Auswärtiges Amt
Berlin, den 18. September 2012
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Horst Seehofer
Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
anliegend übersende ich Ihnen den Abschlussbericht der informellen Gruppe elf europäischer Außenminister zur Zukunft der Europäischen Union. Dieser entwickelt den Zwischenbericht vom Juni 2012, den ich Ihnen seinerzeit habe zukommen lassen, fort.
Die Arbeit unserer Gruppe war stets von der festen Überzeugung getragen, gerade in Zeiten der Vertrauenskrise, gemeinsam für Europa einzustehen. Europa hat seinen Preis, aber Europa hat vor allem seinen Wert.
Der Bericht soll die laufende Debatte um die Zukunft der Europäischen Union bereichern. Schwerpunkt bilden unsere Vorschläge zur Vertiefung der Wirtschaftsund Währungsunion. Die Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion erfordert auch einen Zuwachs an demokratischer Mitbestimmung. Darüber hinaus enthält der Bericht Vorschläge zur Verbesserung des auswärtigen Handels und zur Rolle Europas als globale Gestaltungsmacht.
Wir unterbreiten einerseits Vorschläge, die im Rahmen der bestehenden Verträge umgesetzt werden können und auch solche, die darüber hinausgehen. Gerade in der Krise müssen wir Europa weiter denken. Wer Orientierung gibt, hilft, neues Vertrauen zu begründen.
Über Ihre Einschätzungen zu diesem Bericht würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Guido Westerwelle
17. September 2012
Abschlussbericht der Gruppe zur Zukunft Europas der Außenminister Belgiens, Dänemarks, Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Luxemburgs, der Niederlande, Österreichs, Polens, Portugals und Spaniens
Einleitung und Zusammenfassung
Die Europäische Union steht an einer entscheidenden Wegmarke. Die andauernde Staatsschuldenkrise und der sich immer weiter verstärkende Prozess der Globalisierung stellen eine doppelte Herausforderung für Europa dar. Wir müssen ihr gerecht werden, wenn wir eine gute Zukunft für unseren Kontinent wollen, in der wir unsere Interessen kraftvoll vertreten und die Werte Europas überzeugend realisieren und vermitteln können.
Die Krise hat längst auch eine politische Dimension. In vielen Teilen Europas sind Nationalismus und Populismus vor dem Vormarsch, während gleichzeitig Solidarität und das Zusammengehörigkeitsgefühl in Europa nachlassen. Wir müssen das Vertrauen in unser gemeinsames Projekt wieder herstellen. Die politische Debatte über die Zukunft des europäischen Projekts muss jetzt geführt, und sie muss in ganz Europa geführt werden. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Bürgerinnen und Bürger Europas einbezogen werden.
In dem nachfolgenden Bericht unterbreiten wir konkrete Vorschläge, die sich mit den Herausforderungen befassen sollen, mit denen Europa konfrontiert ist. Einige sind kurzfristiger, einige langfristiger Natur. Viele können innerhalb der bestehenden Verträge umgesetzt werden, für einige sind möglicherweise Vertragsänderungen erforderlich. Es kommt darauf an, die richtige zeitliche Abfolge zu finden und Ausgewogenheit zu gewährleisten, indem das, was realistischerweise frühzeitig erreicht werden kann, mit der längerfristigen Perspektive und Vision für ein stärkeres Europa verknüpft wird. Die Stärkung der WWU ist eindeutig das Schlüsselelement in unseren Bemühungen zur Überwindung der derzeitigen Krise.
