925. Sitzung des Bundesrates am 19. September 2014
A
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zum Gesetzentwurf allgemein
- a) Der Bundesrat stellt fest, dass der Gesetzentwurf dem Ziel einer nachhaltigen Verkehrspolitik durch eine schadstoff- und lärmabhängige Anrechnung der Kosten verkehrsbedingter Luftverschmutzung und Lärmbelastung nicht im möglichen Maße gerecht wird.
- b) Das bestehende System der Mautspreizung nach Schadstoffklassen bildet die Kosten durch abgasbedingte Luftverschmutzung sehr viel besser ab als das geplante System der Trennung in einen gleichbleibenden Infrastrukturanteil und den Mautteilsatz für die verursachten Luftverschmutzungskosten.
- c) Entgegen den - nach (aktualisiertem) Anhang IIIb der Richtlinie über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge (2011/76/EU) - möglichen Beträgen für die Kosten der verkehrsbedingten Luftverschmutzung durch Euro 0-Fahrzeuge würden diese Fahrzeuge nach der Gesetzesvorlage von den geringeren Beträgen der Euro-I-Fahrzeuge profitieren, was auf Grund der Höhe der von Euro-0-Lkw verursachten Emissionen in keinem Fall gerechtfertigt erscheint.
- d) Die möglichen höheren Beträge für die Anlastung der Kosten der Luftverschmutzung für Vorstadtstraßen bleiben zugunsten der geringeren Kosten für Fernstraßen unberücksichtigt, obwohl Lkw im Stadtverkehr nachweislich deutlich höhere Luftschadstoffemissionen verursachen als auf den Fernstraßen.
- e) Die Anlastung lärmbedingter Kosten wird trotz der in der Richtlinie dafür eröffneten Möglichkeit nicht genutzt, obwohl die Lärmbelastung der Menschen durch den Lkw-Verkehr zunehmend ein Problem darstellt und für einen Anstieg von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verantwortlich ist. Hierfür sollten zeitnah die Voraussetzungen geschaffen werden.
Begründung:
Grundlage für die streckenbezogene Berechnung der Mautgebühren für schwere Lkw war bislang eine nach Emissionsklassen (Euronormen) der Fahrzeuge gestaffelte Gebühr pro gefahrenen Kilometer.
Durch die Neufassung der Mautberechnung werden die bisherigen umweltpolitischen Ansätze zurückgedrängt, anstatt sie i.S. einer nachhaltigen Verkehrspolitik weiter zu entwickeln. Im Vergleich der Mautsätze wird deutlich, dass der Gesetzentwurf gerade die ganz alten Fahrzeuge Euro I und II bevorzugt, die sehr hohe Emissionen verursachen. Dagegen werden die Halter verhältnismäßig neuer Euro V bzw. EEV-Fahrzeuge abgestraft, die trotz gesunkener Infrastrukturkosten sogar höhere Mautgebühren zahlen müssten. Darüber hinaus wurden weder die Höchstbeträge der Kosten der verkehrsbedingten Luftverschmutzung von 12,5 Cent/km für Fahrzeuge nach Euro 0 umgesetzt, noch die höheren Sätze für Vorortstraßen berücksichtigt.
Bei dreiachsigen Fahrzeugen ergeben sich folgende Mautsätze nach der neuen im Vergleich zur alten Regelung:
| neue Regelung [£/km] | bestehende Regelung |
| Infrastrukturkosten | Luftverschmutzung | Gesamt | Mind.[%][F-/km] |
Euro VI | 0,125 | 0,000 | 0,125 | | |
Euro V/EEV | 0,125 | 0,021 | 0,146 | +3,5 | 0,141 |
Euro IV und Euro III mit Partikelfilter | 0,125 | 0,032 | 0,157 | -7,1 | 0,169 |
Euro III und Euro II mit Partikelfilter | 0,125 | 0,063 | 0,188 | -1,1 | 0,190 |
Euro II | 0,125 | 0,073 | 0,198 | -27,7 | 0,274 |
Euro I und Euro 0 | 0,125 | 0,083 | 0,208 | -24,1 | 0,274 |
Die dem Gesetz zugrundeliegende Richtlinie 2011/76/EU über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge beschreibt die Kosten verkehrsbedingter Luftverschmutzung als die Kosten der Schäden, die beim Betrieb eines Fahrzeugs durch die Emissionen von Feinstaub und Ozonvorläufern wie Stickoxiden sowie von flüchtigen organischen Verbindungen verursacht werden. In Anhang IIIa der Richtlinie 2011/76/EU können die Kosten der verkehrsbedingten Luftverschmutzung aus dem Produkt des Emissionsfaktors des Schadstoffes und der Fahrzeugklasse und den monetären Kosten des Schadstoffs für eine Straßenkategorie selbst festgelegt werden, wenn die daraus resultierenden Beträge die in Anhang IIIb Tabelle 1 für die einzelnen Fahrzeugklassen angegebenen Werte je Einheit nicht überschritten werden.
