947. Sitzung des Bundesrates am 8. Juli 2016
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 - die Verschonungsregelungen nach §§ 13a und 13b des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) zwar grundsätzlich für zulässig gehalten. Die bestehenden Verschonungsregelungen gehen jedoch zu weit und verstoßen durch dieses Übermaß gegen Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz. Der Gesetzgeber ist vom Bundesverfassungsgericht aufgefordert worden, das Gesetz anzupassen.
[Mit Blick auf anderslautende politische Darstellungen weist der Bundesrat darauf hin, dass die Länder dem Bundesfinanzministerium im Interesse einer einvernehmlichen Aufarbeitung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts von Anfang an und umfänglich zugearbeitet haben. In seiner Stellungnahme vom 25.09.2015, BR-Drs. 353/15(B) hat der Bundesrat nochmals eine Gesamtlösung der Problematik vorgelegt, die weiterhin Grundlage der Diskussion sein kann.]
Das vorliegende Gesetz wird dem Anspruch einer verfassungsgemäßen Ausgestaltung der Verschonung betrieblichen Vermögens nicht gerecht. <Das führt zu hoher Rechtsunsicherheit bei den betroffenen Familienunternehmen.
>
Insbesondere folgende Änderungen sind <für eine verfassungsgemäße Ausgestaltung> erforderlich:
- a) Die vorgesehene Privilegierung der Übertragungsmöglichkeiten bei Familienunternehmen ist zu prüfen. Jedenfalls die Erweiterung auf Mitgesellschafter ist zu streichen. Die Anforderungen an die Verfügungsbeschränkungen (§ 13a Absatz 9 Satz 1 Nummer 1 und 2 ErbStG) bedürfen einer deutlichen Präzisierung.
Für Familienunternehmen sieht das Gesetz gegenüber dem Regierungsentwurf statt einer Erhöhung der Aufgriffsgrenze (von 26 Mio. Euro) einen Vorab-Abschlag von bis zu 30 % vom begünstigten Vermögen vor. Die weiteren Voraussetzungen für den Vorab-Abschlag sind nur scheinbar übernommen worden. Tatsächlich sind sie durch Streichung der Einschränkungen stark ausgehöhlt worden. Es ist zu prüfen, ob diese zusätzliche Vergünstigung erforderlich ist und zusätzlich zu den bereits gewährten erheblichen Verschonungsabschlägen von 100 % bzw. 85 % verfassungsrechtlich dargestellt werden kann. Auf jeden Fall wäre eine Wiedereinführung der Einschränkungen zwingend erforderlich, um die Gewährung des Abschlags missbrauchsverhindernd zielgenau zu regeln: Bei den Entnahme-/Ausschüttungsbeschränkungen ist eine Mindestquote von z.B. 50 % zu fordern. Bzgl. des Kreises, innerhalb dessen das Unternehmen oder Anteile des Unternehmens übertragen werden können, sind die vorgenommenen Erweiterungen, insbesondere die pauschale Erweiterung auf Mitgesellschafter, nicht hinnehmbar. Denn dies würde bedeuten, dass mit einer kurzen Wartefrist (in der ein neuer *) Die Begründung wird je nach Ergebnis der Abstimmung über die Ziffern 1 bis 9 angepasst.
Mitgesellschafter hereingeholt werden kann) auch fremde Dritte einbezogen werden könnten. Hier ist auf den Regierungsentwurf zurückzugreifen, der keine Ausweitung vorsieht.
- b) Die Gewährung der Optionsverschonung ist weiterhin an die Voraussetzung von max. 10 % Verwaltungsvermögen zu knüpfen (§ 13a Absatz 10 ErbStG).
Für die vorgesehene Optionsverschonung von 100 % - sie bedeutet, dass der Steuerpflichtige vollständig von der Steuer verschont wird - muss wie bisher vorausgesetzt werden, dass eine Verwaltungsvermögensquote von 10 % nicht überschritten wird.
