Der Bundesrat hat in seiner 993. Sitzung am 18. September 2020 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Ausgangslage
- 1. Europa sieht sich gegenwärtig mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. Globaler Wettbewerbsdruck und technologische Entwicklungen erfordern ebenso gesamteuropäische Antworten wie beschleunigte demographische Prozesse (zum Beispiel fortschreitende Alterung oder Migration), ökonomische Unsicherheiten oder gesundheitliche und ökologische Risikolagen. Mit dem europäischen Grünen Deal, dem Vorschlag zur Aufstockung des EU-Haushaltes (Next Generation Europe) oder der Digitalstrategie beschreitet Europa einen ambitionierten Weg, um diesen Herausforderungen zu begegnen.
- 2. Der Bundesrat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Wissenschaft und Forschung einen unverzichtbaren Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforderungen leisten, wie die Corona-Pandemie erneut gezeigt hat. Eine - auch finanziell adäquate - Förderung und Stärkung von Wissenschaft und Forschung muss daher elementarer Bestandteil tragfähiger gesamteuropäischer Zukunftsstrategien sein.
- 3. Er begrüßt, dass mit der geplanten Mitteilung der Kommission zum Europäischen Forschungsraum (EFR) eine überfällige Diskussion über die Grundlagen, Aufgaben und Perspektiven der europäischen Forschungs- und Innovationspolitik angestoßen wird. Die Erneuerung des EFR muss von dem Grundgedanken ausgehen, dass sich europäische Forschungspolitik nicht in einem Förderprogramm erschöpft. Vielmehr sollte der EFR als ein konzeptioneller Rahmen zur umfassenden und strategischen Stärkung von Entwicklungsmöglichkeiten für Wissenschaft und Forschung innerhalb Europas verstanden werden. Der Bundesrat betont, dass er den EFR in diesem Sinne als einen zentralen Beitrag zur europäischen Integration betrachtet, der erkennbar über eine rein ökonomische Integration der europäischen Staaten hinausweist.
- 4. Die integrative Leistung des EFR ist seit seiner Festschreibung in den Lissabonner Verträgen ein vertragliches Ziel der EU. Der EFR hat dabei eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Bis heute ist es nicht vollständig gelungen, eine kohärente strategische Umsetzung zu erreichen. Um das Konzept - vergleichbar zum Europäischen Binnenmarkt - erfolgreich verwirklichen zu können, plädiert der Bundesrat dafür, den EFR stärker als bislang geschehen mit den bestehenden Konzepten im Bildungsbereich (Europäischer Bildungsraum und Europäischer Hochschulraum) zu verzahnen. Dies ist nach Ansicht des Bundesrates unter Wahrung der bestehenden Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten möglich. Zugleich müssen sich die Zielsetzungen des EFR (effektive nationale Forschungssysteme; optimale länderübergreifende Zusammenarbeit und entsprechender Wettbewerb; offener Arbeitsmarkt für Forschende; Gleichstellung der Geschlechter und Berücksichtigung des Gleichstellungsaspekts; optimaler Austausch von, Zugang zu und Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen; Internationale Zusammenarbeit) deutlich im Rahmenprogramm für Forschung und Innovation wiederfinden, um nicht zuletzt eine spürbare Resonanz unter den zentralen Akteuren im Wissenschaftssystem hervorzurufen.
- 5. Basierend auf den gemeinsamen Wertevorstellungen einer guten wissenschaftlichen Praxis muss eine solche Weiterentwicklung des EFR auch der globalen Konkurrenzsituation von Wissens- und Wirtschaftsräumen Rechnung tragen. Daher sollte der EFR auf Autonomie der EU in strategisch wichtigen Forschungs- und Technologiefeldern angelegt sein. Zugleich muss der EFR jedoch offen gestaltet sein. Geeignete globale Kooperationen, die Mobilität von Forscherinnen und Forschern sowie der freie Austausch von wissenschaftlichen und technologischen Erkenntnissen treiben die Generierung neuen Wissens voran. Um den globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel oder Pandemien effektiv zu begegnen, bedarf es zudem gemeinsamer Forschungsanstrengungen, die nicht allein in Europa zu leisten sind.
