A. Problem und Ziel
Darstellungen des sexuellen Missbrauchs an Kindern sind die Dokumentation schwerer Straftaten. Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften sind gemäß § 184b des Strafgesetzbuchs mit Strafe bedroht. Neben herkömmlichen Formen der Verbreitung kommt dem World Wide Web (WWW) als Medium hierbei eine besondere Rolle zu, weil die darüber angebotenen Inhalte weltweit und für eine unbestimmte Vielzahl von Nutzern verfügbar sind. Diese Form der digitalen Verbreitung muss im Interesse eines wirksamen Opferschutzes konsequent bekämpft werden. Jeder Klick, der den Internetnutzer auf ein kinderpornographisches Foto führt, verletzt erneut die Rechte des vom Missbrauch Betroffenen. Bekämpfungsansätze von Missbrauchsdarstellungen im Internet müssen daher bestmöglich an Opferschutzinteressen ausgerichtet sein. Bei Sperrmaßnahmen besteht die Gefahr, dass die Sperren umgangen werden. Im Interesse der Opfer muss Ziel sein, strafbare Inhalte durch konsequentes Löschen nachhaltig aus dem Netz zu verbannen.
B. Lösung
Die Möglichkeiten einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Polizeibehörden und nichtstaatlichen Einrichtungen wie Selbstregulierungsorganisationen der Internetwirtschaft und Nichtregierungsorganisationen wurden in jüngster Zeit weiter genutzt, um national und international eine schnellstmögliche Löschung der Inhalte zu erreichen. Dieses Vorgehen hat sich als erfolgreich erwiesen, so dass Sperrmaßnahmen nicht erforderlich sind. Das Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen (Zugangserschwerungsgesetz - ZugErschwG) wird daher aufgehoben.
C. Alternativen
Keine.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
Keine.
E. Sonstige Kosten
Belastende Auswirkungen auf die Wirtschaft, auf Verbraucherpreise und das Preisniveau sind durch den Entwurf nicht zu erwarten. Die den Diensteanbietern entstehenden Kosten für technische Vorkehrungen zur Zugangserschwerung einschließlich des laufenden Betriebs sowie Kosten für die Sicherung der Sperrliste entfallen. Da eine Zugangserschwerung gemäß § 2 ZugErschwG durch Diensteanbieter bislang nicht erfolgte, ist nicht davon auszugehen, dass durch die Aufhebung des ZugErschwG Kosten für technische Änderungen entstehen.
F. Bürokratiekosten
Die Pflicht der Diensteanbieter gemäß § 6 ZugErschwG zur wöchentlichen Übermittlung einer anonymisierten Aufstellung über die Zahl der Zugriffsversuche pro Stunde auf die in der Sperrliste aufgeführten Telemedienangebote wird abgeschafft. Im Übrigen werden keine Informationspflichten für Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger oder die Verwaltung eingeführt, vereinfacht oder abgeschafft.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung von Sperrregelungen bei der Bekämpfung von Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen
Bundesrepublik Deutschland Berlin, den 27. Mai 2011
Die Bundeskanzlerin
An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Hannelore Kraft
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung von Sperrregelungen bei der Bekämpfung von Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen mit Begründung und Vorblatt.
Federführend ist das Bundesministerium der Justiz.
Fristablauf: 08.07.11
Die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gemäß § 6 Absatz 1 NKRG ist als Anlage beigefügt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angela Merkel
Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung von Sperrregelungen bei der Bekämpfung von Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes
Das Zugangserschwerungsgesetz vom 17. Februar 2010 (BGBl. I S. 78) wird aufgehoben.
Artikel 2
Änderung des Telekommunikationsgesetzes
In § 96 Absatz 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 506) geändert worden ist, werden nach dem Wort"Abschnitt " die Wörter"oder in § 2 oder § 4 des Zugangserschwerungsgesetzes" gestrichen.
