A. Problem und Ziel
In der landwirtschaftlichen Tierhaltung gibt es Bereiche, in denen Tiere allein aus wirtschaftlichen Gründen getötet werden. Dies gilt insbesondere für hochspezialisierte Branchen wie die der Geflügelhaltung. Für die Produktion von Hühnereiern werden heutzutage weltweit spezialisierte Legehennen gehalten. Ihre Zucht ist einseitig auf eine hohe Legeleistung ausgerichtet, während für die Mast von Hühnern andere Zuchtlinien eingesetzt werden. In Deutschland wurden im Jahr 2014 knapp 45 Millionen weibliche Hühnerküken aus Legerassen erzeugt. Wenn von einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis ausgegangen wird, ist anzunehmen, dass in dem gleichen Zeitraum ebenso rund 45 Millionen Hahnenküken geschlüpft sind. Weil sie geschlechtsbedingt nicht für die Eierproduktion verwendet werden können und aus den einseitig auf Legeleistung und gerade nicht auf rasches Fleischwachstum ausgerichteten Zuchtlinien stammen, werden die Hahnenküken in den Brütereien üblicherweise aussortiert und getötet.
Die Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 und die sie umsetzende Tierschutz-Schlachtverordnung enthalten Regelungen über das technische Verfahren der Tötung von männlichen Eintagsküken bis zu 60 Stunden nach dem Schlupf. Sie regeln, welche Tötungs- und Schlachtverfahren tierschutzrechtlich zulässig sind. Ob die Tötung der Tiere an sich allerdings zulässig ist und welche Voraussetzungen dafür vorliegen müssen, beurteilt sich nach den allgemeinen Regelungen des Tierschutzgesetzes (TierSchG).
Nach § 1 Satz 2 TierSchG darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. In den Brütereien werden gesunde männliche Küken aus Legelinien zeitnah nach dem Schlupf getötet. Ein vernünftiger Grund für die Tötung liegt vor, wenn er als triftig, einsichtig und von einem schutzwürdigen Interesse getragen anzuerkennen ist und wenn er unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse des Tieres an seiner Unversehrtheit und an seinem Wohlbefinden. Der vernünftige Grund bestimmt die Grenze, bis zu der die Gesellschaft aufgrund ihrer Wertvorstellungen und ihres sittlichmoralischen Empfindens bereit ist, Einschränkungen von Lebensbedürfnissen und Schutzanliegen von Tieren zu akzeptieren. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die getöteten Küken als Ganzes an Tiere wie z.B. Greifvögel oder bestimmte Reptilien verfüttert werden, weil deren artgerechte Ernährung die Fütterung ganzer Tierkörper in dieser Größe zwingend erfordert und ansonsten für diese Tiere eigens Futtertierzuchten angelegt werden müssten. Die Hahnenküken aus Legerassen werden jedoch allein zur Vermeidung wirtschaftlicher Verluste getötet, weil sie infolge der Ausrichtung der Tierzucht im Vergleich zu Tieren aus Mastrassen eine längere Mastdauer, eine sehr geringe Mastleistung bei gleichzeitig höherem Futteraufwand und einen sehr geringen Anteil an Brustmuskelfleisch aufweisen. Dies war von den Beteiligten in den Verfahren vor den nordrheinwestfälischen Verwaltungsgerichten auch nicht anderslautend vorgetragen worden.
Diese jahrelang angewandte und behördlich bislang geduldete Tötungspraxis ist mit der Grundkonzeption des Tierschutzgesetzes als eines ethisch ausgerichteten Tierschutzes im Sinne einer Mitverantwortung des Menschen für das seiner Obhut anheim gegebene Lebewesen nicht vereinbar.
B. Lösung
Änderung des Tierschutzgesetzes.
C. Alternativen
Keine.
D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Keine.
E. Erfüllungsaufwand
E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger
Bürgerinnen und Bürger sind durch die neuen Vorschriften nicht unmittelbar betroffen. Inwieweit die durch Alternativverfahren zur Umsetzung des Verbots entstehenden - ggf. höheren - Produktionskosten an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden, kann nicht abgeschätzt werden.
E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft
Der Wirtschaft entstehen mit der Vollziehung des Verbotes wirtschaftliche Einbußen, soweit sie Investitionen in die Einführung technischer Verfahren zur frühzeitigen embryonalen Geschlechtsbestimmung tätigt. Mit der Einführung von Prototypen zur Geschlechtsbestimmung im Ei wird bereits bis Ende 2016 gerechnet.
