832. Sitzung des Bundesrates am 30. März 2007
A
Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Rechtsausschuss empfehlen dem Bundesrat zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 (Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens Artikel 1 mit dem Ziel zu überarbeiten, dass beweisrelevantes Material aus Ermittlungsmaßnahmen nach dem Zollfahndungsdienstgesetz auf Grund von Löschungsbestimmungen nicht zu Unrecht unwiederbringlich verloren geht.
Begründung
Der Gesetzentwurf sieht in mehreren Vorschriften - z.B. in Artikel 1 Nr. 13
Buchstabe c und d (§ 23a Abs. 4a und 5), Artikel 1 Nr. 23 (§ 32a Abs. 2) - vor, dass Aufzeichnungen über Inhalte, die aus Gründen des Kernbereichsschutzes oder wegen des besonderen Schutzes von Berufsgeheimnisträgern nicht verwertet werden dürfen, unverzüglich zu löschen sind.
Diese Regelungen berücksichtigen nicht ausreichend, dass vielfach gerade am Anfang eines Ermittlungsverfahrens nicht erkennbar ist, ob beispielsweise eine geschützte Person in die Tat verstrickt ist und demgemäß erlangte Erkenntnisse verwertet werden können. Auch kommt in Betracht, dass die geschützte Person in eine Verwertung der Erkenntnisse einwilligt.
Beide Verwertungsmöglichkeiten würden ausgeschlossen und somit die materielle Wahrheitsfindung zu Unrecht beeinträchtigt, wenn derartige Erkenntnisse sofort gelöscht würden. Darüber hinaus ist zu befürchten, dass seitens der Verteidigung der Einwand erhoben wird, die Löschung beispielsweise bei der Telekommunikationsüberwachung sei durch die Strafverfolgungsbehörden selektiv und zum Nachteil des Beschuldigten erfolgt.
Als vorzugswürdige Alternative kommt in Betracht, entsprechende Daten - wie auch sonst üblich - nicht zu löschen, sondern zunächst nur zu sperren (vgl. § 20 Abs. 3 BDSG). Diese Lösung würde den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen ohne dass unter Umständen verwertbare Beweisergebnisse unwiederbringlich verloren gingen.
2. Zu Artikel 1 Nr. 7 Buchstabe c, Nummer 8 Buchstabe b, Nummer 12 und 23 (§ 18 Abs. 4 Satz 1 und 2, § 19 Abs. 4 Satz 1 und 2, § 22a Abs. 4 Satz 2 und 3 - neu - sowie § 32a Abs. 4 Satz 2 und 3 - neu - ZFdG)
Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:
- a) In Nummer 7 Buchstabe c sind in § 18 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 zu streichen.
- b) In Nummer 8 Buchstabe b sind in § 19 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 zu streichen.
- c) In Nummer 12 sind dem § 22a Abs. 4 folgende Sätze anzufügen:
"Daten, die durch eine Maßnahme nach Absatz 1 erlangt worden sind, sind zu kennzeichnen. Nach einer Übermittlung an eine andere Stelle ist die Kennzeichnung durch diese aufrechtzuerhalten."
- d) In Nummer 23 sind dem § 32a Abs. 4 folgende Sätze anzufügen:
"Daten, die durch eine Maßnahme nach Absatz 1 erlangt worden sind, sind zu kennzeichnen. Nach einer Übermittlung an eine andere Stelle ist die Kennzeichnung durch diese aufrechtzuerhalten."
Begründung
Die durch den Zoll im Rahmen verdeckter Maßnahmen im Sinne von §§ 18, 19, 29, 20, 30, 21, 31, 22, 32, 22a, 32a gewonnenen personenbezogenen Daten können wichtig für Ermittlungen der Landespolizei sein. Dies gilt zum Beispiel bei Ermittlungen im Bereich der Organisierten Kriminalität, der Rauschgift oder Schleuserkriminalität. Eine Übermittlung der personenbezogenen Daten an Länderpolizeibehörden kommt daher bei allen in dem Zollfahndungsdienstgesetzentwurf geregelten verdeckten Informationsgewinnungsmaßnahmen in Betracht. Pflichten zur Kennzeichnung personenbezogener Daten würden Bundesbehörden und mittelbar auch Landesbehörden treffen.
