971. Sitzung des Bundesrates am 19. Oktober 2018
A
Der federführende Finanzausschuss und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zum Gesetzentwurf allgemein
Der Bundesrat begrüßt, dass die Bundesregierung sich bei der Umsetzung der Richtlinie (EU) Nr. 2016/2341
eng am Text der Richtlinie orientiert hat.
Eine 1:1-Übernahme des Richtlinientextes bedeutet aber auch, dass das Ausfüllen der in der Richtlinie bestehenden Spielräume und unbestimmten Rechtsbegriffe der täglichen Aufsichtspraxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zufällt.
Die EbAVs sind in vielen Unternehmen in Deutschland Kernbestandteil in der betrieblichen Altersversorgung und Teil einer gewachsenen Struktur. Dabei sind sie aus fachlichen Erwägungen und Kostengründen in der Praxis eng mit den Trägerunternehmen verbunden. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf zu achten, dass diese Strukturen so weit wie möglich gewahrt werden. Insbesondere sollten Regelungen (beispielsweise § 234b Absatz 3 VAG), die so ausgelegt werden könnten, dass diese auf bestehende Strukturen einwirken, eng ausgelegt werden.
2. Zu Artikel 1 Nummer 25 (§ 234a VAG)
Der Bundesrat begrüßt, dass die Pensionskassen zumindest verpflichtet werden, ihre Geschäftsorganisation auf das "Ob" und "Wie" der Berücksichtigung von ESG-Faktoren bei Anlageentscheidungen abzustimmen. Wenn auch damit keine allgemeine Verpflichtung zur Berücksichtigung von ESG-Faktoren bei Anlageentscheidungen geschaffen wird, wird jedenfalls eine Verpflichtung geschaffen, sich mit der Frage der Berücksichtigung der ESG-Faktoren auseinanderzusetzen und über die getroffenen Entscheidungen Transparenz zu schaffen. Die Verpflichtung, den Umgang mit ESG-Faktoren transparent zu machen, ist nicht nur im Interesse der Begünstigten, sondern auch der Aufsicht und der Öffentlichkeit. Bereits in seinen Stellungnahmen zum Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums vom 8. März 2018 (BR-Drucksache 067/18(B) ) und zum Verordnungsvorschlag über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen hat der Bundesrat seine positive Grundhaltung zur Schaffung eines nachhaltigen Finanzwesens betont (BR-Drucksache 289/18(B) ).
3. Zu Artikel 1 Nummer 25 (§ 234c VAG)
Der Bundesrat begrüßt, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung klarstellt, dass für alle Pensionskassen die Anforderung gilt, dass das Risikomanagementsystem auch sogenannte "ESG-Risiken" abdecken muss, soweit diese Risiken mit dem Anlageportfolio und dessen Verwaltung in Verbindung stehen. Diese Risiken entstehen beispielsweise durch Wertverluste bei Finanzanlagen in fossile Energien als Folge von Maßnahmen gegen den Klimawandel (sogenannte "stranded assets", "gestrandete Vermögenswerte"). Vor allem bestehen diese Risiken unabhängig davon, ob die Pensionskassen in ihren Anlageentscheidungen ESG-Faktoren berücksichtigen oder nicht. Daher war die in § 234c VAG gewählte Formulierung, die alle Pensionskassen ohne Einschränkung erfasst, erforderlich. Überdies ist auch die zusätzliche Klarstellung in der Gesetzesbegründung begrüßenswert, dass die Anforderung für alle Pensionskassen gilt, da die Nachhaltigkeitsrisiken auch dann bestehen, wenn in den Anlageentscheidungen selbst keine ESG-Faktoren berücksichtigt werden.
4. Zu Artikel 1 Nummer 25 (§ 234d Absatz 1 Satz 2 VAG)
In Artikel 1 Nummer 25 sind in § 234d Absatz 1 Satz 2 nach dem Wort "Jahre" ein Komma sowie die Wörter "frühestens zum Ende des Geschäftsjahres, das nach dem 31. Dezember 2018 beginnt," einzufügen.
