971. Sitzung des Bundesrates am 19. Oktober 2018
A
1. Der Ausschuss für Frauen und Jugend empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
Zu Artikel 1 Nummer 3 (§ 45b Überschrift, Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 Satz 1 und Absatz 3 PStG)
In Artikel 1 Nummer 3 ist § 45b wie folgt zu ändern:
(3) Die Erklärung nach Absatz 1 oder Absatz 2 ist gegenüber dem Standesamt schriftlich abzugeben."
Begründung:
Zu Buchstabe a bis c:
§ 45b PStG-E begrenzt den Zugang zum neuen behördlichen Verfahren auf intergeschlechtliche Menschen mit einer bestimmten "körperlichen Diagnose". In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es hierzu:
"Der Anwendungsbereich der Regelung beschränkt sich auf Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung. Nach der aktuellen medizinischen Terminologie, die auf der bei der Konsensuskonferenz 2005 in Chicago vorgeschlagenen Klassifikation beruht, werden unter Varianten der Geschlechtsentwicklung Diagnosen zusammengefasst, bei denen die Geschlechtschromosomen, das Genitale oder die Gonaden inkongruent sind" (Allgemeiner Teil der Begründung, Abschnitt II, Seite 4). Mit dieser engen Definition schließt der Gesetzentwurf einen Teil der intersexuellen Menschen sowie alle weiteren Menschen, die sich nicht der binären Geschlechterkonstellation zuordnen (zum Beispiel transgeschlechtliche Menschen), von der Möglichkeit des neuen Geschlechtseintrags "divers" aus.
Das BVerfG hat bereits im Jahr 2011 anerkannt, dass körperliche Zuweisungen und Geschlechtsidentität voneinander abweichen können (vgl. BVerfG, Beschluss des ersten Senats vom 11. Januar 2011 - BvR 3295/07). Auch in der vorliegenden Urteilsbegründung betont das BVerfG, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht die geschlechtliche Identität schütze. Es wird in Randnummer 9 darauf hingewiesen, dass in den medizinischen und psychosozialen Wissenschaften weitgehend Einigkeit bestehe, dass sich das Geschlecht nicht allein nach genetisch-anatomisch-chromosomalen Merkmalen bestimmen oder gar herstellen lasse, sondern von sozialen und psychischen Faktoren mitbestimmt werde. Unter Randnummer 45 wird ausgeführt, dass die Verwehrung der personenstandsrechtlichen Anerkennung der geschlechtlichen Identität, die selbstbestimmte Entwicklung und Wahrung einer Person gefährde.
Auch der vorliegende Gesetzentwurf stellt in der Allgemeinen Begründung unter Abschnitt II. Satz 2 fest, dass die subjektive Geschlechtsidentität individuell sei. In der Begründung zu Artikel 1 Nummer 3 (§ 45b PStG-E) wird zudem festgestellt, dass die bei Geburt anhand von medizinischen Merkmalen getroffene Geschlechtseinordnung abänderbar sein muss, weil die Geschlechtsidentität die eine Person für sich als zutreffend empfindet und die damit einhergehende Zuordnung zu einem der in § 22 PStG genannten Geschlechterkategorien, nur durch die betroffene Person selbst kommuniziert werden kann.
Für eine gleichberechtigte rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität auf der Grundlage von individueller, psychischer und physischer Konstitution sollte folgerichtig die Eintragung einer dritten Option auch den Menschen offenstehen, die zwar biologisch eine weibliche oder männliche Konstitution haben, sich in ihrer Identität jedoch weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen.
Die beabsichtigte Neuregelung würde auch zu einer Ungleichbehandlung verschiedener Personen führen, deren Geschlechtsidentität nicht dem Geschlechtseintrag entspricht. Intergeschlechtliche Personen, bei denen "die Geschlechtschromosomen, das Genitale oder die Gonaden inkongruent sind" könnten das einfachere neue Verfahren in Anspruch nehmen. Transsexuelle müssten hingegen weiterhin innerhalb des aufwändigen gerichtlichen Verfahrens nach dem Transsexuellengesetz zwei teure Sachverständigengutachten vorlegen, um ihren Personenstand entsprechend ihrer Geschlechtsidentität ändern zu können. Beide Personengruppen sind jedoch gleichermaßen in ihrer Geschlechtsidentität betroffen durch einen nicht mit ihrer Identität übereinstimmenden Eintrag.
Die WHO hat am 18. Juni 2018 anlässlich der Vorstellung des grundlegend überarbeiteten Diagnosekatalogs ICD 11 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme), der seit dem Jahr 2000 diskutiert wird, mitgeteilt, dass Transsexualität künftig international nicht mehr als psychische Krankheit gelten werde. Dazu führt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage in BT-Drucksache 19/4128 "Auswirkungen der ICD 11 der Weltgesundheitsorganisation auf das Transsexuellenrecht in Deutschland" vom 3. September 2018, zu den Fragen 1 bis 3 aus:
"[...] Die Bundesregierung beabsichtigt, zeitnah einen Gesetzentwurf unter gemeinsamer Federführung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz und des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vorzulegen, der Regelungen zum Vornamens- und Personenstandswechsel sowohl für inter- als auch für transsexuelle Personen vorsehen und damit einen weitgehenden Gleichklang der Verfahren für beide Gruppen erreichen soll. Auch die aktualisierte internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) wird in die Diskussion einbezogen werden".
Damit stellt die Bundesregierung in Aussicht, gleiche Verfahren zu schaffen. Die vorgeschlagene Änderung kommt diesem Anliegen nach und schafft ohne ein weiteres Gesetzgebungsverfahren eine einheitliche Regelung für alle Menschen mit Variationen der Geschlechtsidentität.
Zu Buchstabe d:
WHO und Bundesärztekammer stellen fest, dass Trans- und Intergeschlechtlichkeit keine Krankheiten sind. Durch das Erfordernis der Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung wird der rechtliche Geburtseintrag dennoch von medizinischen Attesten abhängig gemacht. Hierdurch besteht die Gefahr, dass Trans- und Intergeschlechtlichkeit fälschlicherweise als Krankheiten wahrgenommen werden. Durch die Nachweispflicht wird die betroffene Person zudem gezwungen, ihre körperliche Konstitution zu offenbaren, was einen erheblichen Eingriff in die geschlechtliche Intimsphäre und damit in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt.
Da die Geschlechtsidentität, die im Personenstandseintrag widerzugeben ist, per se etwas Subjektives ist, sollte für die Änderung bzw. erstmalige Vornahme des Personenstands eine eigene Erklärung der Person ausreichend sein, dass eine Variation der Geschlechtsidentität vorliegt und welche Zuordnung zu einer der in § 22 PStG genannten Geschlechterangaben für sie zutreffend ist.
B
2. Der federführende Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Rechtsausschuss empfehlen dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.