Der Bundesrat hat in seiner 831. Sitzung am 9. März 2007 zu dem Jahresgutachten 2006/2007 des Sachverständigenrates gemäß § 6 Abs. 1 SachvRatG und zu dem Jahreswirtschaftsbericht 2007 der Bundesregierung gemäß § 2 Abs. 1 StabG wie folgt Stellung genommen:
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland 2006 mit einem realen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts von 2,7 Prozent nach 0,9 Prozent im Jahr 2005 wesentlich besser verlaufen ist, als ursprünglich prognostiziert.
- 2. Er stimmt mit Sachverständigenrat und Bundesregierung darin überein, dass sich die Exporte im vergangenen Jahr dank der dynamischen weltwirtschaftlichen Entwicklung und der starken Präsenz der deutschen Wirtschaft auf den Weltmärkten einmal mehr als Wachstumsstütze erwiesen haben. Anders als in den letzten Jahren war die Konjunktur allerdings nicht mehr allein vom exzellenten Auslandsgeschäft abhängig. Mit dem Anspringen der Binnennachfrage ist das Fundament des Wachstums breiter und robuster geworden.
Vor allem die Investitionstätigkeit hat bemerkenswert stark an Schwung gewonnen.
Besonders erfreulich ist aus Sicht des Bundesrates, dass die wirtschaftliche Dynamik auch auf dem Arbeitsmarkt zu einer Wende geführt hat.
Die Zahl der Arbeitslosen lag Ende 2006 bereits um knapp 600.000 unter Vorjahresniveau. Gleichzeitig dürften mehr als 450.000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden sein. Dies übertrifft alle anfänglichen Erwartungen.
Nicht zuletzt hat sich im neuen Aufschwung die Lage der Sozial- und Staatsfinanzen spürbar entspannt: Dank höherer Einnahmen und geringerer Ausgaben konnte bereits 2006 das Maastricht-Defizitkriterium erstmals seit 2001 wieder eingehalten werden.
Der Bundesrat erkennt an, dass die Politik der Bundesregierung auf der Generallinie "Investieren - Sanieren - Reformieren" die Wachstumskräfte spürbar gestärkt und den Aufschwung maßgeblich gefördert hat. Unter anderem hat das Impulsprogramm von Genshagen seine Wirkung getan.
- 3. Ungeachtet der Anhebung der Umsatz- und der Versicherungsteuer um jeweils drei Prozentpunkte zum 1. Januar 2007 rechnet der Sachverständigenrat in diesem Jahr nicht mit einem Einbruch der Konjunktur. Vielmehr sind die Voraussetzungen für eine fortgesetzte - wenn auch etwas gedämpfte - Dynamik gegeben.
- 4. Der Bundesrat hält den geplanten Kurs, den in Gang gekommenen Aufschwung zu festigen, weitere Wachstumskräfte der Wirtschaft freizusetzen und die Konsolidierung der Haushalte fortzusetzen, für zielführend. Gemäß den Vorgaben des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist das Defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen weiter zu reduzieren.
- 5. Das Auslandsgeschäft bleibt auf Expansionskurs. Die Investitionsbedingungen sind weiterhin günstig. Der private Verbrauch profitiert nicht nur von einer steigenden Beschäftigung, sondern auch von den insgesamt sinkenden Lohnzusatzkosten. Vor diesem Hintergrund hält der Bundesrat das im Sachverständigengutachten und im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung prognostizierte reale Wirtschaftswachstum von 1,8 bzw. 1 ¾ Prozent für erreichbar. Die konjunkturellen Risiken sind aus derzeitiger Sicht begrenzt, die Chancen für eine anhaltend positive gesamtwirtschaftliche Entwicklung über 2007 hinaus gut.
- 6. Nach Einschätzung des Bundesrates wird sich damit auch in diesem Jahr die Erholung auf dem Arbeitsmarkt fortsetzen. In Übereinstimmung mit dem Sachverständigenrat kommt es aus seiner Sicht angesichts des hohen Anteils schlecht qualifizierter Langzeitarbeitsloser jetzt auch darauf an, deutlich mehr Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich zu mobilisieren. Die hohe Arbeitsmarktdynamik muss dazu genutzt werden, speziell die Vermittlung der ALG-II-Empfänger mit großer Intensität voranzutreiben. Gesetzliche Mindestlöhne hält der Bundesrat in diesem Zusammenhang für nicht zielführend.
Der Bundesrat erwartet, dass die Tarifpartner Verantwortung und Augenmaß beweisen und in den anstehenden Lohnverhandlungen nicht nur Einkommensaspekten, sondern auch der Beschäftigungssicherung und dem Entstehen neuer Arbeitsplätze die notwendige Aufmerksamkeit schenken.
