Der Bundesrat hat in seiner 847. Sitzung am 19. September 2008 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat unterstützt die Kommissionsforderung nach einer Stärkung des Bildungselements innerhalb des Wissensdreiecks "Forschung, Innovation und Bildung" und stimmt der Ansicht der Kommission, dass eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der schulischen Bildung im Hinblick auf die Herausforderungen, denen sich die Schulsysteme der EU-Mitgliedstaaten zu stellen haben, einen europäischen Mehrwert darstellen könne, grundsätzlich zu. Der Bundesrat begrüßt in diesem Zusammenhang den insgesamt moderaten Ansatz der Kommissionsmitteilung, der auf wertende Darstellungen und Kritik an Schulsystemen weitgehend verzichtet und die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Gestaltung und die Inhalte der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung betont.
- 2. Der Bundesrat stellt fest, dass - anders als von der Kommission dargestellt -, die EU-Mitgliedstaaten und nicht die EU vor der Entscheidung stehen, ob bestehende Herausforderungen eine Intensivierung der Reform der Schulsysteme bedingen. Der Bundesrat betont, dass die europäische Ebene durch eine bessere Nutzung der Vielfalt der Schulsysteme mit einer großen Zahl innovativer und exzellenter Verfahren im Rahmen eines vertieften Informations- und Erfahrungsaustausches sowie durch die Verbreitung bewährter Verfahren aus den Mitgliedstaaten wertvolle Impulse für die mitgliedstaatliche Politikgestaltung im schulischen Bereich bieten kann. Die von der Kommission unter Verweis auf den Europäischen Rat in Kapitel 5 vorgenommene Fokussierung auf die Verbesserung der Schreib- und Lesekompetenz, die Erweiterung des Zugangs zur Vorschulbildung und die Intensivierung der Lehrerbildung sieht der Bundesrat dabei als zweckmäßig an.
- 3. Der Bundesrat erteilt der Kommissionsforderung nach der Erstellung von Aktionsplänen zur Verbesserung der Lese- und Rechenkompetenz, die konkrete Zielvorgaben umfassen sollen, durch die Mitgliedstaaten eine klare Absage, da dies indirekt zu einer Einflussnahme auf Inhalt und Gestaltung der Bildungssysteme durch die Kommission führen könnte. Darüber hinaus betont der Bundesrat, dass er - anders als die Kommission - den Schlüssel zur weiteren Steigerung der Qualität der schulischen Bildung in der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Schulsysteme unter Beteiligung aller betroffenen Akteure sieht.
- 4. Der Bundesrat begegnet der Absicht der Kommission, künftig in der Schulbildung einen "zentralen Schwerpunkt der nächsten Stufe des Lissabon-Prozesses" (vgl. Nummer 1.11) zu sehen, mit Zurückhaltung. Er erteilt vorsorglich einer etwaigen Angleichung der Strukturen und Verfahren des Bildungsbereichs an andere Politikbereiche, z.B. an den Sozialbereich oder den Beschäftigungsbereich, (z.B. peer reviews) eine Absage.
- 5. Der Bundesrat begrüßt ausdrücklich den von der Kommission geforderten lernergebnisorientierten Ansatz, stellt fest, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen in diesem Bereich in weiten Teilen den in den Ländern in der Bundesrepublik Deutschland implementierten Reformen entsprechen, und erklärt die Bereitschaft der Länder, über die Vorstellung und den Austausch bewährter Verfahren aus diesem Bereich zu einer Vertiefung der EU-Bildungskooperation auf dem Gebiet der Schulbildung beizutragen.
- 6. Der Bundesrat bekräftigt unter Hinweis auf seine Stellungnahme zur Effizienz und Gerechtigkeit in den europäischen Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung (BR-Drucksache 687/06(B) ) die Bedeutung, die er belastbaren Ergebnissen der Bildungsforschung beimisst. Er betont, dass eine Bewertung der Forschung durch etwaige Schlussfolgerungen für Inhalt und Organisation des Bildungswesens allein den Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer innerstaatlichen Verfassungsordnung zusteht. Vor diesem Hintergrund betont der Bundesrat, dass für die Gestaltung der Schulstrukturen ausschließlich die Mitgliedstaaten zuständig sind.
- 7. In diesem Zusammenhang sieht der Bundesrat die als "Messung und Verbesserung der Gerechtigkeitswirkung der Schulsysteme und Verringerung der Qualitätsunterschiede zwischen Schulen" (vgl. Nummer 3.21) vorgebrachte Forderung nach der Schaffung neuer Indikatoren für den schulischen Bereich kritisch. Er weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten erst unter deutschem Ratsvorsitz im Mai 2007 im Rahmen der Diskussion eines kohärenten Rahmens für Indikatoren und Benchmarks (vgl. BR-Drucksache 141/07(B) ) die von der Kommission neu vorgeschlagenen Indikatoren zur Schulbildung abgelehnt haben.
- 8. Der Bundesrat begrüßt die Einschätzung der Kommission, dass die Schule allein die soziale Benachteiligung von Schülern nicht ausgleichen könne, und sieht wie die Kommission Problemlösungsansätze in einer verstärkten Partnerschaft mit einer Vielzahl von Akteuren, wobei der Familie aus Sicht des Bundesrates eine besonders wichtige Rolle zukommt.
- 9. Der Bundesrat nimmt die Kritik der Kommission im Hinblick auf eine Berücksichtigung sonderpädagogischen Förderbedarfs bei Kindern und Jugendlichen durch den Unterrichtsbesuch an Förderschulen zur Kenntnis, vermisst jedoch eine differenziertere Betrachtung des Sachverhalts. Der Bundesrat pflichtet der Kommission bei, dass bei Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf der Unterricht im Klassenverband der allgemeinen Schule große Bedeutung zukommt. In allen Ländern werden im Rahmen integrativer Beschulung Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf von Sonderschullehrkräften beraten und unterstützt. Während sich die Länder in der Bundesrepublik Deutschland bemühen, so weit wie pädagogisch zu verantworten, den Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit anhaltendem erheblichen sonderpädagogischem Förderbedarf an allgemeinen Schulen zu ermöglichen, kann auch eine intensive Förderung an Sonderschulen notwendig sein. Dabei soll bei positiver Entwicklung der Übertritt an die allgemeine Schule angestrebt werden.
- 10. Der Bundesrat unterstützt die Forderung der Kommission nach einer stärkeren Autonomie für die einzelnen Schulen innerhalb der Bildungssysteme der Mitgliedstaaten und verweist auf positive Erfahrungen der Länder im Rahmen dortiger Prozesse der inneren Schulentwicklung. Hinsichtlich der Kommissionsanregung, die Einstellung und Weiterbeschäftigung von Schulleitern solle "in professionelle Hände gelegt" (vgl. Nummer 4.6 der Mitteilung) werden, geht der Bundesrat davon aus, dass es sich hier nicht um die Beauftragung systemexterner Rekrutierungsagenturen handeln solle, sondern - wie im OECD-Rahmen diskutiert - um eine systeminterne Verbesserung der Effizienz, Effektivität und Transparenz des von den dafür zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten durchgeführten Auswahlverfahrens.
- 11. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, seine Stellungnahme gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 EUZBLG maßgeblich zu berücksichtigen, da die Angelegenheit die allgemeine schulische Bildung betrifft und damit in die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder fällt. Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung darüber hinaus auf, die Verhandlungsführung gemäß § 6 Abs. 2 EUZBLG Satz 1 auf die Länder zu übertragen.