Punkt 12 der 878. Sitzung des Bundesrates am 17. Dezember 2010
Der Bundesrat möge beschließen, zu dem Gesetz zu verlangen, dass der Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes aus folgendem Grund einberufen wird:
Zu Artikel 1 Nummer 3 (§ 66a Absatz 2, 3 StGB), Artikel 2 Nummer 3 ( 268d StPO), Nummer 4 Buchstabe b (§ 275a Absatz 5 StPO), Buchstabe c Doppelbuchstabe bb (§ 275a Absatz 6 Satz 3 StPO), Nummer 6 (§ 462a Absatz 2 Satz 3 StPO)
- a) Artikel 1 Nummer 3 § 66a ist wie folgt zu ändern:
- aa) Absatz 2 ist zu streichen.
- bb) Absatz 3 wird Absatz 2 und ist wie folgt zu ändern:
- aaa) Satz 1 ist wie folgt zu fassen:
"Über die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung entscheidet das Gericht spätestens sechs Monate vor dem Zeitpunkt, ab dem eine Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, § 57a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, auch in Verbindung mit § 454b Absatz 3 der Strafprozessordnung, möglich ist."
- bbb) In Satz 2 sind die Wörter "Das Gericht" durch das Wort "Es", die Wörter "von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind," durch die Wörter "er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen," und der abschließende Punkt durch ein Komma zu ersetzen sowie die Wörter "für die Allgemeinheit gefährlich ist." anzufügen.
- b) Artikel 2 ist wie folgt zu ändern:
Begründung:
Die im Gesetz vorgesehene vorbehaltene Sicherungsverwahrung für Ersttäter entspricht in ihrem Wesen und in der Ausgestaltung ihrer Voraussetzungen nicht dem "ultimaratio-Prinzip", dem die Maßregel der Sicherungsverwahrung unterliegt. Ihre Einführung kommt mithin nicht in Betracht. Ließe man - wie im Gesetzesbeschluss des Bundestages vorgesehen - für die Anordnung des Vorbehalts die Begehung einer schweren Katalogtat durch den Erst- bzw. Einmaltäter genügen, die zwar zu einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren geführt haben muss, dies jedoch mit der Einschränkung, dass die Verurteilung zu einer Gesamtstrafe ausreicht, verlöre die Sicherungsverwahrung ihren Ausnahmecharakter und erführe eine Ausweitung, die auch mit dem Hinweis auf den Wegfall der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht zu rechtfertigen wäre.
Zu Gunsten geordneter, dem Resozialisierungszweck des Vollzuges von Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung genügenden Entlassungsvorbereitungen ist ferner die gemäß § 66a Absatz 2 Satz 1 StGB bislang gültige Sechsmonatsfrist für die Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung beizubehalten. Schon der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung führt dazu, dass resozialisierende Maßnahmen des Vollzuges (Vollzugslockerungen) nicht ergriffen werden können. Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, dem Vollzug den unerlässlichen Raum jedenfalls für die hinreichende Vorbereitung des Verurteilten auf seine Entlassung zu geben.
Weiter sind die Anordnungsvoraussetzungen für die primäre sowie die endgültige Sicherungsverwahrung nach Vorbehalt anzugleichen. Es ist nicht überzeugend, für die Anordnung der primären Sicherungsverwahrung den Hang des Täters zu erheblichen Straftaten vorauszusetzen, für die Anordnung nach Vorbehalt jedoch darauf zu verzichten. Zudem enthält der Gesetzesbeschluss einen Widerspruch, indem er regelt, dass für die Anordnung des Vorbehaltes die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines Hanges gegeben sein muss, der Hang für die spätere Anordnung der Sicherungsverwahrung dann aber nicht mehr relevant sein soll.
Bei den Änderungen in Artikel 2 handelt es sich um Folgeänderungen, die durch die Streichung des § 66a Absatz 2 StGB-neu sowie durch die Beibehaltung des Entscheidungszeitpunktes entsprechend der bislang gültigen Regelung des § 66a Absatz 2 Satz 1 StGB erforderlich werden.