Unternehmen mit einem besonders geringen Anteil an nicht begünstigtem Verwaltungsvermögen von nicht mehr als 10 % sind in Verlustphasen in gesteigertem Maße gefährdet und daher besonders schutzwürdig. Zur Deckung etwaiger Verluste sind sie eher gezwungen, in den produktiven Teil der Unternehmenssubstanz einzugreifen, als Unternehmen, die einen höheren Anteil an nicht betriebsnotwendigem Verwaltungsvermögen aufweisen, den sie zur Verlustabdeckung einsetzen können. Die Wertgrenze von 10 % bewegt sich im Typisierungsspielraum des Gesetzgebers und ist vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet worden. Diese typisierende Voraussetzung war sachgerecht. Gründe für einen Verzicht sind nicht ersichtlich. Ein Verzicht würde aufgrund der Aufkommenswirksamkeit ein weiterer Baustein für eine Überprivilegierung sein.
Der Bundesrat hat die bisherige 10 %-ige Wertgrenze für die Gewährung der 100 %-(Options)Verschonung bereits in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf vom 25.09.2015 ((BR-Drs. 353/15(B) Ziffer 5 lit.a)) gefordert.
- [c) Die vorgesehene Begünstigung bei Beteiligungen an gewerblich geprägten Personengesellschaften (sowie Kapitalgesellschaften analog) wird abgelehnt (§ 13b Absatz 1 Nummer 2 und 3 ErbStG).
Die vorgesehenen Änderungen werden abgelehnt. Gewerblich geprägte Gesellschaften, in die Gegenstänr privaten Vermögensanlage eingebracht sind (z.B. die private Oldtimer-Sammlung), sind abweichend von dem Regierungsentwurf sowie auch abweichend von der Stellungnahme des Bundesrates vom 25.09.2015 wieder in die Begünstigung aufgenommen worden. Weggefallen sind § 13b Absatz 1 Nummer 2 letzter Satz und Nummer 3 letzter Satz ErbStG. Auch die vom Bundesrat in § 13b Absatz 2 Nummer 3 Satz 2 ErbStG vorgesehene Hilfsregelung ist nicht übernommen worden. Damit wird die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts zu einer zielgenauen Abgrenzung des begünstigungswürdigen Produktivvermögens verfehlt. Eine zielgenaue Regelung ist im Übrigen möglich, ohne Holdingstrukturen mit operativen Gesellschaften zu belasten.
- d) Eine Überdotierung des Altersvorsorgevermögens (§ 13b Absatz 3 - neu - ErbStG) wird abgelehnt.
Die in § 13b Absatz 3 ErbStG vorgesehene Vorab-Verrechnung von Altersvorsorgevermögen ist grundsätzlich zu begrüßen; eine ähnliche Regelung war auch bereits in Ziffer 5 lit. b der Stellungnahme des Bundesrates enthalten (dort § 13b Absatz 2 Nummer 4 ErbStG). Das Gesetz sieht allerdings keine Deckelung der vom Verwaltungsvermögen auszunehmenden Vermögensteile auf den bei Übertragung real vorhandenen Bestand an Altersvorsorgeverpflichtungen vor. Die Regelung muss daher nachgebessert werden, um nicht zu einer Steuer-Spardose zu werden, etwa für die zukünftige Ausstattung von Familienmitgliedern, die in dem Betrieb als Arbeitnehmer beschäftigt sind, über ihren bereits erwirtschafteten Bestand an Ansprüchen hinaus.]
- e) Eine Wiederbelebung der "Cash-GmbH" wird abgelehnt (§ 13b Absatz 4 Nummer 5, Absatz 2 Satz 2 und Absatz 7 ErbStG).
