990. Sitzung des Bundesrates am 5. Juni 2020
A
Der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik (AIS), der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (U) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat nimmt den Vorschlag für ein Europäisches Klimagesetz zur Kenntnis.
- 2. Der Bundesrat begrüßt den Vorschlag für ein Europäisches Klimagesetz.
- 3. Im Zusammenhang mit dem europäischen Grünen Deal stellt die Vorlage einen entscheidenden Schritt hin zu Klimaneutralität, zur Verbindlichkeit der EU-Klimapolitik und zur Rolle Europas als globales Vorbild in der Klimaschutzpolitik dar.
- 4. Der Bundesrat erinnert daran, dass die EU-Mitgliedstaaten sich im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens zu Klimaneutralität verpflichtet haben.
- 5. Sowohl das Europäische Parlament als auch der Europäische Rat haben das langfristige Ziel, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen, gebilligt. Der Bundesrat begrüßt, dass das Ziel der Klimaneutralität der Union bis 2050 und die Anpassung an den Klimawandel nun erstmals im europäischen Recht verankert und gleichzeitig ein Beitrag zur Umsetzung des Klimaschutzabkommens von Paris geleistet werden soll.
- 6. Der Bundesrat bekräftigt die Ergebnisse von Paris und die Verpflichtung, die globale Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. Er unterstützt insofern die Anstrengungen der Kommission, die europäische Klimapolitik an einem ambitionierten Zielhorizont auszurichten und bis 2050 Treibhausgasneutralität zu erreichen.
- 7. Der Bundesrat begrüßt daher, dass der Verordnungsvorschlag verbindliche Ziele festlegt und nicht nur CO₂-Emissionen, sondern sämtliche Treibhausgase und deren Senken betrachtet.
- 8. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die Anhebung der EU-Zielvorgabe bis September 2020 für die Treibhausgasreduktion bis 2030 auf mindestens 50 Prozent und angestrebte 55 Prozent gegenüber 1990 im Vorschlag genannt ist. Er stellt fest, dass die geplante Anhebung des EU-Ziels für das Jahr 2030 nicht dem aktuellen Stand der Klimawissenschaften entspricht und demnach ambitionierter ausfallen muss, um das 1,5 Grad Ziel erreichen zu können. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, ein höheres Ambitionsniveau zu prüfen und sich entsprechend in den Verhandlungen dafür einzusetzen.
- 9. Der Bundesrat hält es allerdings für unerlässlich, dass die Zielvorgaben realistisch und erreichbar sind. Vor diesem Hintergrund ist es unverzichtbar, dass die nach Artikel 2 Absatz 3 des Verordnungsvorschlags vorgesehene Überprüfung des europäischen Klimaschutzziels für das Jahr 2030 sehr sorgfältig durchgeführt wird. Sofern die Kommission eine Erhöhung dieses Ziels von derzeit 40 Prozent Treibhausgasreduktion auf 50 bis 55 Prozent vorschlägt, muss sie auch aufzeigen, wie dieses Ziel erreicht werden kann und welche Belastungen damit für Bürgerinnen und Bürger sowie Wirtschaft verbunden sind.
- 10. Für den Fall, dass die Kommission die Verantwortung für die Erreichung eines höheren Klimaschutzziels durch den europäischen Emissionshandel und die EU-Lastenteilung auf die in den Emissionshandel einbezogenen Unternehmen und die Mitgliedstaaten überträgt, müssen aus Sicht des Bundesrates mögliche Auswirkungen einer Erhöhung des Minderungsziels auf die verschiedenen Sektoren und die Mitgliedstaaten in einer umfassenden Folgenabschätzung detailliert dargestellt werden. Hierbei ist insbesondere auch die Rolle innovativer klimaverträglicher Technologien zu berücksichtigen. Es gilt zudem darauf zu achten, dass die dabei entstehenden Anforderungen gleichmäßig auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt und keine Ziele festgelegt werden, die trotz großer Anstrengungen nicht erreichbar sind.
