992. Sitzung des Bundesrates am 3. Juli 2020
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Mit dem vorliegenden Beschlussvorschlag legt die Kommission im Anschluss an ihren Legislativvorschlag aus dem Jahr 2017 - der zur Neufassung des EU-Gemeinschaftsverfahrens ab dem 13. März 2019 führte - kaum ein Jahr nach Inkrafttreten erneut eine grundlegende Initiative im Bereich des Katastrophenschutzes vor. Der Bundesrat hat die Entwicklungen in den vergangenen Jahren kontinuierlich begleitet und sich wiederholt, zuletzt am 2. März 2018 (vergleiche BR-Drucksache 757/17(B) ), zu grundsätzlichen und zentralen Punkten des damaligen Vorhabens zu kritischen Anmerkungen veranlasst gesehen, ohne die notwendige gegenseitige Solidarität der Mitgliedstaaten bei Krisenlagen und krisentypischen Lagen - wie Großschadenslagen oder Katastrophen - in Frage zu stellen.
- 2. Hintergrund und Motiv für den aktuellen Beschlussvorschlag der Kommission ist erkennbar die außergewöhnlich bedrohliche Situation, in der sich die EU und ihre Mitgliedstaaten seit Beginn der COVID-19-Pandemie befinden. Die Anfang des Jahres entstandene Krisenlage hat fast alle Länder weltweit und auch die europäische Bevölkerung, Politik und Wirtschaft vor außerordentliche Herausforderungen und Probleme gestellt. Viele EU-Mitgliedstaaten haben nicht nur sehr hohe Infektionszahlen zu verzeichnen, sondern sie haben auch hohe Opferzahlen zu beklagen. Die COVID-19-Pandemie ist ohne Zweifel die schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs und hat gezeigt, wie sehr man in Europa von gegenseitiger Hilfe und Unterstützung abhängig ist. Besonders im Blickfeld der Kommission ist in diesem Zusammenhang die grundsätzliche Erkenntnis, dass die Vorbereitungen auf solch ein Pandemie-Krisenszenario nicht in dem Maße vorgenommen worden sind, wie es an sich notwendig gewesen wäre.
Nach Auffassung der Kommission habe die Entwicklung der Krise deutlich gemacht, dass nunmehr die Grenzen der derzeitigen Struktur und Funktionsweise des im Jahr 2019 gerade erst reformierten Katastrophenschutzverfahrens der Union erreicht seien. Dieses Verfahren habe nicht die erwarteten Ergebnisse erzielt: So sei zahlreichen entsprechenden Anträgen von Mitglied-, Teilnehmer- und Drittstaaten auf Unterstützung nicht Folge geleistet worden oder die Reaktionen seien nicht schnell genug erfolgt. Ferner habe sich gezeigt, dass auf EU-Ebene insgesamt bei einer Krise solchen Ausmaßes, die alle Mitgliedstaaten treffe, verstärkte Maßnahmen erforderlich seien.
Die Kommission möchte diese von ihr wahrgenommenen Defizite dadurch beheben, dass angeblich kritische Lücken im Katastrophenschutzverfahren geschlossen werden sollen. Es soll mehr Flexibilität und echte Handlungsfähigkeit auf Unionsebene erreicht werden, da sich die Mitgliedstaaten allein als nicht ausreichend handlungsfähig erwiesen hätten. Daher schlägt die Kommission in ihrem Beschlussvorschlag zwei Säulen vor: Zum einen sollen finanzielle Investitionen in die Katastrophenvorsorge gefördert sowie Aufbau- und Resilienzmaßnahmen durch Finanzierung aus dem Aufbauinstrument der EU ermöglicht werden. Dazu soll auch die indirekte Mittelverwaltung durch Übertragung von Haushaltsvollzugsaufgaben an internationale Einrichtungen (zum Beispiel die Vereinten Nationen) und deren Agenturen sowie an öffentliche und private Institutionen mit wohltätigem Zweck ermöglicht werden.