Durch das AmtshilfeRLUmsG vom 26.06.2013 sind Gestaltungen mit sog. Cash-Gesellschaften eingeschränkt worden. Diese Maßnahme ist vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 17.12.2014 mehrfach positiv hervorgehoben worden. Sie wird mit dem Gesetzesbeschluss des Bundestages nun weitgehend zurückgenommen. So könnte eine Gesellschaft mit 1 Mio. Euro Produktivvermögen und 9 Mio. Euro Geldmitteln nach den vorgesehenen Regeln zu rund 27,5 % begünstigt sein. Diese Begünstigung ergibt sich aus den erheblichen Freibeträgen für Verwaltungsvermögen und Finanzmittel. Im vorstehenden Beispiel ergäbe sich ein Freibetrag für Finanzmittel von 15 % des Werts des Betriebs, also von 1,5 Mio. Euro; zusammen mit dem eigentlichen Produktivvermögen also ein begünstigtes Vermögen von 1 + 1,5 = 2,5 Mio. Euro; zuzüglich des 10 %-Freibetrags für Verwaltungsvermögen von 0,25 Mio. Euro mithin ein begünstigtes Vermögen von 2,75 Mio. Euro, also von 27,5 %.
- [f) Die Abschmelzzone für den Verschonungsabschlag sollte bei einem geringeren Betrag als 90 Mio. Euro auslaufen und "stufenlos" ohne die 750.000 Euro-Stufen ausgestaltet werden (§ 13c ErbStG).
Die Abschmelzzone von 26 Mio. Euro bis 90 Mio. Euro ist in ihrem Umfang zu großzügig. Zudem sollte zur Vermeidung von Härten für die Steuerpflichtigen die Abschmelzung nicht in Stufen von 750.000 Euro, sondern "stufenlos" erfolgen. Die Abschmelzung sollte auch im Fall der Optionsverschonung bis auf null gehen. Bei der derzeitigen Gestaltung kann wegen eines Mehrerwerbs von 100 Euro über die 90 Mio. Euro-Schwelle hinaus eine Mehrsteuer von rd. 4 Mio. Euro fällig werden.
- g) Die Möglichkeit einer zinslosen Stundung bis zu 10 Jahren ist nicht akzeptabel (§ 28 Absatz 2 ErbStG).
Der Rechtsanspruch auf zinslose Stundung bis zu 10 Jahre bei Erwerb von Todes wegen (§ 28 Absatz 2 - neu -) ist zu streichen. Die Stundung wird nach dem Gesetz ohne weitere Voraussetzungen gewährt, obwohl durch die (nicht bestandene) Verschonungsbedarfsprüfung positiv feststeht, dass Mittel zur Zahlung der Steuer vorhanden sind. Entscheidet sich der Erwerber für das Abschmelzmodell, liegt es nahe, dass dies vorteilhafter ist als die Verschonungsbedarfsprüfung. Auch in diesem Fall kann daher davon ausgegangen werden, dass ausreichend nichtbegünstigtes Vermögen zur Begleichung der Steuerschuld vorhanden ist.
Bereits nach § 28a Absatz 3 des Regierungsentwurfs konnte die geschuldete Steuer - bis zu sechs Monate - gestundet werden, wenn die Einziehung eine erhebliche Härte bedeuten würde. Eine derartige Regelung sowie die daneben geltenden Regelungen der Abgabenordnung zur Stundung wären ausreichend. Es gibt keinen Grund, an dieser Stelle Unternehmenserben zusätzlich zu privilegieren. Insbesondere würde durch die großzügigere Stundungsregelung die Ungleichbehandlung zu Erwerbern von Privatvermögen, vor allem von Grundbesitz, weiter vergrößert. Ihnen wird eine bis zu zehnjährige Stundung - zu Recht - nur eingeräumt, soweit sie die Steuer nur durch Veräußerung der Grundstücke aufbringen könnten (§ 28 Absatz 3 ErbStG).
- h) Die Änderung des Bewertungsgesetzes wird abgelehnt (Artikel 2).