Der Bericht spiegelt unsere persönlichen Gedanken wider. Wir betonen, dass nicht alle teilnehmenden Minister mit allen Vorschlägen einverstanden sind, die im Laufe unserer Diskussionen vorgebracht worden sind, und dass die individuellen vertraglichen Verpflichtungen und Rechte der Mitgliedstaaten innerhalb der einzelnen Politikbereiche berücksichtigt werden müssen. Die Vorschläge können wie folgt zusammengefasst werden:
- I. Die Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion hat absolute Priorität. Der Euro hat handfeste wirtschaftliche Vorteile, und er ist das mächtigste Symbol der europäischen Integration. Unsere Vorschläge leisten einen konkreten Beitrag zur Reform der WWU, die im Juni vom Europäischen Rat angestoßen wurde. Dabei liegt unser Schwerpunkt auf Initiativen im Rahmen der bestehenden Verträge. Wir sollten jedoch die Möglichkeit von Vertragsänderungen nicht ausschließen, sollten sich diese als erforderlich erweisen. Wir müssen
- - den bereits gestärkten integrierten Haushaltsrahmen noch weiter voranbringen durch Schaffung von Mechanismen auf EU-Ebene, sowohl um zu überwachen, dass die Haushalte der Mitgliedstaaten den europäischen Regeln entsprechen und um die europäische Solidarität weiterzuentwickeln;
- - die Abstimmung der Wirtschaftspolitik zwischen den Mitgliedstaaten in ausgewählten Bereichen, die für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung sowie für die Stabilität der Eurozone von entscheidender Bedeutung sind, verbindlicher machen. Dies wird dabei helfen, bestehende Ungleichgewichte zu überwinden und die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt zu stärken;
- - einen wirksamen einheitlichen Aufsichtsmechanismus unter Einbeziehung der EZB für Banken in der Eurozone und in den Mitgliedstaaten einrichten, die sich einem solchen Mechanismus anschließen wollen;
- - die volle demokratische Legitimation und Rechenschaftspflicht gewährleisten. Wenn auf europäischer Ebene zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden und diese die Kompetenzen der EU betreffen, muss das Europäische Parlament entweder im Rahmen der Mitentscheidung oder Konsultation einbezogen werden. Die meisten Mitglieder der Gruppe waren der Ansicht, dass, falls eine Entscheidung nur für den Euroraum und andere Mitgliedstaaten, die sich beteiligen wollen, gilt, die EP-Abgeordneten aus diesen Ländern eine besondere Rolle innehaben sollten - unter voller Achtung der Integrität der Europäischen Union und des Europäischen Parlamentes in ihrer Gesamtheit. Handelt es sich um Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, insbesondere die Haushaltskompetenz, müssen die nationalen Parlamente zustimmen. Die Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten im Bereich der Wirtschafts- und Fiskalpolitik sollte weiter gestärkt werden, indem ein ständiger gemeinsamer Ausschuss eingerichtet wird.
- II. Wir glauben, dass wir nach der Überwindung der Eurokrise auch die Funktionsweise der Europäischen Union insgesamt verbessern müssen. Die EU muss insbesondere entschlossene Schritte unternehmen, um ein stärkerer Akteur auf der Weltbühne zu werden. Diese Aufgabe sollte außerhalb und getrennt von der WWU-Reform durchgeführt werden. Einige dieser Maßnahmen könnten auf der Grundlage der bestehenden Verträge erfolgen, möglicherweise sogar kurzfristig, während andere nur langfristig durch Vertragsänderungen in Angriff genommen werden können.
- - Die EU muss die Kohärenz und politische Schlagkraft ihres Außenhandelns erhöhen. Wir fordern im Jahr 2013 eine grundlegende Überprüfung der Entscheidung über den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD). Die Hohe Vertreterin/Vizepräsidenten sollte für Schlüsselbereiche des Außenhandelns zuständig werden. Die EU muss ferner die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik grundlegend stärken und die Beziehungen zu ihren strategischen Partnern wirkungsvoller gestalten. Langfristig sollten wir eine Ausweitung der Mehrheitsbeschlüsse im Bereich der GASP, eine gemeinsame Vertretung in internationalen Organisationen wo dies möglich ist und eine europäische Verteidigungspolitik anstreben. Für einige Mitglieder der Gruppe könnte dies letztlich eine europäische Armee umfassen.