Begründung:
Die neue Pflicht nach § 234d VAG, eine eigene Risikobeurteilung durchzuführen, ist nach Absatz 1 Satz 2 - entsprechend der Richtlinie EU (Nr. ) 2016/2341
- mindestens alle drei Jahre durchzuführen. Diese neue Pflicht soll am 13. Januar 2019 in Kraft treten.
Es stellt sich die Frage, ob die neue Pflicht unmittelbar nach Inkrafttreten erstmalig erfüllt werden muss. Es ist nachvollziehbar, dass die Implementierung der Vorgaben nicht unmittelbar nach Inkrafttreten gewährleistet werden kann. Von daher ist eine Regelung notwendig, wann der Pflicht erstmals nachzukommen ist.
Um eine sachgerechte Einrichtung und Umsetzung in den EbAVs zu ermöglichen sollte eine Risikobewertung frühestens zum Ende des Geschäftsjahres, das nach dem 31. Dezember 2018 beginnt, vorzulegen sein. Die Möglichkeit der BaFin, im Bedarfsfall eine Risikobewertung anzufordern, sollte davon unberührt bleiben.
5. Zu Artikel 1 Nummer 25 (§ 234d Absatz 3 VAG)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren die Anforderungen an die Methoden in Absatz 3 weitergehend zu konkretisieren.
Begründung:
Nach § 234d Absatz 3 Satz 2 VAG müssen die Methoden, die eine Pensionskasse zur eigenen Risikobeurteilung anwendet, angemessen zu Größenordnung, Art, Umfang und Komplexität ihrer Tätigkeit sein.
Pensionskassen bereitet es Schwierigkeiten, dass der Gesetzentwurf keine Vorgaben zu den anzuwendenden Methoden der Risikobeurteilung enthält. Der Gesetzentwurf beschränkt sich darauf, den Wortlaut des Artikels 28 der Richtlinie 1:1 umzusetzen.
In der Praxis besteht unter anderem die Sorge, dass diese Angemessenheit im Zweifel zu eng von Seiten der Aufseher, insbesondere der EIOPA, ausgelegt wird. Verbreitet besteht die Befürchtung, dass nur sog. kleine Pensionskassen i.S.v. Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie in den Genuss von Erleichterungen kommen. Das sind Pensionskassen, die max. 100 Versorgungsanwärter haben.
Es kann nicht gewollt sein, dass sich die Frage der Angemessenheit der Methoden nur auf derzeit extrem kleine Pensionskassen bezieht. Auch größere Pensionskassen müssen davon profitieren können.
Im Rahmen des Rechtsetzungsverfahrens zur Richtlinie war eines der zentralen Anliegen des Bundesrates, klare Regeln für die Pensionskassen festzulegen. Dementsprechend kritisch hat er schon damals die nicht näher festgelegten Standards für die Risikobewertung gesehen (vgl. Ziffer 5 der BR-Drucksache 119/14(B) ).
Vor diesem Hintergrund wird die Bundesregierung gebeten, die Vorgaben an die möglichen Methoden weitergehend zu konkretisieren.
6. Zu Artikel 1 Nummer 28 (§ 235a VAG)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine ausreichend bemessene Übergangsfrist zu entwickeln, nach der die Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV) den neuen Informationspflichten nach §§ 234k bis 234o VAG erstmals nachzukommen haben.
Begründung:
Die neuen Informationspflichten nach §§ 234k bis 234o VAG bedeuten einen erheblichen, vor allem technischen Umsetzungsaufwand in den Pensionskassen. Hinzu kommt, dass zahlreiche Konkretisierungen der Pflichten erst im Rahmen der geplanten Rechtsverordnungen nach § 235a VAG stattfinden sollen und deren Details heute noch nicht bekannt sind. Erst wenn die Details weitgehend bekannt sind, können gerade die technischen Umsetzungsarbeiten wirklich beginnen.
Von daher bedarf es einer ausreichend bemessenen, gesetzlichen Übergangsfrist, bevor die Pensionskassen diese Pflichten anzuwenden haben. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, zu welchem Zeitpunkt Pensionskassen regelmäßig im Kalenderjahr über den aktuellen Stand informieren, um zusätzlichen Aufwand der EbAVs möglichst gering zu halten.