Begründung (nur für das Plenum):
Mit der beabsichtigten Ersttäterregelung würde der Wegfall der nachträglichen Sicherungsverwahrung unter Überschreitung rechtsstaatlicher Grenzen überkompensiert. Im Rahmen der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 10. November 2010 hat Prof. Dr. Kinzig in seiner Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt, dass Folge der Möglichkeit einer Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung gegen Ersttäter eine zukünftig "großzügige" Anwendung dieser Variante befürchten lasse, die sich mit dem "ultimaratio-Grundsatz" nicht mehr vereinbaren lasse. Hierzu stellt er - basierend auf den Zahlen aus der Strafverfolgungsstatistik von 2008 - dar, dass nach jetzigem Stand selbst dann, wenn man die zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten unberücksichtigt lasse, rund 1000 Personen jährlich Gefahr liefen, die formellen Voraussetzungen für die Anordnung einer vorbehaltenen Sicherungsverwahrung zu erfüllen. Zu Recht fügt er an, dass angesichts des derzeit aufgeheizten kriminalpolitischen Klimas zu befürchten sei, dass die Zahl der Sicherungsverwahrten weiter, womöglich drastisch, ansteigen werden. Hinzu kommt, dass das Vorhandensein neuer Tatsachen ("Nova") nicht erforderlich ist. Dieses Erfordernis hatte bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung eine stark einschränkende Funktion.
Die Streichung der Sechsmonatsfrist der derzeit gültigen Vorschrift des § 66a Absatz 2 Satz 1 StGB verstärkt die den Strafvollzug ohnehin belastende Wirkung des Vorbehalts einer Sicherungsverwahrung über Gebühr. Wenn man noch zugestehen mag, dass die Therapiebereitschaft des Verurteilten durch das über ihn gehängte "Damoklesschwert" der Sicherungsverwahrung gesteigert werden kann - wobei hier in Frage zu stellen ist, inwieweit eine Therapie "unter Druck" Erfolg versprechend sein kann - ist jedenfalls festzustellen, dass der Strafvollzug in der Vollzugsplanung grundsätzlich bereits stark eingeschränkt ist und resozialisierende Maßnahmen (Vollzugslockerungen) nicht ergreifen kann. Wenn diese Schattenseite des Instruments der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung auch ein Stück weit hingenommen werden kann, so darf die Einschränkung jedenfalls nicht so weit gehen, dass Verurteilte, die schwerwiegende Straftaten begangen haben, nahezu unvorbereitet in die Freiheit entlassen werden. Mit einer Regelung, die eine solche Folge zeitigt, wird man dem Resozialisierungszweck des Strafvollzuges wie dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit gleichermaßen nicht gerecht.
Die Unterscheidung zwischen primärer und nach Vorbehalt angeordneter Sicherungsverwahrung ist sachlich nicht zu begründen. Um dem "ultimaratio-Grundsatz" gerecht zu werden, ist vielmehr zu verlangen, dass ein Gericht bei Anordnung einer Sicherungsverwahrung nach Vorbehalt - der im Übrigen die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 StGB-neu bedingt - seine Gesamtwürdigung nach denselben Maßstäben vornimmt, wie bei Anordnung der primären Sicherungsverwahrung. Es muss auch bei Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Vorbehalt darauf ankommen, dass Hang und Gefährlichkeit, die zunächst nur als wahrscheinlich angenommen werden konnten - eben aus diesem Grunde konnte es nur zur Anordnung eines Vorbehaltes und noch nicht zur Anordnung der (primären) Sicherungsverwahrung kommen -, der anzustellenden Gesamtwürdigung zufolge feststehen. Es wäre nicht sachgerecht, wenn der Zeitfaktor zwischen Vorbehalt und Entscheidung nach Vorbehalt zu einer Verschiebung der Anordnungsmaßstäbe führte.