Unter Berücksichtigung dieser drei Luftschadstoffe müssten Euro 0 und Euro III-Fahrzeuge mit den höchsten Gebührensätzen belegt werden, gefolgt von Euro-II-Fahrzeugen, die wie Euro-0- und -I-Fahrzeuge nach dem Gesetzentwurf besonders von dem neuen System profitieren.
Das neue System missachtet die tatsächlichen Kosten der Schäden, die durch die Luftschadstoffbelastung der Fahrzeuge entstehen. Da von den EU-Vorgaben bei Teilung der Mautsätze jedoch nicht abgewichen werden darf, sollte die bisherige Regelung im Wesentlichen beibehalten, durch eine prozentuale Anpassung der Mautsätze an das neue Wegekostengutachten und eine weitere Spreizung nach Euronormen (0, I und II) ersetzt werden.
2.
- a) Der Bundesrat hält es angesichts der strukturellen Unterfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur für sachgerecht und notwendig, bei der Bundesfernstraßenmaut von den nach der Richtlinie 2011/76/EU zulässigen Möglichkeiten zur Ausweitung auf Fahrzeuge unter 12 Tonnen Gebrauch zu machen. Belastbaren Schätzungen der Kommission "Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung" (Daehre-Kommission) vom Dezember 2012 zufolge liegt bei den vorhandenen Verkehrsinfrastrukturen Straße, Schiene und Wasserstraße ein erheblicher Mehrbedarf vor. Demnach sind insgesamt 7,2 Mrd. Euro pro Jahr erforderlich, um den stattfindenden Werteverzehr durch unzureichende Instandhaltungsmaßnahmen aufzuhalten und schrittweise abzubauen. Diese strukturelle Unterfinanzierung beträgt allein bei den Bundesfernstraßen 1,3 Mrd. Euro pro Jahr und führt zu einem Substanzverzehr, der weder verkehrspolitisch noch wirtschafts- und sozialpolitisch verantwortbar ist.
- b) Der Bundesrat sieht daher die Notwendigkeit, zur verursachergerechten Kostenanlastung die Lkw-Maut auf Fahrzeuge unter 12 Tonnen auszuweiten. Nach der Richtlinie 2011/76/EU ist die Bemautung grundsätzlich für Lkw ab 3,5 Tonnen zulässig und Nachbarstaaten wie Österreich oder die Schweiz bemauten alle Kfz ab 3,5 Tonnen. Die Daehre-Kommission hat dazu ein Aufkommen von 500 Mio. Euro pro Jahr ermittelt.
- c) Der Bundesrat hält ferner die in 2011 im BFStrMG eingeführte Zweckbindung der Mauteinnahmen für die Bundesfernstraßeninfrastruktur unter den gegebenen Rahmenbedingungen der Kostenanlastung und Preisbildung für unvereinbar mit einer integrierten Verkehrspolitik. Vielmehr sind Querfinanzierungen in begrenztem Umfang sachgerecht und erforderlich, um das gemeinsame Ziel einer Verlagerung im Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu unterstützen und zu einer sinnvollen und umweltverträglicheren Aufteilung der Verkehrsträger zu gelangen. Mauteinnahmen sollten deshalb künftig wieder verkehrsträgerübergreifend verwendet werden.
- d) Der Bundesrat begrüßt den Ansatz der Bundesregierung zur Anlastung der externen Kosten des Straßenverkehrs über Mautgebühren. Die in der Richtlinie 2011/76/EU dazu vorgesehenen Regelungen sind als Einstieg zur Internalisierung externer Kosten sachgerecht und die in dem Gesetzentwurf angelasteten Luftverschmutzungskosten hinreichend belastbar. Dagegen sind die Voraussetzungen für die Anlastung der Lärmbelastungskosten in der Tat erst noch zu schaffen. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, dazu zeitnah einen Zeitplan zur Umsetzung vorlegen.
- e) Darüber hinaus hält der Bundesrat es für sachgerecht, schwere Nutzfahrzeuge mit Erd-/Biogasantrieb, die den Abgasstandard EEV nach Richtlinie 1999/96/EG erfüllen, in die Kategorie A der Mautsätze aufzunehmen. Fahrzeuge mit diesem alternativen Antrieb weisen nicht nur sehr niedrige Schadstoffemissionen auf, ihr Motor ist auch deutlich leiser als ein dieselbetriebener Motor. Durch die Einstufung dieser umweltfreundlichen Fahrzeuge in den niedrigsten Mautsatz könnte ein finanzieller Anreiz zur Anschaffung generiert werden.
- f) Schließlich sollte aus Sicht des Bundesrates die Nachrüstung von Euro-IV-Lkw mit Entstickungssystemen gefördert werden, indem diese nachgerüsteten Fahrzeuge in die Kategorie B aufgenommen werden.
- g) Der Bundesrat bittet den Deutschen Bundestag, den Gesetzentwurf in der dargestellten Weise zu modifizieren und mit den genannten, kurzfristig zu erzielenden Mehreinnahmen in Höhe von ca. 500 Mio. Euro pro Jahr das Defizit bei der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur nachhaltig abzubauen.
B
- 3. Der federführende Verkehrsausschuss und der Finanzausschuss empfehlen dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.