846. Sitzung des Bundesrates am 4. Juli 2008
A.
Der federführende Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) und der Ausschuss für Wirtschaft (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
Zum Gesetzentwurf allgemein
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Bundesregierung mit der Änderung des Bundeskriminalamtgesetzes dem Bundeskriminalamt auf der Grundlage des Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG die zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus erforderlichen Befugnisse einräumen will. Er nimmt zustimmend zur Kenntnis, dass in der Regelung über die Aufgaben und Zusammenarbeit des Bundeskriminalamtes mit den Länderpolizeien wesentliche Forderungen der Länder berücksichtigt sind. Der Bundesrat geht davon aus, dass entsprechend der bisherigen Praxis eine Konsultation der Sicherheitsbehörden der Länder erfolgt.
- 2. Der Bundesrat bittet, Artikel 1 im weiteren Gesetzgebungsverfahren mit dem Ziel zu überarbeiten, im Anwendungsbereich des Unterabschnitts 3a eine fortwährende und enge Kooperation des Bundeskriminalamts mit den Ländern sicherzustellen.
Begründung
Der Gesetzentwurf erkennt die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit des BKA mit den Ländern bei Erfüllung seiner neuen Aufgabe an. Die Umsetzung dieser Erkenntnis ist aber noch verbesserungsbedürftig.
§ 4a Abs. 2 Satz 2 sieht vor, dass das BKA die zuständigen obersten Landesbehörden sowie ggf. andere Polizeibehörden des Bundes unverzüglich zu benachrichtigen hat wenn es die Aufgabe nach Abs. 1 wahrnimmt. Der Begründung zufolge orientiert sich diese Regelung "an dem bewährten Verfahren nach § 4 Abs. 3 BKAG im Bereich der Strafverfolgung". Tatsächlich weichen beide Bestimmungen aber in einem entscheidenden Punkt von einander ab. Während nämlich § 4a Abs. 2 Satz 2 nur eine Benachrichtigung der obersten Landesbehörde anordnet verlangt § 4 Abs. 3 BKAG zusätzlich noch die Benachrichtigung der zuständigen Landeskriminalämter. Die Einbindung der Landeskriminalämter durch das Gesetz selbst ist zwingend erforderlich, weil die praktische Kooperation auf dieser Ebene stattfinden muss. Uneingeschränkte Datenübermittlungen sind nach § 20v Abs. 5 nur im Rahmen des gegenseitigen Benehmens zulässig was ebenfalls erfordert, dass alle zu beteiligenden Stellen im Gesetz selbst angesprochen werden.
Des Weiteren muss klargestellt werden, dass das gegenseitige Benehmen nach § 4a Abs. 2 Satz 3 nicht auf eine einmalige Abstimmung beschränkt ist, sondern dass während eines solchen Einsatzes des BKA eine kontinuierliche Abstimmung mit den betroffenen Ländern stattzufinden hat. Alle Informationen, die in diesem Zusammenhang ausgetauscht werden, müssen zur Gefahrenabwehr und nicht etwa nur zu dem Zweck "Herbeiführung des gegenseitigen Benehmens" verwertbar sein. § 20v Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 könnte im Gegenzug auf Empfänger außerhalb der Polizei beschränkt werden (etwa von Anschlägen bedrohte Versorgungsunternehmen).
Zu überprüfen ist auch die Regelung der Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzbehörden.
Der Verfassungsschutz ist ebenfalls im Bereich der Gefahrenabwehr tätig so dass auch insoweit eine enge Kooperation notwendig ist.
Dies hat die "EG Zeit" bestätigt. Damit dürfte es nicht vereinbar sein, dass dem Verfassungsschutz Erkenntnisse aus Wohnraumüberwachungen ausschließlich bei der Einholung von Auskünften übermittelt werden dürfen.
- 3. Der Bundesrat unterstützt nachhaltig die Normierung von Befugnissen für das Bundeskriminalamt zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung, insbesondere die Aufnahme einer Befugnis zum verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme.
- * Bei Annahme von Ziffern 4 und 5 sind diese redaktionell zusammenzuführen.