Als zweite Säule schlägt die Kommission eine Reihe von Änderungen von Zielen des Unionsverfahrens vor; im Kern sind dies aus innenpolitischer Sicht:
- - eine sogenannte "sektorübergreifende Katastrophenresilienzplanung" (Artikel 6 und 10 des Beschlussvorschlags), - die Befähigung der Kommission, unmittelbar selbst rescEU-Kapazitäten zu beschaffen und damit Eigentümerin von diesen Kapazitäten zu werden (Artikel 12 Absatz 2 und 3 des Beschlussvorschlags),
- - die Stärkung der operativen Koordinierungs- und Überwachungsfunktion des Europäischen Koordinierungszentrums in Brüssel.
- 3. Der Bundesrat kann die aktuelle Problemwahrnehmung durch die Kommission aufgrund der Pandemie und der damit verbundenen besonderen Herausforderungen zur Lagebewältigung in diesem Jahr grundsätzlich nachvollziehen. Er ist sich mit den europäischen Institutionen darin einig, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in eine leistungsfähige Gesundheitsversorgung und einen effektiven Pandemieschutz besondere Bedeutung hat und dass deshalb alle Verantwortungsebenen ständig aufgefordert sind, dieser Herausforderung durch Prävention, Bereitschaft und Reaktion gerecht zu werden.
Der Bundesrat unterstützt Initiativen, die darauf gerichtet sind, die gegenseitige solidarische Hilfeleistung der Mitgliedstaaten bei Katastrophen durch unterstützende Maßnahmen der EU zu erleichtern und fortzuentwickeln. Er hält es jedoch für unerlässlich, dass gerade im Zusammenhang mit einer effektiven Pandemievorsorge die jeweiligen Gesundheitsstrukturen und Vorhaltungen in diesem Bereich überprüft und ertüchtigt werden, weil nur so ein flächendeckender Schutz der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet werden kann.
Vor diesem Hintergrund betrachtet der Bundesrat den Beschlussvorschlag der Kommission mit Sorge. Diese Besorgnis bezieht sich sowohl auf die Voraussetzungen und die Methodik der europäischen Initiative wie auch auf wesentliche Punkte ihres Inhalts.
- 4. Zunächst sieht sich der Bundesrat zu der Feststellung veranlasst, dass sich das reformierte Unionsverfahren, das erst seit etwas über einem Jahr besteht, als ein starkes Zeichen europäischer Solidarität bewährt hat. Seit März 2019 befinde man sich in der Umsetzungsphase des neuen Systems und bis April 2020 wurden bisher fünf Durchführungsrechtsakte verabschiedet, die die anfängliche Zusammensetzung von rescEU-Kapazitäten zur Waldbrandbekämpfung aus der Luft sowie die Festlegung von Vorschriften für den Einsatz des Europäischen Katastrophenschutz-Pools von rescEU und zur Bewältigung von Risiken mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, aber schwerwiegenden Auswirkungen behandelt haben. Besonders hervorzuheben ist der Durchführungsrechtsakt vom 19. März 2020 bezüglich rescEU-Kapazitäten für die medizinische Bevorratung, der unmittelbar und sehr kurzfristig als Reaktion auf die Pandemielage beschlossen wurde und der zunächst noch der Umsetzung bedarf. Durch die enge Taktung von Durchführungsrechtsakten in den vergangenen Monaten wird deutlich, dass das nun bestehende System erst einmal aufgebaut werden muss. Die Verhandlungen zu dem gefundenen Kompromiss sind ein Beweis dafür, dass die zum Teil sehr unterschiedlichen Interessenlagen der verschiedenen Mitgliedstaaten in Einklang gebracht werden konnten. Durch die aktuelle Vorlage der Kommission wird dieser gerade kürzlich gefundene Kompromiss nun in Frage gestellt.
