960. Sitzung des Bundesrates am 22. September 2017
A
Der federführende Verkehrsausschuss (Vk) und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) empfehlen dem Bundesrat, der Verordnung gemäß Artikel 80 Absatz 2 des Grundgesetzes nach Maßgabe folgender Änderungen zuzustimmen:
1. Zu Artikel 1 Nummer 1a - neu - (§ 35b Absatz 2 Satz 1a - neu - StVZO) Nummer 4a - neu - (§ 72 Absatz 2 Nummer 1c - neu - StVZO)
- a) In Artikel 1 ist nach Nummer 1 folgende Nummer einzufügen:
- b) In Artikel 1 ist nach Nummer 4 folgende Nummer einzufügen:
'4a. Nach § 72 Absatz 2 Nummer 1b wird folgende Nummer 1c eingefügt:
"1c. § 35b Absatz 2 Satz 2 tritt in Kraft ab 1. Januar 2021."
Die bisherigen Nummern 1c bis 1e werden Nummern 1d bis 1f.'
Begründung:
Zu Buchstabe a:
Ein ausreichendes Sichtfeld für den Fahrzeugführer ist eine der elementaren Voraussetzungen für die Verkehrssicherheit. Während zur Genehmigung von Kraftfahrzeugen klare Regelungen für das nötige Sichtfeld des Fahrzeugführers in § 35b der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO), den Ausführungsbestimmungen hierzu sowie im EU-Recht bestehen, fehlen solche Vorgaben für das vordere Sichtfeld, wenn Kraftfahrzeuge mit auswechselbaren Anbaugeräten ausgerüstet sind, die das vordere Sichtfeld des Fahrzeugführers einschränken. Anbaugeräte werden z.B. an land- oder forstwirtschaftlichen Zugmaschinen (Traktoren), Kommunalfahrzeugen oder selbstfahrenden Arbeitsmaschinen für bestimmte Arbeiten verwendet (Frontlader, Frontmähwerke, Rebenschneider, Roder, Saatbettkombinationen, Tunnelreiniger etc.). Auch die Forderung des § 29 Absatz 3 der Straßenverkehrsordnung (StVO) nach einer Fahrt-Erlaubnis bei nicht ausreichendem Sichtfeld für den Fahrzeugführer bezieht sich nur auf die Bauart des Fahrzeugs, nicht auf das Mitführen von Anbaugeräten.
Moderne Trägerfahrzeuge und Anbaugeräte haben immer größere Dimensionen, die meist auch das akzeptable Vorbaumaß (Mitte Lenkrad bis Front des Anbaugeräts) von 3,5 m überschreiten. Dadurch wird das vordere Sichtfeld des Fahrzeugführers in vielen Fällen beträchtlich stärker als früher üblich eingeschränkt. Dies kann zu einer massiven Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer führen, insbesondere an Straßenkreuzungen oder Einmündungen sowie für Radfahrer oder Fußgänger.
Bisher sind gemäß § 23 der StVO der Fahrzeugführer und gemäß § 31 der (StVZO) der Fahrzeughalter für die Beurteilung eines ausreichenden Sichtfelds selbst verantwortlich, was in der Praxis kaum zu verwirklichen ist. Nach jahrzehntelanger Erfahrung ist hierzu in aller Regel eine sachverständige Beurteilung erforderlich, wie dies auch bei Sichtfeldeinschränkungen erfolgt, die durch die Bauart des Fahrzeugs selbst verursacht sind.
Auswechselbare Anbaugeräte haben zur gewollten Erleichterung ihrer variablen Verwendung im Gegensatz zu Fahrzeugen keine eigene Genehmigungspflicht nach den Bestimmungen der StVZO, weshalb verkehrssicherheitsrelevante Vorgaben extra als Betriebsvorschriften für Kraftfahrzeuge mit ihren Anbaugeräten in der StVZO verankert werden müssen. Deshalb ist im § 35b StVZO eine einschlägige Betriebsvorschrift zu ergänzen, die ausreichendes vorderes Sichtfeld bei allen Kraftfahrzeugen auch bei Fahrten mit Anbaugeräten auf öffentlichen Straßen fordert. Hierdurch soll ein flexibles Überführen oder Arbeiten mit Anbaugeräten nicht unnötig erschwert werden, wohl aber soll bei relevanten Sichtfeldeinschränkungen eine rechtliche Grundlage für Ausnahmegenehmigungen nach § 70 StVZO mit Auflagen zur hinreichenden Verkehrssicherheit geschaffen werden. Dies können beispielsweise Begleitfahrzeuge, Einweiser oder seit 2017 auch geeignete Kamera-Monitor-Systeme zur Ergänzung des vorderen Sichtfelds sein. Da die Anbaugeräte auswechselbar sind, ist bei erheblicher Sichtbehinderung in gravierenden Fällen auch gegebenenfalls der Transport auf einem Anhänger zur Arbeitsstelle zumutbar, wenn die Arbeit mit diesen Anbaugeräten nicht während der Fahrt im öffentlichen Straßenraum erfolgen muss.
Zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit ist Vergleichbares bisher bereits für die Gesamtbreite von Fahrzeugen auch mit Anbaugeräten in § 32 Absatz 1 Nummer 2 StVZO verwirklicht, ebenso ist dies bei Achslast- oder Gesamtgewichtsüberschreitungen der Trägerfahrzeuge von Anbaugeräten in § 34 StVZO der Fall. Bei Überschreitung von vorgeschriebenen Grenzwerten sind Ausnahmegenehmigungen nach § 70 StVZO mit einschlägigen Auflagen zur Verkehrssicherheit erforderlich.