4. Zu Artikel 1 Nr. 2 (§ 4a Abs. 1 Satz 2 - neu - BKAG)*
In Artikel 1 Nr. 2 ist § 4a Abs. 1wie folgt zu ändern:
- a) Nach Satz 1 ist folgender Satz einzufügen: "Die Zuständigkeit einer Länderpolizei nach Satz 1 Nr. 2 ist auch dann nicht erkennbar, wenn und solange der räumliche Anknüpfungspunkt dem Bundeskriminalamt zwar bekannt geworden ist, aus zwingenden Quellenschutzgründen aber nicht weitergegeben werden darf."
- b) Im bisherigen Satz 2 sind die Wörter "diese Aufgabe" durch die Wörter "der Aufgabe nach Satz 1" zu ersetzen.
Begründung
Sachverhalte, die den Ländern eine Kenntnis über einen räumlichen Anknüpfungspunkt und damit eine Zuständigkeit bei sich deshalb vorenthalten, weil das BKA aus Quellenschutzgründen Informationen nicht weitergeben darf, werden als Unterfall eines bislang nicht bekannten räumlichen Anknüpfungspunktes in einem Land eingeordnet. Dies entspricht noch dem Wortlaut des Verfassungstextes, der prinzipiell weite Auslegungsspielräume für den einfachen Gesetzgeber lässt. Dies entspricht aber auch dem Willen des Verfassungsgesetzgebers.
Denn bei der rechtstatsächlichen Diskussion und Fundamentierung der Verfassungsänderung zu Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG hat gerade der Fall, dass ein auswärtiger Dienst geschützte Informationen an die deutsche Zentralstelle BKA mit Quellenschutzmaßgaben heranträgt, eine prononcierte Rolle gespielt für die Notwendigkeit, eine BKA-Zuständigkeit für Abwehr von Gefahren aus dem Bereich des internationalen Terrorismus neu zu schaffen.
5. Zu Artikel 1 Nr. 2 (§ 4a Abs. 1 Satz 2 BKAG)*
In Artikel 1 Nr. 2 § 4a Abs. 1 ist Satz 2 wie folgt zu ändern:
- a) Nach den Wörtern " im Rahmen dieser Aufgabe auch" sind die Wörter "eine im Einzelfall bestehende Gefahr der Begehung von in § 129a Abs.1 und 2 des Strafgesetzbuches bezeichneten Straftaten abwehren, wenn diese sich als Verwirklichung der Gefahren des internationalen Terrorismus darstellen" einzufügen.
- b) Das Wort "rechtswidrig" vor den Wörtern "mit Gewalt oder durch Drohung" ist zu streichen.
Begründung
Die Änderung zielt darauf ab klarzustellen, dass es sich bei der Regelung in Satz 2 um eine Konkretisierung des in Artikel 73 Abs.1 Nr. 9a GG abgesteckten Aufgabenbereichs handelt. Die bisherige Formulierung kann zusammen mit der Gesetzesbegründung, dass Satz 2 "darüber hinaus" noch die Verhütung von bestimmten terroristischen Straftaten als Aufgabe nenne (S. 47), dahingehend missverstanden werden, dass eine Aufgabenerweiterung gewollt ist, die den grundgesetzlich begrenzten Bereich verlässt.
Zugleich wird durch die Änderung präzisiert, dass auch bei der Verhütung von Straftaten mit Bezug zum internationalen Terrorismus immer die Zielrichtung der Abwehr einer konkreten Gefahr gegeben sein muss. Sonst kann Satz 2 als eine Ermächtigung zur Ausübung von Befugnissen so weit im Vorfeld verstanden werden dass eine Überschneidung mit dem Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes droht.
6. Zu Artikel 1 Nr. 5 (§ 20c Abs. 3 Satz 2 BKAG)
In Artikel 1 Nr. 5 § 20c Abs. 3 sind in Satz 2 nach den Wörtern "Dies gilt" die Wörter "außer in den Fällen des § 139 Abs. 2 des Strafgesetzbuches" einzufügen.
