A. Problem und Ziel
- In der jüngeren Vergangenheit hat sich die Öffentlichkeit wiederholt mit tragischen Schicksalen von Kindern konfrontiert gesehen, die unter lang andauernder, massiver Vernachlässigung selbst in den elementarsten Grundbedürfnissen oder sogar gezielten, aktiven körperlichen Misshandlungen und sexuellem Missbrauch zu leiden hatten.
- In besonders gravierenden Fällen stand am Ende der Tod des betroffenen Kindes.
- Die strafrechtliche Verfolgung der Täter stellt in derartigen Fällen eine unerlässliche staatliche Reaktion dar, die jedoch - weil sie nicht vorrangig präventiv wirkt - unzureichend bleiben muss. Die staatliche Gemeinschaft hat daher über eine konsequente Strafverfolgung hinaus alle denkbaren Anstrengungen zu unternehmen, um bereits im Vorwege den ausreichenden Schutz gefährdeter Kinder zu gewährleisten.
- Der erste und wirksamste Schritt zu einer effektiven Abwehr von Gefahren besteht in der frühzeitigen Erkennung möglicher Gefahrensituationen und einem antizipativen Einschreiten. Den Jugendämtern kommt hier auf Grund ihrer Aufgabenstellung eine besondere Bedeutung zu. Es ist Teil ihres verfassungsrechtlich verankerten Auftrags, Anhaltspunkte für Gefährdungen im Umfeld betroffener Kinder oder Jugendlicher zu registrieren und gegebenenfalls zum Anlass zu nehmen, zügig und effektiv weitere Feststellungen zu treffen, um auf dieser Grundlage erforderliche Schutzmaßnahmen einleiten zu können (Artikel 6 Abs. 2 Satz 2 GG, § 1 Abs. 3 Nr. 3, § 8a SGB VIII).
- Dem persönlichen sozialen Umfeld von Kindern und Jugendlichen kommt eine elementare Bedeutung für ihr Wohl zu. Deshalb ist in Bezug auf das nächste Umfeld ein besonderes Hintergrundwissen des Jugendamtes von großer Bedeutung. Vorhandene Anhaltspunkte für eine Bedrohungslage lassen sich verdichten, wenn das etwaige einschlägige strafrechtliche Vorleben von Bezugspersonen aus dem nächsten Umfeld des Kindes oder Jugendlichen bekannt ist. Zum einen kann das Jugendamt auf der Grundlage entsprechender Informationen allgemeine Rückfallgefahren in seine Gefahrenprognose einstellen. Zum anderen können im Einzelfall Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Persönlichkeit der Bezugsperson möglich sein. Die Kenntnis von der Begehung einschlägiger Straftaten in der Vergangenheit kann der erste Schritt zu erforderlichen, im Einzelfall lebenswichtigen Schutzmaßnahmen für die Zukunft des Kindes sein.
- Nach bisheriger Rechtslage ist es den Jugendämtern nur eingeschränkt möglich, sich bei Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung nähere, fundierte Informationen über die strafrechtliche Vorgeschichte von engen Bezugspersonen eines Kindes zu verschaffen. Aus dem Bundeszentralregister können die Jugendämter lediglich Auskunft in Form eines Führungszeugnisses erhalten. Um den Schutz des Kindeswohls zu verbessern, müssen die Befugnisse in dieser Hinsicht ausgebaut werden.
B. Lösung
- Auf der Grundlage des Entwurfs können die Jugendämter zur Abschätzung des Gefährdungsrisikos, wenn ihnen gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen um unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister nach den §§ 41 ff. BZRG im Hinblick auf Personen ersuchen, von denen die Gefährdung ausgeht und die mit dem Kind in häuslicher Gemeinschaft leben. Das Ersuchen kann technisch im Wege elektronischen Datenaustausches - im Idealfall durch ein automatisiertes Verfahren, wie es etwa auf der Ebene von Staatsanwaltschaften und Gerichten bereits existiert - zügig abgewickelt werden. In Betracht kommt auch eine Nutzung der - sich derzeit in der Pilotphase befindenden - Webschnittstelle des Bundeszentralregisters mit kurzfristiger Rückantwort in Papierform.