Bei der Nutzung von technischen Verfahren und Methoden der vorzeitigen Geschlechtsbestimmung im Ei kann die Kapazität der Brütereianlage durch eine frühe Aussortierung der Eier, aus denen ein männliches Küken schlüpfen würde, bereits ab dem dritten Tag der Bebrütung nahezu verdoppelt werden. Gleichzeitig kann der derzeitige Personalaufwand für das "Sexing" entfallen, weil die "manuelle" Geschlechtsbestimmung der geschlüpften Küken nicht mehr erforderlich ist. Da eine Geschlechtsbestimmung im Ei bereits ab dem dritten Bebrütungstag möglich ist, können die Bruteier männlichen Geschlechts für industrielle Zwecke noch sinnvoll verwendet werden. Dem durch die Etablierung einer solchen Methode entstehenden wirtschaftlichen Aufwand für eine einmalige Investition in die Technik stehen daher auch nicht unerhebliche, dauerhaft angelegte wirtschaftliche Vorteile gegenüber.
E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung
Dem Bund, den Ländern und den Kommunen entstehen durch die Änderung des Tierschutzgesetzes keine zusätzlichen Kosten. Die Kosten für die Überwachung und den Vollzug des zukünftigen Tötungsverbotes werden die bisherigen Kosten der Überwachung und des Vollzugs nicht überschreiten.
F. Weitere Kosten
Keine
Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes
Die Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen
Düsseldorf, 30. Juni 2015
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Volker Bouffier
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes zuzuleiten.
Ich bitte, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 1 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Hannelore Kraft
Entwurf eines... Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Das Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 28. Juli 2014 (BGBl. I S. 1308) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. § 3 wird wie folgt geändert:
- a) Dem Wortlaut wird folgender Absatz 1 vorangestellt:
(1) Es ist verboten, ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund, insbesondere zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile, zu töten."
- b) Der bisherige Wortlaut wird Absatz 2.
2. § 21 wird wie folgt geändert:
Artikel 2
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
Nach dem neuen § 3 Absatz 1 soll künftig verboten sein, ein Tier ohne vernünftigen Grund, insbesondere zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile, zu töten. Dies gilt insbesondere für das Töten von männlichen Eintagsküken. Eine Übergangsfrist versetzt die Brütereien in die Lage, sich den Anforderungen an eine Untersagung der Tötung männlicher Küken anzupassen.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1 (Änderung § 3)
In Deutschland werden jährlich rund 45 Millionen männliche Eintagsküken aus Legerassen in erster Linie - zur Vermeidung wirtschaftlicher Verluste getötet. Sie können keine Eier legen und sind infolge der Ausrichtung der Tierzucht im Vergleich zu Tieren aus Mastrassen für die Fleischproduktion - zumindest im konventionellen Bereich - unattraktiv.
Die männlichen Tiere können zwar gemästet werden, sie haben allerdings aufgrund der Ausrichtung der Tierzucht im Vergleich zu Hühnern aus Mastrassen eine längere Mastdauer, eine herabgesetzte Mastleistung bei höherem Futteraufwand und einen geringeren Anteil an Brustmuskelfleisch. Im Biobereich gibt es jedoch schon jetzt erfolgreiche Vermarktungskonzepte für das Fleisch der Hähne aus Legerassen. Daneben könnte die Nutzung der Hähne auch nach kurzer Mast und Schlachtung als sogenannte Stubenküken erfolgen. Eine weitere Alternative zur Tötung der männlichen Eintagsküken ist die Geschlechtsbestimmung im Ei zum Zweck der Aussortierung derjenigen Eier, aus denen später männliche Küken schlüpfen würden. Zudem ist langfristig auch die Umstellung auf ein sogenanntes "Zweinutzungshuhn" denkbar.