- 6. Im Bereich der Forschung sind die Mitgliedstaaten und Regionen wesentliche Akteure, die nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen setzen, sondern auch einen Großteil der Finanzierung der Hochschulen und Forschungseinrichtungen sicherstellen. Dabei unterscheiden sich die Forschungslandschaften in den Mitgliedstaaten stark in Bezug auf ihre Unabhängigkeit von staatlicher Steuerung, ihre finanzielle Ausstattung, die Ausgestaltung einer nationalen Förderung und die einbezogenen politischadministrativen Ebenen. Diese Ausgangsbedingungen gilt es bei der Planung von Maßnahmen zur künftigen Gestaltung des EFR zu berücksichtigen. Stärker als in der Vergangenheit sollte insbesondere die Vielfalt der beteiligten Akteure in der europäischen Wissenschaftslandschaft berücksichtigt werden, die von Forschenden, Forschungseinrichtungen, Hochschulen, Unternehmen, Wissenschaftsverwaltungen und Medien bis zu verschiedenen Ebenen der Exekutive in den Mitgliedstaaten und der Kommission mit verschiedenen Generaldirektionen reicht. Der Bundesrat hebt ausdrücklich die Bereitschaft der Länder hervor, sich im Rahmen der ihnen vorbehaltenen Zuständigkeiten und hoheitlichen Aufgaben im Bereich von Wissenschaft und Forschung mit ihrer Expertise in die Verwirklichung des EFR engagiert und zielführend einzubringen.
Hochschulen als zentrale Akteure im Europäischen Forschungsraum
- 7. Aus Sicht des Bundesrates geht eine Revitalisierung des EFR notwendigerweise mit einer Stärkung der Hochschulen als zentralen Trägern von Forschung, Bildung, Innovation und Kultur einher. Sowohl in qualitativer Hinsicht als auch mit Blick auf das quantitative Ausmaß der involvierten Akteure stellen Hochschulen die Dreh- und Angelpunkte des europäischen Wissenschaftssystems dar. In ihnen werden dabei nicht nur Forschung vorangetrieben und fortlaufend wissenschaftliche Erkenntnisse generiert. Hochschulen stellen zudem bedeutsame Orte der institutionellen Reproduktion, Vermittlung und Tradierung von Wissensbeständen, von Verfahren zur Wissensproduktion und von Techniken der Aneignung von Wissen dar - nicht zuletzt im Zuge der (Aus-)Bildung zukünftiger Generationen. Die Hochschulen sind zudem wichtige soziokulturelle Vermittlungsinstanzen und Stätten der Begegnung und des Austausches.
- 8. Von hoher Bedeutung für den EFR sind Hochschulen auch aufgrund ihrer katalysatorischen Rolle innerhalb der Innovationsökosysteme ihrer jeweiligen Region. Zahlreiche Studien belegen die regionalökonomischen Nachfrage- und Wachstumseffekte durch Forschung und Lehre und heben damit die Bedeutung der Hochschulen für die strukturpolitische Entwicklung hervor. Durch Kooperation, Vernetzung und Transferaktivitäten kann das an wissenschaftlichen Einrichtungen vorhandene Wissen in der Region integrativ zugänglich gemacht werden. Auf diese Weise partizipieren weitere Akteure, etwa kleine und mittlere Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und zivilgesellschaftliche Gruppen, die selbst nicht bzw. nicht in ausreichendem Maß über FuE-Kapazitäten verfügen, an Forschung und Innovation. Der struktur- bzw. regionalpolitische Ansatz, durch Wissenstransfer mit der Wissenschaft die regionalen FuE-Kapazitäten zu steigern und bestehende Strukturschwächen zu überwinden, sollte in der Neukonzeption des EFR ebenfalls zum Tragen kommen.
- 9. Mit den Pilotausschreibungen zu dem Förderprogramm Europäischer Hochschulen hat die EU einen bedeutsamen Schritt zur Anerkennung der zentralen Bedeutung der Hochschulen für den EFR geleistet.
