, modernen und wachstumsorientierten Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik eine zentrale Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand, für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen im internationalen Wettbewerb und für soziale Gerechtigkeit in Deutschland.

Der Bundesrat wendet sich deshalb gegen eine Politik, die mit massiven neuen Belastungen und Steuererhöhungen auf breiter Front die Leistungsfähigkeit und - bereitschaft der Bürger und der Unternehmen in Deutschland schwächen und zu einer umfassenden Politik der Bevormundung und der Beschränkung von Freiheiten und Wahlchancen führen würde.

Die breit angelegten Vorschläge für neue Abgaben und Belastungen treffen nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern auch den unternehmerischen Mittelstand und damit das Rückgrat der deutschen Wirtschaft:

Zu einer gerechten Steuerpolitik gehört, dass der Staat die Einnahmen an die Bürger zurückgibt, die ihm nicht zustehen. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, um die Steuermehreinnahmen infolge der kalten Progression durch gezielte Tarifsenkungen an die Bürgerinnen und Bürger zurückzugeben.

Der Bundesrat spricht sich dafür aus, die steuerliche Förderung von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohngebäuden auf den Weg zu bringen. Der Bundesrat bedauert, dass das entsprechende Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung am Verhalten einzelner Länder gescheitert ist. Der Gebäudebereich weist erhebliche Potentiale zur Energie- und CO₂-Einsparung auf. Um das anspruchsvolle Ziel einer nachhaltigen Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2020 zu erreichen, müssen diese Potentiale erschlossen werden.

Der Bundesrat begrüßt die jüngst im Zusammenhang mit den Regelungen im Jahressteuergesetz erreichten Fortschritte beim Kampf gegen legale Steuerschlupflöcher ("Cash-GmbHs", RETT-Blocker, "Goldfinger") und bittet die Bundesregierung ihre Bemühungen fortzusetzen, "legale Steuerschlupflöcher" zu schließen.

Er fordert die Bundesregierung auf, sich auf internationaler Ebene weiterhin gegen aggressive Steuergestaltungen einzusetzen. Wer in Deutschland wirtschaftlich erfolgreich ist, soll auch hier zu Steuerzahlungen herangezogen werden. Einem aggressiven Ausnutzen von steuerlichen Vorteilen in verschiedenen Ländern ist entgegenzutreten.

Begründung:

Die umfassenden Pläne für neue Abgaben belasten die Bürgerinnen und Bürger, gefährden Arbeitsplätze und die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln summieren sich die Mehrbelastungen auf rd. 60 Mrd. EUR. Die Folgen wären massive negative Wachstums- und Beschäftigungseffekte und ein Anstieg der Arbeitslosen um 300.000 bis 400.000 Menschen.

Umfangreiche Steuererhöhungen und eine Politik neuer Belastungen und Abgaben sind ein Irrweg. Steuerpolitik ist vor allem auch Wirtschafts- und Wachstumspolitik. Im internationalen Steuerwettbewerb ringen die Länder um günstige steuerliche Rahmenbedingungen für die Ansiedlung von Unternehmen, Facharbeitskräften und Kapital. So ist es kein Zufall, dass kaum mehr eine Industrienation Vermögensteuer erhebt und dass die meisten Staaten Kapitaleinkünfte auf niedrigem Niveau abgeltend besteuern. Diese Realitäten sind auch an der deutschen Steuerpolitik nicht spurlos vorübergegangen. Deutschland ist dem internationalen Trend gefolgt und hat durch wachstumsfördernde Steuersenkungen die Grundlagen für den heutigen wirtschaftlichen Erfolg geschaffen. Rekordsteuereinnahmen von über 600 Milliarden Euro im Jahr 2012 zeigen, dass dieser Schritt richtig war. Nicht zuletzt deswegen hat Deutschland den Weg durch die Finanz-, Wirtschafts- und Währungskrise gut gemeistert, ist europäische "Wachstumslokomotive" und Hochbeschäftigungsland. Die aktuelle volkswirtschaftliche Steuerquote von 23,4 Prozent übertrifft selbst die Quoten Mitte der neunziger Jahre mit Vermögensteuer, Gewerbekapitalsteuer und hohen Ertragssteuersätzen. Sie zeigt, dass sich Steuersatzsenkungen bei gleichzeitigem Abbau von Ausnahmen und Schlupflöchern langfristig bezahlt machen.

