Der Bundesrat hat in seiner 839. Sitzung am 30. November 2007 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
I.
- - Weder aus der Begründung der Kommissionsvorschläge noch aus der zugrunde liegenden "Bewertung der Auswirkungen des gesetzgeberischen Rahmens auf den Binnenmarkt für Strom und Gas" (Impact Assessment) ergibt sich eine belastbare, aus einer umfassenden Analyse der bisherigen Marktentwicklung abgeleitete Begründung für die Erforderlichkeit eines Eingriffs in bestehende Unternehmensstrukturen.
Hierzu müsste u. a. die Wirksamkeit der bisherigen Regulierungstätigkeit und der derzeitigen Entflechtungsregelungen berücksichtigt werden die derzeit - zwei Jahre nach der Umsetzung der geltenden Binnenmarktrichtlinien - noch nicht mit der erforderlichen Verlässlichkeit beurteilt werden können. Hinzuweisen ist vor allem darauf, dass durch kostenorientierte Kontrolle die Netzentgelte seit 2005 nachhaltig gesenkt werden konnten. Der Übergang zur Anreizregulierung soll zum Jahresbeginn 2009 erfolgen; die Anreizregulierungsverordnung ist soeben in Kraft getreten. Ferner ist die Kraftwerksnetzanschlussverordnung erlassen worden, die zur Intensivierung des Wettbewerbs neue Kraftwerke für eine Übergangszeit bei Netzengpässen privilegiert. Erst nach der vollständigen Umsetzung und einer nach angemessener Zeit durchgeführten Bewertung kann sinnvoll über die Notwendigkeit weitergehender Schritte befunden werden.
- - Die zentrale Frage, welche Anreize von einer eigentumsrechtlichen Entflechtung für den Erhalt und Ausbau einer leistungsfähigen Netzinfrastruktur ausgehen wird nicht überzeugend beantwortet. Die Kommissionsvorschläge gehen davon aus, in nicht eigentumsrechtlich entflochtenen Unternehmen bestehe für den Netzbetreiber kein Anreiz, im allgemeinen Marktinteresse das Netz auszubauen, während eigentumsrechtlich entflochtene Systeme zu mehr Investitionen in die Netzinfrastruktur führten.
Diese Schlussfolgerung liegt schon deshalb nicht nahe, weil integrierte Energieversorgungsunternehmen zugleich Netzbetreiber und Netznutzer sind so dass ein inhärentes Interesse an einer leistungsfähigen Netzinfrastruktur besteht. Umgekehrt kann derzeit nicht verlässlich eingeschätzt werden, wer bei einer eigentumsrechtlichen Entflechtung Erwerber von Übertragungsnetzen sein könnte. Es kann nicht ausgeschlossen werden dass Netzinfrastrukturen auf Erwerber übergehen, die kein auf Dauer angelegtes unternehmerisches Engagement im Netzbereich anstreben. Die Kommissionsvorschläge sehen insoweit nur Regelungen für Interessenten aus Drittstaaten vor. Das Risiko, dass das Interesse der Betreiber von notwendigen Netzinfrastrukturen vor allem durch kurzfristige Renditeerwartungen bestimmt werden könnte, drängt sich aber auch mit Blick auf mögliche Erwerber aus dem EU-Bereich auf.
Auch empirisch ist die Feststellung der Kommission, die eigentumsrechtliche Entflechtung führe zu mehr Investitionen in die Netzinfrastruktur, nicht überzeugend begründet. Zum einen gibt es Hinweise darauf dass die Kommission teilweise von nicht zutreffenden Investitionssummen ausgeht. Vor allem werden sonstige für das Investitionsverhalten wesentliche Faktoren nicht berücksichtigt. So sind Erhalt und Ausbau der Netzinfrastruktur stark von Investitionszyklen bestimmt und werden dadurch beeinflusst, welche Anreize für Investitionen von den Entgeltbildungsregeln ausgehen. Diese Zusammenhänge werden bei den Kommissionsvorschlägen nicht berücksichtigt.