- 10. Der Bundesrat versteht die Förderung von Hochschulen und europäischen Hochschulallianzen als wichtigen Transmissionsriemen zur Umsetzung des EFR. Hierdurch ist eine sowohl räumlich als auch gesellschaftlich breite Verankerung des politischen Konzepts möglich. Gleichwohl rät der Bundesrat dringend dazu, die Umsetzung und Ergebnisse laufender Pilotprojekte zu den Europäischen Hochschulen hinreichend zu evaluieren. Das Ziel einer sinnvollen Stärkung von Hochschulen in Europa in ihrer Rolle als zentrale Akteure des EFR erfordert aus Sicht der Länder deren langfristige strategische Förderung mit einem deutlich erhöhten Budget. Im Sinne einer gesamteuropäischen Integration sollten rechtlichadministrative Experimentierräume für eine flexible Verwirklichung internationaler Hochschulallianzen geschaffen werden.
Wertegebundene Wissenschaft
- 11. Wissenschaft in Europa ist eng an die Grundwerte gebunden, die die EU konstituieren. Vor dem Hintergrund einer - nicht zuletzt im Feld von Wissenschaft und Forschung - fortschreitenden Globalisierung, einer zunehmenden politischen Einflussnahme auf die Wissenschaft in großen Teilen der Welt, von Tendenzen eines verstärkten Nationalismus innerhalb und außerhalb Europas und von global wirksamen akuten und langfristigen Herausforderungen bleiben diese Werte auch bei einer neuen Impulssetzung für den EFR konstitutivom 12. Für die Wissenschaft in Europa sind die Freiheit von Forschung und Lehre und ein hohes Maß an institutioneller Unabhängigkeit, wie sie in Deutschland grundgesetzlich verankert ist, essenziell. Wissenschaft findet in Europa in demokratischen Staaten statt, in deren Prozesse sie sich frei von ideologischen, politischen oder religiösen Einflussnahmen mit Expertenwissen einbringt. Für die Wissenschaft in Europa gelten die Menschenrechte (gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen) sowie die Charta der Europäischen Grundrechte.
- 13. Das wissenschaftliche Arbeiten basiert auf innerwissenschaftlichen Werten wie Faktentreue, Unvoreingenommenheit und Offenheit für Kritik: Leitend sind fachspezifische Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis und wissenschaftsethische Standards. Auf dieser Grundlage umfasst die wissenschaftliche Freiheit die Wahl von Fragestellungen, Forschungsgegenständen und der Methodik, die Veröffentlichung von Ergebnissen in öffentlich zugänglichen Publikationen sowie die Freiheit, wissenschaftliche Meinungen zu verbreiten, zu bewerten und auszutauschen.
- 14. In diesem doppelten Sinn ist für den EFR der Bezug zu grundlegenden Werten herauszustellen, um im internationalen wissenschaftlichen Wettbewerb eine klare Position einnehmen und für Kooperationen mit weltweiten Partnern die (ethische und rechtliche) Grundlage legen zu können.
Finanzierung und Förderinstrumente im Europäischen Forschungsraum
- 15. Der Bundesrat hält eine adäquate Finanzierung des EFR für dessen erfolgreiche Ausgestaltung für unabdingbar. Im EFR müssen wissenschaftliche Projekte, Netzwerke und Verbünde mit europäischem Mehrwert angemessen gefördert werden. Vor diesem Hintergrund sehen die Länder die vom Europäischen Rat vorgeschlagene Mittelausstattung für das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation kritisch und fordern eine spürbare Aufstockung des Budgets. Wie bereits in der Stellungnahme vom 21. September 2018 (vergleiche BR-Drucksache 261/18(B) ) zum Ausdruck gebracht, unterstützen die Länder die Forderung des Europäischen Parlaments, das Budget für das Rahmenprogramm Horizont Europa auf 120 Milliarden Euro anzuheben.
- 16. Zugleich betont der Bundesrat, dass eine sinnvolle Ausgestaltung des EFR sich auch aus finanzieller Perspektive nicht auf eine bloße Projektförderung beschränken darf. Vielmehr bedarf es innerhalb des EFR in den Mitgliedstaaten und Regionen einer umfassenden Stärkung von Wissenschaft und Forschung. Vor diesem Hintergrund bekennen sich die Länder ausdrücklich zum Ziel, die einzelstaatlichen Ausgaben im Bereich von Forschung und Entwicklung auf mindestens drei Prozent des jeweiligen BIP zu steigern. Darüber hinaus sollte die Unterstützung von Wissenschaft und Forschung auch durch eine noch stärkere Intensivierung privaten Engagements ergänzt werden, um eine zusätzliche Diversifizierung von Anreizsystemen zu erreichen. Innerhalb des EFR gilt es, eine komplementäre Koordinierung dieser unterschiedlichen Anreizsysteme zu prüfen.
