Der Bundesrat hat in seiner 917. Sitzung am 29. November 2013 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt das mit der Mitteilung verfolgte Ziel, transparent zu machen, welche Berufe in den Mitgliedstaaten wie reglementiert sind. Indem überprüft wird, welche Zugangsstrukturen einem vereinfachten, angemessenen, sicheren und transparenten System am ehesten förderlich sind, soll ein besserer Zugang zu den Dienstleistungen im Binnenmarkt gewährleistet werden.
- 2. Der Bundesrat stellt jedoch fest, dass die Kompetenz zum Erlass von Regelungen über den Berufszugang bei den Mitgliedstaaten liegt.
- 3. Nach Auffassung des Bundesrates ist der vorgeschlagene Arbeitsplan angesichts der Vielzahl der Berufe, der Komplexität der Materie und der systemischen Bedeutung fragwürdig. Der Umfang der vorgesehenen Untersuchungen ist auf die erforderlichen Daten zu beschränken, um den hohen bürokratischen und kostenintensiven Aufwand zu verringern.
- 4. Bereits im Mai 2014 sollen seitens der Mitgliedstaaten die Bewertungen für eine erste große Gruppe unterschiedlicher Berufe, u.a. für die Bauhandwerke, vorliegen. Dieser Zeitplan ist nicht realistisch. Zudem scheint das gewählte Verfahren der gegenseitigen Evaluierung nicht das geeignete Mittel zu sein. Aus den Erfahrungen bei der bisherigen Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie ist deutlich geworden, dass eine grundsätzliche Vergleichbarkeit der reglementierten Berufsbilder in den Mitgliedstaaten nicht zwangsläufig gegeben ist. Die gegenseitige Evaluierung darf nicht zum Basar für Qualifikationen und Bildungssysteme werden. Das Verfahren sollte zeitlich deutlich entzerrt und die Methode der Evaluierung der in den Mitgliedstaaten geltenden Bestimmungen überprüft werden. Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, sich für eine zeitliche Entzerrung des Verfahrens und für geeignetere Methoden im Rahmen der Evaluierung der geltenden Bestimmungen einzusetzen. Der Bundesrat verweist insoweit auf seine Stellungnahme vom 2. März 2012 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mithilfe des Binnenmarktinformationssystems ("IMI-Verordnung") (BR-Drucksache 834/11(B) ) und bekräftigt die darin enthaltenen Aussagen zu Artikel 59 (Nummern 81 und 82).
- 5. Hinzu kommt ein entscheidender methodischer Mangel des Ansatzes der Kommission, da die Liberalisierung als gewichtiger Grund für (mögliche) Wachstumsbeschleunigung in verschiedenen Bereichen hervorgehoben wird. Dieser Ansatz der Kommission und die auf Deutschland bezogenen Punkte ihrer Kritik machen ohne belastbare Untersuchungen eine Vorgabe, die die verfolgte Evaluation von Regelungen der hier reglementierten Berufe vorwegzunehmen geeignet ist. Keine der dazu in Bezug genommenen Untersuchungen lässt Schlüsse auf die Wertschöpfung und die dazu geleisteten Entgelte zu. Bei diesem einseitigen Ansatz bleibt die Frage der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen offen. So hat beispielsweise in Deutschland die Liberalisierung im Handwerk zu einem Wachstum im Bereiche der B1-Gewerke geführt, die aber vergleichsweise deutlich weniger Jugendliche ausbilden. Eine weitere Absenkung der Standards für das Handwerk würde deshalb voraussichtlich zu einer zusätzlichen Verringerung der handwerklichen Ausbildungsbetriebe sowie zu einer Abnahme des ehrenamtlichen Engagements der Betriebsinhaberinnen und -inhaber und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen des Dualen Systems führen. Dies müssten dann die staatlichen Bildungssysteme mit eigenen Angeboten auffangen (und finanzieren). Ähnliches gilt für die Freien Berufe, bei denen die hohen Standards sich in entsprechend qualifizierten Leistungen für die Kundinnen und Kunden niederschlagen. Die z.B. hiermit verbundene präventive Qualitätssicherung müsste nach einer weiteren Liberalisierung durch eine Ausdehnung der staatlichen Kontrolle kompensiert und finanziert werden. Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, sich bei der Kommission dafür einzusetzen, für das Evaluierungsverfahren Kriterien zu entwickeln, die auch die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen von Liberalisierungsschritten berücksichtigen.
- 6. Der Bundesrat hält die Annahme der Kommission, dass sich Zugangsbeschränkungen generell negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken, in ihrer Allgemeinheit für nicht haltbar. Zahlreiche Beispiele aus der Praxis lassen erkennen, dass die Erwartung, ein Abbau von Berufszugangsregeln führe zu mehr Wachstum und Beschäftigung, sich gerade nicht erfüllt. Gerade in Bezug auf die Bauhandwerke wird dies durch die von der Kommission in Auftrag gegebene und vom CSES (Centre for Strategy & Evaluation Services) durchgeführte Studie "Bestandsaufnahme reservierter Aktivitäten im Zusammenhang mit den Anforderungen an berufliche Qualifikationen in 13 EU-Mitgliedstaaten und der Beurteilung ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen" bestätigt. Diese kommt zu dem Ergebnis, dass die nationalen Qualifikationsanforderungen je nach Branche unterschiedlich wirken. Für mehrere Branchen, u.a. für die deutschen Bauhandwerke, stellt sie sogar eine tendenziell positive ökonomische Wirkung der Reglementierung fest.