- - Die Stärkung konkreter politischer Maßnahmen muss mit institutionellen Reformen einhergehen. Die Kommission sollte gestärkt werden, damit sie ihre Rolle als Motor der Gemeinschaftsmethode in vollem Umfang und wirksam ausfüllen kann. Eine Möglichkeit wäre die Schaffung spezifischer Gruppen mit "Senior"- und "Junior"-Kommissaren. Der Allgemeine Rat sollte ermächtigt werden, die für ihn im Vertrag vorgesehene Koordinationsrolle in vollem Umfang wahrzunehmen. Das Europäische Parlament sollte sein demokratisches Profil durch die Ernennung eines europäischen Spitzenkandidaten durch jede politische Fraktion für die nächsten EP-Wahlen schärfen.
- - Realistisch betrachtet, wird die Vertragsreform in einer Europäischen Union mit 28 oder mehr Mitgliedstaaten langfristig immer schwieriger. Die meisten Mitglieder der Gruppe sind der Ansicht, dass sowohl die Annahme als auch das Inkrafttreten von Vertragsänderungen (mit Ausnahme der EU-Erweiterung) durch eine superqualifizierte Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten und ihrer Bevölkerungen erfolgen sollten. Diese wären bindend für die Mitgliedstaaten, die sie ratifiziert haben.
- - Am Ende eines langen Prozesses sollten wir auf ein schlankeres und leistungsfähigeres System für die Gewaltenteilung in Europa hinarbeiten, das uneingeschränkte demokratische Legitimität genießt. Für einige Mitglieder der Gruppe könnte dies einen direkt gewählten Kommissionspräsidenten, der die Mitglieder seiner "europäischen Regierung" selbst bestimmt, ein Europäisches Parlament mit der Befugnis, Gesetzgebungsverfahren zu initiieren, und eine zweite Kammer für die Mitgliedstaaten einschließen.
I. Überwindung der gegenwärtigen Krise durch grundlegende Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion
Die Staatsschuldenkrise im Euroraum ist längst zu einer Vertrauenskrise in die langfristige Fähigkeit einzelner Eurostaaten zur Rückkehr zu Stabilität geworden.
Solide öffentliche Finanzen, Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung müssen wir zusammen fördern. Auf europäischer Ebene sollten wir den Binnenmarkt, einer unserer wichtigsten Trümpfe und der stärkste Wachstumsmotor, auf eine neue Entwicklungsstufe bringen. Wir sollten die Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) erhöhen, auch indem wir ihnen den Zugang zu EU-Mitteln erleichtern und durch die Förderung neuer Investitionen, wie im Europäischen Pakt für Wachstum und Arbeitsplätze angelegt; in diesem Zusammenhang müssen wir auch die Beschlüsse für eine stärkere Rolle der EIB umsetzen. Schließlich müssen wir vermehrt Arbeitsplätze schaffen, wobei das Augenmerk insbesondere auf der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit liegen sollte.
Wir werden die Eurokrise jedoch nur dauerhaft lösen können, wenn wir die Vertrauenskrise im Euroraum überwinden.
Zu diesem Zweck müssen wir die Wirtschafts- und Währungsunion grundlegend stärken.
Die Arbeit an der grundlegenden Reform der WWU wird auf den vier Bausteinen beruhen, die der Präsident des Europäischen Rates zusammen mit dem Kommissionspräsidenten, dem Präsidenten der Eurogruppe und dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank in seinem Bericht an den Europäischen Rat im Juni 2012 genannt hat. Wir brauchen Schritte hin zu einem integrierten Finanzrahmen, einem integrierten Haushaltsrahmen, einem integrierten wirtschaftspolitischen Rahmen sowie Maßnahmen zur Gewährleistung der notwendigen demokratischen Legitimation und Rechenschaftspflicht.