- 5. Der Bundesrat sieht sich zudem zu der Aufforderung veranlasst, das anstehende Legislativverfahren auf das Fundament einer gründlichen Sach- und Risikoanalyse zu stellen. Maßgebliche Elemente, die vor Vorlage eines neuen Beschlussvorschlags vorgenommen werden sollten, fehlen leider: Wie schon im Jahr 2017 wurde erneut kein Konsultationsverfahren der Interessenträger vorgenommen, die Einholung und Nutzung von Expertenwissen ist entfallen und eine Folgenabschätzung wurde ebenfalls nicht durchgeführt. Die Kommission verteidigt dieses Vorgehen damit, dass aufgrund der Dringlichkeit dieser Situation diese Verfahrensschritte entbehrlich seien; dafür gäbe es keine Zeit. Dies sieht der Bundesrat dezidiert nicht so. Gerade weil die bestehende Lage sehr komplex ist und Ziel aller Änderungen stets ein tragfähiges Krisenmanagement- und -reaktionsmodell sein sollte, wäre es von hoher Wichtigkeit, erst einmal die aktuelle Situation der EU kritisch zu analysieren, bevor endgültige Schlussfolgerungen gezogen werden. Bei der aktuellen Krise handelt es sich in erster Linie um eine medizinische Krise, die vor allem den Infektionsschutz und das Gesundheitsmanagement betrifft. Daraus leitet die Kommission ab, dass das europäische Katastrophenschutzverfahren als Ganzes abgeändert werden müsste. Gerade wenn ein solch allumfassender, sektorübergreifender Ansatz gewählt würde, kann aus Sicht des Bundesrates nicht auf eine Konsultation, externes Expertenwissen zahlreicher Fachbereiche und eine Folgenabschätzung verzichtet werden. Auch wird die zeitliche Dringlichkeit anders bewertet: In allen europäischen Ländern hat sich die Lage zunächst verbessert: Die Infektionszahlen sinken ab, die Patientenzahlen in den Krankenhäusern sind spürbar gesunken und Lockdown-Maßnahmen werden aufgehoben. Deshalb wäre es nun möglich, die beschriebenen, vorzuschaltenden Schritte zügig, aber eben auch sehr fundiert anzugehen und durchzuführen. Doch selbst wenn man von dem Risiko einer zweiten pandemischen Welle in diesem Jahr ausgeht, wäre ein beschleunigtes Verfahren zur Reform des Katastrophenschutzverfahrens schon zeitlich nicht dazu geeignet, termingerecht andere und vorgeblich bessere Handlungsmöglichkeiten zu schaffen.
- 6. Zur inhaltlichen Ausgestaltung der Vorschläge gibt der Bundesrat Folgendes zu bedenken:
Bei zusammenfassender Würdigung werfen die Vorschläge vom 2. Juni 2020 die grundsätzliche Frage auf, wie der Katastrophenschutz auf europäischer Ebene zu organisieren ist. Die Kernaussagen der Kommissionsinitiative, insbesondere zu Artikel 7 "Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen" (siehe hierzu im einzelnen Erwägungsgrund 8), Artikel 10 "Katastrophenresilienzplanung" in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 5 "Risikomanagement" (siehe hierzu im einzelnen Erwägungsgrund 9) und Artikel 12 "rescEU" (siehe hierzu im einzelnen Erwägungsgrund 10) weisen erneut in Richtung eines Paradigmenwechsels im Sinne einer Vergemeinschaftung, denn über die genannten Artikel drängt sich letztlich die Etablierung eines von der Steuerung der Mitgliedstaaten unabhängigen europäischen Katastrophenschutzsystems auf. Nach diesem System steht die EU den Mitgliedstaaten bei der Wahrnehmung ihrer Schutzverantwortung nicht länger nur zur Seite, wie es Normzweck und rechtspolitische Intention des Artikels 196 AEUV als "Unterstützungskompetenz" erfordern. Vielmehr ergibt sich die Möglichkeit, einen eigenen Katastrophenschutz zu betreiben und letztlich gleichrangig zu den primär verantwortlichen Mitgliedstaaten über eigene Kapazitäten auf EU-Ebene zu verfügen sowie selbstständig Unionsziele im Vorsorgebereich festzulegen. Damit würden wesentliche Aspekte des nationalen Katastrophenrisikomanagements und der dazugehörigen Planung beschnitten und dementsprechend ureigene Kompetenzen der Mitgliedstaaten unterlaufen werden, mit aus Sicht der Länder äußerst negativen Folgen für die dezentrale Handlungsfähigkeit der nationalen Gefahrenabwehrsysteme. Diese Leistungsfähigkeit haben die Länder und Kommunen gerade in der aktuellen Corona-Krise einmal mehr unter Beweis gestellt.
Eine solche Entwicklung vermag der Bundesrat, wie er immer wieder - zuletzt mit Stellungnahme vom 2. März 2018 (vergleiche BR-Drucksache 757/17(B) ) - verdeutlicht hat, nicht mitzutragen.
