A. Problem und Ziel
- Gem. § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB II beträgt die Regelleistung für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 60 vom Hundert (208 Euro mtl.) der Regelleistung für einen allein stehenden Erwachsenen (347 Euro mtl.) und für Kinder im 15. Lebensjahr 80 vom Hundert (278 Euro mtl.). Jugendliche ab 16 Jahre bis unter 25 Jahre erhalten ebenfalls 80 vom Hundert, wenn sie im Haushalt ihrer Eltern leben.
- Mit dem jetzigen System können besondere entwicklungsbedingte Bedarfe der Kinder und Jugendlichen, insbesondere im Zusammenhang mit der Teilhabe an Bildung, nicht hinreichend abgebildet werden.
- Die Lebenswirklichkeit der betroffenen Kinder, die Leistungen nach dem SGB II und SGB XII erhalten, zeigt unter anderem, dass die Aufwendungen für Gebrauchs- und Unterrichtsmaterialien und die persönliche Ausstattung für die Schule aus den Regelleistungen für die Kinder nach dem SGB II und SGB XII nicht getragen werden können.
- Ein besonderes Problem ist das Fehlen einer Öffnungsklausel zur abweichenden Bedarfsbemessung in Einzelfällen, wie sie in § 28 SGB XII vorgesehen ist und auch bereits im früheren Bundessozialhilfegesetz zur Anwendung kam. Eine sachliche Begründung für die unterschiedliche Ausgestaltung der beiden Fürsorgesysteme SGB II und SGB XII fehlt. Das Bundessozialgericht hat zum Umgangsrecht eines Vaters mit seinen Kindern, die bei der Mutter leben, entschieden (Urteil vom 07.11.2006 Az.: B 7b AS 14/06 R), dass Fahrtkosten des umgangsberechtigten Elternteils grundsätzlich über § 73 SGB XII abzudecken sind. Kosten, die durch den Besuch der Kinder beim umgangsberechtigten Elternteil entstehen, können nach dem SGB II über das Bestehen einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II aufgefangen werden, wenn entsprechende Hilfebedürftigkeit der Kinder vorliegt. Diese höchstrichterliche Rechtsprechung ermöglicht die verfassungsrechtlich gebotene Abdeckung der Kosten des Umgangsrechts, führt jedoch in der Praxis durch die unterschiedlichen zuständigen Leistungsträger und die differenzierte Inhaberschaft der Ansprüche zu erheblichen Umsetzungsschwierigkeiten.
- Die Schnittstelle zum SGB XII ist aus systematischen Gründen bedenklich, da das SGB II für erwerbsfähige Hilfebedürftige abschließend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vorsehen sollte. Außerdem bewirkt dies auch eine im Rahmen der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ausdrücklich nicht beabsichtigte Kostenverlagerung zu Lasten der Kommunen.
B. Lösung
- Im SGB II und SGB XII sind im Hinblick auf bedarfsgerechte Leistungen für Kinder und Jugendliche folgende Änderungen vorzunehmen:
- Einführung von zusätzlichen einmaligen Leistungen im SGB II und SGB XII in § 23 Abs. 3 SGB II und § 31 SGB XII für die Beschaffung von Gebrauchs- und Unterrichtsmaterialien und der persönlichen Ausstattung für die Schule zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts im Zusammenhang mit frühzeitiger Förderung und Bildung von Kindern in Schulen.
- Einführung einer allgemeinen Öffnungsklausel analog § 28 SGB XII in das SGB II zur Bemessung der Regelleistungen sowohl für Erwachsene als auch für Kinder, um atypische besondere Bedarfslagen aufzufangen (z.B. Finanzierung des Umgangsrechts des Vaters mit dem Kind, das bei der geschiedenen Ehefrau lebt/ Übernahme von Fahrtkosten der Eltern für den Besuch eines kranken Kindes mit längerem Krankenhausaufenthalt).
C. Alternativen
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
- Die Einführung zusätzlicher Leistungen für Kinder und Jugendliche im SGB II und SGB XII hat einen zusätzlichen Finanzbedarf in Höhe von insgesamt ca. 138 Millionen Euro jährlich für den Bund und die Kommunen zur Folge.
- Die Kosteneffekte bei Einführung einer Öffnungsklausel im SGB II analog § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII können nicht beziffert werden. Es kann davon ausgegangen werden dass keine Mehrkosten entstehen, da mit der Öffnungsklausel in atypischen Fällen Regelleistungen sowohl erhöht als auch vermindert werden können.
- Eine Förderung von Gebrauchs- und Unterrichtsmaterialien und der persönlichen Ausstattung für die Schule mit höchstens 120 € jährlich für insgesamt knapp 1,1 Mio. bedürftige Schülerinnen und Schülern und eine einmaligen Förderung von 50 € bei der Einschulung würden ein jährliches Gesamtvolumen i.H.v. ca. 138 Mio. € ergeben.
- Die nachfolgende Übersicht bildet die finanziellen Mehraufwendungen differenziert nach Leistungen im SGB II und im SGB XII ab. Förderung Gebrauchs- und Unterrichtsmaterialien und persönliche Ausstattung für die Schule:
Alle hilfebedürftigen Kinder und Jugendlichen in der Schule | Förderung Gebrauchs- und Unterrichtsmaterialien und persönliche Ausstattung für die Schule 120 € pro Jahr und bedürftigem Schüler und einmalige Förderung bei Einschulung i.H.v. 50 € |
SGB II (1.084.422) | 137 Mio. € Bund |
SGB XII (9.300) | 1,1 Mio. € Kommunen |
Gesamt | 138,1 Mio. € |
- Erläuterung: 131.891 Kinder im Alter von 6 Jahren im SGB-II-Bezug (1.005 Kinder im SGB-XII-Bezug) erhalten 50 € bei der Einschulung. Insgesamt führt dies zu Kosten i.H.v. 6,6 Mio. €. Hinzu werden die insgesamt knapp 1,1 Mio. Schülerinnen und Schüler (im SGB II und SGB XII) jährlich mit 120 € gefördert; dies führt zu Kosten in Höhe von 131 Mio. €.