Eine handlungsfähige, stabile Wirtschafts- und Währungsunion ist von zentraler Bedeutung für das Funktionieren der Europäischen Union insgesamt. Dies ist für die Mitglieder des Euroraums ein Hauptanliegen und geht zugleich alle Mitglieder der Europäischen Union an - auch diejenigen, die den Euro noch nicht eingeführt haben. Reformen sollten daher wo möglich im Kreis der 27 erfolgen. Alle notwendigen Reformschritte sollten unternommen werden, um die WWU zu vertiefen. Unser Schwerpunkt liegt auf Initiativen im Rahmen der bestehenden Verträge; wir sollten jedoch die Möglichkeit von Vertragsänderungen nicht ausschließen, sollten sich diese als erforderlich erweisen.
Ein integrierter Haushaltsrahmen
In den letzten zwei Jahren sind wichtige Schritte zur Verstärkung des Rahmens für Haushaltsdisziplin unternommen worden, insbesondere im Euroraum. Vordringlich sind jetzt der Abschluss der Arbeiten am "Two-Pack" und die zügige Umsetzung des Fiskalpakts. Aber wir müssen die Mechanismen auf EU-Ebene wirksamer gestalten, um sicherzustellen, dass alle Mitgliedstaaten nichtnachhaltige fiskalpolitische Maßnahmen verhindern bzw. korrigieren und sich in ihren Haushaltsverfahren an die vereinbarten Regeln halten. Innerhalb der Kommission sollte die Rolle des Kommissars für Wirtschaft und Finanzen gestärkt werden.
Auf dem Weg zu einem integrierten Haushaltsrahmen sollte Folgendes Hand in Hand gehen:
- - wirksame Überwachungsbefugnisse mit konkreten Kompetenzen für die europäischen Institutionen zur Überwachung der Haushalte und Umsetzung der fiskalpolitischen Maßnahmen der Mitgliedstaaten, um zu gewährleisten dass die Mitgliedstaaten die vereinbarten Verpflichtungen bzgl. Defizit und Schuldenabbau befolgen. Hierbei ist die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Zusammensetzung ihrer Haushalte uneingeschränkt zu beachten.
- - die Schaffung weiterer europäischer Solidaritätsmechanismen; einige Mitglieder der Gruppe regten Schritte hin zur Vergemeinschaftung von Staatsschulden an.
Ein integrierter wirtschaftspolitischer Rahmen
Wir müssen den grundlegenden Konstruktionsfehler der WWU - Währungsunion ohne Wirtschaftsunion - beheben. Das bedeutet nicht, dass sämtliche wirtschaftspolitische Maßnahmen auf europäischer Ebene entschieden werden sollten. Für bestimmte zentrale Fragen der Wirtschaftspolitik, die für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung und die Nachhaltigkeit des Euroraums von besonderer Relevanz sind, brauchen wir die richtige Mischung aus wirksamer und verbindlicher Koordinierung auf europäischer Ebene und einem gesunden Wettbewerb nationaler Systeme und wirksamerer Methoden für den Austausch bewährter Verfahren. Dies betrifft insbesondere die Funktionsweise der Arbeitsmärkte und die Nachhaltigkeit der Rentensysteme. Wir sollten die bestehenden Optionen in den Verträgen nutzen, auch durch eine verstärkte Zusammenarbeit. Viele Mitglieder der Gruppe waren der Ansicht, dass zusätzlich die bisher freiwilligen Selbstverpflichtungen in einschlägigen Bereichen des Euro-Plus-Paktes verbindlich ausgestaltet werden sollten. Dies sollte im Rahmen eines Wirtschafts-Partnerschaftsprogramms zwischen den Mitgliedstaaten und der europäischen Ebene umgesetzt werden, ähnlich zum Verfahren das im Fiskalvertrag vorgesehen ist.
