900. Sitzung des Bundesrates am 21. September 2012
A
Der federführende Gesundheitsausschuss (G) und der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zum Gesetzentwurf allgemein
- a) Der Bundesrat hält eine angemessene medizinische und pflegerische Versorgung aller Patientinnen und Patienten im Krankenhaus sowie in stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen für unverzichtbar. Dies gilt auch für diejenigen Patientinnen und Patienten, deren Pflegebedarf bereits unabhängig von der Erkrankung, die den Aufenthalt in der j eweiligen Einrichtung veranlasst, als besonders hoch anzusehen ist. Der Bundesrat begrüßt daher die Zielsetzung des Gesetzentwurfs, die pflegerische Versorgung gerade dieser Patientengruppe in stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen zu verbessern.
- b) Die mit dem Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen sind allerdings unzureichend und werden den bestehenden sozialpolitischen Herausforderungen und Notwendigkeiten insbesondere aus folgenden Gründen nicht gerecht:
- aa) Die Regelungen zur Finanzierung persönlicher Assistenz beziehen sich weiterhin nur auf die im sogenannten Arbeitgebermodell selbst angestellten Assistenten. Die Verbesserungen kommen somit nur einer kleinen Minderheit der Menschen mit hohem Hilfebedarf zugute. In der Praxis ist dies der Personenkreis, dessen Selbständigkeit in der Regel noch vergleichsweise hoch ist. Der große Personenkreis, dessen Pflege anders organisiert ist (zum Beispiel durch einen ambulanten Pflegedienst oder in einer stationären Einrichtung), soll durch das Gesetz hingegen weiterhin nicht begünstigt werden. So fallen etwa geistig behinderte oder demenzkranke Menschen, die in aller Regel nicht als Arbeitgeber einer Pflegekraft auftreten, tendenziell aber am ehesten eine Pflegeassistenz im Krankenhaus nötig hätten, faktisch nicht oder nur in wenigen Ausnahmefällen unter den Anwendungsbereich des Gesetzes. Es werden somit Leistungen ausgeweitet, die an die Art der Leistungserbringung anknüpfen und nicht an den Grad der Bedürftigkeit. Dies ist ordnungspolitisch verfehlt und wird vordringlichen sozialpolitischen Problemlagen nicht gerecht.
Demgegenüber hält der Bundesrat es für wünschenswert, für alle Menschen mit Assistenzbedarf, unabhängig davon, wie sie diesen abdecken, die notwendige Unterstützung bei einem stationären Aufenthalt in den genannten Einrichtungen zu gewährleisten.
- bb) Die vorgesehenen Regelungen stehen nicht in Einklang mit den Inklusionszielen der VN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. In der Konvention haben sich die Vertragspartner unter anderem verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, um Zugangshindernisse für medizinische Einrichtungen zu beseitigen.
Dementsprechend müssen sich Krankenhäuser und stationäre Vorsorge-und Rehabilitationseinrichtungen den spezifischen Bedürfnissen behinderter Menschen anpassen und nicht umgekehrt.
Aus diesem Grund hält es der Bundesrat für problematisch, die bestehende Finanzierungssystematik für die Assistenzpflege, die gerade bei den stationären Einrichtungen ansetzt, auf Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen auszuweiten. Geboten ist vielmehr eine Finanzierung innerhalb des Vergütungssystems der stationären Einrichtung, von der alle Menschen mit Assistenzbedarf profitieren können. So sollten etwa finanzielle Mehraufwendungen der Krankenhäuser, die durch eine erforderliche Assistenzpflege verursacht werden, im Rahmen des geltenden Diagnosis-Related-GroupsSystems angemessen berücksichtigt werden. Dies entspricht im Übrigen dem Ansatz von § 2a SGB V, der für die Leistungserbringung der Gesetzlichen Krankenversicherung bereits nach geltendem Recht verlangt, den besonderen Belangen behinderter Menschen Rechnung zu tragen.