- 7. Für den Bundesrat ist die europäische Solidarität völlig unverzichtbar und er bekennt sich hierzu mit allem Nachdruck. Die Länder haben in einer Reihe von internationalen Hilfeleistungseinsätzen - innerhalb und außerhalb des Katastrophenschutzverfahrens der EU - gezeigt, dass sie zu praktischer Hilfe jederzeit bereit sind. Der Bundesrat plädiert deshalb dafür, auch zukünftig eine ausgewogene Balance zwischen der originären Verantwortung der Mitgliedstaaten für den Katastrophenschutz einschließlich der Bereithaltung der hierfür erforderlichen Ressourcen und einer wirksamen Ergänzung durch unterstützende Akte der EU und ihrer Mitgliedstaaten zu wahren.
Zu den Kernelementen des Beschlussvorschlags merkt der Bundesrat Folgendes an:
8. Zu Artikel 7: Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen
Gemäß Artikel 7 des derzeit gültigen Beschlusses Nr. 1313/2013/EU ist das Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen (Emergency Response Coordination Centre, ERCC) eingerichtet worden, welches rund um die Uhr an sieben Tagen der Woche einsatzbereit ist und den Mitgliedstaaten und der Kommission für die Verfolgung der Ziele des Unionsverfahrens zur Verfügung steht.
Dieser koordinierende Charakter des ERCC soll mit der vorgeschlagenen Neufassung erheblich ausgeweitet werden. Das Zentrum soll die Notfallmaßnahmen auf Unionsebene nicht nur koordinieren, sondern auch überwachen und Zugang zu operativen Kapazitäten sowie Analyse-, Überwachungs-, Informationsmanagement- und Kommunikationskapazitäten erhalten. Nach Ansicht des Bundesrates geht die beabsichtigte Änderung deutlich über den von der EU zu setzenden Rahmen hinaus. Eine operative Ausrichtung ist unverkennbar und tangiert damit Kernkompetenzen der Länder. Außerdem ist mangels Evaluierung des aktuellen Unionsverfahrens nicht belegt, dass Verbesserungen durch eine zentralisierte Steuerung notwendig seien oder erreicht werden könnten. Daher erweist sich dieser Eingriff der EU in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten als eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips.
9. Zu Artikel 10 und Artikel 6 Absatz 5: Katastrophenresilienzplanung (vormals "Planung der Maßnahmen") und Risikomanagement
Artikel 10 des Beschlusses 1313/ 2013/EU wurde weitestgehend umgestellt und verändert. In der bisher gültigen Fassung ist geregelt, dass die Planung der Maßnahmen zur Katastrophenbewältigung im Rahmen des Unionsverfahrens verbessert werden soll, unter anderem durch die Erstellung von Szenarien zur Katastrophenbewältigung auf der Grundlage von nationalen Risikobewertungen und einer Übersicht über bestimmte Risiken sowie durch die Kartierung von Einsatzmitteln und die Entwicklung von Plänen für die Entsendung von Bewältigungskapazitäten.
Die Neuformulierung aufgrund des Kommissionsvorschlags entfernt sich von der Planung der Maßnahmen, die im Fall einer Katastrophe zur konkreten Bewältigung ergriffen werden sollen, und will stattdessen ein System etablieren, das den Rahmen für sektorspezifische Vorsorgemaßnahmen über Gebühr in den Aufgabenbereich des Katastrophenschutzes verschiebt. Eine beabsichtigte "sektorübergreifende Resilienzplanung" soll sogenannte "Unionsziele für Katastrophenresilienz" gemäß Artikel 6 Absatz 5 des Beschlussvorschlags berücksichtigen, die von der Kommission festgelegt werden sollen, um "eine gemeinsame Ausgangsbasis für die Aufrechterhaltung systemrelevanter Funktionsbereiche der Gesellschaft angesichts der Kaskadeneffekte einer Katastrophe mit schwerwiegenden Auswirkungen und für die Gewährleistung des Funktionierens des Binnenmarkts" zu gewährleisten. Dazu soll der Kommission die Befugnis übertragen werden, erforderlichenfalls delegierte Rechtsakte zu erlassen, um die Unionsziele für Katastrophenresilienz festzulegen.
