Empfehlungen der Ausschüsse
Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht

836. Sitzung des Bundesrates am 21. September 2007

A.

Der federführende Rechtsausschuss und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zu Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe b ( § 7 Abs. 2 JGG) Artikel 1 Nr. 2 Buchstabe c (§ 41 Abs. 1 Nr. 5 JGG)

Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:

Begründung

Der Vorschlag unter Buchstabe a entspricht Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe b des Gesetzentwurfs des Bundesrates zur Vermeidung von Rückfalltaten gefährlicher junger Gewalttäter vom 27. Mai 2005 - BR-Drs. 276/05(B) HTML PDF ; BT-Drs. 015/5909.

Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung für die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorgesehene Schwelle von mindestens sieben Jahren Jugendstrafe bei der Anlassverurteilung ist zu hoch und auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht geboten.

Bereits die Verhängung einer Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren hat in der Praxis Ausnahmecharakter und erfolgt nur bei besonders schweren Straftaten, so dass es auch bei Verurteilungen zwischen fünf und sieben Jahren Jugendstrafe durchaus Fälle geben kann, in denen der Täter auch nach vollständiger Verbüßung der Jugendstrafe mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. So musste beispielsweise in Bayern Anfang des Jahres 2006 ein wegen mehrfacher Vergewaltigung zu sechs Jahren neun Monaten Jugendstrafe verurteilter Straftäter nach vollständiger Verbüßung der Strafe entlassen werden, obwohl Gutachter ein hohes Rückfallrisiko bezüglich Gewalttaten attestiert hatten. Trotz engmaschigster Führungsaufsicht und polizeilicher Beobachtung konnte nicht verhindert werden, dass der Täter im April 2007 versuchte, seinen Vater mit einem Beil zu erschlagen.

Bei Beibehaltung der im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Schwelle von sieben Jahren Jugendstrafe ist zu erwarten, dass hochgefährliche Straftäter bereits aus formellen Gründen für die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht in Betracht kommen, ohne dass es hierfür eine plausible Erklärung gäbe. Erneute Diskussionen um die Notwendigkeit der Schließung von Sicherheitslücken dürften die Folge sein. Die Gefahr derartiger Sicherheitslücken würde durch die Festsetzung einer Verurteilung zu mindestens fünf Jahren Jugendstrafe als Voraussetzung für die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung weitgehend vermieden. Die Schwelle von fünf Jahren reiht sich zudem in die bisherige Gesetzessystematik ein (vgl. § 66b Abs. 2 StGB, § 106 Abs. 5 JGG).

Die Änderung unter Buchstabe b ist im Hinblick auf die Herabsetzung des in § 7 Abs. 2 JGG-E festgesetzten Schwellenwertes für die Höhe der Anlassverurteilung von sieben auf fünf Jahre Jugendstrafe erforderlich.

2. Zu Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe b (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 JGG)

Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe b § 7 Abs. 2 ist wie folgt zu ändern:

Begründung

Der Vorschlag entspricht Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe b des Gesetzentwurfs des Bundesrates zur Vermeidung von Rückfalltaten gefährlicher junger Gewalttäter vom 27. Mai 2005 (BR-Drs. 276/05(B) HTML PDF ; BT-Drs. 015/5909).

Auch Verbrechen gegen die persönliche Freiheit, zum Beispiel nach § 239 Abs. 4, §§ 239a, 239b, oder 250 StGB können schwerste Fälle der Gewaltkriminalität darstellen, die es erforderlich machen, die Gefährlichkeit des Täters bei vollständiger Verbüßung der gegen ihn verhängten Strafe im Hinblick auf die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu überprüfen. Eine Ausklammerung dieser Tatbestände aus dem Katalog der möglichen Anlasstaten ist auch unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit weder erforderlich noch geboten. Anlasstaten geringerer Intensität werden bereits durch die erforderliche Höhe der verhängten Jugendstrafe ausgenommen. Der Katalog des § 66b Abs. 2 StGB ist daher unverändert zu übernehmen.

3. Zu Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe b ( § 7 Abs. 2 JGG)

In Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe b § 7 Abs. 2 sind die Wörter ", durch welches das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist," zu streichen und die Wörter "erneut Straftaten der vorbezeichneten Art begehen wird" durch die Wörter "erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden" zu ersetzen.

Begründung

Der Vorschlag entspricht Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe b des Gesetzentwurfs des Bundesrates zur Vermeidung von Rückfalltaten gefährlicher junger Gewalttäter vom 27. Mai 2005 - BR-Drs. 276/05(B) HTML PDF ; BT-Drs. 015/5909.

Maßgeblicher Grund für die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist die auch am Ende des Vollzugs fortbestehende Gefährlichkeit des Täters. Ein Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit ist dann gegeben, wenn der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

Eine materielle Qualifizierung bereits der Anlasstat, wie im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen, ist weder erforderlich noch geboten. Bei den in Betracht kommenden Katalogtaten handelt es sich um Delikte, durch die die Opfer regelmäßig körperlich oder seelisch schwer geschädigt worden sind. Sollte dies ausnahmsweise nicht der Fall sein, kann daraus nicht auf eine fehlende oder geringere Gefährlichkeit des Täters geschlossen werden. Dass das Opfer durch die Tat nicht geschädigt wurde oder keine entsprechende Gefahr bestand, kann nämlich auch auf andere Umstände, insbesondere das Verhalten des Opfers und dessen Persönlichkeitsstruktur, zurückzuführen sein. Die vorgesehene materielle Qualifizierung der Anlasstat könnte somit in Einzelfällen dazu führen, dass ein Straftäter, der weiterhin in hohem Maße für andere Menschen gefährlich ist, am Ende des Vollzugs auf freien Fuß gesetzt werden müsste. Zu berücksichtigen ist auch, dass die gegebenenfalls vom Gericht durchzuführende Beweisaufnahme zu der Frage, ob das Opfer durch die Tat (seelisch) schwer geschädigt wurde oder einer solchen Gefahr ausgesetzt war, zu einer massiven, dem Gedanken des Opferschutzes zuwider laufenden Beeinträchtigung der Rechte des Geschädigten führen kann.