2. Zu Artikel 2 (§ 34 Absatz 2 Satz 2 und § 82 Absatz 3 Satz 4 - neu - SGB XI)
Artikel 2 ist wie folgt zu fassen:
'Artikel 2
Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch
Das Elfte Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. I. S. 1014, 1015), das zuletzt durch Artikel 13 Absatz 27 des Gesetzes vom 12. April 2012 (BGBl. I S. 579) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
Begründung:
Nach den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 8. September 2011 zur gesonderten Berechnung betriebsnotwendiger Aufwendungen sind bundesrechtlich umlagefähig "dem Grunde nach nur tatsächlich bereits angefallene und wegen § 82 Absatz 2 SGB XI nicht durch die Vergütung nach § 82 Absatz 1 SGB XI gedeckte pflegeinfrastrukturbezogene Aufwendungen, die der Einrichtungsträger nicht nach § 82 Absatz 2 Nummer 2, 4 oder 5 SGB XI dauerhaft selbst tragen soll."
Von § 82 Absatz 3 SGB XI nicht erfasst seien danach die Bildung von Kapitalrücklagen für künftige investive Maßnahmen und die Berechnung pauschal bemessener Kosten der laufenden Instandhaltung und Instandsetzung. Es fehlten entsprechende bundesgesetzliche Berechnungsgrößen, die nicht an in der Vergangenheit tatsächlich schon aufgewendete Aufwendungen der Einrichtungen anknüpften.
Die Nutzung von Pauschalen bedeutet eine spürbare Vereinfachung für alle Beteiligten. Sie reduziert Verwaltungsaufwand, vermeidet durch eine angemessene Bemessung die Belastung der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner durch situativ wechselnde Heimentgelte und führt zur Stabilisierung und Kalkulierbarkeit der Heimentgelte durch eine über die Jahre gleichmäßige Verteilung von Erhaltungsaufwendungen (Instandhaltung und Instandsetzung). Die Umlage rein tatsächlicher Aufwandspositionen führt hingegen aufgrund sich kontinuierlich ändernder und retrospektiv zu betrachtender Investitionskostenbestandteile zu erheblichen Heimentgeltschwankungen, die für die Heimbewohnerinnen und Heimbewohner weder subjektiv nachvollziehbar noch zumutbar sind. Beschränkungen - analog der mietrechtlichen Bestimmung zur Beschränkung von Mieterhöhungen (vgl. § 558 Absatz 3 BGB) - sind weder im Elften Buch Sozialgesetzbuch noch im Gesetz zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen vorgesehen.
Zur Vermeidung solcher Nachteile für die Betroffenen bedarf es daher einer klarstellenden Regelung in § 82 SGB XI, welche die Berechnung von Pauschalen im Rahmen der landesrechtlichen Befugnisse zur näheren Ausgestaltung der Umlage nach § 82 Absatz 3 Satz 3 Halbsatz 2 SGB XI (weiterhin) ermöglicht und so der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gerecht wird.
Das Bundessozialgericht begründet seine Auslegung des § 82 Absatz 3 SGB XI insbesondere mit der engen Verknüpfung des Investitionszuschlages mit der (optionalen) öffentlichen Förderung von Pflegeeinrichtungen nach § 9 SGB XI (Ausgleichsfunktion der Umlage nach Absatz 3 und Absatz 4) und stellt ausdrücklich auf die fehlenden "Berechnungsgrößen" und "Möglichkeiten" des derzeitigen § 82 SGB XI ab. Diese Lücke praxisgerecht zu schließen und den Wortlaut des § 82 Absatz 3 SGB XI klarstellend und ohne Widerspruch zu Sinn und Zweck der Regelung zu ergänzen, ist Ziel der Gesetzesänderung. Gegen die Anerkennung angemessener Pauschalen bestehen dabei dem Grunde nach weder zuwendungsrechtlich noch hinsichtlich der Betroffenheit der Bewohnerinnen und Bewohner Bedenken, solange nicht die Vergütung von Betriebsüberschüssen intendiert wird, sondern lediglich eine für die Betroffenen angemessene Verteilung der tatsächlichen Aufwendungen einer Pflegeeinrichtung (Grundsätze der Angemessenheit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit).
Betriebsüberschüsse hingegen wären nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im stationären Bereich der Vergütung nach § 82 Absatz 1 SGB XI zuzuordnen. Diese Grundsystematik wird durch die vorliegende Ergänzung des § 82 Absatz 3 SGB XI nicht durchbrochen.
B
- 3. Der Finanzausschuss empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.