Hierzu ist der Bundesrat der Ansicht, dass eine solchermaßen vorgesehene "Resilienzplanung" weitestgehend nicht mehr zu den Aufgaben des Katastrophenschutzes zählt, sondern in die Zuständigkeit anderer Fachbereiche fällt, insbesondere in die Ressorts Umwelt, Gesundheit, Wirtschaft und Energie. National wäre eine Umsetzung einer solchen Planung mithin über die entsprechenden Ressorts der Bundesregierung zu koordinieren.
Dem Beschlussvorschlag der Kommission fehlen Instrumente, die die Arbeiten und Erkenntnisse aus anderen Politikbereichen ihres eigenen Aufgabenfelds in die Resilienzplanung einbeziehen und eine Harmonisierung herstellen, um unnötige Bürokratie zu vermeiden. Denn in vielen Fachbereichen, wie zum Beispiel Umwelt, gibt es bereits sektorspezifische Berichts- und Vorsorgepflichten, die sich aus anderen europarechtlichen Regelungen ergeben, so zum Beispiel die Seveso-III-Richtlinie 2012/18/EU vom 4. Juli 2012 zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen. Das nationale Umsetzungsgesetz umfasste Änderungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG), des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sowie des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes. Die Störfall-Verordnung (12. Verordnung zum BImSchG) und die 9. BImSchV (Verordnung über das Genehmigungsverfahren) wurden ebenfalls neu gefasst. Daran lässt sich erkennen, wie wichtig es ist, dass eine genaue Zuordnung von Fachkompetenzen erfolgt und durch die beabsichtigte Neufassung des Unionsverfahrens nicht neue Berichtspflichten für Fachbehörden entstehen, die mit denen anderer Regelungswerke nicht abgestimmt sind. Eine Zentralisierung von Planungsmaßnahmen im Vorsorgebereich durch die Generaldirektion ECHO der Kommission liefe den an sich zuständigen Fachsträngen zuwider.
10. Zu Artikel 12: rescEU
Bereits im November 2017, als die Kommission den letzten Beschlussvorschlag zur Verabschiedung des derzeit gültigen Katastrophenschutzverfahrens der EU vorgelegt hatte, war die Schließung vermeintlicher Kapazitätslücken durch den Aufbau von rescEU vorgesehen: Durch den damaligen Beschlussvorschlag wäre die Kommission befähigt worden, selbst in den Bereichen der Waldbrandbekämpfung aus der Luft, der Bewältigung chemischer, biologischer, radiologischer und nuklearer Vorfälle und der medizinischen Notfallbewältigung Kapazitäten anzuschaffen und damit eigene Katastrophenschutzeinheiten aufzustellen, die im Fall der Überlastung nationaler Einheiten von der Kommission hätten entsandt werden können. Diese Planungen konnten sich seinerzeit in den Ratsverhandlungen allerdings nicht durchsetzen. Der Bundesrat hatte mit Stellungnahme vom 2. März 2018 frühzeitig darauf hingewiesen, dass die Errichtung eigener Ressourcen der Union die Grundlage eines Einstiegs in operative Kompetenzen darstelle und keinesfalls akzeptabel sei (vergleiche BR-Drucksache 757/17(B) ). Stattdessen wurde ein Kompromiss gefunden, demzufolge die rescEU-Kapazitäten durch die Mitgliedstaaten erworben, gemietet oder geleast werden (Löschflugzeuge zur Waldbrandbekämpfung, Hochleistungspumpen, städtische Suche und Rettung, Feldlazarett und notfallmedizinische Teams).
Zu diesem Zweck kann die Kommission derzeit den Mitgliedstaaten direkte Finanzhilfen gewähren (Ko-Finanzierungsquoten zwischen 80 Prozent bis 90 Prozent, maximal 100 Prozent für die Kapazitäten für die Bewältigung von Szenarien von geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, aber mit hoher Schadenswirkung). Erwirbt die Kommission rescEU-Kapazitäten im Namen der Mitgliedstaaten, so kommt das gemeinsame Beschaffungsverfahren zur Anwendung.