- 11. Der Bundesrat weist darauf hin, dass es bereits erheblicher zusätzlicher Anstrengungen bedarf, um das im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegte Minderungsziel von 55 Prozent bis zum Jahr 2030 zu erreichen. Eine Erhöhung des europäischen Klimaschutzziels um 15 Prozent würde zur Folge haben, dass das deutsche Klimaschutzziel entsprechend auf etwa 70 Prozent erhöht werden müsste. Bevor eine solche Verpflichtung auf europäischer Ebene übernommen werden kann, muss die Bundesregierung einen Weg aufzeigen, wie dieses Ziel erreicht werden kann und welche Auswirkungen dies auf Bürgerinnen und Bürger sowie Wirtschaft hätte.
- 12. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich bei der Kommission dafür einzusetzen, dass die Prüfung und Bewertung der zu ändernden Rechtsvorschriften für die notwendige Anhebung des 2030er Klimaziels nicht erst bis zum 30. Juni 2021 erfolgen sollte. Er bittet die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass die Bewertung der Rechtsvorschriften beschleunigt wird, damit die Anhebung des Klimaschutzziels für 2030 zeitnah rechtlich verbindlich erfolgen kann.
- 13. Der Bundesrat empfiehlt, im Klimaschutzgesetz ein weiteres Zwischenziel für das Jahr 2040 festzulegen. Ambitionierte Zwischenziele sind notwendig, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zuverlässig erreichen zu können. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass die Reduktionsziele nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen regelmäßig überprüft werden, anhand des Emissionsbudgets ausgerichtet und die benötigten Zwischenziele 2030 und 2040 entsprechend ausgestaltet werden.
- 14. Der Bundesrat betont, dass der Abbau von direkten und indirekten umwelt- und klimaschädlichen Subventionen in allen Sektoren und die Beendigung der Förderung auf fossile Energieträger ausgerichteter Infrastrukturen Bestandteil eines wirksamen Instrumentenmixes sein müssen, um Klimaneutralität erreichen zu können.
- 15. Der Bundesrat unterstützt die Zielstellung der Kommission, Unternehmen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmers, Investoren sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern Sicherheit zu vermitteln und ihr Vertrauen zu stärken, dass die Union sich für sie ebenso engagiert wie für Transparenz und Rechenschaftspflicht.
- 16. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission Werte wie Fairness und Solidarität zwischen und in den Mitgliedstaaten bei den gemeinsamen Anstrengungen zur Verwirklichung des Ziels der Klimaneutralität in den Mittelpunkt stellt. Solidarität ist ein Wert, auf den sich die Union gründet (Artikel 2 EUV). Ziel der Union ist es, ihre Werte zu fördern (Artikel 3 EUV). Die Werte werden damit Richtschnur allen Handelns der Union; in besonderem Maße gilt dies für die Gesetzgebung, durch welche die Werte als Zielbestimmungen die notwendige Konkretisierung erfahren. Gleichzeitig sollten die Rechtsvorschriften der Union verständlich und klar formuliert und so gestaltet sein, dass sie den Parteien ein leichtes Verständnis ihrer Rechte und Pflichten ermöglichen, wie in der interinstitutionellen Vereinbarung vom 13. April 2016 über bessere Rechtsetzung niedergelegt. Aus Sicht des Bundesrates gilt dies aufgrund ihrer unmittelbaren Geltung in besonderem Maße für Verordnungen der Union, die dementsprechend eine hinreichende Bestimmtheit aufweisen sollten.
- 17. Der Bundesrat stellt fest, dass die zuständigen Organe der Union und der Mitgliedstaaten bei der gemeinsamen Verwirklichung des Ziels der Klimaneutralität gemäß Artikel 2 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags die Bedeutung der Förderung von Fairness und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten berücksichtigen sollen. Ferner soll die Kommission bei der Festlegung des Zielpfades gemäß Artikel 3 Absatz 3 des Verordnungsvorschlags Fairness und Solidarität zwischen und in den Mitgliedstaaten berücksichtigen. Der Bundesrat würde es begrüßen, wenn die entsprechenden Bestimmungen im Sinne der interinstitutionellen Vereinbarung präzisiert und damit gleichzeitig die genannten Werte die notwendige Konkretisierung erfahren könnten.