- 17. Die erfolgreiche Ausgestaltung des EFR hängt auch davon ab, inwieweit es gelingt, Personen und Institutionen vor Ort einzubinden. Das politische Konzept des EFR muss hierzu nach Möglichkeit in konkrete Partizipationsangebote übersetzt werden. Der Bundesrat plädiert in diesem Zusammenhang dafür, die Förderungs- und Unterstützungsformate zur Umsetzung von Projektideen, Forschung und Transfervorhaben im europäischen Kontext vielfältig und variabel zu gestalten. Zusätzlich zu den übergreifenden Initiativen der Europäischen Hochschulen und der für das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation zentralen Verbund- und Konsortialforschung ist es angebracht, in gleicher Weise niedrigschwellige Fördermöglichkeiten für Forschung und Innovation auch für kleinere Verbünde zu institutionalisieren. Mit dem Bottomup-Prinzip der Förderung wird der Genese von wissenschaftlichen Projektideen Rechnung getragen, stellen Netzwerktreffen, Arbeitsgruppen und kleine Forschungsverbünde doch eine unverzichtbare Basis umfassenderer Kooperationsformate dar. Ihre Förderung trägt dazu bei, das Forschungs- und Innovationspotenzial des EFR umfassend und tiefgreifend ausschöpfen zu können.
Exzellenz und Kohäsion als konstituierende Merkmale des Europäischen Forschungsraums
- 18. Hervorragende wissenschaftliche Leistungen sollten weiterhin Ziel und Merkmal des EFR sein. Die Verwirklichung des EFR muss darüber hinaus aber eine europaweite Entfaltung von wissenschaftlicher Vielfalt, Kreativität, Originalität und offener Wissensevolution anstreben, die sich aus möglichst vielen Quellen speist. Nur wenn es gelingt, alle in Europa vorhandenen wissenschaftlichen Potenziale auszuschöpfen, kann die EU im globalen Wettbewerb bestehen. Eine Verringerung der aktuell vorhandenen ungleichen Beteiligung unterschiedlicher Regionen an Forschung und Innovation ist daher unabdingbar - insbesondere mit Blick auf das zukünftige Rahmenprogramm Horizont Europa. Um allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern innerhalb der EU faire Beteiligungschancen zu bieten, sollte der EFR gezielt administrative Kapazitäten und forschungspolitische Kompetenzen in bislang weniger forschungsstarken Regionen fördern.
- 19. Der Bundesrat empfiehlt, die Verwirklichung des EFR als gezielte Kombination von Exzellenz und Kohäsion zu verstehen, ohne dass diese Prinzipien sich wechselseitig ausschließen würden. Im Sinne einer verteilten Exzellenz ist vielmehr sowohl auf eine umfangreiche Förderung wissenschaftlicher Exzellenz als auch auf eine gezielte Unterstützung bislang weniger forschungsstarker Regionen zu achten. Der wissenschaftliche Exzellenzwettbewerb soll damit keinesfalls ausgehebelt werden. Die Länder zeigen sich vielmehr überzeugt davon, dass eine gezielte Erweiterung der Basis derjenigen Akteure und Institutionen, die hinreichend befähigt sind, an kompetitiven Förderverfahren chancengleich zu partizipieren, zur legitimatorischen Stärkung des EFR beiträgt. Zusätzlich zur Steigerung einzelstaatlicher Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind hierfür gesamteuropäisch koordinierte Maßnahmen zur Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen oder zur Initiierung administrativer Austausch- und Lernprozesse notwendig.