Ein Wertungswiderspruch zu § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, Abs. 5 JGG ergibt sich nicht, wenn diese Regelungen entsprechend dem Gesetzentwurf des Bundesrates vom 27. Mai 2005 (BR-Drs. 276/05(B) HTML PDF ; BT-Drs. 015/5909) aufgehoben werden.

4. Zu Artikel 1 Nr. 4 ( § 106 JGG)

Artikel 1 Nr. 4 ist wie folgt zu fassen:

"4. § 106 wird wie folgt geändert:

Begründung

Der Vorschlag entspricht Artikel 2 Nr. 1 des Gesetzentwurfs des Bundesrates zur Stärkung der Sicherungsverwahrung vom 19. Mai 2006 - BR-Drs. 139/06(B) HTML PDF ; BT-Drs. 016/1992.

Das in § 106 Abs. 3 Satz 1 JGG immer noch enthaltene grundsätzliche Verbot der Anordnung von Sicherungsverwahrung gegen Heranwachsende auch bei Anwendung des allgemeinen Strafrechts hat sich nicht bewährt. In der Praxis treten zwar selten, aber doch immer wieder Fälle auf, in denen heranwachsende Täter bereits schwerste oder eine so große Zahl von schweren Straftaten begangen haben, dass von einer gravierenden Gefährlichkeit für die Allgemeinheit ausgegangen werden muss. Dass das Gesetz die Anordnung von Sicherungsverwahrung bei einem Heranwachsenden ausschließt, bei dem die Voraussetzungen des Erwachsenenstrafrechts vorliegen, kann nicht überzeugen. Der Gedanke, dass auf die Sicherungsverwahrung bei einem frühkriminellen Hangtäter nicht verzichtet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1988 - 3 StR 406/88 -, NStZ 1989, 67; Urteil vom 23. August 2000 - 3 StR 307/00 -, NStZ-RR 2001, 13) trifft auf ihn ebenso zu wie auf einen über 21 Jahre alten Erwachsenen.

Die seit dem 1. April 2004 durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3007) normierte Lösung einer Vorbehaltssicherungsverwahrung, die sich an § 66a StGB anlehnt, aber keine vorbehaltlose Anordnung gemäß § 66 StGB zulässt, ist inkonsequent und wird dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung nicht gerecht. Es besteht kein durchgreifender Grund dafür, dass gegen Heranwachsende, bei denen sämtliche Voraussetzungen des § 66 StGB vorliegen, keine (vorbehaltlose) Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann. Die zudem im Gesetz vorgesehene Begrenzung der Möglichkeit der Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung auf Fälle, in denen der Verurteilung eine der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Straftaten zu Grunde liegt, darüber hinaus das Opfer schwer geschädigt oder gefährdet worden ist, die Anlasstat mit einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren geahndet wurde und die Voraussetzungen bezüglich der Art der Tat auch hinsichtlich der erforderlichen Vortat(en) vorliegen, schränkt den Anwendungsbereich so massiv ein, dass damit nahezu kein Sicherheitsgewinn zu erzielen ist.

Notwendig bleibt auch die ersatzlose Streichung des § 106 Abs. 4 JGG, wie er durch das oben genannte Gesetz zum 1. April 2004 eingeführt worden ist: Danach kann das Gericht anordnen, dass bereits die Strafe in einer sozialtherapeutischen Anstalt zu vollziehen ist. Gegen den Fortbestand dieser Regelung spricht insbesondere, dass die Gerichte bei der Auswahl therapiegeeigneter Sexualstraftäter in der kurzen Zeitspanne einer Hauptverhandlung in der Regel überfordert wären. Die Belegung teurer Therapieplätze mit ungeeigneten Sexualstraftätern und eine Vergeudung wichtiger Behandlungsressourcen wären die Folge. Deshalb ist es weitaus sachgerechter, die Therapiegeeignetheit eines Sexualstraftäters nach einer gewissen Beobachtung im Justizvollzug durch erfahrene Vollzugstherapeuten beurteilen zu lassen. Auf diese Weise werden die Aussichten verbessert, dass eine Therapie auch zum Erfolg führt. Darüber hinaus wäre den Justizvollzugsanstalten die Entscheidung über die Rückverlegung von therapieunwilligen und therapieresistenten Gefangenen entzogen. Bis zur Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung müsste der Gefangene weiterhin in der sozialtherapeutischen Einrichtung verbleiben, mit entsprechend negativen Auswirkungen auf das Behandlungsklima für die übrigen Gefangenen. Letztlich sind auch keine Gründe dafür ersichtlich, warum hier eine andere Beurteilung als bei Erwachsenen (vgl. § 9 StVollzG) geboten sein soll. Die Verlegung in die Sozialtherapie kann auch während des Vollzugs der Jugendstrafe erfolgen.

Der durch Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I S. 1838) neu eingeführte Absatz 5, der eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung bei Heranwachsenden ebenfalls nur unter den vorgenannten unzulänglichen Voraussetzungen des § 106 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 JGG ermöglicht, ist aufzuheben. Auch insoweit ist die Gleichbehandlung aller nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten sicherzustellen.

Als Folge dieser Gleichstellung bleibt auch für die in § 106 Abs. 6 JGG geregelte nachträgliche Sicherungsverwahrung nach Erledigterklärung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus neben § 66b Abs. 3 StGB kein eigenständiger Anwendungsbereich.

B.