- Die Jugendämter können sich auf beiden Wegen im Interesse des Kindeswohls durch zielgerichtete, zeitnahe Informationen aus dem Bundeszentralregister einen möglicherweise entscheidenden Wissensstand verschaffen.
C. Alternativen
- Beibehaltung der bisherigen Rechtslage
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
- 1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
Durch das Gesetz werden die öffentlichen Haushalte nicht mit neuen Kosten belastet.
- 2. Vollzugsaufwand
Es sind die technischen Voraussetzungen für eine Abfrage von Daten bei dem Bundeszentralregister zu schaffen. Die Höhe dieser Kosten hängt von der konkreten Ausgestaltung des Abfragemodus ab.
E. Sonstige Kosten
Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes
Der Bundesrat hat in seiner 829. Sitzung am 15. Dezember 2006 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.
Anlage
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Bundeszentralregistergesetzes
In § 41 Abs. 1 des Bundeszentralregistergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1984 (BGBl. I S.1229, 1985 I S. 195), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird der abschließende Punkt durch ein Komma ersetzt und folgende Nummer 14 angefügt:
- 14. den Jugendämtern zur Abschätzung des Gefährdungsrisikos, wenn ihnen gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt werden und soweit sich das Ersuchen auf Personen bezieht, von denen die Gefährdung ausgeht und die mit dem Kind oder Jugendlichen in häuslicher Gemeinschaft leben.
Artikel 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am ... in Kraft.
Begründung
A. Allgemeines
In der jüngeren Vergangenheit hat sich die Öffentlichkeit wiederholt mit tragischen Schicksalen von Kindern konfrontiert gesehen, die lang andauernder, massiver Vernachlässigung selbst in den elementarsten Grundbedürfnissen ausgesetzt waren, teilweise aber auch unter gezielten, aktiven körperlichen Misshandlungen und sexuellem Missbrauch zu leiden hatten. In einigen besonders gravierenden Fällen stand am Ende der Tod des betroffenen Kindes. Die strafrechtliche Verfolgung der Täter stellt in derartigen Fällen eine unerlässliche staatliche Reaktion dar, die jedoch - weil sie nicht vorrangig präventiv wirkt - unzureichend bleiben muss. Die staatliche Gemeinschaft hat daher über eine konsequente Strafverfolgung hinaus alle denkbaren Anstrengungen zu unternehmen, um bereits im Vorwege den ausreichenden Schutz gefährdeter Kinder zu gewährleisten.
Der erste und wirksamste Schritt auf dem Weg zu einer effektiven Abwehr von Gefahren besteht in der frühzeitigen Erkennung und Sondierung möglicher Gefahrensituationen und einem antizipativen Einschreiten. Die Jugendämter müssen Anhaltspunkte für Gefährdungen im Umfeld des betroffenen Kindes oder Jugendlichen zum Anlass nehmen dürfen, zügig vertieft zu ermitteln. Dies ist Teil ihres verfassungsrechtlich verankerten Auftrags (Artikel 6 Abs. 2 Satz 2 GG, § 1 Abs. 3 Nr. 3, § 8a SGB VIII).
Dem persönlichen Umfeld von Kindern und Jugendlichen kommt eine elementare Bedeutung für ihr Wohl zu. Ein besonderes Hintergrundwissen des Jugendamts in Bezug auf das nächste Umfeld ist deshalb von besonderer Bedeutung. Vorhandene Anhaltspunkte für eine Bedrohungslage können durch Informationen über ein etwaiges strafrechtliches Vorleben von Bezugspersonen verdichtet werden. Die Kenntnis von einschlägigen Delikten kann das Jugendamt dazu führen, auf eine bereits als tendenziell bedrohlich angesehene Situation des Kindes ein näheres, kritischeres Augenmerk zu richten und zielgerichteter die Informationsgrundlage zu verdichten, um gegebenenfalls rechtzeitig Schutzmaßnahmen zu veranlassen.