- - Vergleichende Untersuchungen der Energiemärkte der Mitgliedstaaten haben ergeben, dass diskriminierungsfreier Wettbewerb und niedrige Netzentgelte von einer effektiven und dauerhaften Regulierung und nicht von den Eigentumsverhältnissen am Netz abhängen. Dies zeigt die Entwicklung in Mitgliedstaaten (z.B. Österreich), in denen der Regulierer schon vor einigen Jahren seine Arbeit aufgenommen hat. In den Ländern, in denen bereits jetzt Erzeugung/Vertrieb und Netz getrennt sind, sind die Stromnetzentgelte (Italien) bzw. die Stromgroßhandelspreise (Großbritannien) erheblich höher als in Deutschland, ist der Marktanteil des jeweils größten Stromerzeugers weitaus höher als in Deutschland (Dänemark, Italien) oder hält der Staat es für erforderlich, durch Festlegung von Preisobergrenzen massiv in den Wettbewerb einzugreifen (Spanien).
- - Von den in der bisherigen Diskussion entwickelten Alternativmodellen zum eigentumsrechtlichen "Unbundling" greifen die Richtlinienentwürfe nur das Modell des "Independent System Operator" (ISO) in der Ausgestaltung des "Deep ISO" auf. Hingegen werden Modelle mit dem Ziel, die für das Entstehen eines europäischen Binnenmarkts wesentlichen Netz- und Marktaufgaben in einer grenzüberschreitenden Organisationsstruktur zusammenzuführen, als mögliche Alternative zur eigentumsrechtlichen Entflechtung nicht berücksichtigt; das gilt insbesondere für das Modell des "Regional Independent Operator (RIO)". Zwar werden die Übertragungs- und Ferngasleitungsbetreiber zu verstärkter regionaler Kooperation verpflichtet. Hierbei wird aber nicht in Betracht gezogen, dass die Förderung der weiteren regionalen Integration mit Regelungen zur Gewährleistung der Neutralität des Übertragungsnetzbetriebs durch Schaffung einer grenzüberschreitenden, vom Netzeigentum unabhängigen Organisationsstruktur verknüpft werden kann. Hierin könnte angesichts der hohen Priorität einer stärkeren Integration des europäischen Energiemarkts ein wesentlicher Vorzug bestehen.
- - Die Richtlinienentwürfe bieten schließlich kein überzeugendes Lösungskonzept zur Gleichbehandlung von Netzen im privaten Eigentum und solchen Netzen, die einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem öffentlichen Unternehmen gehören.
Letztere müssen nach den Kommissionsvorschlägen auch dann, wenn sie im öffentlichen Sektor mit Erzeugungs- oder Vertriebsinteressen zusammengefasst sind, nicht durch Veräußerung an Private entflochten werden. Das führt zu einer Benachteiligung privater Netzbetreiber.
- - Einführung einer europäischen Regulierungsinstanz
Die Aufgaben der vorgesehenen Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden und der Kommission bedeuten eine Verlagerung von Regulierungszuständigkeiten auf die europäische Ebene in nicht erforderlichem Umfang.
Die Kommissionsvorschläge sind dadurch gekennzeichnet, dass die Aufgaben der europäischen Regulierungsagentur sich nicht auf Regelungen grenzüberschreitender Sachverhalte beschränken, sondern auch die bisherigen Koordinierungsmechanismen zwischen den nationalen Regulierungsbehörden zur Vereinheitlichung des Regulierungshandelns einbeziehen sollen. Eine solche Verstärkung der unmittelbaren Einflussmöglichkeiten auf das Regulierungshandeln in den Mitgliedstaaten ist nicht erforderlich und mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht vereinbar, weil die bestehenden Koordinierungsmechanismen sich bewährt haben und ausreichen um eine einheitliche Regulierungstätigkeit zu gewährleisten.
