KOM (2005) 116 endg.; Ratsdok. 8154/05
Der Bundesrat hat in seiner 812. Sitzung am 17. Juni 2005 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat befürwortet die Programmziele zur Förderung einer aktiven europäischen Bürgerschaft. Er teilt die Auffassung der Kommission, dass eine stärkere direkte Einbeziehung der Bürger in den europäischen Einigungsprozess notwendig ist. Der Bundesrat begrüßt daher alle Maßnahmen, die geeignet sind, die Bürger aktiv am europäischen Integrationsprozess zu beteiligen und dabei auf allen Ebenen das gegenseitige Kennenlernen, die europaweite Zusammenarbeit sowie das Verständnis für die Vielfalt der europäischen Kulturen und die Kenntnis der europäischen Geschichte zu stärken. Die europäische Vereinigung kann nur dann erfolgreich voran gebracht werden, wenn die Bürger Europas tatsächlich eine europäische Identität entwickeln und die Integration als gemeinsame Aufgabe verstehen.
- 2. Der Bundesrat sieht in dem von der Kommission vorgelegten Beschlussvorschlag Ansätze, die geeignet sind, diesem Ziel näher zu kommen. Der Ausbau von Städtepartnerschaften ebenso wie die Förderung von Projekten, die weite Kreise der Bevölkerung erreichen und auf dem Engagement zahlreicher Bürger beruhen, können nach der Erweiterung der EU das Gefühl der Zusammengehörigkeit festigen.
- 3. Der Bundesrat teilt die auch vom Juristischen Dienst des Rates vorgebrachten Bedenken zur gewählten Rechtsgrundlage. Die in Artikel 151 EGV konkretisierten Handlungsbefugnisse der Gemeinschaft im Kulturbereich reichen auch in Verbindung mit der Kompetenzergänzungsvorschrift Artikel 308 EGV nicht aus, um die vielfältigen, über den Kulturbereich hinausreichenden Maßnahmen des Programmvorschlags abzudecken.
- 4. Der Bundesrat sieht in dem Programmvorschlag zahlreiche Überschneidungen mit anderen Programmen aus den Bereichen Bildung, Jugend und Forschung, in denen vergleichbare Aktivitäten gefördert werden. Er sieht hier Abgrenzungsschwierigkeiten, die undurchschaubare Förderverfahren zur Folge haben. Dies kann zu einer Verunsicherung der Nutzer des Programms führen und das weit verbreitete Bild des europäischen Förderdickichts verstärken. Der Bundesrat erwartet daher, dass die zu fördernden Aktionen weiter konkretisiert und stärker fokussiert werden. Darüber hinaus besteht Klärungsbedarf über die vorgesehene "indirekte zentrale Verwaltung". Sie darf nicht zur Schaffung neuer bürokratischer Strukturen mit finanziellen Belastungen für die Mitgliedstaaten führen.
- 5. Der Bundesrat lehnt die vorgesehene institutionelle Förderung von im Vorfeld festgelegten Organisationen ohne vorheriges Auswahlverfahren ab. Die zu fördernden Institutionen müssen auch aus Gründen der Chancengleichheit von Einrichtungen in den neuen Mitgliedstaaten in einem offenen und transparenten Verfahren benannt werden. Dieser Grundsatz wurde u. a. im Aktionsprogramm zur Förderung von auf europäischer Ebene tätigen kulturellen Einrichtungen (Beschluss Nr. 792/2004/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004) berücksichtigt, wo die von der Kommission ursprünglich vorgesehene Förderung ohne Auswahlverfahren nur für eine kurze Übergangszeit akzeptiert wurde. Der Vorschlag zum neuen Kulturprogramm "Kultur 2007" sieht ebenfalls die Vergabe von Betriebskostenzuschüssen an kulturelle Einrichtungen nur nach vorheriger Ausschreibung vor.
- 6. Angesichts der Bedeutung der unmittelbaren Beteiligung der europäischen Bürger sieht der Bundesrat die institutionelle Förderung von Organisationen und von Studien als zweitrangig an. Dem Aktionsbereich 1 "Aktive Bürger/innen für Europa" sollte daher mindestens die Hälfte des für das Programm vorgesehenen Haushalts zur Verfügung gestellt werden.
- 7. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die in Ziffer 5.4 des Finanzbogens des Beschlussvorschlags geregelte Ermächtigung zur Übertragung von Befugnissen auf Exekutivagenturen entfallen sollte, da sich derzeit noch keine überschaubare und transparente Struktur für Regulierungs-, Exekutiv- und sonstige Agenturen herausgebildet hat. Eine Verlagerung von Befugnissen auf Agenturen ohne ausreichende institutionelle Vorgaben erschwert die demokratische Kontrolle, behindert volkswirtschaftlich vorteilhafte Lösungen und gefährdet die Transparenz und Bürgernähe der Verwaltung. Gerade für die im Beschlussvorschlag vorgesehene Verwaltung kleinerer Projekte erscheint die Einrichtung von Agenturen entbehrlich.
- 8. Der Bundesrat stellt fest, dass die für die Verwaltung des Programms angesetzten Kosten unangemessen hoch sind, da sogar der üblicherweise vorgesehene Verwaltungskostenanteil von maximal 8 % des Programmhaushalts wesentlich überschritten wird.
- 9. Abzulehnen ist die Steigerung des Finanzrahmens gegenüber dem derzeit geltenden Vorläuferprogramm, soweit sie durch vorzeitig bindende Beschlüsse die deutsche Forderung nach einer Begrenzung des EU-Haushalts auf 1 % des BNE vereitelt.
- 10. Die Bundesregierung wird gebeten, vor der Zustimmung zu diesem Vorhaben rechtzeitig das Einvernehmen mit dem Bundesrat nach § 5 Abs. 3 EUZBLG herzustellen.