Begründung
In Absatz 3 Satz 2 des § 20c in der von der Bundesregierung vorgelegten Fassung des Gesetzentwurfs wird eine ausnahmslose Auskunftspflicht auch für zeugnisverweigerungsberechtigte Personen statuiert, wenn die Auskunft zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich ist. Geistliche sind von dieser Auskunftspflicht nicht ausgenommen. Dadurch entsteht ein Wertungswiderspruch zu § 139 StGB. Dieser trägt die Überschrift "Straflosigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten". Inhaltlich geht es also in § 139 StGB ebenso wie hier um Prävention. Nach § 139 Abs. 2 StGB ist ein Geistlicher nicht verpflichtet anzuzeigen, was ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden ist. Zur Beseitigung dieses Wertungswiderspruchs ist Absatz 3 Satz 2 so zu ergänzen, dass der absolute Schutz der Kommunikation in seelsorgerischen Gesprächen von Geistlichen auch im Rahmen des BKA-Gesetzentwurfs aufrechterhalten bleibt.
Im Übrigen hält der Bundesrat eine Korrektur in folgenden Einzelpunkten für geboten:
Zu Artikel 1 Nr. 5 (§ 20k BKAG)
- 7. Im Zusammenhang mit der Befugnis des § 20k BKAG-E ("Verdeckter Eingriff in informationstechnische Systeme") ist eine Befugnis zum verdeckten Betreten und Durchsuchen von Wohnungen und Sachen vorzusehen. In vielen Fällen wird eine Datenerhebung ohne physischen Zugriff auf das informationstechnische System überhaupt nicht möglich sein, so dass ein Leerlaufen der in § 20k BKAG-E enthaltenen Befugnis zu befürchten ist. Auch das Bundesverfassungsgericht geht offensichtlich von der Notwendigkeit und Zulässigkeit solcher verdeckter Begleitmaßnahmen aus, wenn es sich im Urteil vom 27. Februar 2008 (Absatz-Nr. 193) ausdrücklich mit dieser Problematik beschäftigt, ohne zugleich die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit festzustellen oder auch nur anzudeuten.
- 8. Ferner sollte aus Sicht des Bundesrates gesetzlich sichergestellt werden, dass die Erkenntnisse aus einer Maßnahme nach § 20k BKAG-E auch zu Beweiszwecken im Strafverfahren verwertet werden dürfen.
9. Zu Artikel 1 Nr. 5 (§ 20l Abs. 5 BKAG)
Der Bundesrat fordert, die Entschädigungsfrage für die Inanspruchnahme von Telekommunikations-Diensteanbietern sektorspezifisch neu zu regeln, mit dem Ziel einer angemessenen Entschädigung für die erbrachten Leistungen laufender Telekommunikationsüberwachungen.
Durch die in den vergangenen Jahren permanent gestiegenen Anforderungen an die Telekommunikationsüberwachung, einhergehend mit wachsenden Anforderungen der Bedarfsträger, sind die ohnehin bereits hohen technischen und organisatorischen Aufwendungen an die Telekommunikationsunternehmen in den vergangenen Jahren ständig gestiegen. Dem entsprechend sollte grundsätzlich eine Entschädigung gewährt werden, die von den üblichen Sätzen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) abweicht und die Aufwendungen der Unternehmen angemessen berücksichtigt. Die im JVEG bislang vorgesehenen Entschädigungsbeträge sind in keiner Weise ausreichend und sind darüber hinaus kaum dazu geeignet, den reinen Verwaltungsaufwand der TK-Unternehmen auch nur ansatzweise zu decken.
10. Zu Artikel 1 Nr. 5 (§ 20v Abs. 5 Satz 3 BKAG)
Der Bundesrat hält die in § 20v Abs. 5 Satz 3 BKAG-E geplante Vorschrift hinsichtlich der Datenübermittlung von Daten aus Maßnahmen der Wohnraumüberwachung an das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz für nicht ausreichend. Die Regelung erlaubt eine Datenübermittlung nur für die Einholung von Auskünften, wenn dies für die Aufgabenerfüllung des Bundeskriminalamtes erforderlich ist. Aus Sicht des Bundesrates wird dabei außer Acht gelassen, dass die Verfassungsschutzbehörden durch Sammlung und Zusammenführen von Informationen die originäre Aufgabe der Gefahrenaufklärung haben und dies nicht auf die Polizeibehörden beschränkt ist.
B.
- 11. Der Finanzausschuss und der Rechtsausschuss empfehlen dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.