Mit Artikel 12 des Beschlussvorschlags wird nun erneut angestrebt, dass auch die Kommission selbst rescEU-Kapazitäten erwerben, mieten, leasen und/oder anderweitig beschaffen könnte. Zudem soll die Förderquote von 80 Prozent bis 90 Prozent abgeschafft, stattdessen soll die Anschaffung der rescEU-Kapazitäten durch die Mitgliedstaaten voll zu 100 Prozent von der EU finanziert werden. Gerade diese Finanzierung zu in den meisten Fällen maximal 90 Prozent war im letzten Verhandlungsverfahren im Rat von außerordentlicher Wichtigkeit zum Finden eines Kompromisses.
Die damit ersichtliche, erneut beabsichtigte Übertragung von Entscheidungs-, Durchführungs- und Finanzierungskompetenzen auf die EU-Ebene begegnet durchgreifenden Bedenken, weil die Kompetenzen der EU nach dem Vertrag von Lissabon weit überdehnt werden. Eine ganzheitliche Betrachtung des Beschlussvorschlags der Kommission zu Artikel 12 lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Kommission wieder versucht, eine Rollenverteilung vorzunehmen, die im bereits beschriebenen Regelungsgehalt und Normzweck des Artikels 196 AEUV keine Stütze findet.
Betrachtet man das Vorhaben "eigene Beschaffung durch die Kommission" mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität, ergeben sich aus Sicht des Bundesrates durchgreifende Zweifel daran, dass die EU durch den Einsatz eigener Kapazitäten Katastrophen effizienter bekämpfen könnte als die betroffenen Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung. In jedem Fall hat es die EU versäumt, einen entsprechenden Nachweis zu führen. Ein allgemeiner und pauschaler Verweis auf die aktuelle Pandemielage reicht keinesfalls aus. Es handelt sich dabei um eine Gesundheitslage und nicht um eine Katastrophenschutzlage. Das bedeutet, dass zur Vorbereitung einer besseren Bewältigungskompetenz im gesundheitsbehördlichen Bereich Änderungen durchgeführt werden müssen (Beschaffung, Prüfung und Lagerung von Schutzausrüstung; Aufstockung von Intensivbetten und Beatmungsgeräten; Schulung des Fachpersonals; Transport von medizinischen Gütern und so weiter): Bei einer Pandemievorsorgeplanung handelt es sich nicht um Katastrophenschutzmaßnahmen, sondern um eine fachgebundene Vorsorgepflicht. Dieser Grundsatz wird unter anderem richtigerweise in Erwägungsgrund 9 der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. April 2020 aufgegriffen (Kapitel "Europäische Solidarität und Maßnahmen im Gesundheitswesen"), um besser auf jegliche Arten von Gesundheits- oder Sanitärkrisen auf Unionsebene vorbereitet zu sein und diese besser gemeinsam koordinieren zu können.
Die Heranziehung einer einzelnen, wenn auch sehr gravierenden Krisenlage wie der Coronakrise ist trotz des schwerwiegenden Verlaufs nicht geeignet, einseitig das europäische Katastrophenschutzverfahren als Ganzes zu vergemeinschaften. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass das System, welches nach intensiven Verhandlungen im März 2019 verabschiedet wurde und sich im Moment noch in der Aufbauphase befindet, für andere Krisenszenarien nicht ausreichend wäre. So wurde die Flotte von rescEU-Löschhubschraubern und Löschflugzeugen in kürzester Zeit sukzessive und nachhaltig aufgebaut: Es gibt mittlerweile 16 kofinanzierte Löschflugzeuge und sechs Löschhubschrauber in der EU als rescEU-Kapazitäten. Einen Beleg für ein Versagen auf der Ebene der Mitgliedstaaten für alle denkbaren Katastrophenfälle hat die Kommission nicht dargelegt. An einer tragfähigen, mit abgesicherten Erkenntnissen angereicherten Bewertungsgrundlage fehlt es. Den Erfordernissen des Subsidiaritätsprinzips als allgemeines Handlungsprinzip der EU - getragen letztlich von der Zielsetzung, Entscheidungen in der EU möglichst bürgernah zu treffen - wird hier nach Überzeugung des Bundesrates durch den vorgelegten Kommissionsvorschlag nicht ausreichend Rechnung getragen.
Auch hat der Bundesrat die Sorge, dass rescEU-Kapazitäten der Kommission oder die Vollfinanzierung durch die EU in den Mitgliedstaaten ein falsches Signal setzen und dazu führen könnten, dass die zwingend erforderlichen eigenen Anstrengungen zum Aufbau notwendiger Ressourcen vernachlässigt oder gar unterlassen werden könnten.