Die derzeitige Gesetzeslage sieht in Ansätzen bereits Informationsmöglichkeiten für das Jugendamt in Bezug auf Personen aus dem Nahbereich eines Minderjährigen vor. So kann sich das Jugendamt im Rahmen seiner allgemeinen Befugnisse etwa durch Gespräche mit dem Kind bzw. Jugendlichen und dessen Eltern einen Eindruck vom persönlichen Umfeld und damit einen Überblick über das persönliche Umfeld verschaffen (z.B. gemäß § 8a Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB VIII). Diese Erkenntnismöglichkeiten sind allerdings beschränkt, weil sie in weitem Maße von der Kooperation der Betroffenen abhängen. Mitunter ist zudem selbst das Opfer schwerer Straftaten, zumal das nicht erwachsene Opfer, gar nicht in der Lage, von sich aus verlässliche Informationen zur Verfügung zu stellen, damit weiteren Gefährdungen vorgebeugt werden kann.
Auch die Strafverfolgungsbehörden stellen eine mögliche Informationsquelle für das Jugendamt dar. So übermittelt die Staatsanwaltschaft nach Maßgabe der §§ 474 ff. StPO, § 13 Abs. 2, § 17 Nr. 5 EGGVG - konkretisiert in MiStra Nr. 35 -Informationen "zur Abwehr einer erheblichen Gefährdung Minderjähriger". Eine bedeutsame Einschränkung liegt hier allerdings darin begründet, dass sich eine konkrete Gefahr für das Kind oder den Jugendlichen zum Zeitpunkt der staatsanwaltschaftlichen Befassung bereits regelmäßig realisiert haben wird. Zudem muss die Staatsanwaltschaft Kenntnis besitzen, dass der Täter in einem näheren Kontakt zu Minderjährigen steht.
Jugendämter können darüber hinaus gemäß § 31 BZRG im Einzelfall ein Behördenführungszeugnis über Personen anfordern, die mit dem Kind in enger Beziehung stehen. Diese in der Praxis der jugendamtlichen Arbeit nur wenig genutzte Möglichkeit gibt die staatlicherseits bekannte strafrechtliche Vorgeschichte eines Betroffenen allerdings nur unvollkommen wieder, da gemäß § 32 Abs. 2 BZRG eine Reihe von Verurteilungen von der Eintragung ausgenommen ist. Diese Ausnahmen von der Eintragung gelten gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 BZRG zwar nicht für bestimmte Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 180, 182 StGB). Nicht erfasst von dieser "Rückausnahme" sind jedoch eine Reihe von Straftaten, die - im Hinblick auf eine etwaige Gefährdung des Kindeswohls - gleichermaßen Indizcharakter haben können. Zu nennen sind hier insbesondere Verurteilungen wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht ( § 171 StGB), wegen Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften (§ 184b StGB) sowie wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB). Bedenkliche Lücken kann das Führungszeugnis zudem bei Verurteilungen wegen der übrigen Straftaten des 17. Abschnitts des Strafgesetzbuches (Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit) aufweisen. Schließlich entstehen derzeit Zeitverluste durch die reguläre Bearbeitungszeit der Abfrage im herkömmlichen Papierweg.
Gerade der präventive Schutz des Kindeswohls ist ein besonderes gesetzgeberisches Anliegen (vgl. insbesondere die Gesetzesmaterialien zum Tagesbetreuungsausbaugesetz - TAG, BT-Drs. 015/3676, S. 21). Die vorstehenden Erwägungen zeigen, dass zur Erreichung dieses Anliegens Verbesserungen der Informationsbefugnisse der Jugendämter erforderlich sind.
Bisher haben die Jugendämter nicht das Recht, bei konkretem Anlass zielgerichtet eine unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister nach den §§ 41 ff. BZRG zu verlangen, um weitgehend vollständig eine etwaige strafrechtliche Vorbelastung von Personen aus dem persönlichen Umfeld ihrer Klienten abklären zu können. Dass der Schutz des Kindeswohls bislang mit einem solchen Defizit belastet ist erscheint mit Blick auf Auskunftsrechte anderer öffentlicher Stellen nur schwer nachvollziehbar. So räumt § 41 BZRG verschiedenen Aufsichtsbehörden entsprechende Auskunftsrechte ein, zum Beispiel in Bezug auf die Erteilung von waffenrechtlichen Erlaubnissen, Jagdscheinen oder die Erlaubnis zum Halten eines gefährlichen Hundes.