Ein integrierter Finanzrahmen
Wir brauchen mutigere Schritte, um das Funktionieren der europäischen Finanzmärkte zu verbessern. Wir favorisieren daher einen wirksamen einheitlichen Aufsichtsmechanismus unter Einbeziehung der EZB für Banken im Euroraum und in den Mitgliedstaaten, die sich einem solchen Mechanismus anschließen wollen.
Einige Mitgliedstaaten betonten die Wichtigkeit eines gemeinsamen Systems zur Einlagensicherung und eines europäischen Umstrukturierungs- und Abwicklungsregimes.
Mittelfristig muss der Euroraum in der Lage sein, potenzielle Probleme in der Wirtschaftsund Währungsunion selbst zu lösen. Daher sollte der Europäische Stabilitätsmechanismus zu einem "Europäischen Währungsfonds" mit angemessenen Befugnissen weiterentwickelt werden.
Stärkung der demokratischen Legitimation und Rechenschaftspflicht
Eine grundlegende Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion muss mit größerer demokratischer Legitimation einhergehen. Wo immer neue Kompetenzen auf europäischer Ebene geschaffen werden oder eine engere Koordinierung der nationalen Politiken erfolgt, muss die vollständige demokratische Kontrolle gewährleistet werden.
- - Im Rahmen der Weiterentwicklung der WWU sollte das Europäische Parlament unter Beachtung der Gemeinschaftsmethode eng eingebunden und seine Rolle gestärkt werden. Betreffen Maßnahmen auf europäischer Ebene - entweder im Rahmen der EU oder durch eine intensivierte Abstimmung der Mitgliedstaaten - EU-Kompetenzen, muss das Europäische Parlament in den Entscheidungsprozess eingebunden werden, entweder im Rahmen der Mitentscheidung oder der Anhörung. Beispielsweise sollte das Europäische Parlament unter anderem im Rahmen des Europäischen Semesters vor der Formulierung grundsätzlicher Aspekte (z.B. des Jahreswachstumsberichts) bzw. zu die EU oder die Eurozone als Ganzes betreffenden konkreten Empfehlungen konsultiert werden. Wenn wir die verbindlichere Koordinierung spezifischer Elemente des Euro-Plus-Pakts auf europäischer Ebene einführen, so sollte das Europäische Parlament auch hier konsultiert werden. Die meisten Mitglieder der Gruppe waren der Ansicht, dass, wenn eine Maßnahme nur den Euroraum und andere Mitgliedstaaten, die sich beteiligen wollen, betrifft, die EP-Abgeordneten aus diesen Ländern eine besondere Rolle innehaben sollten - unter voller Achtung der Integrität der Europäischen Union und des Europäischen Parlamentes in ihrer Gesamtheit. Werden Mittel aus einem möglichen zentralen Budget, das diese Staaten umfasst, zur Unterstützung von Strukturreformen in einem dieser Mitgliedstaaten eingesetzt, muss das Europäische Parlament entsprechend den in den Verträgen vorgesehenen Verfahren zustimmen; hierbei müssen die Abgeordneten aus den teilnehmenden Mitgliedstaaten wiederum eine spezifische Rolle innehaben.
- - Betreffen zusätzliche Maßnahmen auf europäischer Ebene nationale Kompetenzen, insbesondere den Haushalt, müssen die nationalen Parlamente zustimmen. Das Europäische Parlament sollte ebenfalls unterrichtet werden.
- - Außerdem sollte die Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten im Bereich der Wirtschafts- und Fiskalpolitik auf eine neue Grundlage gestellt werden, indem ein ständiger gemeinsamer Ausschuss eingerichtet wird.