- 7. Der Bundesrat weist erneut darauf hin, dass das deutsche marktkonforme Regelungssystem eine der wesentlichen Grundlagen der überdurchschnittlich guten Wirtschafts- und Beschäftigungslage sowie einer sehr geringen Arbeitslosigkeit besonders von Jugendlichen und Hochschulabgängern sowie der Teilhabe auch im Bildungsstandard Benachteiligter an Wertschöpfungswirkungen ist. Ein nur an Entgelten orientierter Wettbewerb schafft alleine keine Wertschöpfung und damit Arbeits- und Unternehmensmöglichkeiten. Das zeigt sich insbesondere bei der hohen Wettbewerbsfähigkeit der durch Inhaberinnen und Inhaber des großen Befähigungsnachweises (Meisterinnen/Meister) betriebenen Handwerksbranchen, im dualen Ausbildungssystem für alle Absolventinnen und Absolventen der unterschiedlichen Bildungsebenen (Lehre bis Duales Studium) sowie bei den im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur mäßig reglementierten freien Berufen (vgl. zuletzt BR-Drucksache 471/13(B) ).
- 8. Der Bundesrat begrüßt die Initiativen des Europäischen Rates zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Oberste Priorität muss es sein, jungen Menschen angesichts der wirtschaftlichen Krise in vielen Mitgliedstaaten Perspektiven für eine adäquate Ausbildung und eine spätere Beschäftigung zu bieten. Unter Berücksichtigung dieser Prämisse müssen die Wirtschaftssysteme der Mitgliedstaaten in die Lage versetzt werden, einen essentiellen Beitrag zu diesem Ziel zu leisten.
- 9. Der Bundesrat weist darauf hin, dass das bestehende System der dualen Ausbildung in Deutschland einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit leistet. Durch Maßnahmen im Bereich der Deregulierung des Berufszugangs sollte dieses System nicht in Frage gestellt werden. Vielmehr dürfen die Attraktivität einer Berufsausbildung für Jugendliche und die Ausbildungsfähigkeit der Betriebe nicht gefährdet werden.
- 10. Der Bundesrat betont, dass Reglementierungen des Berufszugangs diesem Ziel dienen können. Er weist in diesem Zusammenhang auf das besonders augenscheinliche Beispiel hin, dass der Erfolg der dualen Ausbildung in Deutschland eng mit dem Erwerb der Meisterqualifikation in den Ausbildungsbetrieben verbunden ist. Die im Rahmen der Meisterausbildung erworbene hohe fachliche Qualifikation steigert die Attraktivität einer entsprechenden Berufsausbildung für Jugendliche. Der Meisterbrief ist überdies Garant dafür, dass Führungskräften von Handwerks- und Dienstleistungsunternehmen nicht nur die erforderlichen Fachkompetenzen vermittelt werden, sondern auch arbeitspädagogische und betriebswirtschaftliche Grundlagen, welche für eine erfolgreiche unternehmerische Tätigkeit und die Befähigung zur Ausbildung von Nachwuchskräften unabdingbar sind.
- 11. In diesem Zusammenhang weist der Bundesrat darauf hin, dass im Falle einer weitgehenden Deregulierung eine solche Garantie nicht mehr gegeben wäre, da Betriebe in deregulierten Bereichen aufgrund der niedrigeren Qualifikationsanforderungen an das Leitungspersonal vielfach nicht in der Lage sein werden, berufliche Ausbildung durchzuführen.
- 12. Der Bundesrat gibt gleichzeitig zu bedenken, dass ein niedrigeres Qualifikationsniveau auch zu geringeren Entgelten führt, wodurch die Mittel für Investitionen in die Ausbildung von Nachwuchskräften nicht mehr zur Verfügung stehen und die Attraktivität einer entsprechenden Berufsausbildung für Jugendliche weiter sinkt.
- 13. Er warnt daher vor jeder Maßnahme, die die Anzahl der dualen Ausbildungsplätze oder deren Qualität gefährden sollte.
- 14. Zudem sind Zugangs- und Berufsausübungsbeschränkungen bereits wegen des verfassungsrechtlich gebotenen Grundrechtsschutzes nicht diskriminierend und nur im Falle zwingender Gründe des Allgemeininteresses zulässig. Entscheidende Kriterien für die Meisterpflichtigkeit eines Gewerkes sind die Gefahrgeneigtheit sowie die Ausbildungsleistung. Zugleich bleibt die Berufsfreiheit nach Artikel 12 Grundgesetz erhalten, weil Ausnahmen zum Meisterbrief im zulassungspflichtigen Handwerk entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zuletzt Beschluss vom 5. Dezember 2005 - BVerfG 1 BvR 1730/02) großzügig gehandhabt werden, wenn die praktischen Fertigkeiten, die notwendigen fachtheoretischen Kenntnisse sowie Grundkenntnisse zur Führung eines Handwerksbetriebs nachgewiesen werden können.
- 15. Beschränkungen im Zugang zu freien Berufen und deren Ausübung erfolgen allenfalls zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor unqualifizierten Dienstleistungserbringern, ohne damit den freien Zugang und die Berufsausübung aus anderen Mitgliedstaaten unionsrechtswidrig auszuschließen oder zu behindern.
- 16. Die berufsständische Selbstverwaltung bei den Freien Berufen dient nicht nur dem Verbraucherschutz nach außen, sondern übernimmt im Innenverhältnis mit den Mitgliedern auch hoheitliche Aufgaben wie die Berufsaufsicht und die Berufsgerichtsbarkeit sowie versorgungs- und haftungsrechtliche Dienste. Der Bundesrat weist die Bundesregierung darauf hin, dass hier weitere Liberalisierungsschritte zu einem Systemwechsel mit weitreichenden Konsequenzen führen könnten, die mit unübersehbaren Handlungsbedarfen in einer Vielzahl von Politikfeldern verbunden wären. Es ist mehr als fraglich, ob dieser Aufwand zu einem hinreichend konkreten Nutzen führen würde.
- 17. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.