941. Sitzung des Bundesrates am 29. Januar 2016
A
Der Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat hat im Hinblick auf Artikel 9 des Richtlinienvorschlages Bedenken. Die weite Ausdehnung der Strafbarkeit in das Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung oder zumindest -gefährdung erscheint unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, insbesondere auch dem Ultimaratio-Gesichtspunkt des Strafrechts, problematisch. Da sich die tatbestandliche Unrechtsvertypung unter der Geltung des Artikels 103 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht ausschließlich aus inneren Absichten oder Motiven einer Person ergeben darf, hält der Bundesrat es für fraglich, ob das Anknüpfen an den Umstand, unmittelbar zur Ausreise anzusetzen, eine hinreichend objektive Grundlage für eine Unrechtsvermutung darstellt. Die Anknüpfungspunkte stellen objektiv eher belanglose und wertneutrale Handlungen dar (zum Beispiel das Besteigen eines Flugzeuges), so dass sich an ihnen eine innere Anbindung an terroristische Aktivitäten nur schwer objektiv festmachen lässt. Zudem enthält ein entsprechender Tatbestand zwangsläufig eine bedenkliche Kumulierung unbestimmter Rechtsbegriffe auf mehreren Ebenen, was zu einer Einbuße an Bestimmtheit führt. Problematisch ist zudem, dass es noch einer ganzen Reihe wesentlicher Zwischenschritte in der Gestalt von Handlungen und auch Entscheidungen des Täters bedarf, bis aus der Situation auch tatsächlich eine reale Rechtsgutsgefährdung folgt. Das Strafrecht würde damit faktisch in den Bereich polizeirechtlicher Prävention verschoben. Eine weitere Verschärfung des nationalen Rechts würde sich letztlich dem Vorwurf aussetzen, es handle sich um Polizeirecht im Gewand des Strafrechts und trage damit zur "Verpolizeilichung des Strafprozesses" bei.
- 2. Über diese Bedenken grundsätzlicher Natur hinaus hält der Bundesrat es ferner für bedenklich, dass Artikel 9 des Richtlinienvorschlages alle Reisen abdecken soll, die in Drittländer oder in EU-Mitgliedstaaten einschließlich des Wohnsitzoder Herkunftsstaates des Reisenden erfolgen sollen. Sämtliche in das Ausland reisende Personen zunächst unter einen Terrorismus-Generalverdacht zu stellen, was auch die Begründung des Richtlinienvorschlages einräumt, entspricht nach Ansicht des Bundesrates auch in Anbetracht der großen Bedrohungen, die von sogenannten ausländischen terroristischen Kämpfern ausgehen, nicht mehr dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das bisherige nationale Recht (§ 89a Absatz 2a StGB) stellt hingegen auf eine Reise in Krisengebiete ab, um die besondere Gefährlichkeit der Vorbereitungshandlung des Reisens auch unter strafrechtlichen Aspekten überhaupt noch bewerten zu können (vergleiche die Begründung zum GVVG-ÄndG, BT-Drucksache 18/4087). Eine Abkopplung von diesem Kriterium erscheint im Hinblick auf die notwendige Bestimmtheit strafrechtlicher Normen problematisch.
- 3. Auch die Absicht des Richtlinienvorschlages, mit der Bezugnahme in Artikel 9 des Richtlinienvorschlages auf Artikel 4 des Richtlinienvorschlages künftig auch Reisen oder ein unmittelbares Ansetzen zu einer Reise, die aus logistischen Gründen (zum Beispiel zur Finanzierung oder zur Beschaffung von Waffen) erfolgt, pönalisieren zu wollen, stellt insoweit eine bedenkliche Verschärfung gegenüber der bisherigen nationalen Regelung dar.
- 4. Der Bundesrat hält deshalb fest, dass im Falle der Umsetzung des Richtlinienvorschlages in nationales Recht eine Regelung geschaffen würde, die sich von objektiven Kriterien zur Begründung einer Strafbarkeit weitgehend verabschiedet und letztlich nur noch eine der Gefahrenabwehr dienende vorbeugende Sicherungsverwahrung darstellt. Die Schaffung von Straftatbeständen, die sich dem Vorwurf des Gesinnungsstrafrechts aussetzen, entfernt sich in verfassungsrechtlich nicht zulässiger Weise vom Gedanken des Schutzes von bereits erkennbar gefährdeten Rechtsgütern, wie er als Ausprägung des Rechtsstaats- und des Verhältnismäßigkeitsprinzips für das deutsche Strafrecht zwingend ist.
B
- 5. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.