Artikel 3
Änderung des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen
Artikel 3 des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen vom 17. Februar 2010 (BGBl. I S. 78) wird aufgehoben.
Artikel 4
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
I. Ausgangslage
Der Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt und Ausbeutung ist eine zentrale Aufgabe von Staat und Gesellschaft. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei der Bekämpfung von Missbrauchsdarstellungen an Kindern im Internet über World Wide Web (WWW) zu. Solche Bilder und Filme dokumentieren schwere Straftaten an Kindern. Kinderpornographische Schriften zu besitzen, zu erwerben oder zu verbreiten, ist gemäß § 184b des Strafgesetzbuchs mit Strafe bedroht. Ihre digitale Verbreitung und weltweite Verfügbarkeit bedeutet für die vom Missbrauch Betroffenen eine fortgesetzte Verletzung ihrer Rechte. Deshalb müssen hiergegen gerichtete Maßnahmen einen möglichst umfassenden Schutz der Opfer gewährleisten. Das mit Ausnahme von dessen § 13, der am 23. August 2010 in Kraft trat, am 23. Februar 2010 in Kraft getretene Zugangserschwerungsgesetz (ZugErschwG) sieht dazu vor, Telemedienangebote, die Darstellungen im Sinne des § 184b des Strafgesetzbuchs enthalten, in eine Sperrliste aufzunehmen, soweit zulässige Maßnahmen, die auf die Löschung dieses Angebotes abzielen, nicht oder nicht in angemessener Zeit erfolgversprechend sind.
Das Löschen der Bilder und Filme an der Quelle schützt Missbrauchsopfer vor einer Reviktimisierung, die den Betroffenen durch die grenzenlose Verfügbarkeit der Missbrauchsdokumente im World Wide Web droht. Das Löschen oder Dekonnektieren solcher Inhalte erfordert eine intensive Kooperation zwischen Polizeibehörden, Selbstregulierungskräften der Internetwirtschaft und anderen Nichtregierungsorganisationen. Auf Grundlage einer strukturierten Zusammenarbeit gelingt es, bei Hinweisen auf Missbrauchsdarstellungen im Netz die Strafverfolgung einzuleiten, aber auch parallel den Host-Provider anzusprechen und um Löschung der Inhalte nach deren Sicherung zu Beweiszwecken zu ersuchen. Erfahrungen zeigen, dass die direkte Ansprache des Providers regelmäßig zur Löschung der Missbrauchsdarstellungen führt.
Die deutsche Internet-Wirtschaft engagiert sich bereits heute ebenso wie zivilgesellschaftliche Einrichtungen bei der Bekämpfung von Missbrauchsdarstellungen im Netz. Beispielhaft sind Projekte, die die Europäische Kommission im Rahmen ihres Programms"Safer Internet" fördert. Dazu gehören insbesondere Beschwerdehotlines, die im internationalen Netzwerk INHOPE (International Association of Internet Hotlines) zusammengeschlossen sind und sich intensiv in Zusammenarbeit mit Polizeibehörden und Providern für die Löschung von Missbrauchsdarstellungen engagieren. Das Bundeskriminalamt hat seine Vereinbarung vom 22. November 2007 mit den Beschwerdehotlines erweitert und konkretisiert. Im März 2011 wurde mit dem Abschluss einer Kooperationsvereinbarung mit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien sowie mit den deutschen INHOPE-Partnerstellen eco - Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V., jugendschutz.net und der Freiwilligen Selbstkontrolle der Multimedia-Diensteanbieter (fsm) e.V. der Zusammenarbeit zwischen Polizeibehörden und Beschwerdehotlines in Deutschland eine neuer, verbesserten Rahmen gegeben, um auf diese Weise die Löschbemühungen für Missbrauchsdarstellungen im Internet zu optimieren. So werden einschlägige Hinweise auf im Ausland gehostete Angebote nicht nur über das Bundeskriminalamt an die Interpol-Kontaktstelle des ausländischen Staates gemeldet, sondern parallel über die genannten Hotlines an deren INHOPE-Partner bzw. unmittelbar an die Host-Provider im Ausland mit dem Ziel, das Angebot zu löschen. Die Verfügbarkeit der ins Ausland mit der Bitte um Löschung gemeldeten Angebote wird regelmäßig überprüft und nötigenfalls erfolgen Erinnerungsmeldungen.
