Der Bundesrat hat in seiner 834. Sitzung am 8. Juni 2007 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zur Vorlage allgemein
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Initiative der Kommission, den Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente in der Umweltpolitik im Rahmen des vorgelegten Grünbuchs zu diskutieren. Grundsätzlich wird der Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente aufgrund deren Kosteneffizienz und Innovationsanreiz begrüßt. Allerdings sollte dabei stets auch der mit der Einführung und Abwicklung des Instruments entstehende administrative Aufwand berücksichtigt werden, der bei marktwirtschaftlichen Instrumenten nicht unerheblich sein kann.
- 2. Der Bundesrat weist darauf hin, dass alle Instrumente mit den Wachstums- und Beschäftigungszielen im europäischen Wirtschaftsraum (gemäß der Lissabon-Strategie) vereinbar und überdies in jedem Einzelfall sozialverträglich ausgestaltet sein müssen; erforderlichenfalls sind geeignete Ausgleichsmechanismen vorzusehen.
- 3. Er unterstützt die Absicht des Grünbuchs, weil seiner Auffassung nach diese Instrumente
- - effektiv und marktkonform gestaltbar sind,
- - dazu beitragen können, das Verursacherprinzip auf breiterer Basis anzuwenden,
- - geeignet sind, um ökologisch nachteilig wirkende Subventionen schrittweise abzubauen,
- - wichtige Anreize für den Strukturwandel und die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft setzen sowie geänderte Produktions- und Konsummuster hervorbringen, die Voraussetzung für eine Hinwendung zu einer nachhaltigen Entwicklung sind, und
- - die Anwendung anderer Instrumente der Umweltpolitik, wie das Ordnungsrecht, freiwillige Selbstverpflichtungen oder Aufklärungs- und Bildungsmaßnahmen, ergänzen, wodurch die Gemeinschaftsziele im Umweltbereich effizienter erreicht werden können.
- 4. Die Steuerung von Umweltbelangen über marktwirtschaftliche Instrumente (MBI - market based instruments) ist in Deutschland seit vielen Jahren etabliert und hat sich als effizientes Instrument mit großer Breitenwirkung bewährt. Durch die Einführung von Gebühren und Abgaben konnte der Verbrauch von Ressourcen beeinflusst und häufig sogar verringert werden (z.B. Trinkwasser, Abwasser, Abfall, Strom).
- 5. Die Bundesregierung wird gebeten, bei der Begleitung des weiteren Prozesses darauf zu achten, dass praktikable und unbürokratische Instrumente entstehen. Darüber hinaus sollte die EU aufgefordert werden, in internationalen Abkommen weiterhin auf vergleichbare Wettbewerbsbedingungen mit Nicht-EU-Mitgliedstaaten hinzuwirken.
Zu Abschnitt 4.1 insgesamt
- 6. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Mobilität nicht einseitig unter Umweltschadensaspekten betrachtet werden darf, sondern dass ihr grundlegender Beitrag zu Wertschöpfung und Wohlstand in allen Regionen der EU angemessen berücksichtigt werden muss. Hinsichtlich der erwähnten Initiativen der Kommission verweist der Bundesrat auf seine einschlägigen Beschlüsse zu den
BR-Drucksachen 590/05 (PDF) , 505/06 (PDF) , 028/07 (PDF) und 108/07 (PDF) .
Zu Abschnitt 4.1, Fragenkomplex 2
- 7. Der Bundesrat sieht in marktwirtschaftlichen Instrumenten grundsätzlich einen geeigneten Ansatz, um Individuen bzw. Institutionen durch kostenwirksame Anreize (positiv und negativ) zu einer angemessenen Berücksichtigung von Umweltgesichtspunkten zu bringen.
Diese Instrumente können bei sinnvoller Ausgestaltung, insbesondere örtlicher/zeitlicher Differenzierung nach dem Grad der Infrastrukturüberlastung und der Umweltauswirkungen, einen Beitrag zur optimalen Auslastung der bestehenden Infrastruktur leisten. Gerade für hochbelastete, sensible Gebiete werden somit maßgeschneiderte Lösungen im Sinne eines ganzheitlichen Verkehrssystems möglich.
Allerdings warnt der Bundesrat davor, mögliche Instrumente und Systeme zu kompliziert anzulegen. Insbesondere sind überzogener technischer Aufwand, unangemessene Transaktionskosten und zusätzlicher bürokratischer Aufwand zu vermeiden. Zu beachten ist auch: Eine "vernünftige" (durch Kostenanreize beeinflusste), rational abgewogene Entscheidung der Verkehrsnachfrager setzt voraus, dass bestimmte Grenzen der Nachvollziehbarkeit und Komplexität nicht überschritten werden.
- 8. Eine technokratische Regulierung der Nachfrage mit komplex gestaffelten Gebühren dürfte die meisten privaten Verbraucherinnen und Verbraucher in ihrer Mobilitätsplanung unangemessen überfordern und würde vor allem ärmere Haushalte überproportional benachteiligen.