Es besteht keine fachliche oder rechtliche Notwendigkeit, die Kennzeichnung von Daten über den vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Rahmen hinaus im Zollfahndungsdienstgesetz festzuschreiben. Das Bundesverfassungsgericht sieht die Notwendigkeit der Kennzeichnung nur bei solchen personenbezogenen Daten, die bei einem Eingriff in das Grundrecht aus Artikel 10 GG oder aus Artikel 13 GG erhoben wurden. Personenbezogene Daten, die nicht aus einer Telefon-, Wohnraum- oder Postüberwachung stammen müssen nicht besonders gekennzeichnet werden. Einer den Zollfahndungsdienst betreffenden Kennzeichnungspflicht bedarf es daher lediglich wenn innerhalb einer Wohnung zur Eigensicherung der von ZKA oder ZFA beauftragten Person technische Mittel eingesetzt werden und mit dem hierbei eingesetztem Mittel Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen angefertigt oder das nicht öffentlich gesprochene Wort abgehört und aufgezeichnet wird. In § 22a und § 32a müssen Kennzeichnungspflichten für die Bundesbehörden und im Fall der Übermittlung für die Länderbehörden festgelegt werden. Eine Differenzierung zwischen Bundesbehörden und Länderbehörden würde dem Grundanliegen der Kennzeichnung widersprechen, dass unabhängig von der Form der Datennutzung die Herkunft der Daten erkennbar bleiben muss. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung (BVerfG, 1 BvR 2226/94 vom 14. Juli 1999, Absatz Nr. 284) deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber auch den Empfangsbehörden Kennzeichnungspflichten aufzugeben hat. "Ohne eine derartige Pflicht könnten die ... Daten ... in einer Weise abgespeichert oder sich mit anderen Daten und Informationen vermischen, dass ihre Herkunft aus einer strategischen Fernmeldekontrolle nicht mehr erkennbar ist.
3. Zu Artikel 1 Nr. 11 Buchstabe e - neu - (§ 22 Abs. 4 Satz 1 ZFdG), Nr. 22 Buchstabe e - neu - (§ 32 Abs. 4 Satz 1 ZFdG)
Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:
- a) Nummer 11 ist folgender Buchstabe e anzufügen:
"e) In Absatz 4 Satz 1 werden die Wörter ", der öffentlichen Sicherheit," durch das Wort "und" ersetzt und die Wörter "sowie der Möglichkeit der weiteren Verwendung der beauftragten Person" gestrichen."
- b) Nummer 22 ist folgender Buchstabe e anzufügen:
"e) In Absatz 4 Satz 1 werden die Wörter ", der öffentlichen Sicherheit," durch das Wort "und" ersetzt."
Begründung
Der Gesetzentwurf bezweckt die Anpassung einzelner Vorschriften des ZFdG an die sich aus der Rechtsprechung des BVerfG zur Überwachung des Wohnraums (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99 -, NJW 2004, 999) ergebenden Anforderungen.
Eine Umsetzung dieser Anforderungen in § 22 Abs. 4 Satz 1 und § 32 Abs. 4 Satz 1 ZFdG, die beide die Unterrichtungspflicht zum Gegenstand haben, erfolgt jedoch nicht.
Im genannten Urteil werden die Ausschlussgründe der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und der weiteren Verwendung des betreffenden Beamten bei der Unterrichtungspflicht des Betroffenen verfassungsrechtlich beanstandet (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 1016). Mit dem Begriff der "öffentlichen Sicherheit" werde die Suspendierung der Benachrichtigungspflicht unter eine Generalklausel gestellt die sehr weit gefasst sei und praktisch sämtliche in der Rechtsordnung geschützten Rechtsgüter umfasse; es fehle daher an einer Präzisierung, welche der darunter fallenden Rechtsgüter als so gewichtig eingeschätzt werden dass sie eine Suspendierung der Benachrichtigung bei heimlichen Grundrechtseingriffen rechtfertigten (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 1016).
Zudem beziehe sich die Formulierung des "weiteren Einsatzes" - hier der "weiteren Verwendung" - nicht allein auf das Ermittlungsverfahren, in dem die Maßnahme angewendet wurde, was die Benachrichtigungspflicht für unabsehbare Zeit ausschlösse (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 1016). Dementsprechend sind diese Ausschlussgründe in § 100d Abs. 8 Satz 5 StPO nicht mehr berücksichtigt worden.
