Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Berlin, 30. September 2013
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Winfried Kretschmann
Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
namens der Bundesregierung übersende ich Ihnen in der Anlage die Antwort der Bundesregierung zu der Entschließung des Bundesrates zur Erstellung eines Gesamtkonzepts zum Schutz deutschflaggiger Schiffe vor Piratenangriffen (Drucksache 098/12(B) ) vom 30. März 2012.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Joachim Otto
Parlamentarischer Staatssekretär
Antwort der Bundesregierung auf die Entschließung 98-12 (B) des Bundesrates zur Erstellung eines Gesamtkonzepts zum Schutz deutschflaggiger Schiffe vor Piratenangriffen
- - Seepiraterie stellt eine massive Bedrohung für Leib und Leben von Seeleuten dar und verursacht jedes Jahr erhebliche wirtschaftliche Schäden. Dies gilt für Deutschland als außenhandelsorientiertes Land mit der drittgrößten Handelsflotte der Welt in besonderem Maße. Die Bekämpfung von Seepiraterie ist für die Bundesregierung daher von hoher Bedeutung.
- - Zwar ist in der jüngeren Vergangenheit ein deutlicher Rückgang der Piraterie vor Somalia zu verzeichnen (Rückgang der Piraterievorfälle von 2011 auf 2012 um knapp 70 %; in 2013 erfolgte bisher - Stand Juni 2013 - kein erfolgreicher Piraterie-Angriff), jedoch haben Akte bewaffneten Seeraubs und Piraterie vor der Küste Westafrikas (Golf von Guinea) seit 2011 deutlich zugenommen.
- - Seepiraterie wird durch ein Bündel von Maßnahmen bekämpft. Hierzu gehören zunächst die Teilnahme Deutschlands an der erfolgreichen EU-Mission Atalanta und die Unterstützung der Staaten am Horn vom Afrika beim Aufbau eigener Fähigkeiten im Bereich maritimer Sicherheit über die EU Mission EUCAP NESTOR. Deutschland ist auch Gründungsmitglied der bei den Vereinten Nationen in New York angesiedelten Contact Group on Piracy off the Coast of Somalia (CGPCS), der 70 Staaten sowie internationale Organisationen angehören. Die CGPCS hat 2009 - maßgeblich auf deutsche Initiative - einen Trust Fund für Projekte zur Pirateriebekämpfung eingerichtet. Deutschland ist zweitgrößter Geber des Fonds und hat einen Sitz im Verwaltungsrat.
- - Neben dieses militärische und politische Engagement der Bundesregierung treten weitere Maßnahmen, die unmittelbar dem Schutz der Schiffe dienen. Dies umfasst das Ergreifen von Selbstschutzmaßnahmen durch die Reedereien (sog. Best Management Practices) und den mittlerweile gesetzlich geregelten Einsatz von privaten Bewachungsunternehmen zum Schutz der Schiffe in Hochrisikogebieten.
- - Mit Gesetz vom 4. März 2013 wurde hierzu in der Gewerbeordnung (GewO) ein neues unternehmensbezogenes Zulassungsverfahren für Bewachungsunternehmen, die zur Abwehr von Piraterie Bewachungsaufgaben auf Seeschiffen durchführen wollen, eingeführt. Die Bewachungsunternehmen müssen im Rahmen des Zulassungsverfahrens darlegen, dass sie bestimmte Anforderungen an die betriebliche Organisation und Verfahrensabläufe erfüllen. Dabei haben sie vor allem sicherzustellen, dass nur geeignetes und zuverlässiges Personal an Bord von Seeschiffen eingesetzt wird.
Das Zulassungsverfahren wird durch zwei im Juni 2013 in Kraft getretene Verordnungen näher ausgestaltet, die Seeschiffbewachungsverordnung und die Seeschiffbewachungsdurchführungsverordnung, welche die einzelnen Anforderungen für die Bewachungsunternehmen konkretisieren.
Zuständig für die Erteilung der Zulassung ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) im Benehmen mit der Bundespolizei.
Die Zulassungspflicht gilt ab dem 1. Dezember 2013 für in Deutschland niedergelassene Bewachungsunternehmen und für im Ausland niedergelassene Sicherheitsdienstleister, wenn diese auf Seeschiffen unter deutscher Flagge Bewachungsaufgaben durchführen wollen.
- - Das Verfahren orientiert sich eng an den Leitlinien der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) zum Einsatz privater bewaffneter Sicherheitskräfte an Bord.
- - Flankiert wird das neue Zulassungsverfahren von einer Änderung der See-Eigensicherungsverordnung. Dort ist festgelegt, dass ab dem 1. Dezember 2013 nur vom BAFA zugelassene private Bewachungsunternehmen auf deutschflaggigen Schiffen eingesetzt werden dürfen, beim Einsatz die IMO-Leitlinien eingehalten und dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, dem BAFA und der Bundespolizei Berichte bei Abfeuerung von Schusswaffen oder auf Anforderung vorgelegt werden müssen.