- 7. Um den Aufschwung nachhaltig zu stabilisieren und Deutschland zukunftsfähig zu machen, hat die Bundesregierung neben dem 25 Milliarden-€-Impulsprogramm von Genshagen bereits eine Reihe weit reichender Reformen beschlossen und umgesetzt bzw. auf den Weg gebracht, so Teil I der Föderalismusreform, die "High Tech-Strategie Deutschland", die stufenweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um 2,3 Prozentpunkte auf 4,2 Prozent und die Gesundheitsreform.
- 8. Der Bundesrat plädiert dafür, den konjunkturellen Rückenwind für weitere Richtung weisende Reformen zu nutzen, die sowohl zur nachhaltigen Stabilisierung der öffentlichen Haushalte und sozialen Sicherungssysteme als auch zur Verbesserung des Wirtschaftsklimas sowie zur spürbaren Verbesserung der strukturellen Rahmenbedingungen und zur nachhaltigen Stärkung des Vertrauens von Unternehmen und Verbrauchern in die Zukunft beitragen.
- 9. Er geht davon aus, dass die Bundesregierung mit dem Unternehmenssteuerreformgesetz die Voraussetzungen für ein international wettbewerbsfähiges, transparentes und rechtsformneutrales Unternehmenssteuerrecht schafft ohne damit die notwendige Stabilisierung der Einnahmenseite der öffentlichen Haushalte zu gefährden.
- 10. Der Bundesrat wird in dem bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren sein besonderes Augenmerk darauf richten, dass die Reform mittelstandsfreundlich ausfällt.
Der Bundesrat hält an seiner Forderung nach einer Erleichterung der Unternehmensfortführung fest und dringt darauf, die notwendige Neugestaltung der Bewertungsregeln zügig in Angriff zu nehmen. Maßnahmen zur Erhaltung und zur Schaffung von Arbeitsplätzen dulden auch bei sinkenden Arbeitslosenzahlen keinen Aufschub. Der Bundesrat spricht sich für das Inkrafttreten des Gesetzes zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge nach Verkündung aus. Er befürwortet eine rückwirkende Anwendung des neuen Rechts mit Wirkung vom 1. Januar 2007 auf Antrag des Steuerpflichtigen. Alles andere würde das Vertrauen im Mittelstand schwer beschädigen.
Die noch ausstehenden Reformen in den Sozialen Sicherungssystemen müssen darauf abzielen, den Faktor Arbeit im globalen Wettbewerb von gesetzlichen Lohnzusatzkosten weiter zu entlasten. Das heißt, die Summe der Sozialbeiträge muss dauerhaft unter die 40 Prozentmarke gedrückt werden.
- 11. Kleine und mittlere Unternehmen werden durch Bürokratiekosten besonders belastet. Der Bundesrat stellt mit Befriedigung fest, dass der Bürokratieabbau im vergangenen Jahr durch die Einrichtung eines Normenkontrollrats im Bundeskanzleramt, einen Bürokratie-TÜV und die Übernahme des niederländischen Standardkosten-Modells auf eine neue Grundlage gestellt wurde. Ein erstes Mittelstandsentlastungsgesetz ist in Kraft. Der Bundesrat begrüßt auch den Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein zweites Mittelstandsentlastungsgesetz, mit dem Statistik-, Nachweis-, Dokumentations- und Buchführungspflichten verringert Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt, Doppel- und Mehrfachprüfungen abgebaut, Schwellenwerte vereinheitlicht die Verpflichtung von Betrieben zur Bestellung von Beauftragten begrenzt sowie die bereits begonnene Vereinfachung der betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Betreuung von Kleinbetrieben fortgeführt werden. Der Bundesrat sieht im Abbau von überflüssiger Bürokratie eine Daueraufgabe.
- 12. Der Bundesrat unterstreicht, dass die Energiepolitik - gemäß dem Postulat der Nachhaltigkeit - sowohl ökonomische als auch ökologische Anforderungen bestmöglich erfüllen muss. Schon auf Grund der im internationalen Vergleich sehr hohen Arbeitskosten steht der Beschäftigungsstandort Deutschland unter Druck. Der Bestand an Arbeitsplätzen darf nicht zusätzlich durch zu hohe Energiepreise gefährdet werden. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung deshalb auf, sich klar zu den Zielen Versorgungssicherheit, Preiswürdigkeit und Umweltverträglichkeit zu bekennen. In dem dafür notwendigen ausgewogenen Energiemix kann auf die Kernenergie auf absehbare Zeit nicht verzichtet werden. Bei der Förderung der erneuerbaren Energien muss in Zukunft verstärkt auf Energieeffizienz und Wirtschaftlichkeit geachtet werden, um eine unangemessen hohe Kostenbelastung der Wirtschaft und der privaten Verbraucher zu vermeiden. Beim Emissionshandel ist die Kostenbelastung der Wirtschaft stärker zu berücksichtigen.