II. Erleichterung der weiteren Integrationsschritte und die langfristige "Governance"-Struktur der Europäischen Union
Sobald die Eurokrise überwunden ist, müssen wir auch die allgemeine Funktionsweise der Europäischen Union verbessern. Die EU muss insbesondere entschlossene Schritte unternehmen, um ein stärkerer Akteur auf der Weltbühne zu werden. Diese Aufgabe sollte außerhalb und getrennt von der Reform der WWU angegangen werden. Einige dieser Maßnahmen könnten auf der Grundlage der bestehenden Verträge umgesetzt werden, möglicherweise sogar kurzfristig, während andere langfristig nur durch Vertragsänderungen auf Basis eines Konvents in Angriff genommen werden könnten.
a) Globaler Spieler Europa
Im weltweiten Wettbewerb mit anderen Volkswirtschaften, Ideen und Gesellschaftsmodellen werden die Staaten Europas ihre Werte und Interessen nur vereint erfolgreich wahren können. Dafür brauchen wir einen umfassenden und integrierten Ansatz zu allen Komponenten des internationalen Profils der EU. Er muss jenseits von GASP und GVSP unter anderem Fragen der Handels- und Außenwirtschaftspolitik, Entwicklungshilfe, Erweiterung und Nachbarschaftspolitik, der Steuerung von Migrationsströmen, der Klimaverhandlungen und der Energiesicherheit umfassen.
- - Wir müssen die Kohärenz des Außenhandelns der EU erhöhen. Um einen umfassenden und integrierten Ansatz zu allen Komponenten des internationalen Profils der EU zu erreichen, sollte der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) im Rahmen der Überprüfung der EAD-Entscheidung im Jahr 2013 gestärkt werden. Die Hohe Vertreterin/Vizepräsidentin (und der EAD) sollten für zentrale Bereiche des Außenhandelns (z.B. die Nachbarschaftspolitik) zuständig sein; ihre Rolle im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit sollte ebenfalls gestärkt werden. In anderen Bereichen muss ihre institutionelle Kapazität zur Koordinierung der verschiedenen EU-Akteure gestärkt werden. Dies ist insbesondere notwendig, um die Hohe Vertreterin in die Lage zu versetzen, ihre Rolle als Koordinatorin innerhalb der Kommission in vollem Umfang wahrzunehmen. Es sollte auch klare Regeln für die Zusammenarbeit zwischen der Hohen Vertreterin/ Vizepräsidentin und anderen Kommissionsmitgliedern im Bereich des Außenhandelns geben (z.B. im Rahmen der möglichen Schaffung von "Senior"- und "Junior"-Kommissaren). In internationalen Organisationen muss die EU geschlossener auftreten, indem sie beispielsweise GASP-Erklärungen im Namen der EU abgibt.
- - Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss gestärkt werden. Unsere Verteidigungspolitik sollte ehrgeizigere Ziele verfolgen, die über die "Bündelung und gemeinsame Nutzung von Kapazitäten" hinausgehen. Die Möglichkeiten des Lissabonner Vertrags, insbesondere die Einrichtung einer "Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit", sollten umgesetzt werden.
- - Wir müssen unsere Beziehungen zu unseren strategischen Partnern wirkungsvoller gestalten. Der Hohen Vertreterin kommt hierbei eine Führungsrolle zu; sie sollte von Mitgliedstaaten unterstützt werden.
- - Wir müssen unsere außenpolitische Prioritätensetzung verbessern. Wir müssen die Funktionsweise des Rates Auswärtige Angelegenheiten verbessern. Auf der Grundlage einer halbjährlichen Agenda-Planung müssen wir unsere Beratungen strategischer anlegen und thematische Schwerpunkte setzen. Wir brauchen mehr informelle Treffen im "Gymnich"-Format und eine bessere Verzahnung mit dem Europäischen Rat; ein Treffen im Jahr sollte - mit Teilnahme der Außenminister - schwerpunktmäßig außenpolitischen Themen gewidmet sein. Wir sollten eine Überprüfung der Europäischen Sicherheitsstrategie in Erwägung ziehen.