Es ist nicht erkennbar, dass sich die Beanstandungen des BVerfG insoweit nur auf die akustische Wohnraumüberwachung, also den Einsatz technischer Mittel innerhalb von Wohnungen, beschränken; vielmehr liegt das Gegenteil nahe, da das BVerfG den Anspruch auf Benachrichtigung - neben Artikel 13 Abs. 1 GG - auch eigenständig auf Artikel 19 Abs. 4 GG stützt (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 1015).
Daher sind § 22 Abs. 4 Satz 1 und § 32 Abs. 4 Satz 1 ZFdG entsprechend zu korrigieren.
4. Zu Artikel 1 Nr. 16 (§ 23g Abs. 4 Satz 4 und 5 ZFdG)
In Artikel 1 Nr. 16 ist § 23g Abs. 4 wie folgt zu ändern:
- a) In Satz 4 ist das Wort "zwei" durch das Wort "drei" zu ersetzen.
- b) In Satz 5 sind die Wörter "einem Monat" durch die Wörter "drei Monaten" zu ersetzen.
Begründung
Der Entwurfsbegründung lässt sich nicht entnehmen, warum die Dauer der Anordnung und deren Verlängerung bei Verkehrsdaten abweichend von der grundrechtsintensiveren Überwachung von Telekommunikationsinhaltsdaten in § 23b Abs. 4 Satz 3 ZFdG und § 100b Abs. 2 StPO nur zwei Monate bzw. einen Monat beträgt.
Die in den genannten Vorschriften gewählten Fristen von je drei Monaten haben sich in der Praxis bewährt. Sie sind auch bei der Überwachung der Verkehrsdaten durch einen entsprechenden Verweis in § 100h Abs. 1 Satz 3 StPO auf § 100b Abs. 2 StPO vorgesehen.
5. Zu Artikel 4a - neu - (Zitiergebot)
Nach Artikel 4 ist folgender Artikel 4a einzufügen:
- Artikel 4a Zitiergebot Die Grundrechte des Fernmeldegeheimnisses ( Artikel 10 Abs. 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 des Grundgesetzes) werden nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt.
Begründung
Dem Zitiergebot des Artikels 19 Abs. 1 Satz 2 GG ist durch Benennung der eingeschränkten Grundrechte Rechnung zu tragen. Zwar werden durch den Gesetzentwurf bestehende Einschränkungen der Grundrechte aus Artikel 10 Abs. 1 und Artikel 13 Abs. 1 GG überwiegend präzisiert und begrenzt. Eine über das geltende Recht hinausgehende Einschränkung des Artikels 13 Abs. 1 GG beinhalten jedoch § 22a Abs. 1 und § 32a Abs. 1 ZFdG-E. Die Befugnisse des Zollkriminalamtes und der Zollfahndungsämter zur Eigensicherung durch Abhören und Aufzeichnen von Vorgängen innerhalb von Wohnungen werden auf die repressive Tätigkeit der eingesetzten Personen ausgedehnt. Die Änderungen des § 23a Abs. 3 ZFdG-E schränken Artikel 10 Abs. 1 GG ein, weil in weiteren Fällen die Durchführung von Überwachungsmaßnahmen gestattet wird. Ziel des § 23g ZFdG-E ist es, die Überwachung der Telekommunikation nach § 23a ZFdG auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Gleichwohl bedeutet die Befugnis, die Verkehrsdaten möglicher Betroffener zu erheben, eine Einschränkung des Grundrechts aus Artikel 10 Abs. 1 GG, da die Verbindungsdaten, die beim Nachrichtenmittler gespeichert sind, in den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses fallen (vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 -, Rnr. 77). Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 27. Juli 2005 - 1 BvR 668/04 -, BVerfGE 113, 348 <366 f.>) zum Zitiergebot des Artikels 19 Abs. 1 Satz 2 GG ist das betroffene Grundrecht im Änderungsgesetz auch dann zu benennen, wenn das geänderte Gesetz bereits eine Zitiervorschrift enthält, die Änderungen aber zu neuen Grundrechtseinschränkungen führen.
Dementsprechend muss in dem Gesetz auf die Grundrechtseinschränkungen hingewiesen werden.
B
- 6. Der federführende Finanzausschuss empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.