Der Bundesrat hat in seiner 819. Sitzung am 10. Februar 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich, dass sich die Kommission des Themas kritischer Infrastrukturen annimmt und hierfür einen gemeinsamen Rahmen festlegen will. Das europäische Programm soll einheitliche Sicherheitsstufen gewährleisten Schwachstellen minimieren und erprobte Verfahren zur Wiederherstellung normaler Verhältnisse bereitstellen. Dabei kann es nicht auf die Ursache eines Schadensereignisses ankommen. Der Bundesrat ist deshalb der Auffassung, dass ein solches Programm sowohl vorsätzliche Angriffe als auch Naturkatastrophen und andere Störfälle umfassen muss, und begrüßt den alle Risiken umfassenden Ansatz.
- 2. Der Bundesrat ist ferner der Auffassung, dass der Schutz kritischer Infrastrukturen auf europäischer Ebene der Konzentration auf grenzüberschreitende Aspekte bedarf, die zwei oder mehr Mitgliedstaaten gemeinsam betreffen. Grundsätzlich ist aber bilateraler Zusammenarbeit der Vorrang zu geben. Flächendeckende EU-weite Ansätze sind angesichts der unterschiedlichen Betroffenheit der Mitgliedstaaten nicht sachgerecht.
- 3. Die Kommission regt im Grünbuch an, dass sie gemeinsam mit den Mitgliedstaaten die Kriterien für die Definition sektorspezifischer kritischer Infrastrukturen festlegt und anschließend ein aufwändiges Steuerungsverfahren entwickelt. Diese über eine Rahmenempfehlung hinausgehenden Regelungstatbestände werden abgelehnt. Der Schutz kritischer Infrastrukturen ist auch nach den Grundsätzen des europäischen Programms für den Schutz kritischer Infrastrukturen (EPSKI) zuallererst eine nationale Aufgabe. Die Identifizierung von Verwundbarkeiten und die Einbindung der jeweiligen Betreiber der kritischen Infrastrukturen sowie gegebenenfalls deren Warnung müssen deshalb jeweils auf Ebene der Mitgliedstaaten erfolgen. Es besteht kein Bedarf, für diese Zusammenarbeit mit den Betreibern der Infrastrukturen europäische Vorgaben zu entwickeln. Dies gilt insbesondere für die Schaffung einer zusätzlichen Koordinierungs- bzw. Aufsichtsfunktion.
- 4. Der Bundesrat befürwortet vielmehr einen europäischen Ansatz, der sich in erster Linie auf einen Erfahrungsaustausch über best practice beim Schutz kritischer Infrastrukturen abstützt. Das Warn- und Informationsnetz für kritische Infrastrukturen (WINKI/CIWIN) sollte vorrangig diesen Informations- und Erfahrungsaustausch der Mitgliedstaaten leisten. Zur Steuerung von Warnmeldungen zu den Infrastrukturen sollten die bereits bestehenden Meldesysteme der EU genutzt werden. Es besteht kein Bedarf, hierfür eine weitere eigenständige Meldestruktur aufzubauen.
- 5. Im Rahmen der europäischen Sicherheitsforschung kommt der Entwicklung innovativer Schutztechnologien für kritische Infrastrukturen wichtige Bedeutung zu.
- 6. Vor diesem Hintergrund nimmt der Bundesrat zu den Fragen des Grünbuchs (gemäß der dortigen Nummerierung) wie folgt Stellung:
- 7. Frage 3.1: Der Zweck des europäischen Programms für den Schutz kritischer Infrastrukturen ist angemessen beschrieben.
- 8. Frage 3.2: Der Bundesrat befürwortet einen alle Gefahren umfassenden Ansatz.
- 9. Frage 4: Der Bundesrat unterstützt die wesentlichen Grundsätze der Konzeption des EPSKI. Angesichts der bei den Mitgliedstaaten liegenden Vollzugskompetenz kommt den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit besondere Bedeutung zu.
- 10. Frage 5: Ein gemeinsamer europäischer Rahmen zur Stärkung des Schutzes kritischer Infrastrukturen wird begrüßt. Rechtsverbindliche Festlegungen lehnt der Bundesrat ab.
- 11. Frage 6.1: Infrastrukturen sollten eingestuft werden, wenn sie ein Gefahrenpotential für zwei oder mehr Mitgliedstaaten darstellen.
- 12. Frage 6.2: Interdependenzen kann durch Gefahrenanalysen in den Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden. Die Methoden zur Analyse von Interdependenzen bedürfen weiterer Erörterung.
- 13. Frage 6.3: Das Vorgehen zur Einstufung von kritischen EU-Infrastrukturen (EUKI) bedarf wegen der nicht unerheblichen Belastungen der Wirtschaft durch zusätzliche Pflichten und Mehrkosten eingehender weiterer Beratung. Angesichts der Kompetenzverteilung in den Mitgliedstaaten lehnt der Bundesrat insbesondere rechtsverbindliche Entscheidungen und Schlichtungsverfahren auf europäischer Ebene ab.
- 14. Frage 7.2: Der Bundesrat hält ein nationales Programm für den Schutz kritischer Infrastrukturen für wünschenswert.
- 15. Frage 7.3: Der Bundesrat teilt die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten allein für Einstufung und Verwaltung von nationalen kritischen Infrastrukturen (NKI) auf der Grundlage des gemeinsamen europäischen Programms zuständig sein sollen. Einer dafür zuständigen Koordinierungs- bzw. Aufsichtsbehörde bedarf es nicht. Die vorhandenen gesetzlichen Zuständigkeiten sind ausreichend.
- 16. Frage 7.4: Die Vorgehensweise in Bezug auf NKI fällt nach Auffassung des Bundesrates in den nationalen Verantwortungsbereich.
- 17. Frage 8: Pflichten für Eigentümer oder Betreiber kritischer Infrastrukturen folgen ausschließlich aus dem nationalen Recht. Ein Dialog mit den Eigentümern/ Betreibern auf europäischer Ebene ist nicht erforderlich.
- 18. Frage 9: Der Bundesrat sieht kein Bedürfnis für eine weitere europäische Meldestruktur. WINKI sollte vielmehr den regelmäßigen Erfahrungsaustausch gewährleisten.