Um die EU zu einem wirklichen Akteur auf der Weltbühne zu machen, sollten wir unserer Auffassung nach langfristig Folgendes tun:
- - verstärkt Mehrheitsentscheidungen im GASP-Bereich einführen oder zumindest verhindern, dass ein einzelner Mitgliedstaat Initiativen blockieren kann und in diesem Zusammenhang auch das Konzept der konstruktiven Enthaltung weiterentwickeln;
- - eine gemeinsame Vertretung in internationalen Organisationen anstreben, wo dies möglich ist;
- - eine Europäische Verteidigungspolitik mit gemeinsamen Bemühungen betreffend die Rüstungsindustrie (z.B. die Schaffung eines Binnenmarkts für Rüstungsprojekte) anstreben; für einige Mitglieder der Gruppe könnte dies letztlich eine europäische Armee umfassen.
b) Stärkung anderer Politikbereiche
Wenn sich Europa im neuen globalen Gefüge behaupten will, brauchen wir auch in anderen zentralen Politikbereichen Integrationsfortschritte. So schlagen wir vor, im Bereich der Justiz- und Innenpolitik den Außengrenzschutz des Schengenraums zu stärken (durch Schaffung eines "Europäischen Grenzschutzes") und mittelfristig ein europäisches Visum zu schaffen. Ein weiteres Gebiet, auf dem wir "mehr Europa" benötigen, ist die nachhaltige Energiepolitik: Wir müssen einen funktionsfähigen Binnenenergiemarkt durch eine europäische Energieinfrastruktur schaffen, die Energieeffizienz verbessern und gemeinsame Energieaußenbeziehungen definieren.
c) Institutionelle Reformen: Stärkung der Handlungsfähigkeit und demokratischen Legitimation der EU
Neben dem konkreten Aspekt der WWU-Reform bedürfen zusätzliche Rechte auf europäischer Ebene oder eine engere Abstimmung der nationalen Politiken einer verstärkten Handlungsfähigkeit und größeren demokratischen Legitimation.
Verbesserung der Handlungsfähigkeit
- - Die Kommission muss gestärkt werden, damit sie ihre unentbehrliche Rolle als Motor der Gemeinschaftsmethode uneingeschränkt und wirksam ausfüllen kann. Ihre interne Organisation und ihre Verfahren sollten gestärkt werden (eine Möglichkeit wäre die Einrichtung spezifischer Gruppen mit "Senior"- und "Junior"-Kommissaren); mittelfristig sollte man sich mit der Zahl der Kommissionsmitglieder befassen.
- - Die Zusammenarbeit im Rat muss verbessert werden, auch um eine angemessene Vorbereitung des Europäischen Rates durch die Fachräte und insbesondere auch durch den Allgemeinen Rat sicherzustellen, der seine im Vertrag vorgesehene Koordinierungsrolle in vollem Umfang wahrnehmen sollte. Die internen Beratungen in den verschiedenen Ratsformationen müssen effizienter gestaltet werden (z.B. gebündelte Interventionen). Mittelfristig sollten wir mehr dauerhafte Vorsitze schaffen und das richtige Gleichgewicht zwischen dauerhaften und turnusmäßigen Vorsitzen herstellen, auch im Allgemeinen Rat, um die Effizienz der Arbeit in den verschiedenen Ratsformationen zu erhöhen. Zudem könnte eine mögliche engere Verzahnung der Arbeit von Rat und Kommission geprüft werden. Einige Minister schlugen die Schaffung eines "Doppelhuts" von Kommissionspräsident und Präsident des Europäischen Rates vor.
- - Die Effizienz europäischer Entscheidungen kann ebenfalls gesteigert werden, indem die in den Verträgen vorgesehenen, aber bisher kaum umgesetzten Möglichkeiten für differenzierte Integration vermehrt genutzt werden. Um die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union zu verbessern, sollten wir den Umfang von mit qualifizierter Mehrheit getroffenen Entscheidungen ausweiten.