7. Zu Artikel 1 Nummer 28 (§ 235a VAG)
Der Bundesrat bittet, beim Erlass der Rechtsverordnungen gemäß § 235a VAG sicherzustellen, dass angemessene Übergangsfristen für den Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Informations- und sonstigen Pflichten vorgesehen werden.
Begründung:
Der Gesetzentwurf sieht umfassende Informationspflichten für Pensionskassen vor, deren konkrete Ausgestaltung durch den Erlass von nicht zustimmungsbedürftigen Rechtsverordnungen gemäß § 235a VAG geregelt werden soll. Die technische Umsetzung stellt die Adressaten dieser Pflichten teilweise vor erhebliche Probleme. Um sicherzustellen, dass insbesondere auch kleinere Pensionskassen die vorgesehenen Informationspflichten optimal implementieren können, bedarf es Übergangsfristen, soweit dies mit der Richtlinie (EU) Nr. 2016/2341
vereinbar ist.
8. Zu Artikel 1 (§ 329 Absatz 1 Satz 2 VAG)
Der Bundesrat bittet, den Gesetzentwurf im weiteren Verlauf des parlamentarischen Verfahrens zum Anlass zu nehmen, um die bestehende Regelung des § 329 Absatz 1 Satz 2 des Versicherungsaufgabengesetzes dahingehend zu konkretisieren, dass klargestellt wird, in welchen Fällen die Aufsichtsbehörde Leitlinien und Empfehlungen der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung nicht zu berücksichtigen hat.
Begründung:
In § 329 Absatz 1 Satz 2 VAG ist vorgesehen, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Leitlinien und Empfehlungen der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) so weit wie möglich berücksichtigt. Es erfolgt jedoch keine nähere Konkretisierung dieser Maßgabe. Insbesondere gibt es keine gesetzlichen Vorgaben, in welchen Fällen von einer Berücksichtigung von Leitlinien und Empfehlungen abgesehen werden kann.
Die EIOPA hat im Rahmen der sogenannten Level-3-Regulierung in den letzten Jahren mit einer großen Zahl an Leitlinien und Empfehlungen erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der nationalen Versicherungsaufsichten genommen. Auf diesen wachsenden Einfluss der EIOPA sowie der anderen europäischen Aufsichtsbehörden hat der Bundesrat durch Beschluss vom 2. Februar 2018 hingewiesen und diesen Einfluss kritisch hinterfragt (vgl. BR-Drucksache 697/17(B) ). Zwar sind die Leitlinien und Empfehlungen nicht rechtlich verbindlich, und die BaFin kann im Rahmen des sogenannten "COMply or explain"-Verfahrens davon abweichen. Dies geschieht jedoch in der Praxis kaum, wie eine im Auftrag der Finanzplatz München Initiative angefertigte Studie vom 4. Oktober 2016 zeigt (cep-Studie "Die Europäischen Finanzaufsichtsbehörden"): Lediglich 1,01 Prozent der untersuchten Leitlinien der EIOPA wurden von der BaFin nicht berücksichtigt.
Eine gesetzliche Konkretisierung, wann die BaFin den Leitlinien und Empfehlungen der EIOPA nicht nachkommen kann, kann dazu beitragen, dass die BaFin häufiger von ihrem Recht Gebrauch macht und Leitlinien der EIOPA nicht in ihre Verwaltungspraxis übernimmt. Diese gesetzliche Konkretisierung würde bei einem Abweichen von Leitlinien und Empfehlungen den sich auch aus § 329 Absatz 1 Satz 2 VAG ergebenden Rechtfertigungsdruck für die BaFin deutlich reduzieren und eingrenzen.
Es lässt sich feststellen, dass die EU-Aufsichtsbehörden in den letzten Jahren immer häufiger davon Gebrauch machen, sogenannte Level-3-Regelungen für die Aufsichtspraxis zu schaffen. Bei diesen Leitlinien und Empfehlungen und deren Berücksichtigung durch die nationalen Aufsichtsbehörden ist es wichtig, dass die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Proportionalität beachtet werden. Vor diesem Hintergrund bittet der Bundesrat zu prüfen, wie sichergestellt werden kann, dass die Belange und Besonderheiten von kleinen und mittleren Marktteilnehmern tatsächlich angemessen berücksichtigt werden.
B
10. Der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik, der Rechtsausschuss und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit empfehlen dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.