Europäische Kommission Brüssel, den 16. September 2011
Vizepräsident
An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Hannelore Kraft
Sehr geehrte Frau Bundesratspräsidentin,
die Kommission dankt dem deutschen Bundesrat für seine Stellungnahme zum Arbeitsprogramm der Kommission für 2011 {KOM (2010) 623}.*
Die Europäische Kommission begrüßt, dass der deutsche Bundesrat viele Initiativen ihres Arbeitsprogramms für 2011 unterstützt.
Diese Stellungnahme ist ein wertvoller Beitrag zum Dialog zwischen der Kommission und den nationalen Parlamenten über die politischen Prioritäten der Union.
Als Anlage zu diesem Schreiben erhalten Sie die Stellungnahmen und Antworten der Kommission zu den von Ihnen angesprochenen Punkten. Ich hoffe, dass die beigefügte Antwort für Ihre weiteren Beratungen hilfreich ist.
Mit freundlichen Grüßen
Maro efcovic
Anmerkungen der Europäischen Kommission zu einer Stellungnahme des Deutschen Bundesrates KOM (2010) 623 - ARBEITSPROGRAMM der Kommission für 2011.
2011 ist ein entscheidendes Jahr für die Zukunft der Europäischen Union: Die Strategie "Europa 2020" und das Europäische Semester kommen erstmals zur Anwendung, die haushalts- und wirtschaftspolitische Koordinierung wird weiter gestärkt, über die Einrichtung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) besteht Einvernehmen, und die Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum nach 2013 werden beginnen. Angesichts dieser Herausforderungen ist die enge Partnerschaft zwischen den EU-Organen und den Regierungen, Regionen und Parlamenten der Mitgliedstaaten von entscheidender Bedeutung für ein wirksames und erfolgreiches Handeln.
Die Kommission möchte auf die Anstrengungen hinweisen, die unternommen wurden, um eine rasche Übersetzung des Arbeitsprogramms und der Anhänge sicherzustellen. Nicht zuletzt angesichts des intensiven strukturierten Dialogs mit dem Europäischen Parlament wurde bis zum Tag seiner Annahme (27. Oktober 20 10) am Arbeitsprogramm gearbeitet. Das Hauptdokument stand an diesem Tag in deutscher Sprache zur Verfügung, während die Anhänge ab 16. November 2010 abgerufen werden konnten unter: http://ec.europa.eu/atwork/programmes/index_de.htm .
Die Übersetzungsstrategie ist ein internes Managementinstrument, das gewährleistet, dass die Kommission qualitativ hochwertige Übersetzungen in angemessener und kostengünstiger Weise nach den Grundsätzen der wirtschaftlichen und effizienten Mittelverwaltung sowie der Gleichbehandlung der Amtssprachen zum Nutzen des europäischen Steuerzahlers erstellt.
Die Europäische Kommission hat sich verpflichtet, die nationalen Parlamente an den EU-Initiativen zu beteiligen. Aus diesem Grund werden ihnen ebenso wie dem Europäischen Parlament und dem Rat alle neuen Vorschläge und Konsultationspapiere unmittelbar zur Konsultation vorgelegt. Somit gilt für alle Parlamente und den EU-Gesetzgeber dieselbe Sprachregelung. Die rund 390 Stellungnahmen, die in diesem Zusammenhang 2010 bei der Kommission eingegangen sind, unterstreichen die erfolgreiche Entwicklung des politischen Dialogs mit den nationalen Parlamenten.
Verbesserung der wirtschaftspolitischen Steuerung und Beginn des ersten Europäischen Semesters
Die Rechtsetzungsvorschläge der Kommission zur Verbesserung der wirtschaftspolitischen Steuerung in der WWU insgesamt und zur Stärkung der haushaltspolitischen Überwachung im Besonderen entsprechen den bisherigen Erfahrungen, dass der öffentliche Schuldenstand sich noch nicht auf dem Wege der Nachhaltigkeit befindet. Die Rechtsetzungsvorschläge zielen daher auf stärkere Anreize für eine umsichtige Haushaltspolitik und einen angemessenen
Schuldenabbau ab. Letztendlich sind natürlich weiterhin die Mitgliedstaaten für ihre Haushaltspolitik zuständig.