- 9. Der Bundesrat erachtet die Vorschriften der novellierten EG-Wegekostenrichtlinie zur verpflichtenden Mautspreizung nach Emissionsklassen, wie sie in Deutschland seit Einführung der Autobahnmaut für schwere Nutzfahrzeuge praktiziert wird, sowie zur fakultativen Differenzierung u. a. zur Bekämpfung von Umweltschäden und Verkehrsüberlastung als begrüßenswertes Beispiel für marktwirtschaftliche Instrumente.
- 10. Er ist der Auffassung, dass das von der Kommission vorzulegende Modell für die Internalisierung externer Kosten im Verkehrssektor eine Unterscheidung zwischen solchen Kosten, die annähernd proportional zum Energieverbrauch entstehen (z.B. CO₂-Emissionen), und anderen Kosten, die eher durch die Fahrleistung determiniert werden (z.B. Lärmemissionen), vornehmen sollte.
- 11. Der Bundesrat hält die Erhebung von Mineralölsteuern und anderen Verbrauchssteuern auf Kraftstoffe für einen bewährten, einfachen und wirksamen Weg, um den Straßenverkehr zur Finanzierung der von ihm verursachten gesellschaftlichen, auch ökologischen Kosten heranzuziehen. Obwohl es sich bei diesen Steuern um allgemeine Verbrauchssteuern und nicht um Straßenbenutzungsgebühren handelt, erfüllen sie der Sache nach den gewünschten Steuerungseffekt.
- 12. Die verbrauchsproportionalen externen Kosten sind durch das bewährte, einfache und wirksame Instrument der Verbrauchssteuern abzudecken. Zur Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes ist eine europaweite Harmonisierung der Mineralölsteuersätze erforderlich. Auf diese Weise können durch die Eindämmung des grenzüberschreitenden "Tanktourismus" auch unmittelbare ökologische Wirkungen erzielt werden. Der Bundesrat fordert hier ein entschlosseneres Vorgehen und verweist auf seine Stellungnahme zum Richtlinienvorschlag KOM (2007) 52 endg. in BR-Drucksache 196/07(B) .
- 13. Soweit durch die Internalisierung externer Kosten dem Staat oder dem Infrastrukturbetreiber Mehreinnahmen zufließen, sind diese mit dem Ziel einer Minimierung der verkehrsbezogenen Umweltbelastungen im Verkehrssektor zu reinvestieren. Dies trägt zu einem effektiven und umweltfreundlichen Gesamtverkehrssystem bei. Die Verwirklichung des Transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) sollte hierbei mit Priorität verfolgt werden, damit Europa über eine Infrastruktur verfügt, die den Anforderungen des globalen Wettbewerbs gerecht wird.
Zu Abschnitt 4.1, letzter Absatz 14.
- Der Bundesrat weist darauf hin, dass die EU über keine Kompetenz verfügt, um im Wege von Rechtsvorschriften auf lokale Gebührensysteme ("City-Maut") hinzuwirken (vgl. BR-Drucksache 173/04(B) sowie die Mitteilung der Kommission über eine thematische Strategie für die städtische Umwelt - KOM (2005) 718 endg., BR-Drucksache 032/06 (PDF) , Abschnitt 3 -). Auch außerhalb von Städten besteht kein Bedarf für eine europäische Regelung von Straßenbenutzungsgebühren für Pkw. Deshalb fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, bei der Kommission darauf hinzuwirken, dass im Rahmen des angekündigten Grünbuchs zum städtischen Nahverkehr von "Unterstützungsmaßnahmen" abgesehen wird, die über einen Informationsaustausch über gelungene Beispiele hinausgehen.
Zu Abschnitt 4.2.2
- 15. Ein Element des vorgelegten Grünbuchs ist das Abfallmanagement und die Überlegung zu EU-weiten Mindestsätzen für eine harmonisierte Deponiesteuer. In diesem Zusammenhang bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich bei der Kommission und im Rat für eine schnelle Einführung eines Verbots der Ablagerung unbehandelter Abfälle, wie es seit Juni 2005 in Deutschland gilt, einzusetzen. Die Einhaltung entsprechender Anforderungen würde gleichzeitig zu Abfallablagerungsgebühren in angemessener Höhe führen. Ein frühzeitiges Ablagerungsverbot könnte auch die Folgekosten für die Stilllegung und Nachsorge von Deponien deutlich reduzieren und damit Freiräume für einen effektiveren Einsatz von Finanzmitteln schaffen. Das Ziel, die bisher in der EU deponierte Abfallmenge ökologisch und volkswirtschaftlich ökonomischer zu behandeln, um damit die darin enthaltenen Rohstoffe nutzbar zu machen, könnte dadurch nachhaltig erreicht werden.