- - Die Bundesregierung kann aus logistischen, personellen, operativen und finanziellen Gründen der Bitte des Bundesrates nicht entsprechen, in besonderen Gefährdungslagen eine individuelle Begleitung von deutschflaggigen Schiffen durch hoheitliche Sicherheitskräfte anzubieten.
Die staatliche Schutzpflicht gebietet nicht, alle denkbaren Schutzmaßnahmen zu treffen. Inwieweit sich die Gestaltungsfreiheit des Staates in einer Weise verengt, dass allein durch eine hoheitliche Begleitung der Handelsschiffe der staatlichen Schutzpflicht Genüge getan werden kann, hängt von der jeweiligen konkreten Lage ab und kann nicht vorab bewertet werden. Diese Position wurde bereits auf der 193. Sitzung der IMK mit den Ländern konsentiert (s. hierzu Abschlussbericht der Arbeitsgruppe der IMK Bekämpfung der Seepiraterie - Rechtliche und tatsächliche Möglichkeiten zum Schutz deutscher Handelsschiffe, Anlage zu Beschluss Nummer 14, 193. Sitzung der IMK vom 8./9. Dezember 2011, S. 27).
- - Einer Änderung der Zuständigkeit für die Wahrnehmung der polizeilichen Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung in Pirateriefällen außerhalb deutscher Hoheitsgewässer bedarf es nicht. Sowohl Bundeskriminalamt als auch Bundespolizei besitzen ausreichende gesetzliche normenklare Grundlagen.
Ansonsten hätte der Bund dem vorangegangenen Wunsch der Länder nicht entsprechen können. Das Bundesministerium des Innern hatte sich auf der 193. Sitzung der IMK bereit erklärt, die Länder bei Pirateriefällen zu entlasten und die polizeilichen Ermittlungsverfahren von Bundeskriminalamt und Bundespolizei führen zu lassen. Hierzu wurde die Entscheidung getroffen, dass die Bundespolizei grundsätzlich zuständig ist, es sei denn, es liegt die Entführung eines deutschen Staatsangehörigen vor. Dann ist das Bundeskriminalamt federführend.
- - Die Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes beruht auf § 4 Abs. 1 Nr. 3a BKAG. Danach nimmt das Bundeskriminalamt die polizeilichen Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung in den Fällen international organisierter Straftaten nach § 129a StGB, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1 StGB wahr.
- - Die Zuständigkeit der Bundespolizei folgt aus § 1 Abs. 2 Alt. 2 BPolG in Verbindung mit § 4 Abs. 3 SeeAufgG und § 1 ZustBV-See. Der Bundespolizei obliegen nach § 1 Abs. 2 Alt. 2 BPolG die Aufgaben, die ihr bis zum 1. November 1994 durch ein anderes Bundesgesetz zugewiesen worden sind. Das Seeaufgabengesetz führt in § 1 Nr. 3d bb) aus, dass dem Bund auf dem Gebiet der Seeschifffahrt seewärts der Begrenzung des Küstenmeeres die Aufgaben der Behörden und Beamten des Polizeidienstes nach der Strafprozessordnung obliegen. Nach § 4 Abs. 3 SeeAufgG sind die Vollzugsbeamten des Bundes in einer Verordnung zu bezeichnen. Diese sind insoweit Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (§ 152 GVG) und haben die Rechte und Pflichten der Polizeibeamten nach der Strafprozessordnung. Nach § 1 ZustBV-See sind die Beamten der Bundespolizei u.a. bei Taten auf Schiffen unter deutscher Flagge sowie auf fremdflaggigen Schiffen bei Seeräuberei zuständig.
Diese Vorschriften enthalten eine sonderpolizeiliche Aufgabenzuweisung, welche von der Abgabepflicht des § 12 Abs. 3 BPolG nicht erfasst ist. Die Abgabepflicht ist bei Aufgaben ausdrücklich nicht vorgesehen, die der Bundespolizei durch oder aufgrund anderer Bundesgesetze zugewiesen werden. Mit der Formulierung "Schwergewicht der Straftaten" in § 12 Abs. 3 Satz 3 BPolG wird auch deutlich, dass bei der Frage einer Abgabepflicht notwendigerweise eine Gesamtbetrachtung anzustellen ist. Sofern sich beispielsweise Erpressungshandlungen bezüglich des Piraterievorfalles im Inland auswirken können, betreffen sie die Durchführung der Entführung auf Hoher See. Sie können insofern mögliche Folge eines solchen Vorfalles sein. Gleichwohl steht die Tat auf Hoher See im Vordergrund. Deshalb scheidet die Abgabepflicht aus. Diese Haltung wurde den Ländern entsprechend erläutert (s. o.g. Abschlussbericht, S. 44).
Siehe Drucksache 098/12(B)