Die im Gesetzesbeschluss vorgesehene Veränderung bei der Bemessung des Unternehmenswerts führt zu einer ganz erheblichen und unmittelbar aufkommenswirksamen Senkung um rd. 30 %. Diese Herabbewertung geht einher mit dem zugleich neu eingeführten Vorab-Abschlag von weiteren bis zu 30 % für gesellschaftsvertragliche Verfügungsbeschränkungen bei Familienunternehmen. In der Gesamtwirkung führt dies dazu, dass sich durch Kumulation insgesamt ein Wert von unter 50 % des wahren Verkehrswerts ergeben kann. Im Ergebnis fällt die Neuregelung damit in vielen Fallbereichen auf das bereits durch Urteil vom 07.11.2006, 1 BvL 010/02 , vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärte Bewertungsniveau zurück.
Die im Gesetz vorgesehene Fiktion eines (marktunabhängigen) Mindest-Basiszinses zur gezielten Senkung des Kapitalisierungsfaktors ist zu streichen. Durch den in das Gesetz aufgenommenen Korridor für den Basiszins soll ersichtlich dem vereinfachten Ertragswertverfahren der Marktbezug entzogen werden, um so rechnerisch auf verminderte Unternehmenswerte zu kommen. Auch individuelle betriebswirtschaftliche Unternehmensbewertungen sehen einen Korridor für den Basiszins nicht vor.
Der feste Korridor würde verhindern, die verfassungsrechtlich ausdrücklich geforderte Zielgröße des gemeinen Werts objektiv zu ermitteln. Aufgrund der allgemein angenommenen künftigen Zinsentwicklung würde es für viele Jahre de facto bei einem festen Faktor von 12,5 verbleiben. Bereits 2006 ist bei der Grundstücksbewertung ein einheitlicher Faktor (von 12,5) vom Bundesverfassungsgericht wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz beanstandet worden. Ein erneuter Verstoß gegen dieses Gebot - nun bei der Unternehmensbewertung - muss vermieden werden.
Zu beachten ist hierbei auch, dass die Folgen dieser Anpassung der Unternehmensbewertung nicht auf das ErbStG beschränkt bleiben würden, sondern sich auch auf die Ertragsteuern auswirken.
Wenn demgegenüber eine durch das deutlich gesunkene Zinsniveau entstandene Überbewertung von Unternehmenswerten behauptet wird, so ist dies keine ausreichende
Der Umfang einer möglichen Überbewertung von Unternehmensanteilen ist bisher nicht evaluiert, mithin nicht belegt. Vor allem aber ist zu berücksichtigen, dass das vereinfachte Ertragswertverfahren nur eine optionale Möglichkeit für den Steuerpflichtigen ist. Der Steuerpflichtige kann jederzeit eine individuelle Unternehmensbewertung z.B. nach IDW S 1 vorlegen, wenn er der Auffassung ist, dass auf dem Wege der vereinfachten Bewertungsmethode eine Überbewertung vorliege.
Die Absenkung der Unternehmenswerte erweist sich insbesondere im Zusammenspiel mit den übrigen großzügigen Begünstigungsmöglichkeiten (neben dem oben Genannten u.a. dem abschmelzenden Verschonungsabschlag, dem Verwaltungsvermögen-Freibetrag, der Verschonungsbedarfsprüfung) als der Faktor, der wesentlich zu einer Überprivilegierung in der Gesamtschau beiträgt. Die Absenkung ist daher zu streichen.
Zusammenfassend zeigt sich, dass sich eine Überprivilegierung nicht nur im Einzelnen aus den oben genannten Punkten ergibt, sondern insbesondere auch aus ihrer kumulativen Wirkung. Verstärkt wird dies noch durch die hier nicht aufgegriffenen Vergünstigungen im Zusammenhang mit der Verschonung von Verwaltungsvermögen wie die neue Investitionsklausel und die Ausnahme für Brauereigaststättengrundstücke u.ä. Der vom Bundesverfassungsgericht beanstandete verfassungswidrige Zustand wird durch das Gesetz damit nicht beseitigt.]