3. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass für die vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedstaaten, für Zuwiderhandlungen gegen die zollrechtlichen Vorschriften der Gemeinschaft explizit strafrechtliche Sanktionen zu verhängen, keine ausreichende Kompetenzgrundlage besteht.
Insoweit bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, ob eine derartige Bestimmung im Rahmen einer Verordnung überhaupt zulässig ist und ob nicht ein Rechtsinstrument der "dritten Säule" vorrangig ist. Zwar hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 13. September 2005 zum Rahmenbeschluss 2003/80/JI über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht (Rs. C-176/03) festgestellt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber Maßnahmen in Bezug auf das Strafrecht der Mitgliedstaaten auch in der ersten Säule ergreifen könne. Voraussetzung ist jedoch, dass die Anwendung wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen eine unerlässliche Maßnahme darstellt, um ein im Rahmen der ersten Säule zulässiges Ziel zu erreichen (EuGH, a.a.O., Rnr. 48). Die Kommission bleibt in dem Vorschlag jede Erläuterung dazu schuldig, weshalb bei Zuwiderhandlungen gegen die zollrechtlichen Bestimmungen der Gemeinschaft gerade strafrechtliche Sanktionen erforderlich sein sollen. In vielen dieser Fälle dürften Verwaltungssanktionen vielmehr ausreichend sein.
Selbst wenn dieser Nachweis gelingen sollte, so ist für eine strafrechtliche Sanktionierung jedenfalls keine ausreichende Kompetenzgrundlage der ersten Säule erkennbar.
Artikel 26 EGV i. V. m. Artikel 133 EGV dürfte keine hinreichende Grundlage liefern. Zwar gewährt Artikel 26 EGV über seinen Wortlaut ("Gemeinsamer Zolltarif") hinaus gemeinsam mit Artikel 133 EGV, der zur Änderung von Zollsätzen im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik ermächtigt, eine allgemeine Zuständigkeit für sämtliche Maßnahmen im Bereich des Zolltarifrechts (Nomenklatur, Zollsätze und sonstige Tarifmaßnahmen). Strafrechtliche Maßnahmen sind jedoch auch von dieser weiten Auslegung nicht umfasst.
Als Kompetenzgrundlage dürften daher allein Artikel 135 EGV sowie Artikel 280 Abs. 4 Satz 1 EGV in Betracht kommen. Nach Artikel 135 EGV trifft der Rat im Rahmen des Geltungsbereichs des EGV Maßnahmen zum Ausbau der Zusammenarbeit im Zollwesen zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission. Gemäß Artikel 280 Abs. 4 Satz 1 EGV beschließt der Rat die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft richten. Im Ergebnis ist unstreitig, dass auf diese Bestimmungen Maßnahmen zur Sanktionierung der Verletzung gemeinschaftsrechtlicher Zollvorschriften gestützt werden können, lediglich das Konkurrenzverhältnis beider Bestimmungen wird unterschiedlich beurteilt. Beide Bestimmungen gestatten indessen nach den in Artikel 280 Abs. 4 Satz 2 EGV bzw. Artikel 135 Satz 2 EGV enthaltenen Regelungen keine explizit strafrechtlichen Vorgaben. Danach bleiben die Anwendung des Strafrechts der Mitgliedstaaten und ihre Strafrechtspflege unberührt. Diese Vorbehalte schließen nicht lediglich strafverfahrensrechtliche Maßnahmen aus, sondern auch materiellrechtliche Vorgaben, denn sie dienen der Wahrung der mitgliedstaatlichen Souveränität im Bereich des Strafrechts und sind daher nicht eng auszulegen. Diese Auffassung hat der Bundesrat bereits zu Artikel 280 Abs. 4 Satz 2 EGV mehrfach vertreten (vgl. Beschlüsse vom 19. Oktober 2001 - BR-Drucksache 657/01(Beschluss) - und vom 31. Mai 2002 - BR-Drucksache 051/02(Beschluss) -; sie gilt in gleicher Weise auch für den identisch formulierten Vorbehalt in Artikel 135 Satz 2 EGV.
Gegen die vorgesehene Bestimmung bestehen zudem erhebliche Bedenken unter den Gesichtspunkten der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Insoweit wäre nach Auffassung des Bundesrates eine Darlegung erforderlich, warum die Entscheidung darüber, welche Art der Sanktion gewählt wird, nicht den Mitgliedstaaten überlassen werden kann und weshalb ein dermaßen schwerwiegender Eingriff in die Strafgewalt der Mitgliedstaaten erforderlich ist. An einer derartigen Darlegung fehlt es indessen.