Der Rechtsetzungsvorschlag für ein Verfahren bei einem übermäßigen Ungleichgewicht legt eindeutig fest, dass ein Fortschrittsanzeiger einschlägiger Indikatoren nicht zu politischen Empfehlungen, geschweige denn Sanktionen, führt. Mit Hilfe des Fortschrittsanzeigers und einer Einzelfallprüfung kann entschieden werden, in welchen Fällen eine tiefergehende Analyse angezeigt ist. Der Vorschlag sieht zum ersten Mal ein systematisches und transparentes Vorgehen zur Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte vor. Hierdurch erhalten die öffentlichen Behörden die Möglichkeit, künftig frühzeitig erhebliche Ungleichgewichte wie solche, die sich im letzten Jahrzehnt in mehreren Mitgliedstaaten mit äußerst schädlichen Folgen entwickelt haben, frühzeitig zu erkennen und unter Umständen zu verhindern.
Finanzmarktregulierung: Abschluss des Reformprozesses
Bezüglich des Zugangs zu grundlegenden Bankdienstleistungen hat die Kommission eine Empfehlung verabschiedet, die darauf abzielt, dass jeder EU-Bürger und jede in der EU ansässige Person kostenlos bzw. zu einem vernünftigen Preis ein Bankkonto eröffnen können. Es bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, wie sie den Zugang zu einem einfachen Bankkonto für jeden am effektivsten und zweckmäßigsten sicherstellen, vorausgesetzt, sie beachten die in der vorgenannten Empfehlung festgelegten allgemeinen Grundsätze und Bedingungen. Die Möglichkeit, ein einfaches Bankkonto eröffnen zu können, ist kein vorbehaltloses Recht. Der Zugang sollte vielmehr Beschränkungen unterliegen, die aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (beispielsweise vor dem Hintergrund der Bekämpfung von Geldwäsche und/oder Terrorismusfinanzierung) gerechtfertigt sind.
Die Kommission überwacht und bewertet die von den Mitgliedstaaten zu ergreifenden Maßnahmen. Auf der Grundlage dieser Überwachung prüft die Kommission die Situation und schlägt gegebenenfalls notwendige weitere Maßnahmen, gegebenenfalls auch Rechtsetzungsmaßnahmen, vor, um zu gewährleisten, dass die Ziele dieser Empfehlung in vollem Umfang erreicht werden.
Nachhaltiges Wachstum
Die Kommission teilt die Auffassung, dass die drei langfristigen Fahrpläne zu Energie, Klima und Verkehr kohärent sein müssen. Die zuständigen Kommissionsdienststellen haben deshalb von Anfang an auf eine enge Koordinierung ihrer Arbeiten geachtet. Die Folgenabschätzungen wurden miteinander abgeglichen und sollen die Einzelpläne für nachhaltiges Wachstum unterstützen. Die gemeinsamen Arbeiten an Optionen und Alternativen sind eine gute Basis, um die Kohärenz zwischen den einzelnen Roadmaps zu gewährleisten.
Es ist unwahrscheinlich, dass für das Energiekonzept der EU bis 2050 ein "idealer" Fahrplan vorgelegt werden kann. Zurzeit erscheinen verschiedene Wege gangbar, wie der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Energiewirtschaft in Europa vollzogen werden kann. Der EnergieFahrplan 2050 dient eher dazu, die Tragfähigkeit der heute für die nächsten 20 Jahre getroffenen energie- und investitionspolitischen Entscheidungen im Hinblick auf das für 2050 anvisierte Reduktionsziel bei den Treibhausgasemissionen zu untermauern. Dies dürfte dem Übergang zu einer CO₂-armen Energiewirtschaft zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen und die Bereitschaft zu Investitionen und staatlicher Unterstützung erhöhen. Gleichzeitig würde die notwendige Flexibilität gewahrt.
Die Fahrpläne der Mitgliedstaaten werden derzeit von den Kommissionsdienststellen geprüft. Sie werden eine wichtige Grundlage für den EU-Fahrplan bilden, der auf die europäische Dimension abstellen wird. Dabei werden alle energiepolitischen Zielkomponenten, wie sie im Vertrag von Lissabon aufgeführt sind, berücksichtigt.