Ziel der Gesetzesinitiative ist es, den Jugendämtern im Interesse des Kindeswohls durch die Ermöglichung zielgerichteter, zeitnaher Information aus dem Bundeszentralregister einen möglicherweise entscheidenden Wissensstand zu verschaffen. Die vorhandene Kenntnis von begangenen einschlägigen Straftaten im persönlichen Umfeld des Kindes kann im Hinblick auf die Einleitung wichtiger Schutzmaßnahmen der erste Schritt sein. Dabei wird nicht verkannt, dass entsprechende Auskünfte grundrechtlich geschützte Positionen der Bezugspersonen des Kindes - namentlich das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung - berühren. Angesichts des hohen und sensiblen Schutzgutes, um das es geht, die körperliche und seelische Integrität von Kindern, ist eine Einschränkung legitimer Datenschutzinteressen jedoch hinzunehmen.
B. Zu den einzelnen Vorschriften
Zu Artikel 1 (§ 41 Abs. 1 Nr. 14 BZRG)
§ 41 Abs. 1 Nr. 14 BZRG-E schafft ein neues Auskunftsrecht für Jugendämter, schränkt die Zulässigkeit eines Auskunftsersuchens jedoch durch zwei Voraussetzungen ein:
Die Fassung der Vorschrift ist angelehnt an den Schutzauftrag des Jugendamtes bei Kindeswohlgefährdungen. Dieser ist, soweit für die Registerabfrage von Bedeutung, in § 8a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, wie folgt, umschrieben: "Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte abzuschätzen." Es kommt dementsprechend für die Zulässigkeit der Anfrage gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 14 BZRG zum Ersten darauf an, dass dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt geworden sind. Dabei versteht sich, dass der Verdacht des Jugendamtes dahin gehen muss, dass das Wohl des Kindes oder Jugendlichen gerade (zumindest auch) seitens der Person gefährdet ist, die Ziel des Auskunftsersuchens ist.
Des Weiteren versteht sich, dass die Auskunft nur dann eingeholt werden kann, wenn sich das Jugendamt angesichts der konkreten Umstände der in Rede stehenden Kindeswohlgefährdung einen Erkenntnisgewinn von der Einholung der Auskunft versprechen darf. Die Einholung der Auskunft aus dem Bundeszentralregister ist daher systematisch als Bestandteil der in § 8a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorgesehenen Abschätzung des Gefährdungsrisikos durch das Jugendamt zu verstehen.
Zum Zweiten beschränkt der Entwurf die Möglichkeit des Jugendamtes, um unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister zu ersuchen, im Hinblick auf den in Frage kommenden Personenkreis. Die Erteilung der Auskunft aus dem Bundeszentralregister bedeutet einen ernst zu nehmenden Eingriff in das Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung. Dieser Eingriff muss verfassungsrechtlich legitimiert sein und ist in engen Schranken zu halten, damit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. Insofern kann nur das unmittelbare persönliche Umfeld des Kindes bzw. Jugendlichen als Ziel in Frage kommen.
Auskünfte dürfen vor diesem Hintergrund nur über Personen eingeholt werden, die mit dem Kind oder Jugendlichen in häuslicher Gemeinschaft leben. Diese Personen sind dem Kind bzw. Jugendlichen örtlich und zeitlich besonders verbunden. Zumeist besteht zu ihnen auch emotional eine besonders enge Nähebeziehung. Kraft dieser Nähebeziehung kommt den Personen aus der häuslichen Gemeinschaft herausragende Bedeutung für das Kindeswohl zu. Denn mit ihr gehen ausgeprägte Einwirkungsmöglichkeiten auf das Kind und damit eine besondere Verantwortlichkeit für das Kindeswohl einher. Die Einwirkungen, denen das Kind oder der Jugendliche aus seinem sozialen Nahfeld heraus ausgesetzt ist, werden im Regelfall zu seinem Wohle erfolgen. Möglich sind aber auch - bewusst oder unbewusst - schädliche Einflussnahmen jeglicher Art, insbesondere Vernachlässigungssituationen und häusliche Gewalt. Dies rechtfertigt den gewählten Zuschnitt des Personenkreises.
