Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 310826 - vom 1. Juli 2010. Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 17. Juni 2010 angenommen.
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. Juni 2010 zur Demokratischen Republik Kongo: der Fall Floribert Chebeya Bahizire
Das Europäische Parlament,
- - unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Demokratischen Republik Kongo,
- - unter Hinweis auf das im Juni 2000 unterzeichnete Partnerschaftsabkommens von Cotonou,
- - unter Hinweis auf die Entschließung der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU vom 22. November 2007 zur Lage in der Demokratischen Republik Kongo, insbesondere im Osten des Landes, und den Auswirkungen auf die Region,
- - unter Hinweis auf die Resolution 60/1 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 24. Oktober 2005 zu den Ergebnissen des Weltgipfels von 2005, insbesondere deren Ziffern 138 bis 140 über die Verantwortung zum Schutz der Bevölkerung,
- - unter Hinweis auf die Erklärung, welche die Vizepräsidentin der Kommission/Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, am 3. Juni 2010 zu dem brutalen Tod von Floribert Chebeya Bahizire abgeben ließ,
- - unter Hinweis auf die EU-Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsaktivisten aus dem Jahr 2004 und die lokale Strategie zur Umsetzung der Leitlinien in der Demokratischen Republik Kongo, die von den Missionsleitern am 20. März 2010 angenommen wurden,
- - unter Hinweis auf die Resolution 1856 (2008) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zum Mandat der MONUC,
- - gestützt auf Artikel 122 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Floribert Chebeya Bahizire, Direktor der Menschenrechtsorganisation "La Voix des Sans-Voix" (VSV), am Mittwoch, dem 2. Juni 2010, in Kinshasa tot in seinem Wagen gefunden wurde, nachdem er bei der Polizei vorgeladen worden war,
B. in der Erwägung, dass Floribert Chebeya Bahizire Medienberichten zufolge am Dienstag, dem 1. Juni 2010, nachmittags einen Anruf vom Polizeihauptquartier erhalten hat, in dem er dazu aufgefordert wurde, ein Treffen mit dem Polizeichef der Demokratischen Republik Kongo, Generalinspektor John Numbi Banza Tambo, wahrzunehmen, ferner in der Erwägung, dass sich Floribert Chebeya Bahizire nach seiner Ankunft auf dem Polizeirevier nicht mit dem Generalinspektor in Verbindung setzen konnte und seiner Familie per SMS mitteilte, dass er in die Stadt zurückkehren werde,
C. in der Erwägung dass Floribert Chebeya Bahizires Wirken um die Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten in der Demokratischen Republik Kongo seit den 1990er Jahren, in dessen Rahmen er sich unter anderem mit der Korruption bei den Streitkräften, den Verbindungen zwischen Milizen und politischen Kräften aus dem Ausland, der Verteidigung der Verfassung, rechtswidrigen Verhaftungen, willkürlichen Festnahmen und der Verbesserung der Zustände in den Gefängnissen beschäftigt hat, ihm die Achtung und Bewunderung seiner Landsleute und der internationalen Gemeinschaft eingebracht hat,
D. in der Erwägung, dass der Fahrer Floribert Chebeya Bahizires, Fidèle Bazana Edadi, nach wie vor vermisst wird,
E. in der Erwägung, dass die Familie Floribert Chebeya Bahizires keinen uneingeschränkten Zugang zu dessen Leichnam erhielt und widersprüchliche Angaben über den Zustand des Leichnams bei dessen Auffinden gemacht wurden,
F. in der Erwägung, dass laut dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen, Philip Alston, die Umstände des Mordes in hohem Maße auf eine Verantwortung offizieller Stellen hindeuteten,
G. in der Erwägung, dass Generalinspektor Numbi Banza Tambo bis auf Weiteres vom Dienst suspendiert wurde und dass darüber hinaus drei Polizeioffiziere im Zusammenhang mit dem Mord festgenommen wurden, ferner in der Erwägung, dass der stellvertretende Polizeichef, Oberst Daniel Mukalayi, angeblich gestanden hat, Floribert Chebeya Bahizire auf Befehl seines Vorgesetzten, Generalinspektor Numbi Banza Tambo, ermordet zu haben,