Eine verstärkte Koordinierung erscheint lediglich zur Regelung grenzüberschreitender Sachverhalte erforderlich, um den notwendigen Ausbau der Grenzkuppelstellen zu beschleunigen.
Die Bedenken gegen eine sachlich nicht gebotene Verlagerung von Regulierungszuständigkeiten auf die europäische Ebene werden verstärkt durch die weitreichenden Einflussmöglichkeiten der Kommission auf die Agentur, während die vorgesehenen mitgliedstaatlichen Einflussmöglichkeiten gering sind.
- - Vorgaben für Stellung und Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörden
Auch die Vorgaben für Stellung und Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörden engen die Handlungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung der nationalen Regulierung in sachlich nicht begründeter Weise ein und sind mit dem Subsidiaritätsgedanken nicht vereinbar.
Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass die Regulierungsbehörden von den der Regulierung unterworfenen Unternehmen vollständig unabhängig sein müssen. Auch eine gewisse fachliche Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde erscheint durchaus sinnvoll. Die Regelungsvorschläge der Kommission, nach denen die Regulierungsbehörde auch von der Regierung und anderen öffentlichen Stellen unabhängig sein soll, gehen aber weit darüber hinaus und berücksichtigen nicht, dass die den Regulierungsbehörden zugewiesenen Aufgaben zentrale Bereiche der Energiepolitik berühren, die auch politisch verantwortet werden müssen.
Dies wäre nach den Vorstellungen der Kommission nicht mehr möglich.
Dass das Handeln der Regulierungsbehörde sich jeder politischen Kontrolle entzieht gehört nicht zu den Voraussetzungen für eine wirksame Regulierung.
Im Übrigen erscheint es nicht schlüssig, dass die Kommission jede Einwirkungsmöglichkeit der Mitgliedstaaten auf das Regulierungshandeln ausschließen will für sich selbst aber gegenüber der von ihr vorgeschlagenen europäischen Regulierungsinstanz die Befugnis beansprucht, Leitlinien vorzugeben oder grundsätzliche Entscheidungen, für die die Agentur keine Befugnisse haben soll, selbst zu treffen.
Auch die Vorgabe, dass jeder Mitgliedstaat eine einzige nationale Regulierungsbehörde zu benennen hat, widerspricht dem Subsidiaritätsgedanken und hat nachteilige Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Regulierung. Für die Koordinierung des Regulierungshandelns innerhalb der Gemeinschaft kann es nur darauf ankommen, dass auf europäischer Ebene jeder Mitgliedstaat sich durch eine Behörde an der Willensbildung beteiligt. Dies erfordert keine Vorgaben für die Organisation der Regulierungsbehörden innerhalb des einzelnen Mitgliedstaats.
Die Aufteilung der Regulierungsaufgaben zwischen Bundes- und Landesbehörden in Deutschland ermöglicht angesichts der dezentralen Netzstrukturen eine auf die vorhandenen Unternehmensstrukturen abgestimmte Behördenorganisation. Durch interne Abstimmung ist gewährleistet, dass auf europäischer Ebene die Auffassung der deutschen Regulierungsbehörden einheitlich vertreten wird.
- - Gas
Eine Notwendigkeit, die Regulierung auf wettbewerbliche Marktsegmente (Speicher; LNG-Anlagen) auszuweiten, ist nicht erkennbar. Die Vorschläge der Kommission führen zu einer weiteren Bürokratisierung. Zudem wird bezweifelt ob bei einer Regulierung im Bereich der Erdgasspeicher weiterhin genügend Anreize für Investitionen in Infrastruktur und Versorgungssicherheit bestehen.
Im Rahmen der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Krisenfällen dürfen die mit privatem Kapital errichteten Speicherkapazitäten nicht sozialisiert werden.
II.
III.