Nach § 1 Satz 2 TierSchG darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Zur Bejahung des vernünftigen Grundes einer Tötung von Tieren bedarf es notwendiger und gewichtiger Umstände. Die Tötung männlicher Eintagsküken aus allein wirtschaftlichen Gründen ist mit dem Tierschutzgesetz nicht vereinbar. Ökonomische Interessen - ob im Hinblick auf die wirtschaftlichen Interessen des Brütereibetreibers oder auf die Vorteile einer preisgünstigen Lebensmittelversorgung für die Bevölkerung - können keinen vernünftigen Grund im Sinne des § 1 Satz 2 TierSchG darstellen. Der Tierschutz stellt einen Gemeinwohlbelang dar, dem in der Bevölkerung ein immer höherer Stellenwert beigemessen wird. Das allgemeine Bewusstsein für die Notwendigkeit eines umfassenden, auch die Tiere einbeziehenden Lebensschutzes hat in den letzten Jahren eine kontinuierliche Steigerung erfahren. Diese Weiterentwicklung der Werteordnung kann dazu führen, dass früher kritiklos hingenommene Nutzungsarten und Umgangsformen heute als nicht mehr vernünftig bzw. rechtfertigend gelten, wenn sie aufgrund geänderter ethischer Einstellungen mit den gegenwärtigen Wertvorstellungen zur Mensch-Tier-Beziehung nicht mehr in Einklang stehen. Zudem besteht die Gefahr, dass die Grundkonzeption des Tierschutzgesetzes als eines ethisch ausgerichteten Tierschutzes im Sinne einer Mitverantwortung des Menschen für das seiner Obhut anheim gegebene Lebewesen ins Leere läuft.
Im Juli 2013 stellte die Staatsanwaltschaft Münster ein Ermittlungsverfahren gegen den Betreiber einer Brüterei wegen eines Verstoßes gegen § 17 Nummer 1 TierSchG gemäß § 170 Absatz 2 Strafprozessordnung (StPO) ein. Ungeachtet dessen sah die Staatsanwaltschaft den Straftatbestand des § 17 Nummer 1 TierSchG jedoch als objektiv erfüllt an. Ein "vernünftiger Grund" im Sinne dieser Vorschrift für die Tötung männlicher Eintagsküken sei nicht erkennbar. Rein ökonomische Gründe - wie sie der Tötung männlicher Eintagsküken zugrunde liegen - genügten dafür nicht. Es liege eine rechtswidrige Tat vor, der Brütereibetreiber sei jedoch aufgrund der jahrelangen Duldung der Praxis durch die Behörden einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlegen. Der Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Münster bekräftigt somit die Auffassung, dass das Töten männlicher Eintagsküken mangels anderweitiger wirtschaftlicher Verwertbarkeit keinen "vernünftigen Grund" im Sinne des Tierschutzgesetzes darstellt.
Vor diesem Hintergrund hat Nordrhein-Westfalen mit Erlass vom 26. September 2013 die Kreisordnungsbehörden angewiesen, den Brütereien die Tötung männlicher Eintagsküken im Wege einer Ordnungsverfügung auf Grundlage der tierschutzrechtlichen Generalklausel des § 16a Absatz 1 Satz 1 TierSchG in Verbindung mit § 1 Satz 2 TierSchG zu untersagen. Gegen die Ordnungsverfügungen haben die betroffenen Brütereien geklagt. Mit zwei Urteilen vom 30. Januar 2015 hat das Verwaltungsgericht Minden entschieden, dass die Untersagung der Tötung der Küken einen "erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit" der Brütereibetreiber darstelle. Wegen dieses Grundrechtseingriffs könne die Untersagung nicht auf die tierschutzrechtliche Generalklausel gestützt werden, vielmehr bedürfe es einer spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Wesentliche Entscheidungen müsse der parlamentarische Gesetzgeber selbst treffen und dürfe sie nicht der Verwaltung überlassen.
Der Gesetzgeber hat in § 17 Nummer 1 TierSchG festgelegt, dass sich strafbar macht, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet. Eine solche spezielle Verbotsnorm, die es den für Tierschutz zuständigen Behörden unabhängig von einem Strafverfahren ermöglicht, Anordnungen zu treffen, weil ein Tier aus wirtschaftlichen Gründen und damit entgegen des § 1 Satz 2 TierSchG getötet wird oder droht, getötet zu werden, existiert nicht.
Mit der Änderung des § 3 TierSchG soll eine der strafrechtlichen Verbotsvorschrift des § 17 Nummer 1 TierSchG entsprechende, verwaltungsrechtliche Verbotsnorm in das Tierschutzgesetz eingeführt werden.(Änderung § 21)
Eine Übergangsfrist versetzt die Brütereien in die Lage, sich den Anforderungen an eine Untersagung der Tötung männlicher Küken anzupassen und neue Vermarktungswege zu erschließen oder technische Verfahren in ihrem Betrieb zu implementieren.
Die Bundesregierung fördert die Entwicklung praxistauglicher Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei für eine flächendeckende Anwendung in Brütereien. Sie gibt an, dass diese Verfahren bis Ostern 2017 ohne Ausnahme eingesetzt werden sollen. Die Übergangsfrist soll daher um eine Berichtspflicht zum Stand der Entwicklung der Verfahren ergänzt werden.
Zu Artikel 2
Die Bestimmung regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.