- 11. Gleichwohl begrüßt der Bundesrat die Bemühungen der Kommission und erkennt diese an, spezifisch auf dem Gebiet der besseren Pandemievorsorge eine Resilienzstrategie zu entwerfen und Vorsorgeplanungen auf europäischer Ebene voranzutreiben, damit anlässlich einer erneuten Krise eine schnellere Krisenbewältigung erfolgen und dem Solidaritätsgedanken stärker Rechnung getragen werden kann. Anstelle einer erneuten grundlegenden Umgestaltung des EU-Katastrophenschutzverfahrens in kurzer Frist bedarf es dafür aber zunächst einer zügigen und kritischen Analyse von notwendigen Verbesserungs- potenzialen, insbesondere im Gesundheitsbereich, und deren Ursachen. Um dem derzeit größten Risiko - einer zweiten pandemischen Welle im Verlauf dieses Jahres - effektiv begegnen zu können, sollten darüber hinaus kurzfristige Handlungsmöglichkeiten im gegebenen Kompetenzrahmen und auf der Basis freiwilliger Zusammenarbeit entwickelt werden. So könnten unter anderem gemeinsame Beschaffungen auf europäischer Ebene, wettbewerbsrechtliche Maßnahmen im Zusammenhang mit Mangelressourcen und Absprachen zur grenzüberschreitenden Unterstützung der Mitgliedstaaten untereinander forciert werden. Wünschenswert wäre hierfür ein Europäischer Aktionsplan zur Bekämpfung der fortgesetzten Corona-Pandemie, der von der Kommission auch ressort- und politikfeldübergreifend angelegt werden sollte.
Auf dieser Grundlage erscheint es dann auch sinnvoll, mehr Ressourcen für den gesundheitlichen Bevölkerungsschutz und - soweit erforderlich - auch für den europäischen Katastrophenschutz zu mobilisieren; dies wird von den Ländern ausdrücklich unterstützt. Hingegen sollten sich etwaige Struktur- und Rechtsänderungen erst aus einem erweiterten substanziellen Evaluations- und Konsultationsprozess ableiten. Ansatzpunkte dafür bietet aus Sicht des Bundesrates insbesondere ein verbesserter notfallbezogener Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten, wie er in der Hochphase der Corona-Krise über das Infektionsgeschehen und über die gewonnenen medizinischen Erkenntnisse sinnvoll gewesen wäre. Dies setzt sich außerhalb der Krise fort; hierzu könnte zum Beispiel auch das Europäische Wissensnetz nach Artikel 13 des Beschlussvorschlags einen wichtigen Beitrag leisten. Darüber hinaus zeigt gerade die Corona-Krise, dass systemische Krisen und deren Vorsorge keine primären Themen des Katastrophenschutzes darstellen, sondern sich dessen Beitrag auf akute Rettungs-, Unterstützungs- und Versorgungsleistungen beschränken muss. Eine nachhaltige Krisenbewältigung muss umso mehr von vornherein interdisziplinär angelegt sein und sich auf die jeweilige Ressortverantwortung stützen. Auch auf europäischer Ebene bedarf es daher einer sektorübergreifenden Resilienzstrategie als Gemeinschaftsaufgabe aller Politikbereiche. Das benannte Wissensmanagement im Rahmen des Katastrophenschutzverfahrens kann hierzu funktional beitragen, indem etwa szenariobezogen und im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen die Verfügbarkeit von Mangelressourcen im europäischen und internationalen Maßstab stetig beobachtet und hierzu erforderlichenfalls Empfehlungen formuliert werden.
- 12. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, diese Stellungnahme bei der Festlegung der Verhandlungsposition gemäß § 5 Absatz 2 Satz 1 EUZBLG maßgeblich zu berücksichtigen, da der Katastrophenschutz nach dem Grundgesetz allein in der Gesetzgebungskompetenz der Länder liegt und daher die vorgeschlagenen Maßnahmen im Schwerpunkt diese Gesetzgebungsbefugnisse betreffen.
- 13. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
B
- 14. Der Finanzausschuss, der Gesundheitsausschuss und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.