Zu Buchstabe b:
Diese regelt das In-Kraft-Treten mit einer zur Umsetzung in die Praxis erforderlichen Übergangszeit.
Ergänzende Hinweise:
Die Hinweise zum Sichtfeld für den Fahrzeugführer unter Nummer 4.10 des amtlichen Merkblattes für Anbaugeräte im Verkehrsblatt 2009, Seite 804 ff. sind nicht rechtsverbindlich und in der Praxis schwer umzusetzen. Meist sind der Fahrer nach § 23 StVO und der Fahrzeughalter nach § 31 StVZO mit der eigenständigen Beurteilung des erforderlichen vorderen Sichtfelds überfordert, so dass teilweise ungeachtet des beeinträchtigten oder nicht ausreichenden Sichtfelds mit Anbaugeräten gefahren wird.
2. Zu Artikel 1 Nummer 3 (§ 47f Absatz 1 StVZO)
In Artikel 1 Nummer 3 ist § 47f Absatz 1 wie folgt zu fassen:
(1) Ein Kraftfahrzeug darf nur mit den vom Hersteller in der Betriebsanleitung oder in anderen für den Fahrzeughalter bestimmten Unterlagen angegebenen Qualitäten von flüssigen, gasförmigen oder festen Kraftstoffen betrieben werden. Abweichend von Satz 1 darf ein Kraftfahrzeug mit anderen Qualitäten von flüssigen, gasförmigen oder festen Kraftstoffen nur betrieben werden, sofern die Einhaltung der Anforderungen des § 38 Absatz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes an das Fahrzeug sichergestellt ist."
Begründung:
Durch die vorgeschlagene Änderung soll klargestellt werden, dass nicht die kontrollierende Behörde, sondern der Betreiber des Fahrzeugs den Nachweis zu erbringen hat, dass die Anforderungen nach § 38 Absatz 1 BImSchG erfüllt sind, wenn das Fahrzeug mit anderen Qualitäten von flüssigen, gasförmigen oder festen Kraftstoffen betrieben wird.
3. Zu Artikel 1 Nummer 3 (§ 47f Überschrift, Absatz 2 Satz 2 StVZO)
In Artikel 1 Nummer 3 ist § 47f wie folgt zu ändern:
Begründung:
Die vorgeschlagene Änderung dient der ergänzenden Umsetzung des Artikels 11 der Verordnung (EG) Nr. 595/2009. Danach gehört zu den mit Sanktionen belegten Verstößen von Fahrzeugbetreibern auch die Manipulation von Systemen zur Verringerung der Stickoxid-Emissionen. Mit dem Änderungsvorschlag wird dies als Verbotstatbestand aufgenommen und gemäß § 69a Absatz 1 der Verordnung als Ordnungswidrigkeitstatbestand festgelegt.
B
- 4. Der federführende Verkehrsausschuss empfiehlt dem Bundesrat ferner, folgende Entschließung zu fassen:
- a) Der Bundesrat bekräftigt seinen Beschluss vom 10. Februar 2012 (BR-Drucksache 861/11(B) , in dem der (nur) konsolidierten Neufassung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung zugestimmt wurde mit der Entschließung, diese bis 2014 auch im Hinblick auf das aktuelle EU-Recht grundlegend zu reformieren. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, diese dringende Reform der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung nun spätestens bis zum Jahresende 2018 abzuschließen, so dass die Neufassung 2019 in Kraft treten kann. Dies dient der besseren Verständlichkeit für alle Betroffenen, der Verkehrssicherheit, der Harmonisierung mit dem fortgeschriebenen EU-Recht und berücksichtigt den Fortschritt der Fahrzeugtechnik - auch im Hinblick auf künftiges automatisiertes Fahren.
- b) Der Bundesrat behält sich vor, künftig weiteren nötigen Änderungen der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung nur im Rahmen der reformierten Fassung zuzustimmen, um Doppelarbeit aller Beteiligten zu vermeiden.
Begründung:
Zu Buchstabe a:
Die derzeit geltende Fassung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) ist strukturell, inhaltlich und in ihren Aussagen nicht mehr aktuell und hinreichend verständlich aufgrund ihrer Historie seit dem 13. November 1937. Die zur Aktualisierung dringend erforderliche grundlegende Reform der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung hat sich aufgrund verschiedener (auch äußerer) Hemmnisse erheblich verzögert, obwohl bereits in aufwändiger Zusammenarbeit von Bund, Ländern und anderen Beteiligten ein weitgehend abgestimmter Entwurf erarbeitet wurde. Umso mehr ist nun eine zügige Fertigstellung und Verkündung erforderlich, um ein weiter fortschreitendes Auseinanderdriften zwischen den ständig aktualisierten Mindestanforderungen für die Typgenehmigung neuer seriengefertigter Kraftfahrzeuge und ihrer Anhänger im EU-Recht und den nationalen Anforderungen für die Genehmigung und den späteren Betrieb der Einzelfahrzeuge zu vermeiden. Dies ist auch im Hinblick auf den Fortschritt der Fahrzeugtechnik - beispielsweise beim künftigen automatisierten Fahren - unerlässlich.
Zu Buchstabe b:
Der bereits in Zusammenarbeit von Bund, Ländern und anderen Beteiligten weitgehend abgestimmte Entwurf der StVZO beruht auf deren bisher geltenden Fassung und bedurfte erheblichen Aufwands. Jede weitere Änderung der bisherigen StVZO verursacht auch weitergehenden Anpassungsbedarf des Reform-Entwurfs.