H. in der Erwägung, dass Floribert Chebeya Bahizire Amnesty International wiederholt mitgeteilt hat, dass er sich beschattet fühle und vom Geheimdienst beobachtet werde,
I. in der Erwägung, dass die Vizepräsidentin der Kommission/Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Kimoon, die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navi Pillay, der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen, Philip Alston, sowie Alan Dos, Leiter der Friedenssicherungstruppe der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo, jeweils Erklärungen abgegeben haben, in denen sie die Ermordung Floribert Chebeya Bahizires verurteilen, und eine unabhängige Untersuchung fordern,
J. in der Erwägung, dass Morde zu der steigenden Anzahl von Einschüchterungsmaßnahmen und Schikanen gegenüber Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, politischen Gegnern, Opfern und Zeugen in der Demokratischen Republik Kongo gehören, ferner in der Erwägung, dass in den vergangenen fünf Jahren zahlreiche Journalisten und Menschenrechtsaktivisten in der Demokratischen Republik Kongo unter verdächtigen Umständen ermordet wurden,
K. in der Erwägung, dass viele nichtstaatliche Organisationen im vergangenen Jahr eine zunehmende Unterdrückung von Menschenrechtsaktivisten in der Demokratischen Republik Kongo beobachtet haben, einschließlich rechtswidriger Verhaftungen, Verfolgungen, Drohanrufen und wiederholten Vorladens bei den Geheimdienststellen,
L. in der Erwägung, dass die Untersuchungen der Morde an dem Menschenrechtsaktivisten Pascal Kabungulu Kibembi im Jahr 2005 sowie an Journalisten, darunter Franck Ngycke Kangundu und dessen Frau Hélène Mpaka im November 2005, Serge Maheshe im Juni 2007 und Didace Namujimbo im November 2008 von den kongolesischen Militärbehörden durchgeführt wurden und von schweren Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet waren,
M. in der Erwägung, dass die Demokratische Republik Kongo angesichts des im April 2008 vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) herausgegebenen Haftbefehls gegen Bosco Ntaganda wegen Kriegsverbrechen, einschließlich der Rekrutierung von Kindersoldaten, als Vertragspartei des Römischen Statuts ihren rechtlichen Verpflichtungen zur Zusammenarbeit mit dem IStGH, zu denen auch die Festnahme von mit Haftbefehl gesuchten Personen gehört, nicht nachkommt; in der Erwägung, dass die Demokratische Republik Kongo Bosco Ntaganda stattdessen auf eine führende Stelle in der kongolesischen Armee befördert und dadurch den Eindruck verstärkt hat, dass Menschenrechtsverletzungen nicht bestraft werden, was wiederum zu der Häufung solcher Verbrechen beiträgt,
N. in der Erwägung, dass sich manche Teile der Demokratischen Republik Kongo über Jahre hinweg überwiegend im Bürgerkrieg befanden, was Massaker, Massenvergewaltigungen und die weit verbreitete Rekrutierung von Kindersoldaten zur Folge hatte,
O. in der Erwägung, dass die Massaker, insbesondere diejenigen, die von der Widerstandsarmee des Herrn (LRA), einer paramilitärischen Gruppe, die ihre Wurzeln in Uganda hat, begangen werden, derzeit alle Nachbarländer der Demokratischen Republik Kongo betreffen,
P. in der Erwägung, dass auch Mitarbeiter nichtstaatlicher Organisationen von diesen Formen der Verfolgung der Zivilbevölkerung betroffen sind und daher die humanitäre Hilfe für die Demokratische Republik Kongo abgenommen hat,
Q. in der Erwägung, dass in Kürze der 50. Jahrestag der Unabhängigkeit der Demokratischen Republik Kongo gefeiert wird sowie in der Erwägung, dass Menschenrechte und Demokratie von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung des Landes sind,
- 1. verurteilt auf das Schärfste die Ermordung Floribert Chebeya Bahizires sowie die Tatsache, dass dessen Fahrer, Fidèle Bazana Edadi, vermisst wird; sichert deren Familien seine volle Unterstützung zu;
