58. Angesichts der demographischen Entwicklung in Europa sollte das in Europa vorhandene Fachkräftepotenzial optimal für den europäischen Arbeitsmarkt genutzt werden. Auch EU-Bürger mit Drittstaatsqualifikationen sollten grundsätzlich bestimmte Verfahrensgarantien im Hinblick auf die Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikationen erhalten.
Aus Sicht des Bundesrates erscheint es deswegen überlegenswert, EU-Bürger mit Drittstaatsqualifikationen in die allgemeine Regelung der Berufsanerkennungsrichtlinie einzubeziehen. Das Gleiche würde dann auch für Drittstaatsangehörige mit Drittstaatsqualifikationen gelten, die im Rahmen des geltenden europäischen Rechts von einer Gleichbehandlungsklausel profitieren, wie Familienangehörige von EU-Bürgern, langfristig Aufenthaltsberechtigte, Flüchtlinge und "Bluecard"-Inhaber. Die Einbeziehung in die allgemeine Regelung sollte unabhängig von einer vorangegangenen ersten Anerkennung in einem anderen Mitgliedstaat erfolgen, damit auch Inhaber von Drittstaatsqualifikationen in den Arbeitsmarkt integriert werden, die nicht bereits in einem anderen Mitgliedstaat der EU anerkannt worden sind. Für juristische Berufe, für die eine Gleichwertigkeitsprüfung nicht passt, müsste jedoch eine Bereichsausnahme geschaffen werden.
Aufgrund des hohen Integrationsniveaus innerhalb der EU sind allerdings nicht alle Vorschriften der Berufsanerkennungsrichtlinie für eine Prüfung von Drittstaatsqualifikationen geeignet. Dies gilt beispielsweise für die Vorschriften zur automatischen Anerkennung, insbesondere auch aufgrund von Berufserfahrung, für die Prüfungsfristen, für die Vorschriften zur grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung sowie für Fragen der Verwaltungszusammenarbeit. Bei diesen Vorschriften müssen für Drittstaatsqualifikationen daher Ausnahmen vorgesehen werden. Zudem dürfte es die Kapazitäten vieler Anerkennungsbehörden übersteigen, auch für alle Bürger mit Drittstaatsqualifikation einen Anspruch auf Ausgleichsmaßnahmen vorzusehen. Deswegen sollte es bei Drittstaatsqualifikationen, für die noch keine erste Anerkennung in einem anderen Mitgliedstaat erfolgt ist, im Ermessen der Anerkennungsbehörden stehen, ob bzw. welche Ausgleichsmaßnahmen bei wesentlichen Unterschieden der Berufsqualifikation angeboten werden oder ob die Anerkennung abgelehnt wird.
Da Drittstaatsangehörige gelegentlich Nachweise über ihre Berufsqualifikation aus nicht selbst zu vertretenden Gründen nicht oder nur teilweise vorlegen können oder die Vorlage der Unterlagen oder die Nachfrage bei der zuständigen Behörde im Herkunftsstaat mit einem unangemessenen zeitlichen und sachlichen Aufwand verbunden ist, sollte die Richtlinie vorsehen, dass die zuständige Stelle in diesen Fällen die maßgeblichen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten durch sonstige geeignete Verfahren feststellen kann. Sonstige geeignete Verfahren können insbesondere Arbeitsproben, Fachgespräche, praktische und theoretische Prüfungen sowie Gutachten von Sachverständigen sein.
Der Grundsatz, dass Mitgliedstaaten nicht an die Anerkennungsentscheidungen anderer Mitgliedstaaten in Hinblick auf Drittstaatsqualifikationen gebunden sind (Artikel 10 Buchstabe g der Richtlinie), sollte in jedem Fall beibehalten werden.
Viele Missverständnisse bei der Anwendung der Richtlinie resultieren aus der Formulierung, dass die Richtlinie nur für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten gelte (vergleiche zum Beispiel Artikel 2 der Richtlinie).
Entgegen ihrem Wortlaut gilt die Richtlinie aber bereits jetzt für Bürger aus dem EWR und demnächst auch aus der Schweiz sowie für Drittstaatsangehörige, die im Rahmen des europäischen Rechts von einer Gleichbehandlungsklausel profitieren, wie Familienangehörige von EU-Bürgern, langfristig Aufenthaltsberechtigte, Flüchtlinge und "Bluecard"- Inhaber. Um Missverständnisse zukünftig zu vermeiden, sollte in der Richtlinie ausdrücklich deklaratorisch darauf hingewiesen werden, dass die Richtlinie nicht nur für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten gilt.