Der Bundesrat hat in seiner 829. Sitzung am 15. Dezember 2006 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst.
Anlage
Entschließung des Bundesrates zur verpflichtenden Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf,
- I. einen Gesetzentwurf einzubringen, mit dem die Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen entsprechend den nach §§ 26 und 25 Abs. 4 Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch geregelten Früherkennungsuntersuchungen für alle Kinder im Alter von einem halben Jahr bis zu fünfeinhalb Jahren unabhängig von ihrem Versicherungsstatus zur Rechtspflicht erhoben wird;
- II. auf die Schaffung bundesrechtlicher Grundlagen hinzuwirken, durch die persönliche Daten der Kinder und ihrer Erziehungsberechtigten auch länderübergreifend zwischen den zuständigen Melde- und Sozialbehörden ausgetauscht werden können, soweit dies für die Entwicklung eines Meldewesens zur Überwachung der Teilnahme an verpflichtenden Früherkennungsuntersuchungen für Kinder erforderlich ist.
Begründung
:- I. Mit Beschluss vom 19. Mai 2006, vgl. BR-Drucksache 056/06(B) , hat der Bundesrat darauf hingewiesen, dass Kinder eine positive und ihnen zugewandte Lebenswelt brauchen, in der sie gesund aufwachsen können und vor Vernachlässigung, Misshandlung und sexuellem Missbrauch geschützt sind. Viele Kinder kommen jedoch immer noch nicht in den Genuss dieser eigentlich selbstverständlichen Rahmenbedingungen.
Die jüngsten in der Öffentlichkeit diskutierten schrecklichen Fälle von Vernachlässigung und Misshandlung wie auch die von der Fachwelt berichteten Befunde zeigen erneut die Dringlichkeit des Problems.
- II. Eine am Kindeswohl orientierte Pflege und Erziehung ist nicht nur das natürliche Recht der Eltern, sondern nach Artikel 6 des Grundgesetzes auch die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Dem Staat kommt eine Wächterfunktion zu, die es gebietet, sich schützend vor das Kind zu stellen und Fällen von Kindesvernachlässigung, -misshandlung und -missbrauch wirksam vorzubeugen, auch wenn dies mit Eingriffen in das elterliche Erziehungsrecht verbunden ist. Es gibt kein Elternrecht auf Vernachlässigung von Kindern.
- III. Ein Kernproblem beim Kampf gegen Kindesvernachlässigung, -misshandlung und -missbrauch besteht in der Schwierigkeit, rechtzeitig Anhaltspunkte für Verdachtsfälle zu erkennen. Wie der Bundesrat mit Beschluss vom 19. Mai 2006, vgl. BR-Drucksache 056/06(B) , festgestellt hat, stellt die Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen im Bereich des Gesundheitswesens eine wichtige Möglichkeit dar, Gefährdungen der körperlichen, psychischen und geistigen Entwicklung von Kindern frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Der Bundesrat hat deshalb unter anderem ein verbindliches Einladungswesen gefordert und die Bundesregierung aufgefordert, die rechtlichen Voraussetzungen für eine Teilnahme aller Kinder unabhängig von ihrem Versichertenstatus zu prüfen. Das Saarland und Hessen haben sich darüber hinaus schon im Vorfeld des oben genannten Bundesratsbeschlusses für die Einführung einer Pflicht zur Teilnahme an Kindervorsorgeuntersuchungen eingesetzt. Zwar nimmt die ganz überwiegende Zahl der Kinder schon auf freiwilliger Basis an den Früherkennungsuntersuchungen teil. Allerdings besteht die Gefahr, dass gerade Kinder aus Familien mit erhöhtem Risiko von Vernachlässigung oder Misshandlung diese Termine nicht wahrnehmen. Auch geht die Inanspruchnahme seit einigen Jahren insgesamt und mit
- IV. Die in diesem Beschluss enthaltenen Forderungen beschränken sich auf einen Bereich, in dem es dringend der Schaffung gesetzlicher Grundlagen auf Bundesebene bedarf. Gleichwohl sind sie Teil einer Gesamtstrategie, in deren Rahmen es weiterer Anstrengungen auf Bundes- und Landesebene zum Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch bedarf. Insofern kommt einer Überarbeitung der Früherkennungsrichtlinien, aber auch der Förderung und dem Ausbau von sozialen Netzwerkstrukturen große Bedeutung zu.