Mit den im Weißbuch "Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum - Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem"1 vorgesehenen Maßnahmen sollen wesentliche Hindernisse und Engpässe in vielen Schlüsselbereichen, darunter Verkehrsinfrastruktur und Investitionen, Innovation und Binnenmarkt, ausgeräumt werden. Ziel ist die Schaffung eines einheitlichen europäischen Verkehrsraums mit mehr Wettbewerb und höherer Intermodalität durch ein vollständig integriertes Verkehrsnetz, das die verschiedenen Verkehrsträger verknüpft und grundlegende Veränderungen der Personen- und Güterverkehrsmuster ermöglicht.
Zu diesem Zweck schlägt der Fahrplan für das nächste Jahrzehnt 40 konkrete Initiativen vor.
Integratives Wachstum
Die Kommission nimmt die Ausführungen des Bundesrates zur Arbeitszeitrichtlinie zur Kenntnis, insbesondere die Forderung, das Optout im Interesse der in mehreren Industriezweigen in Deutschland erreichten tarifvertraglichen Lösungen dauerhaft zu erhalten.
Die Kommission hat eine Mitteilung mit möglichen Optionen zur Änderung der Arbeitszeitrichtlinie2 angenommen und die zweite Konsultationsrunde mit den europäischen Sozialpartnern zur Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie eingeleitet.
Die deutsche Position wurde bei der Formulierung der Änderungsoptionen berücksichtigt. Die Optionen zielen auf eine ausgewogene Regelung ab, für die es eine breite Unterstützung geben könnte.
Die Kommission hat das Anliegen des Bundesrates im Zusammenhang mit den Kontrollbefugnissen der nationalen Behörden im Rahmen der Legislativinitiative zur Entsendung von Arbeitnehmern aufmerksam zur Kenntnis genommen. Sie weist darauf hin, dass jeder künftige Legislativvorschlag zur Entsendung von Arbeitnehmern den verschiedenen Sozialmodellen und den Systemen der Mitgliedstaaten zur Regelung der Beziehungen zwischen den Sozialpartnern sowie der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs genügen muss.
Wie eindeutig im Grünbuch "Rente"3 festgestellt, erkennt die Kommission an, dass die Verantwortung für die Rentensysteme bei den Mitgliedstaaten liegt und es kein "ideales", universelles Pensions- bzw. Rentenmodell gibt. Allerdings können die Auswirkungen der öffentlichen Rentenausgaben auf die öffentlichen Finanzen ernsthafte Folgen für die Mitgliedstaaten haben. In diesem Zusammenhang hat sich die strategische Koordinierung im Bereich Pensionen und Renten auf EU-Ebene als nützlich und notwendig erwiesen. Darüber hinaus sind Pensionsfonds ein fester Bestandteil der Finanzmärkte, und ihre Gestaltung kann die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und den freien Kapitalverkehr fördern oder behindern.
Das Wachstumspotenzial des Binnenmarkts erschließen
Mit Hilfe des Flughafenpakets soll eine Bilanz der Fortschritte und Entwicklungen seit der Mitteilung von 2007 über die Flughäfen4 gezogen werden (insbesondere in Bezug auf die Sicherheit und den einheitlichen europäischen Luftraum). Es handelt sich um einen Halbzeitbericht zum Aktionsplan über Flughafenkapazitäten, Effizienz und Sicherheit, der Aufschluss über die bis 2013 anstehenden Arbeiten geben soll. Diese Arbeiten könnten auch eine Überarbeitung der drei Basisrechtsakte (Zeitnischenverordnung, Bodenabfertigungsrichtlinie und Lärmschutzrichtlinie) beinhalten, die für das reibungslose Funktionieren des europäischen Luftverkehrsmarkts sorgen.
Im Hinblick auf die Bodenabfertigungsrichtlinie von 1996 stellt die Europäische Kommission fest, dass der Bundesrat eine Beschäftigung mit fehlenden oder unzureichenden Regelungsinhalten wünscht und Zweifel an einer weiteren Öffnung des Marktes hat. Die vom Bundesrat aufgeworfenen Fragen wurden auch von den Beteiligten im Rahmen der öffentlichen Konsultation angesprochen, die der von der Europäischen Kommission gegenwärtig auf Fachebene durchgeführten Folgenabschätzung zugrunde gelegt wird. Die Kommission wird die Auswirkungen der von ihr im Rahmen dieses Paketes unterbreiteten Vorschläge sorgfältig prüfen.