E. Sonstige Kosten
Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen
Entwurf eines Gesetzes zur Einführung zusätzlicher Leistungen für Kinder und Jugendliche im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch
Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, den 14. Dezember 2006
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ersten Bürgermeister
Ole von Beust
Sehr geehrter Herr Präsident,
namens der Landesregierung Nordrhein-Westfalen bitte ich, gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung den als Anlage mit Begründung beigefügten
- Entwurf eines Gesetzes zur Einführung zusätzlicher Leistungen für Kinder und Jugendliche im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und den ebenfalls beigefügten Antrag für eine Entschließung des Bundesrates zur Berücksichtigung des kinderspezifischen Bedarfs bei der Bemessung der Regelleistungen nach dem SGB II und SGB XII *
in die Tagesordnung der Plenarsitzung des Bundesrates am 20. Dezember 2007 aufzunehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Rüttgers
* siehe Drucksache 907/07 (PDF)
Entwurf eines Gesetzes zur Einführung zusätzlicher Leistungen für Kinder im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch
Vom...
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
Das Zweite Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I. S. 2954, 2955), zuletzt geändert durch...(BGBl. ), wird wie folgt geändert:
Artikel 2
Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
Das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe- (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022), zuletzt geändert durch Artikel 5 und 6 des Gesetzes vom 20. Juli 2007 (BGBl. I S. 1595) wird wie folgt geändert:
§ 31 wird wie folgt geändert:
- a) Absatz 1 wird wie folgt neu gefasst:
(1) Leistungen für
- 1. Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten,
- 2. Erstausstattung für Bekleidung und Erstausstattung bei Schwangerschaft und Geburt,
- 3. mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen sowie
- 4. die Beschaffung von Gebrauchs- und Unterrichtsmaterialien sowie der persönlichen Ausstattung für die Schule werden gesondert erbracht."
- b) In Absatz 3 Satz 1 werden die Worte "Satz 1 Nr. 1 und 2" durch die Worte "Satz 1 Nr. 1, 2 und 4" ersetzt.
Artikel 3
In-Kraft-Treten
- Das Gesetz tritt am ...in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
Die Lebenswirklichkeit der betroffenen Kinder, die Leistungen nach dem SGB II und SGB XII erhalten, zeigt unter anderem, dass die Aufwendungen für Gebrauchs- und Unterrichtsmaterialien und die persönliche Ausstattung für die Schule aus den Regelleistungen für die Kinder nach dem SGB II und SGB XII nicht getragen werden können.
Der notwendige Lebensunterhalt der Kinder ist im Zusammenhang mit dem Besuch von Schulen derzeit nicht hinreichend sichergestellt. Dies schränkt die Teilhabe an Bildungschancen in erheblichem Maße ein, so dass eine Novellierung des SGB II und des SGB XII vorgenommen werden muss.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1 (SGB II)
Zu Nr. 1 ( § 3 SGB II)
Klarstellende Folgeänderung zu Nr. 3
Zu Nr. 2 ( § 6 SGB II)
Folgeänderung zu Nr. 4
Zu Nr. 3 ( § 20 SGB II)
Um in Einzelfällen eine bedarfsgerechte Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts zu ermöglichen, wird § 20 Abs. 1 SGB II entsprechend der Regelung des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII um einen Satz 2 ergänzt. Damit kann z.B. auch das in der Praxis aufgetretene Problem der Übernahme von Kosten, die im Zusammenhang mit der Ausübung des Umgangsrechts eines geschiedenen Elternteils mit seinen minderjährigen Kindern entstehen, gelöst werden. In einem aktuellen Urteil weist das Bundessozialgericht (Urteil vom 07.11.2006 Az.: B 7b AS 14/06 R) auf die verfassungsrechtliche Notwendigkeit der entsprechenden Kostenübernahme hin. Es geht jedoch wegen der fehlenden Öffnungsklausel in § 20 SGB II und aus dogmatischen Gründen (Unterscheidung der Ansprüche von Elternteil und Kind) einen wenig praxisfreundlichen Weg. Leistungsempfänger für alle mit den Kosten der Wahrnehmung des Umgangsrechts entstehenden Kosten ist der umgangsberechtigte Erwachsene und damit nur eine Person.
Zu Nr. 4 ( § 23 SGB II)
Um eine Beeinträchtigung der Bildungschancen für bedürftige Kinder und Jugendliche zu verhindern, werden neben der pauschalierten Leistung nach §§ 20 und 28 Abs. 1 SGB II weitere einmalige Leistungen als Sachleistung oder Geldleistung erbracht.
Hierbei handelt es sich um Leistungen für Gebrauchs- und Unterrichtsmaterialien (z.B. Taschenrechner, Zirkel, Schulhefte) und die persönliche Ausstattung für die Schule (z.B. Schulranzen, Sportschuhe). Eine Pauschalierung ist gem. § 23 Abs. 3 Satz 5 zulässig. Zuständig für die Leistungen ist die Bundesagentur für Arbeit.
Zu Artikel 2 (SGB XII)
Zu Nr. 1 ( § 31 SGB XII)
Parallele Regelung entsprechend Artikel 1 Nr. 4 für Bezieher von Leistungen nach dem SGB XII.
Zu Artikel 3 (In-Kraft-Treten)
Das Gesetz tritt am ... in Kraft. (ggf. Übergangsregelung für begonnene Bewilligungszeiträume)