Mobilität von wissenschaftlichem Personal als Basis eines Europäischen Forschungsraums
- 20. Der EFR muss ein Raum des offenen wissenschaftlichen Austausches sein. Hierfür ist die transnationale Mobilität von Personen zentral, da wissenschaftliche Erkenntnisprozesse nicht von Institutionen, sondern von Forschern und Forscherinnen getragen werden. Ziel des EFR muss daher die Förderung innovativer, niedrigschwelliger und flexibler Austauschformate sein, um die Mobilität für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Erfahrungs- und Karrierestufen zu erhöhen und einen tatsächlich wechselseitigen Austausch im EFR zu erreichen (brain circulation). Hierfür ist eine aufwachsende finanzielle Ausstattung der europäischen Programme zur Mobilitätsförderung, wie zum Beispiel ERASMUS+ oder die Marie-Sklodowska-Curie-Maßnahmen, notwendig. Auch eine verstärkte Öffnung nationaler oder regionaler Forschungsförderinstrumente um europäische Mobilitätsfenster wäre denkbar. Zudem sollten die Mobilitätsmaßnahmen auch das administrative Personal in Hochschulen und Forschungseinrichtungen umfassen, welches mit der Verwaltung und Koordinierung europäischer Forschungspolitiken betraut ist, damit hier ein offener Erfahrungsaustausch über Chancen, Hindernisse und Verbesserungsmöglichkeiten bei der Umsetzung des EFR möglich wird.
Der Bundesrat schlägt hiernach vor, zur Stärkung des EFR vorhandene europäische und nationale Mobilitätsprogramme stärker zu synchronisieren, um einen komplementären Wissens- und Erfahrungsaustausch innerhalb der europäischen Staaten gewährleisten zu können.
Innovation und Bürgerbeteiligung
- 21. Um Innovationen auf europäischer Ebene gezielt zu unterstützen, bedarf es der strategischen Ausrichtung des EFR auf eine bessere Vernetzung europäischer, nationaler und regionaler Innovationsökosysteme und entsprechender Fördermaßnahmen entlang der Innovationskette von der Grundlagenforschung bis zur Entwicklung marktfähiger Produkte. Eine solche Verschränkung setzt nicht nur den kontinuierlichen und institutionalisierten Austausch der europäischen, nationalen und regionalen Akteure voraus, sondern auch die Integration entsprechender Maßnahmen in den Zusammenhang der wirtschaftlichen und sozialen Regionalentwicklung im europäischen Kontext.
- 22. Im Rahmen des EFR darf der Innovationsbegriff indes nicht auf den Begriff der technologischen Innovation verengt werden. Vielmehr weist der Bundesrat darauf hin, auch die soziale Dimension von Innovationen im Zuge der Verwirklichung des EFR zu berücksichtigen. Aktuelle als auch künftige soziale, ökonomische und ökologische Herausforderungen werden ohne soziale Innovationen nicht zu bewältigen sein. Zur Unterstützung der gesellschaftlichen Wertschätzung sowie Akzeptanz von Forschungs- und Innovationsprozessen bedarf es zudem der Verbesserung des Dialogs und der Interaktion mit den Bürgerinnen und Bürgern.
- 23. Vor diesem Hintergrund plädiert der Bundesrat dafür, den EFR um einen ganzheitlichen Innovationsansatz zu ergänzen, der neben einer technischen Dimension ebenfalls eine zivilgesellschaftliche Dimension aufweist. Darüber hinaus sollten die Förderungsinstrumente des EFR die Stärkung sozial-, Wirtschafts- und geisteswissenschaftlicher Forschung in diesem Bereich umfassen.
Gleichstellung innerhalb des Europäischen Forschungsraums
- 24. Institutionen und Akteure innerhalb des EFR müssen sich als Beteiligte einer wertebasierten Forschungs- und Wissenschaftslandschaft verstehen. Der Bundesrat bittet dementsprechend darum, die Betätigungsmöglichkeiten innerhalb des EFR vorurteilsfrei zu gestalten. Es muss sichergestellt sein, dass innerhalb des EFR kein Geschlecht sowie keine geographische, kulturelle, staatliche oder soziale Abstammung, Sprache, religiöse oder politische Überzeugung oder gesundheitliche Situation von Menschen diskriminiert wird. Darüber hinaus sollten Wissenschaft und Forschung im EFR selbst aktiv dazu beitragen, vorhandene gesellschaftlich wirkmächtige Benachteiligungen und Diskriminierungserfahrungen aufzuspüren und zu analysieren, um Grundlagen für deren Überwindung beizusteuern.