Fortsetzung der Agenda für Bürgernähe: Freiheit, Sicherheit und Recht
Die Kommission wird ihren Vorschlag zum Europäischen Vertragsrecht auf der Grundlage der Konsultationsergebnisse ausarbeiten. Dies schließt die Vorlage eines Legislativvorschlags entsprechend der Ankündigung im Arbeitsprogramm nicht aus. Die Kommission bereitet eine Folgenabschätzung für diesen Vorschlag vor und wird alle Betroffenen in den verschiedenen Phasen der Erarbeitung des Vorschlags umfassend konsultieren.
Förderung der intelligenten Rechtsetzung
Die Kommission überprüft im Einklang mit Artikel 5 EUV bei allen ihren Initiativen, ob sie befugt ist, tätig zu werden, ob Handlungsbedarf besteht, und wie die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal auf das zur Erreichung ihrer Ziele erforderliche Maß begrenzt bleiben. Die Begründung der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit wird in den Begründungen und Erwägungsgründen von Legislativvorschlägen dargelegt. In den Folgenabschätzungen zu den Kommissionsvorschlägen mit erheblichen Auswirkungen werden diese Aspekte stets analysiert. Geprüft wird als Option auch die Beibehaltung des Status quo und gegebenenfalls die Einstellung oder Rückführung der EU-Maßnahmen. Nach Verabschiedung der Legislativvorschläge wird diese Analyse den anderen Organen und den nationalen Parlamenten vorgelegt, damit diese die Übereinstimmung des Vorschlags mit den Grundsätzen der begrenzten Einzelermächtigung, Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit beurteilen können.
Die Kommission hat den Mitgesetzgebern bereits Vorschläge unterbreitet, die, sollten sie in ihrer jetzigen Form angenommen werden, die Verwaltungslasten um mehr als 31 % verringern werden. 2010 wurden insgesamt 731 Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen und Beschlüsse zurückgezogen oder traten außer Kraft (23 Rechtsakte des Europäischen Parlaments und des Rates, 314 Rechtsakte des Rates und 394 Kommissionsrechtsakte).
Von 2012 an, d.h. nachdem die Hochrangige Gruppe für Bürokratieabbau ihren Auftrag abgeschlossen hat, werden die Grundsätze, nach denen eine Vereinfachung sowie ein Abbau der Verwaltungslasten erfolgen sollen, bei der Ausarbeitung der Legislativvorschläge der Kommission berücksichtigt.
Der Ausschuss für Folgenabschätzungen (IAB) gewährleistet eine unabhängige Kontrolle der von der Kommission vorgenommenen Folgenabschätzungen und spielt somit im Gesamtprozess der Erstellung von Folgenabschätzungen eine zentrale Rolle. Seit seiner Einsetzung im Jahre 2006 hat er über 400 Stellungnahmen abgegeben, die öffentlich zugänglich sind. Die Unabhängigkeit dieses Ausschusses zeigt sich darin, dass die Dienststellen in seinen Stellungnahmen häufig aufgefordert werden, ihre Entwürfe erheblich zu verbessern. In seinem Bericht über Folgenabschätzungen in den EU-Organen kam der Europäische Rechnungshof zu dem Ergebnis, dass die Qualitätskontrolle durch den Ausschuss im Vergleich zu anderen Systemen in der EU gut abschneidet und als beispielhafte Praxis gelten kann.
Um die Ziele der intelligenten Regulierung zu verwirklichen, hat die Kommission 2010 das Mandat der Hochrangigen Gruppe unabhängiger Interessenträger im Bereich Verwaltungslasten erweitert, ihre Beratungsfunktion stärker hervorgehoben und die Gruppe gebeten, bis November 2011 einen Bericht über bewährte Verfahren in den Mitgliedstaaten für eine möglichst unbürokratische Umsetzung von EU-Rechtsvorschriften vorzulegen.
- * siehe Drucksache 693/10(B)
- 1 KOM (2011) 144 vom 28.3.2011.
- 2 KOM (2010) 801 vom 21.12.2010.
- 3 KOM (2010) 365 vom 7.7.2010.
- 4 KOM (2006) 819 vom 24.1.2007.