Der Bundesrat hat in seiner 989. Sitzung am 15. Mai 2020 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission mit dem Weißbuch zur Künstlichen Intelligenz und den Mitteilungen zur Digital- und Datenstrategie wichtige Impulse zur Frage, wie wir in Europa gemeinsam die Digitalisierung nach europäischen Werten, Grundrechten und Vorschriften gestalten, gesetzt hat.
Er begrüßt zudem, dass auch die Kommission in ihrer Datenstrategie den Zugang zu Daten in den Blick nimmt.
Der Bundesrat nimmt das Ziel der Schaffung eines europäischen Datenbinnenmarktes zur Kenntnis.
- 2. Der Bundesrat begrüßt die in der europäischen Datenstrategie beschriebenen Maßnahmen und regt an, zielstrebig und zügig das in der Zielvorstellung im Hinblick auf Datenpools beschriebene Verfahren zu etablieren, damit ein souveräner und sicherer Datenzugang und -austausch im europäischen Binnenmarkt Verbreitung findet.
- 3. Er verweist aber zugleich darauf, dass das derzeit bestehende Spannungsfeld zwischen Maschinendaten, anonymisierten Daten und personenbezogenen, wenngleich pseudonymisierten Daten einer weiteren Klärung zuzuführen ist.
- 4. Der Bundesrat kritisiert, dass kritische Fragen zwischen der Nutzung von Daten und deren notwendiger Anonymisierung in der Datenstrategie nicht ausreichend thematisiert werden.
Er bekräftigt, dass die geplante Einrichtung von gemeinsamen europäischen Datenräumen transparent und wertekonform unter Wahrung der Länderkompetenzen zu erfolgen hat.
- 5. Bei der Etablierung eines Rechtsrahmens für die Governance gemeinsamer europäischer Datenräume spricht sich der Bundesrat dafür aus, die Datensouveränität des Datengebers und die Freiwilligkeit der Mitwirkung an der Datenwirtschaft in den Mittelpunkt zu stellen.
- 6. Der Bundesrat hält es für richtig, kein allgemeines Datenzugangsrecht zu etablieren, sondern - sofern der Markt es erfordert - sektorspezifisch zu regulieren, um Wettbewerber nicht gänzlich auszuschließen (zum Beispiel EU-Vorschriften für die Typgenehmigung von Fahrzeugen). Soweit die Kommission prüft, derartige Regulierungen auf weitere Dienste auszuweiten, bittet der Bundesrat darum, dies stets unter Abwägung des Grundgedankens der Datensouveränität und der Vertragsautonomie zu tun.
- 7. Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen können müssen, dass ihre Rechte sowohl bei der Speicherung und Verarbeitung ihrer Daten als auch bei der Interaktion mit algorithmischen Entscheidungssystemen gewahrt werden und diskriminierende Effekte so weit wie möglich ausgeschlossen sind.
- 8. Er betont, dass die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Datenwirtschaft das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in einen verantwortungsvollen Umgang mit ihren Daten und die Beachtung datenschutzrechtlicher Grundprinzipien wie Freiwilligkeit, Transparenz und Datensparsamkeit voraussetzt. Er bittet, dafür Sorge zu tragen, dass die berechtigten Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher ausreichend berücksichtigt werden. Verbraucherinnen und Verbraucher sind vor einer umfassenden Kontrolle ihres persönlichen Lebensbereichs und ihres Verhaltens sowie unangemessenen Diskriminierungen zu schützen.
- 9. Der Bundesrat stellt fest, dass das Recht des Einzelnen in der Datenstrategie an vielen Stellen hervorgehoben wird.
Die Stärkung der Rechte Einzelner und die Rechtsvorschriften zum Schutz der Privatsphäre sollten daher ebenso berücksichtigt werden wie die Interessen der Wirtschaft auf Nutzung der Datenströme.
Grundsätzlich sollte deshalb darauf geachtet werden, dass durch Regelungen, die das Recht des Einzelnen stärken, datengetriebene Geschäftsmodelle nicht verhindert oder unverhältnismäßig erschwert werden.