- 18. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, in den weiteren Verhandlungen darauf hinzuwirken, dass der Verordnungsvorschlag im Hinblick auf die Maßgaben des Artikels 191 Absatz 3 AEUV präzisiert wird, wonach die Union bei der Erarbeitung ihrer Umweltpolitik auch die Vorteile und Belastungen aufgrund des Tätigwerdens, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Union insgesamt sowie die ausgewogene Entwicklung ihrer Regionen berücksichtigt. Im Verordnungstext selbst finden sich hierzu keine aussagekräftigen Maßgaben. In Erwägungsgrund 15 werden zwar einzelne Gesichtspunkte benannt, unter denen dem Beitrag des Übergangs zur Klimaneutralität Rechnung getragen werden sollte, ohne jedoch zu beschreiben, wie und anhand welcher Parameter diese messbar gemacht und nachvollziehbar ermittelt, gestaltet und überwacht werden sollen.
- 19. Hinzu kommt, dass der Kommission die Befugnis übertragen werden soll, delegierte Rechtsakte zu erlassen, in denen sie auf Unionsebene einen Zielpfad festlegt, mit dem das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 verwirklicht werden soll. Delegierte Rechtsakte sollen auf wirksame und transparente Weise verwendet werden. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, in den weiteren Verhandlungen auch vor diesem Hintergrund darauf hinzuwirken, dass die Kriterien, welche die Kommission bei der Festlegung des Zielpfades berücksichtigt, im Lichte des Artikels 191 Absatz 3 AEUV und des Erwägungsgrundes 15 weiter ergänzt und präzisiert werden. Auch stellt sich die Frage, ob die Aufzählung in Artikel 3 Absatz 3 des Verordnungsvorschlags tatsächlich abschließend zu verstehen sein soll.
- 20. Der Bundesrat ist sich mit der Kommission einig, dass der Übergang zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Wirtschaft fair und sozial gerecht gestaltet werden muss und dass dies eine regelmäßige Überwachung erfordert. Er teilt die Einschätzung der Kommission, dass der ökologische Wandel erhebliche gezielte Investitionen und tiefgreifende Strukturreformen erfordert. Der Bundesrat begrüßt daher, dass die Kommission im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 11. Dezember 2019 regelmäßige Abschätzungen der ökologischen und sozioökonomischen Folgen bzw. Auswirkungen des Übergangs zur Klimaneutralität entwickeln und vornehmen wird, in denen sie auch auf den Investitionsbedarf und notwendige Strukturreformen für die Bewältigung dieser Folgen eingeht. Der Bundesrat hält dies für die Realisierung eines fairen und sozial gerechten Übergangs, der tatsächlich niemanden zurücklässt, für so bedeutsam, dass er sich aufgrund der untrennbaren Verknüpfung mit dem Ziel der Klimaneutralität der Union bis 2050 für eine Verankerung der regelmäßigen ökologischen und sozioökonomischen Überwachung im Verordnungstext ausspricht.
- 21. Dem Europäischen Klimagesetz zufolge bewertet die Kommission jeden Entwurf einer Maßnahme oder eines Legislativvorschlags vor der Annahme im Lichte des durch den Zielpfad ausgedrückten Ziels der Klimaneutralität und nimmt ihre Analyse in die Folgenabschätzungen auf. Der Bundesrat würde es begrüßen, wenn in diesem Zuge jeweils eine umfassende Nachhaltigkeitsprüfung erfolgen könnte, welche die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der geplanten Maßnahme oder des Legislativvorschlags gleichermaßen bewertet.
- 22. Insbesondere mit Blick auf die derzeitige gesundheitliche, soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Krise durch die COVID-19-Pandemie muss eine notwendige Transformation der Wirtschaft hin zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit besonders bedacht werden. Zum einem muss an der Anhebung des Klimaziels für 2030 festgehalten werden. Zum anderen sollten die geplanten mittel- und längerfristigen Hilfsmaßnahmen für die Wirtschaft durch die EU und ihre Mitgliedstaaten nicht nur konjunkturelle Impulse auslösen, sondern auch auf das Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens und der Klimaneutralität in Europa ausgerichtet werden. Ein wichtiger Schritt ist, dass Unternehmen, die Konjunkturhilfen empfangen, sich zum Ziel der Klimaneutralität 2050 bekennen. Die zukünftigen Konjunkturhilfen sollten daher den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger befördern und dürfen diese nicht weiter unterstützen.
B
- 23. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union, der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz und der Ausschuss für Kulturfragen empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.