Alle bisher vorliegenden statistischen Erhebungen zeigen, dass im WWW zugängliche Missbrauchsdarstellungen weit überwiegend auf Servern in Staaten mit ausgebauter Internetinfrastruktur zu finden sind. In diesen Staaten ist es grundsätzlich rechtlich möglich, eine schnelle Löschung der Inhalte zu erreichen. Dies zeigen die vorliegenden Erfahrungen der Strafverfolgungsbehörden und der deutschen Internetwirtschaft: In Deutschland werden strafbare Inhalte an Werktagen im Regelfall innerhalb von Stunden nach einem entsprechenden Hinweis vom Netz genommen.
Auch bei im Ausland gehosteten Angeboten sind die Löschbemühungen in der jüngeren Vergangenheit deutlich erfolgreicher geworden. Die Statistik des Bundeskriminalamtes zeigt seit Oktober 2010 erheblich verbesserte Löschquoten. Mit der seit Dezember 2010 auf vier Wochen erweiterten Frist für die Prüfung des Löscherfolgs konnte zudem festgestellt werden, dass die Löschquote bereits in der zweiten Woche regelmäßig auf über 90 Prozent ansteigt und dass nach vier Wochen etwa 98 Prozent der Inhalte nicht mehr verfügbar sind. Darüber hinaus erfolgte eine Optimierung der Meldewege: Seit Oktober 2010 werden dem Bundeskriminalamt bekannt gewordene einschlägige Seiten nicht mehr wie bisher nur an die Interpol-Kontaktstelle im Ausland gemeldet, sondern parallel an den jeweiligen INHOPE-Partner im Standortland des Servers, auf dem die Angebote gehostet werden. Dieser INHOPE-Partner bemüht sich dann wiederum beim Host-Provider um die Löschung des Angebotes.
Der Jahresbericht 2010 des internationalen Beschwerdestellen-Netzwerks INHOPE legt dar, dass 75 Prozent der gemeldeten Seiten innerhalb von sieben Tagen gelöscht werden, wobei knapp 50 Prozent der Seiten bereits nach drei Tagen gelöscht sind. Nach 14 Tagen verbleiben noch zwischen 5 und 10 Prozent der Seiten. Ähnliche Zahlen ergeben sich aus der statistischen Bilanz des deutschen INHOPE-Mitgliedes eco für 2010; dort gelang es, 84 Prozent der Hinweise binnen einer Woche und 91 Prozent binnen zwei Wochen zu löschen.
Die verbesserten Erfolge bei den Löschbemühungen machen Sperrmaßnahmen verzichtbar. Hinzu kommt die Gefahr, dass die Sperren umgangen werden. Im Interesse der Opfer muss Ziel sein, strafbare Inhalte durch konsequentes Löschen nachhaltig aus dem Netz zu verbannen.
II. Ziel und wesentlicher Inhalt des Gesetzentwurfs
Der Entwurf zielt auf die Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes ab, da sich die Bekämpfung von Missbrauchsdarstellungen im WWW durch das Löschen einschlägiger Inhalte als ausreichend erwiesen hat. Dies kann auf Basis einer strukturierten Zusammenarbeit zwischen Polizeibehörden, Selbstregulierungseinrichtungen der Internetwirtschaft und sonstiger anerkannter Einrichtungen erfolgreich betrieben werden. Aus der Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes resultiert eine Folgeänderung im Telekommunikationsgesetz.