Eine engere Begrenzung des betroffenen Personenkreises ist demgegenüber nicht zu befürworten. So würde etwa eine Beschränkung allein auf die Eltern des Kindes sowie auf Personensorge- und Erziehungsberechtigte, die in häuslicher Gemeinschaft mit dem Kind leben, wichtige Schutzlücken hinterlassen. Hierdurch blieben zunächst - mitunter deutlich ältere - Geschwister (auch Halb- und Stiefgeschwister) des Kindes bzw. Jugendlichen unberücksichtigt. Vor allem aber wären Dritte, die langfristig oder kürzer im selben Haushalt mit dem Kind wohnen, wie z.B. Lebensgefährten oder sonst nichteheliche Partner eines Elternteiles, nicht mit der erforderlichen Sicherheit berücksichtigungsfähig. Auch können Verwandte, etwa Großeltern, in die häusliche Gemeinschaft aufgenommen sein, von denen im Einzelfall ein erhebliches Gefährdungspotenzial ausgehen kann. Diesen dritten Personen wird häufig kraft formloser, konkludenter Bestimmung die (Mit-)Erziehungsberechtigung übertragen (vgl. dazu etwa Wiesner, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 3. Aufl., 2006, § 7 Rnr. 13 ff.; Mrozynski, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 4. Aufl., 2004, § 7 Rnr. 4). Ob dies der Fall ist, müsste in jedem Einzelfall festgestellt werden. Diese Feststellung jeweils zu treffen, würde eine praktisch kaum zu bewältigende Hürde für die Jugendämter bedeuten. Zudem muss Konstellationen Rechnung getragen werden, in denen ein im Haushalt lebender Dritter jede (Erziehungs-) Verantwortung für ein Kind ablehnt, von ihm aber erhebliche Gefährdungen für das Kindeswohl - beispielsweise durch sexuelle Übergriffe - ausgehen.
Im Interesse eines effektiven Schutzes der betroffenen Kinder und Jugendlichen müssen solche Zweifelsfragen bzw. Schutzlücken vermieden werden. Jeder Dritte, der Teil der häuslichen Gemeinschaft wird, muss zum Kreis der vom Jugendamt ggf. näher zu hinterfragenden Bezugspersonen des Kindes gehören. Allein die Tatsache des Zusammenlebens in einem Haushalt gibt dem Dritten so intensive Einwirkungs- und damit auch Schädigungsmöglichkeiten gegenüber dem Kind oder Jugendlichen, dass es gerechtfertigt ist, bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung eine Überprüfung beim Bundeszentralregister durch die Jugendämter zu ermöglichen.
Maßgeblich für die Annahme einer häuslichen Gemeinschaft sind die tatsächlichen Verhältnisse. Erforderlich ist ein auf längere Zeit angelegtes alltägliches Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnsituation. Kürzere Unterbrechungen sind unerheblich.
Klassische Beispiele für Personen, die eine Gemeinschaft mit im Haushalt lebenden Kindern eingehen, sind Lebensgefährten eines Elternteils oder Konstellationen der Aufnahme von Verwandten der Eltern (oder eines Elternteils) in den Haushalt. Entsprechende Regelmäßigkeiten vorausgesetzt, kann ein Kind auch mehreren häuslichen Gemeinschaften angehören, etwa dem Haushalt der (getrennt vom Ehemann lebenden) Mutter einerseits, dem Haushalt des Vaters andererseits.
Zu Artikel 2
Diese Vorschrift regelt das Inkrafttreten des beabsichtigten Gesetzes. Übergangsvorschriften sind nicht erforderlich.