- 10. Die von der Bundesregierung eingesetzte Datenethikkommission hat festgestellt, dass der Einzelne durch die Anzahl und Komplexität der ihm abverlangten Entscheidungen bezüglich einer datenschutzrechtlichen Einwilligung ebenso wie durch die Unabschätzbarkeit aller Auswirkungen einer Datenverarbeitung systematisch überfordert wird. Dieser "unsachgemäße Umgang mit Einwilligungen" sei eine Ursache für den digitalen Vertrauensverlust. Der Bundesrat teilt diese Einschätzung und spricht sich für praxisgerechte und datenschutzkonforme Lösungen aus, die den Einzelnen zur Kontrolle seiner Daten befähigen. Er bittet zu prüfen, ob beispielsweise Datenmanagement- oder Datentreuhandmodelle einen Beitrag hierzu liefern können.
- 11. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass gesetzliche Regelungen, die die Verarbeitung personenbezogener Daten von Verbraucherinnen und Verbrauchern ohne Einwilligung der oder des Betroffenen zulassen oder gar vorschreiben, auf wenige Ausnahmen, die aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls notwendig sind, beschränkt bleiben müssen. Dies gilt insbesondere für Datenerfassungen in den Bereichen Gesundheit, Mobilität und Energie.
- 12. Er äußert Bedenken, ob eine unbegrenzte Generaleinwilligung in eine Nutzung personenbezogener Daten, wie sie die Kommission unter dem Begriff des "Datenaltruismus" erwägt, mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und den Anforderungen an eine selbstbestimmte, informierte Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten vereinbar ist.
- 13. Der Bundesrat betont, dass bei der Verwendung personenbezogener Daten durch mehrere Nutzer in sogenannten Datenräumen der Grundsatz der Zweckbindung weiterhin Geltung beansprucht und zur Sicherstellung der Rechte des Betroffenen eine gesamtschuldnerische Verantwortung aller Datennutzerinnen und Datennutzer erforderlich sein kann.
- 14. Auch bei Fahrzeugdaten müssen der Schutz personenbezogener Daten, der Schutz der Privatsphäre und die Sicherheit vor externen Angriffen und Manipulationen gewährleistet sein. Bei der Preisgabe der Daten muss die Freiwilligkeit gewahrt bleiben und die Einwilligung der oder des Betroffenen vorliegen. Der Bundesrat bittet daher um Prüfung, wie auf europäischer Ebene ein konkretisierender und rechtssicherer Rahmen geschaffen werden kann, der dem Einzelnen die Kontrolle über die Verwendung seiner personenbezogenen Daten ermöglicht.
- 15. Der Bundesrat bekräftigt im Übrigen den von den Verbraucherschutzministerinnen und -ministern (15. Verbraucherschutzministerkonferenz am 24. Mai 2019 in Mainz, TOP 20, Ziffer 3, letzter Satz) einstimmig gefassten Beschluss, demzufolge die Nutzung von Fahrdaten zu Zwecken der Strafverfolgung weiterhin möglich sein soll.
- 16. Zum Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern hält es der Bundesrat für erforderlich, bei der Nutzung von Gesundheitsdaten und personenbezogenen Daten im Versicherungswesen Leitlinien und Zertifizierungsverfahren zu entwickeln. Diese müssen sicherstellen, dass die Verhaltensvorgaben der Versicherer einschließlich der algorithmischen Entscheidungssysteme im Bereich der Telematiktarife fachlich geeignet sind, keine unangemessenen Diskriminierungen enthalten, einen unantastbaren Bereich der Privatsphäre und Handlungsfreiheit gewährleisten sowie dem Grundsatz der Datenminimierung entsprechen. Außerdem sollte eine kommerzielle Drittverwertung ausgeschlossen sein.