Sichtbarkeit, Akzeptanz und Umsetzungskompetenz
- 25. Der Bundesrat bittet die Kommission darum, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die auf eine höhere Sichtbarkeit und Akzeptanz des EFR abzielen. Wissenschaft und Forschung leisten einen zentralen Beitrag zur europäischen Integration und tragen maßgeblich zur Gestaltung zukünftiger Lebensbedingungen bei. Die Relevanz dieser Beiträge ausreichend zu würdigen und darzustellen, sollte Teil der Neukonzeptionierung des EFR sein. Vor diesem Hintergrund sollten konkrete Programme und Vorhaben in den Mittelpunkt gestellt und diese als Schritte auf dem Weg zu einem EFR kommuniziert werden. Dabei wären sowohl gesamteuropäische Initiativen (zum Beispiel zu gemeinsamen Infrastrukturen und forschungsethischen Standards) als auch Maßnahmen zur Stärkung nationaler und regionaler, insbesondere schwächerer Forschungssysteme einzubeziehen.
- 26. Um den Mehrwert des EFR erkennbar herauszustellen, eignen sich klassische Instrumente wie etwa Informationskampagnen mit "best practice"-Beispielen ebenso wie die Erprobung innovativer wechselseitiger Kommunikationsangebote zwischen Wissenschaft sowie Bürgerinnen und Bürgern. Zugleich hält es der Bundesrat vor dem Hintergrund eines wachsenden Ausmaßes an Desinformation und "fake news" für angebracht, die dem EFR zugrundeliegenden Wertvorstellungen offensiv zu verteidigen.
- 27. Der Bundesrat bekennt sich zudem zum Grundsatz der offenen Wissenschaft innerhalb Europas (open science). Die Grundlagen, Methoden, Verfahren sowie Ergebnisse von Wissenschaft und Forschung im EFR müssen sich allgemein durch Transparenz und Zugänglichkeit auszeichnen. Auch diese Offenheit trägt zur Sichtbarkeit und Akzeptanz des EFR bei.
- 28. Auf dem Wege zur weiteren Verwirklichung eines einheitlichen EFR stellt die Diversität nationaler Wissenschaftssysteme eine der bekannten Herausforderungen dar. Um eine Kohäsion der nationalen Wissenschaftssysteme in der Breite unter Berücksichtigung der europäischen Förderinstrumente zu ermöglichen, ist eine hohe interdisziplinäre und grenzüberschreitende Expertise im Wissenschaftsmanagement notwendig. Zur Überwindung dieser horizontalen oder vertikalen Begrenzungen hält der Bundesrat daher die Schaffung eines europäischen Netzwerkes für Wissenschaftsmanagement für erstrebenswert.
Zukünftige Governance des Europäischen Forschungsraums
- 29. Der EFR bedarf einer effizienten und effektiven politischen Steuerung. Der Ausschuss für den Europäischen Raum für Forschung und Innovation (ERAC) als strategisches Beratungs- und Monitoringgremium für den Rat, die Kommission und die Mitgliedstaaten spielt hierbei eine zentrale Rolle. Der Bundesrat sieht daher die Notwendigkeit, im Zuge der Weiterentwicklung des EFR die Aufgaben des ERAC und die Mandate der EFR-bezogenen Gruppen an die neuen politischen Prioritäten des EFR anzupassen und zu optimieren.
- 30. Der Bundesrat begrüßt daher den Ansatz der Kommission, die Regionen und die Wissenschaft auf europäischer Ebene stärker in die Governance-Strukturen des EFR einzubinden. Er fordert zudem die Bundesregierung auf, die Länder frühzeitig bei der Entwicklung neuer Governance-Strukturen einzubinden und die föderalen Zuständigkeiten für Wissenschaft und Forschung stärker in der deutschen ERAC-Delegation abzubilden. Der Bundesrat beabsichtigt, hierfür entsprechende Beauftragte des Bundesrates zu benennen.
Direktzuleitung der Stellungnahme
- 31. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
* Erster Beschluss des Bundesrates vom 23. März 2018, BR-Drucksache 5/18(B)