Punkt 40 der 886. Sitzung des Bundesrates am 23. September 2011
Der Bundesrat möge beschließen:
Zur Erklärungslösung
Der Bundesrat fordert, im weiteren Gesetzgebungsverfahren die derzeit geltende erweiterte Zustimmungslösung in eine Erklärungslösung umzuwandeln, die vorsieht, die Bürgerinnen und Bürger in einem geregelten Verfahren über Organspende zu informieren und zu einer persönlichen Erklärung aufzufordern, ob sie einer Organspende zustimmen, nicht zustimmen oder sich nicht erklären möchten. Bei unterbliebener Erklärung ist eine Organentnahme bei einem potentiellen Organspender erlaubt, sofern die Angehörigen nicht widersprechen.
Begründung:
In Deutschland warten derzeit mehr als 12 500 Patientinnen und Patienten auf ein Spenderorgan. Infolge des Organmangels versterben in jedem Jahr rund 1 000 Patientinnen und Patienten auf der Warteliste. Laut Umfragen sind über 74 Prozent der Bundesbürgerinnen und -bürger bereit, ein Organ zu spenden. Jedoch füllen nur 17 bis 25 Prozent einen Organspendeausweis aus und bekennen sich damit zu ihrer Entscheidung. Hierin liegt die Problematik der bestehenden, erweiterten Zustimmungslösung, die für die Organentnahme die Einwilligung des Organspenders bzw. - sofern nicht vorhanden - die Einwilligung der nächsten Angehörigen des Spenders vorsieht. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle müssen jedoch die Angehörigen des verstorbenen Verwandten eine Entscheidung zur Organspende treffen, da meistens keine Einwilligung des Organspenders vorliegt. Die Angehörigen werden dann im Rahmen der Übermittlung der Todesnachricht zusätzlich mit der Frage nach einer Organspende konfrontiert. Dies führt zu sehr hohen Ablehnungsraten, da es den Angehörigen in dieser Situation häufig unmöglich ist, eine Entscheidung im Sinne des Verstorbenen abzuwägen. Trotz kontinuierlicher Aufklärung und Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger konnte bisher keine nachhaltige Steigerung der Organspendezahlen erreicht werden.
Ziel einer neuen Regelung ist es, dass eine Organspende in möglichst vielen Fällen auf eine ausdrückliche Zustimmung gestützt werden kann. Die Bürgerinnen und Bürger sollen eindringliche Information erhalten und aufgefordert werden, sich zur Organspende zu erklären. Bei Personen, die sich trotz allem zu Lebzeiten nicht erklären, besteht dann eine gesetzliche Vermutung der Zustimmung, da zu erwarten ist, dass jede ernsthafte Ablehnung erklärt worden wäre.
Eine Erklärungslösung mit der Rechtsfolge, die Angehörigen entscheiden zu lassen, unterscheidet sich praktisch nicht von der derzeitigen Zustimmungslösung. Die Erklärungslösung mit der erweiterten Widerspruchslösung als Rechtsfolge trägt der grundsätzlichen Einstellung der Bevölkerung zur Organspende Rechnung und achtet in vollem Umfang das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. Unter ethischen und verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist es vertretbar, der Bürgerin und dem Bürger, so er nicht zur Organspende bereit ist, mit der Widerspruchsregelung die Erklärungslast aufzuerlegen. Angesichts der Möglichkeit, einem Mitmenschen in der extremen Notlage schwerer Krankheit wirksam helfen zu können, ist dem Einzelnen zuzumuten, sich mit dieser Möglichkeit der Organspende auseinanderzusetzen und sich zu erklären.