III. Gesetzgebungskompetenz des Bundes; Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes stützt sich auf Artikel 74 Absatz 1 Nummer 11 des Grundgesetzes (Recht der Wirtschaft). Die Gesetzgebungskompetenz lag dem Erlass des Zugangserschwerungsgesetzes wie auch der Änderung des Telekommunikationsgesetzes zu Grunde, insoweit ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz für den actus contrarius ebenfalls aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 11.
Der Gesetzentwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, vereinbar.
IV. Finanzielle Auswirkungen; Bürokratiekosten; Nachhaltigkeitsaspekte
Bund, Länder und Gemeinden werden nicht mit Kosten belastet.
Belastende Auswirkungen auf die Wirtschaft, auf Verbraucherpreise und auf das Preisniveau sind durch den Entwurf nicht zu erwarten. Die den Diensteanbietern entstehenden Kosten für technische Vorkehrungen zur Zugangserschwerung einschließlich des laufenden Betriebs sowie Kosten für die Sicherung der Sperrliste entfallen. Da eine Übermittlung von Sperrlisten durch das Bundeskriminalamt und damit eine Zugangserschwerung gemäß § 2 ZugErschwG durch Diensteanbieter bislang nicht erfolgte, ist nicht davon auszugehen, dass durch die Aufhebung des ZugErschwG Kosten für technische Änderungen entstehen.
Die Pflicht der Diensteanbieter gemäß § 6 ZugErschwG zur wöchentlichen Übermittlung einer anonymisierten Aufstellung über die Zahl der Zugriffsversuche pro Stunde auf die in der Sperrliste aufgeführten Telemedienangebote wird abgeschafft. Im Übrigen werden keine Informationspflichten für Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger oder die Verwaltung eingeführt, vereinfacht oder abgeschafft.
Der Gesetzentwurf steht im Einklang mit den Leitgedanken der Bundesregierung zur nachhaltigen Entwicklung im Sinne der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Er sieht die Aufhebung gesetzlicher Bestimmungen vor, da sich die konsequente Zusammenarbeit zwischen Polizeibehörden und Hotlines beim Löschen von Missbrauchsdarstellungen im Internet als ausreichend erwiesen hat.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1 (Aufhebung des Gesetzes zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen)
Artikel 1 regelt die Aufhebung des Gesetzes zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen.
Zu Artikel 2 (Änderung des Telekommunikationsgesetzes - TKG)
Es handelt sich um eine Folgeänderung aus der Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes. Durch die Änderung wird der Verweis auf das Zugangserschwerungsgesetz in § 96 Absatz 1 Satz 1 TKG gestrichen.
Zu Artikel 3 (Änderung des Gesetzes zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen)
Durch die Aufhebung des Gesetzes zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen in Artikel 1 wird die in Artikel 3 des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen vorgesehene Evaluierung und Berichterstattung an den Deutschen Bundestag hinfällig.
Zu Artikel 4 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.
Anlage
Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Abs. 1 NKR-Gesetz:
NKR-Nr. 1750:
Gesetz zur Aufhebung von Sperrregelungen bei der Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen
Der Nationale Normenkontrollrat hat den o.g. Gesetzentwurf auf Bürokratiekosten geprüft, die durch Informationspflichten begründet werden.
Mit dem Gesetz wird eine im letzten Jahr eingeführte Informationspflicht für die Wirtschaft wieder aufgehoben. Ausgehend von der ursprünglichen Bürokratiekostenschätzung tritt dadurch keine nennenswerte Entlastung bei den betroffenen Unternehmen ein.
Das Regelungsvorhaben hat keine Auswirkungen auf Informationspflichten der Verwaltung, Bürgerinnen und Bürger.
Der Nationale Normenkontrollrat hat keine Bedenken gegen das Regelungsvorhaben.
Dr. Ludewig Bachmaier
Vorsitzender Berichterstatter