Der Bundesrat hat in seiner 856. Sitzung am 6. März 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission mit dem Grünbuch über Arbeitskräfte des Gesundheitswesens die Frage der langfristigen Absicherung des Personalbedarfs im Gesundheitswesen aufgreift. Die zunehmende Alterung der Bevölkerung und die sinkende Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger stellen eine ernstzunehmende Herausforderung für die Gesundheitssysteme fast aller Mitgliedstaaten der EU dar, der durch angemessene Maßnahmen auch auf EU-Ebene, aber unter Berücksichtigung von Artikel 152 EGV, frühzeitig begegnet werden sollte.
- 2. Der Bundesrat teilt ebenfalls die Auffassung der Kommission, dass das Gesundheitswesen darauf angewiesen ist, die vorhandenen Arbeitskräfte länger im Beruf zu halten und junge Menschen für eine berufliche Laufbahn in diesem Bereich zu gewinnen. Dabei konkurriert das Gesundheitswesen mit anderen Branchen um eine zurückgehende Zahl von potentiellen Nachwuchskräften. Eine Fokussierung auf das Gesundheitswesen vernachlässigt die horizontalen Verflechtungen des Ausbildungs- und Arbeitsmarkts. Die demografische Entwicklung bezieht jedoch ihre besondere Brisanz aus der Tatsache, dass jede erfolgreiche sektorspezifische Strategie die Probleme anderer Sektoren verschärft.
- 3. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Rahmenbedingungen für den verantwortlichen Umgang mit den Arbeitskräften im Gesundheitswesen auf den jeweils zuständigen Ebenen geschaffen werden müssen. Die im Grünbuch vorgeschlagenen Maßnahmen richten sich häufig an Akteure, die im deutschen Gesundheitssystem nicht zu ihrer Durchführung befugt sind. Staatliche Akteure besitzen nicht die erforderlichen Kompetenzen und Instrumente, um die Berufswahl und -tätigkeit zentral zu steuern. Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen (wie angemessene Vergütung, Beachtung der sozialen und ethnischen Vielfalt bei der Einstellung, effektiver Personaleinsatz, Förderung von Motivation und Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten) obliegt den Organisationen und Institutionen der Gesundheitsversorgung in Zusammenarbeit mit den Vertretungen der Beschäftigten. Die erzielbaren Leistungsentgelte im Gesundheitswesen müssen den Institutionen den geforderten nachhaltigen Umgang mit dem Personal allerdings möglich machen.
- 4. Der Bundesrat macht darauf aufmerksam, dass das Schaubild 1 die Strukturen des deutschen Gesundheitssystems nicht adäquat abbildet. Berufsgruppen sind mit Versorgungs- und Funktionsbereichen vermischt, zudem bezieht der Begriff "Klinikpersonal" in Deutschland nicht die Arbeitskräfte im ambulanten Bereich (niedergelassene Ärzte, Heilmittelerbringer etc.) und in stationären Pflegeeinrichtungen ein.
- 5. Der Bundesrat regt an, dass die Kommission im Bereich Aus-, Weiter- und Fortbildung die Verantwortung der Bildungsinstitutionen und der Arbeitgeber im Gesundheitswesen stärker betont. Die Gestaltung von Schulungen im Sinne von Fortbildung ist keine staatliche Angelegenheit. Die Schaffung eines EU-Gremiums zur Beobachtung des Arbeitskräftebedarfs sowie des Aus-, Weiter- und Fortbildungsbedarfs könnte als eine Verlagerung der Verantwortung in diesem Bereich missverstanden werden sowie zu weiterem bürokratischen Aufwand führen und ist insoweit nicht sinnvoll.
- 6. Der Bundesrat unterstreicht zu den Bestrebungen der Kommission nach einer Förderung der zirkulären Migration seine Stellungnahme zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung (BR-Drucksache 762/07(B) ). Der Bundesrat betont erneut die Kompetenz der Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen des Zugangs zu den nationalen Arbeitsmärkten zu steuern. Unabhängig davon muss der Ausschöpfung und Stärkung des inländischen und europäischen Arbeitskräftepotentials Priorität eingeräumt werden.
- 7. Der Bundesrat teilt die Ansicht der Kommission, dass Mobilität und Migration von Fachkräften des Gesundheitswesens sowohl Chance als auch Problem sein können. Dem persönlichen und professionellen Nutzen einer Arbeitsaufnahme im Ausland steht der Personalmangel, der durch Abwanderung entsteht, gegenüber. Da die Beschäftigten innerhalb der EU Freizügigkeit genießen, sieht der Bundesrat keine Möglichkeit, durch staatliche Vereinbarungen in dieses System einzugreifen.
- 8. Wie im Grünbuch gefordert, müssen bei der Anwerbung von Fachkräften ethische Grundsätze beachtet werden: So sollten beispielsweise Unternehmen neben der Möglichkeit zur Anstellung von Fachkräften aus anderen Ländern in ausreichendem Maße ihren eigenen Nachwuchs fördern. Mangelnde eigene Nachwuchsförderung der Unternehmen darf nicht durch die Abwerbung von Fachkräften aus anderen Ländern kompensiert werden. Angesichts der Vielzahl von bereits erfolgten Selbstverpflichtungen und der Mitarbeit der EU an der Erarbeitung des Verhaltenskodexes der WHO bittet der Bundesrat zu prüfen, welchen zusätzlichen Nutzen ein "Code of Conduct" der EU neben dem der WHO bedeuten würde.
- 9. Der Bundesrat kann nicht erkennen, wie die Erhebung weiterer Daten die Lenkung der Wanderungsbewegungen fördern könnte. Bereits jetzt müssen die obersten Landesgesundheitsbehörden jährlich für alle Gesundheitsberufe - nicht nur die sektoral geregelten - die Zahl und die Ergebnisse der Verfahren zur Anerkennung von Nachweisen der beruflichen Qualifikation aus allen anderen Mitgliedstaaten (gegliedert nach Herkunftsländern) mitteilen. Der Nutzen zusätzlicher Erhebungen wird nicht deutlich.
- 11. Das Grünbuch wird als umfassendes Diskussionspapier über die großen Herausforderungen an die Gesundheitssysteme und die Arbeitskräfte im Gesundheitswesen durch die Vielzahl der durch den demografischen Wandel der Bevölkerung entstehenden Probleme angesehen. Es erscheint geeignet, auf diesem Gebiet die öffentlichen Diskussionen voranzutreiben, weitere wissenschaftliche Diskussionen herbeizuführen und grundlegende politische Überlegungen zu diesem Thema innerhalb der Mitgliedstaaten in Gang zu setzen.