- 17. Der Bundesrat begrüßt die Feststellung, dass die digitale Kompetenz von Verbraucherinnen und Verbrauchern eine wesentliche Voraussetzung für ein verantwortungsbewusstes und risikofreies Handeln im Internet der Dinge ist. Die Kommission sollte daher ein entsprechendes Sensibilisierungskonzept für die Bürgerinnen und Bürger der EU entwickeln sowie zeitnahe Informationen zu KI und algorithmenbasierten Entscheidungen zur Verfügung stellen. Verstärkte Verbraucherbildung und Sensibilisierung darf aber nicht zur Folge haben, dass die Verantwortung gänzlich an die Verbraucherinnen und Verbraucher abgegeben wird. Sicheres und selbstbestimmtes Handeln in einer digitalisierten Umgebung verlangt vielmehr auch, dass die Anbieter digitaler Produkte und Dienstleistungen zur Herstellung verbraucher- und datenschutzfreundlicher Angebote verpflichtet werden.
- 18. Er würde es begrüßen, wenn im Zuge der Schaffung von Datenräumen unternehmerische Daten - unter Beachtung der Wahrung von Geschäftsgeheimnissen - auch für Zwecke des Verbraucherschutzes und der Verbraucherpolitik verfügbar gemacht würden, beispielsweise um die wirtschaftlichen Auswirkungen von gesetzlichen Regelungen oder bestimmten Geschäftsmodellen besser bewerten zu können.
- 19. Die Datenstrategie beschreibt viele sinnvolle Maßnahmen, wie die Schaffung europäischer Datenräume oder eines europäischen Marktplatzes. Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass diese Maßnahmen nur zielführend und koordiniert forciert werden können, wenn die Verantwortung für ihre Umsetzung in geeigneter Weise institutionalisiert wird.
- 20. Der Bundesrat bittet darum, dass neben bisher unerschlossenen Märkten bestehende Märkte in der Datenstrategie mehr Beachtung finden. Es sollten auch weiterhin Bemühungen zur Änderung des Status quo erfolgen; die Fokussierung auf neue Märkte sollte nicht dazu führen, dass die marktbeherrschende Stellung einiger weniger Marktteilnehmer zementiert wird. Ansonsten könnte eine marktbeherrschende Stellung in bestehenden Märkten dazu führen, dass auch in derzeit unerschlossenen Bereichen bereits ein Vorsprung (Wissen, Technologie, Datenbasis) dieser Akteure besteht. Der europäische Weg soll den Austausch und die breite Nutzung von Daten mit der Einhaltung hoher Schutzstandards (Datenschutz, Sicherheit, Ethik) verbinden.
- 21. Die benannte Schlüsselmaßnahme zur digitalen Kompetenz zielt auf die Stärkung der Kontrolle des Einzelnen in Bezug auf maschinengenerierte Daten ab. Die - nicht als Schlüsselmaßnahme aufgeführte - Gewinnung von Fachkräften im Bereich Big Data und die Befähigung von Unternehmen dürfen nach Ansicht des Bundesrates nicht in den Hintergrund rücken.
- 22. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass das Thema "Open Source" in die Strategie aufgenommen wird. Durch offene Software können Bürgerinnen und Bürger die Verarbeitung von Daten nachvollziehen. Offene SoftwareBibliotheken senken die Einstiegshürde für KMUs zur Erbringung neuartiger Dienstleistungen auf Basis von Daten.
- 23. Er empfiehlt, im Sinne einer kurzen Umsetzungszeit und aus Skalierungsgründen weitestgehend auf bestehende Initiativen und Standards wie "International Data Spaces" oder "Trusted Cloud" zurückzugreifen.
- 24. Mit den "International Data Spaces", die einen Kern der Initiative GAIA-X bilden, stehen viele wichtige Komponenten der Dateninfrastruktur zur Verfügung. Der Bundesrat regt an, diese schnellstmöglich mit weiteren europäischen "Use-Cases" voranzutreiben und auszudehnen.
- 25. Der Bundesrat weist darauf hin, dass dem Thema Nachhaltigkeit und Datensparsamkeit in der Digitalisierung mehr Wert beigemessen werden muss. Schon jetzt wird der Beitrag des IKT-Sektors am weltweiten Stromverbrauchs auf 5 bis 9 Prozent geschätzt. Hier gilt es, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, wie beispielsweise ein Recht auf Reparatur für technologische Geräte, Verlängerung der Haltbarkeit und Möglichkeiten zur Beschaffung von Ersatzteilen, um ihre Lebenszeit zu verlängern.
- 26. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.