Stärkung der demokratischen Legitimation
- - Das demokratische Profil des Europäischen Parlamentes sollte weiter geschärft werden: Ein wichtiger Schritt wäre beispielsweise die Nominierung eines europäischen Spitzenkandidaten für die nächsten EP-Wahlen durch jede europäische politische Fraktion, der auch für den Posten des Kommissionspräsidenten kandidieren könnte. Außerdem benötigen wir eine stärkere Unterscheidung zwischen Mehrheit und Minderheit im EP, EP-Wahlen in allen Mitgliedstaaten am gleichen Tag, die Erstellung einer (begrenzten) europäischen Liste und ein öffentlicheres Verfahren vor dem EP bei der Ernennung des Kommissionspräsidenten.
- - Die nationalen Parlamente sollten im Geist des Lissabonner Vertrags stärker in die Arbeit der Europäischen Union eingebunden werden.
Zu diesem Zweck sollten die Kontakte zwischen dem EP und den nationalen Parlamenten weiter gestärkt werden. Dies könnte beispielsweise erfolgen durch regelmäßige Treffen, die Anwesenheit von EP-Mitgliedern bei strategischen Debatten über die EU in den nationalen Parlamenten, die Stärkung des COSAC-Rahmens und die Stärkung EU-weiter Netzwerke von Parlamentsausschüssen, die sich mit denselben konkreten EU-Themen befassen. Die Kernaufgabe der nationalen Parlamente wird jedoch auch in Zukunft in der Kontrolle des Handelns ihrer nationalen Regierungen bestehen.
d) Stärkung der EU als Wertegemeinschaft
Die Möglichkeiten für die Sicherstellung der Einhaltung der Grundwerte nach Art. 2 EUV sollten gestärkt werden. Hierfür sollte ein neuer, leichter Mechanismus geschaffen werden, der der Kommission ermöglicht, im Falle von konkreten Anhaltspunkten für Verletzungen der Werte von Art. 2 EUV einen Bericht zu erstellen und Empfehlungen auszusprechen sowie ggfs. den Rat zu befassen. Der Mechanismus sollte nur zur Anwendung kommen im Falle eines offensichtlichen Verstoßes in einem Mitgliedstaat gegen grundlegende Werte oder Prinzipien, wie das Rechtsstaatsprinzip.
e) Verbesserung der allgemeinen Funktionsweise der Europäischen Union
- - In einer EU mit 28 oder mehr Mitgliedstaaten wird die Vertragsreform schwieriger. Die meisten Mitglieder der Gruppe sind der Auffassung, dass sowohl die Annahme als auch das Inkrafttreten von Vertragsänderungen (mit Ausnahme der EU-Erweiterung) durch eine superqualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten und ihrer Bevölkerungen erfolgen sollten. Eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten sollte wegen fehlenden politischen Willens oder erheblicher Verzögerungen im Ratifikationsverfahren nicht daran gehindert werden, die Integration weiter voran zu bringen. Für das Inkrafttreten von Änderungen der europäischen Verträge sollte eine Mindestschwelle - die für eine beträchtliche Mehrheit der europäischen Mitgliedstaaten und Bürger steht - festgelegt werden. Die Änderungen wären für die Mitgliedstaaten verbindlich, die sie ratifiziert haben.
- - Schließlich müssen wir uns auch über die langfristigen "Governance"-Strukturen der EU Gedanken machen. Am Ende eines längeren Prozesses brauchen wir ein schlankes und wirksames System für die Gewaltenteilung in Europa, das über volle demokratische Legitimität verfügt. Für einige Mitglieder der Gruppe könnte dies die folgenden Elemente einschließen: einen direkt gewählten Kommissionspräsidenten, der die Mitglieder seiner "europäischen Regierung" selbst bestimmt, ein Europäisches Parlament mit der Befugnis, Gesetzgebungsverfahren zu initiieren, und eine zweite Kammer für die Mitgliedstaaten.