Die Vorschläge für Verschärfungen bei der Einkommensteuer (Erhöhung des Spitzensteuersatzes, Abschaffung des Ehegattensplittings, Verminderung des Kinderfreibetrages usw.) zielen nicht nur auf die Reichen, sondern belasten insbesondere die Mittelschicht. So beginnt die Mehrbelastung bereits bei einem Einkommen von rd. 53.000 EUR.

Durch das Abschmelzen des Ehegattensplittings erhöht sich die Steuerbelastung auch für Familien, in denen sich die Einkommenserzielung vorrangig bei einem Ehegatten konzentriert. Die geplanten Steuererhöhungen belasten auch viele Unternehmen, denn ein Großteil der deutschen Betriebe sind Personengesellschaften, die durch die Einkommensteuer belastet werden.

Mit den Vorschlägen zur "Bürgerversicherung" drohen negative Auswirkungen auf Bruttoinlandsprodukt (BIP), Beschäftigung und gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt. Statt Anreize zu schaffen, Gesundheitsleistungen effizient bereitzustellen, zielen sie vor allem auf die Einkommensumverteilung zwischen den Beitragszahlern ab.

Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) und der Universität Basel im Auftrag des Verbandes der Privaten Krankenversicherung. Würde die Private Krankenversicherung (PKV) zu Gunsten einer "Bürgerversicherung" ganz abgeschafft, wären damit verschiedene negative Auswirkungen auf den Krankenversicherungsmarkt verbunden: Zum einen würde der Systemwettbewerb mit der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wegfallen, der sich erstens stabilisierend auf das medizinische Versorgungsniveau der gesetzlich Versicherten auswirkt und zweitens die GKV davor schützt, zu sehr in die Rolle eines zweiten Finanzamts gedrängt zu werden. Wohlfahrtsmindernd für die deutsche Volkswirtschaft wäre auch die zusätzliche implizite Besteuerung durch den Verzicht auf die Kapitaldeckung in der Krankenversicherung. Zudem würde die in der PKV vorherrschende größere Wahlfreiheit in Bezug auf Versicherungstarife beschränkt.

Bundestag und Bundesrat haben der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zum Abbau der kalten Progression (BR-Drs. 035/13 (PDF) ) zugestimmt und die verfassungsrechtlich gebotene Anhebung des steuerlichen Grundfreibetrages in zwei Schritten in den Jahren 2013 und 2014 umgesetzt. Eine weitergehende Anpassung des Tarifverlaufs im Bereich der Progressionszonen, wie sie im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Abbau der kalten Progression (BR-Drs. 847/11 (PDF) ) vorgesehen war, erfolgte nicht. Damit ist das Problem der kalten Progression nach wie vor aktuell.

Zu einer gerechten Steuerpolitik gehört schließlich auch der Kampf gegen Steuerhinterziehung und gegen aggressive Steuergestaltungen. Mit der Verabschiedung eines Aktionsplanes gegen die Gewinnkürzung und -verlagerung multinationaler Unternehmen (Base Erosion and Profit Shifting, BEPS) haben die Finanzminister und Notenbankgouverneure der G20-Staaten bei ihrem Treffen am 19./20. Juli 2013 in Moskau einen Meilenstein in der internationalen Steuerpolitik erreicht. Hintergrund der Aktivitäten ist die Beobachtung, dass multinationale Unternehmen unter Ausnutzung von international nicht abgestimmten Steuerregeln ihre Steuerlast erheblich reduzieren. Dies gilt insbesondere für den Bereich der digitalen Wirtschaft (E-Commerce). Dadurch entstehen erhebliche Mindereinnahmen. Der jetzt verabschiedete Aktionsplan ist ein Katalog von 15 Maßnahmen, auf dessen Grundlage bis Ende 2015 wirksame und international abgestimmte Regelungen gegen BEPS erarbeitet werden sollen.