- 2. fordert die Einsetzung einer unabhängigen, glaubwürdigen, gründlich arbeitenden und transparenten Untersuchungskommission zum Tod Floribert Chebeya Bahizires und zum Aufenthaltsort von Fidèle Bazana Edadi sowie Schritte, mit denen der Schutz der Familien der beiden Männer gewährleistet wird;
- 3. fordert, dass die Verantwortlichen gefunden, vor Gericht gestellt und in Einklang mit den kongolesischen Gesetzen und den internationalen Bestimmungen zum Schutz der Menschenrechte bestraft werden;
- 4. begrüßt die Tatsache, dass die Behörden dem Antrag von Floribert Chebeya Bahizires Familie auf eine unabhängige Autopsie stattgegeben und ein niederländisches Sachverständigenteam aus Gerichtsmedizinern unter der Leitung von Dr. Franklin Van de Groot damit beauftragt haben, die Todesursache festzustellen;
- 5. bringt seine tiefe Besorgnis angesichts der allgemeinen Verschlechterung der Lage der Menschenrechtsaktivisten in der Demokratischen Republik Kongo zum Ausdruck; fordert die Regierung der Demokratischen Republik Kongo auf, der im Jahr 1998 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen Erklärung über die Menschenrechtsverteidiger umfassend nachzukommen und die Empfehlungen der 2009 von den Vereinten Nationen durchgeführten allgemeinen regelmäßigen Überprüfung als Maßnahmen zum Schutz der Rechte von Menschenrechtsaktivisten umzusetzen; betont, dass die Bestrafung derjenigen, die für die Ermordung von Menschenrechtsaktivisten und Journalisten in den letzten Jahren verantwortlich sind, ein wesentliches Element bei der Demokratisierung des Landes ist;
- 6. verurteilt die anhaltende Unterdrückung von Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, politischen Gegner, Opfern und Zeugen in der Demokratischen Republik Kongo; fordert die Mitgliedstaaten auf, in Einklang mit den Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsaktivisten den Schutz dieser Menschen zu gewährleisten und zu diesem Zweck logistische und technische Unterstützung zur Verfügung zu stellen;
- 7. verurteilt die von der LRA und anderen bewaffneten Gruppen in der Demokratischen Republik Kongo begangenen Gräueltaten;
- 8. betont, dass die Korruption unter Kontrolle gebracht werden muss und die Angehörigen der kongolesischen Streitkräfte und der kongolesischen Polizei, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, vor Gericht gestellt werden müssen; unterstreicht die wesentliche Rolle, die der MONUC dabei zukommt, dies durch die gemeinsame Planung und Durchführung von Operationen und ordnungsgemäße Mechanismen der Rechenschaftspflicht in Bezug auf Missbräuche zu erreichen; fordert die Demokratische Republik Kongo insbesondere auf, ihre internationalen rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen und Bosco Ntaganda zu verhaften und dem IStGH zu überstellen;
- 9. fordert alle Parteien auf, den Kampf gegen Straflosigkeit zu verschärfen und die Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen; fordert die Regierung der Demokratische Republik Kongo auf zu gewährleisten, dass die für Verstöße gegen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden; ersucht sie ferner, in vollem Umfang mit dem IStGH zusammenzuarbeiten;
- 10. betont die Tatsache, dass die EU und die Demokratische Republik Kongo Unterzeichner des Abkommens von Cotonou sind, in dem ausdrücklich auf die Verantwortung aller Parteien im Hinblick auf Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verwiesen wird; fordert, dass diesen Themen im Zusammenhang mit der Bewertung des Abkommens besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird;
- 11. fordert die Regierung der Demokratischen Republik Kongo auf, sich anlässlich des 50. Jahrestags der Unabhängigkeit des Landes zur Förderung einer politischen Kultur zu verpflichten, in der die Menschenrechte durchgesetzt werden und die Rechtsstaatlichkeit gestärkt wird;
- 12. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, den Organen der Afrikanischen Union, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen sowie den Regierungen und Parlamenten in der Region der Großen Seen zu übermitteln.