Der Bundesrat hat in seiner 835. Sitzung am 6. Juli 2007 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Bemühungen der Kommission zur Ermittlung weiterer Integrationspotentiale im Finanzdienstleistungssektor. Effiziente Finanzmärkte sind für das Funktionieren moderner Volkswirtschaften unerlässlich; der Markt für Retail-Banking umfasst dabei einen signifikanten Anteil des europäischen Bankgeschäfts. Der Bundesrat befürwortet das ausdrückliche Bekenntnis der Kommission zum Prinzip der besseren Rechtsetzung, die Prüfung der Möglichkeiten zur Verbesserung der privaten Altersvorsorge, zur verstärkten finanziellen Allgemeinbildung der Verbraucher und zur Stärkung der Integrität der Finanzsysteme.
- 2. Die Ziele der Kommission, im Bereich der Finanzdienstleistungen konkrete Vorteile für die Verbraucher, insbesondere in Bezug auf Preise und Auswahl, herbeizuführen das Verbrauchervertrauen zu verbessern und den Verbraucher zu stärken, werden ebenfalls begrüßt.
Das gilt grundsätzlich auch für den offenen, integrativen Ansatz der Kommission, wonach das gesamte Spektrum an politischen Werkzeugen rechtsverbindlicher oder nicht verbindlicher Art sowie marktorientierte Lösungen berücksichtigt werden sollen. Diejenigen Bereiche, die von den Marktteilnehmern selbst effektiv geregelt werden können, sollten von den Initiativen der Kommission jedoch ausgenommen bleiben.
- 3. Jedoch bittet der Bundesrat die Bundesregierung, im weiteren Verfahren folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:
- 4. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass wesentliche Grundannahmen der Kommission zweifelhaft sind. Wie bereits im Rahmen des Endberichts zu den Sektorenuntersuchungen im Retail-Bankgeschäft geht die Kommission von fragmentierten Märkten und einer stark nationalen Ausrichtung des Retailgeschäfts aus und schließt daraus auf einen mangelnden Wettbewerb. Gerade der deutsche Bankenmarkt ist auf Grund der Vielzahl von Anbietern von Finanzdienstleistungen durch eine hohe Wettbewerbsintensität geprägt, zu der Sparkassen und Genossenschaftsbanken nicht unerheblich beitragen. Die Bundesregierung wird daher gebeten, darauf hinzuwirken, dass die Drei-Säulen-Struktur nicht in Frage gestellt wird. Gerade durch dieses System wird ein flächendeckendes Angebot von Finanzdienstleistungen geschaffen und die Intensität des Wettbewerbs gestärkt.
Der Bundesrat ist der Auffassung, dass das Potenzial grenzüberschreitender Nachfrage von Finanzdienstleistungen gerade bei Privatkunden und KMUs schon aus Sprachgesichtspunkten, aber auch auf Grund unterschiedlicher Steuern und Finanzierungsstrukturen limitiert ist und diese Zielgruppe in der Regel bei finanziellen Entscheidungen größeren Ausmaßes eine enge Bindung an lokale Anbieter aufweist. Initiativen der Kommission bedürfen daher einer intensiven Folgenabschätzung und ausführlicher Konsultationen im Vorfeld eines Vorschlags.
Der Bundesrat sieht in der von der Kommission kritisierten geringen Kundenmobilität und der geringen Anzahl an grenzübergreifenden Finanzdienstleistungsgeschäften keine Symptome für einen nicht funktionierenden Wettbewerb.
Angesichts der Auswahl von eigenständigen Kreditinstituten sind langfristige Kundenbeziehungen zumeist Ausdruck von Kundenzufriedenheit und einer geschaffenen Vertrauensbasis. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Wettbewerb und Kundenmobilität gefördert werden können, wenn der Wechsel des giroführenden Instituts unter Beibehaltung einer personenbezogenen Kontonummer ermöglicht würde.
Der Bundesrat ist der Auffassung, dass Maßnahmen der Kommission im Bereich des Verbraucherschutzes an einheitlichen Grundprinzipien zu orientieren sind. Leitbild sollte der mündige Verbraucher sein, der bei entsprechender Information und Beratung seine Interessen eigenverantwortlich und in wirtschaftlicher Hinsicht vernünftig ausüben kann.
- 5. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Artikel 95 EGV für aus dem Grünbuch folgende Maßnahmen zum Verbraucherschutz nur als Rechtsgrundlage in Betracht kommt sofern die Verwirklichung des Binnenmarkts im Vordergrund steht (Artikel 153 Abs. 3 Buchstabe a EGV). Die Maßnahmen müssen tatsächlich den Zweck haben, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern oder spürbare Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen.
Sofern die Kommission eine binnenmarktunabhängige Verbraucherschutzpolitik anstrebt ist sie auf "Maßnahmen zur Unterstützung, Ergänzung und Überwachung der Politik der Mitgliedstaaten" beschränkt (Artikel 153 Abs. 3 Buchstabe b EGV).
Angesichts dieses Wortlauts ist hervorzuheben, dass der EGV keine eigenständige, autonome Verbraucherschutzpolitik der EG rechtfertigt. Sie ist vielmehr auf einen "Beitrag zur Verbesserung des Verbraucherschutzes" beschränkt.
Dem Verbraucherschutz als Hauptziel darf sie sich nur mit Maßnahmen zur Unterstützung, Ergänzung und Überwachung der Politik der Mitgliedstaaten widmen, so dass die binnenmarktunabhängige Verbraucherpolitik insofern den Politiken der Mitgliedstaaten nachgeordnet ist.
Entsprechend sind die Mitgliedstaaten primär für den Verbraucherschutz verantwortlich.
Die EG wirkt hieran lediglich mit und leistet einen Beitrag hierzu.
Bei dieser Aufteilung der Kompetenzen handelt es sich um eine kompetenzrechtliche Ausprägung des gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsgrundsatzes.
Dieser ist als politikunabhängiger Grundsatz in Artikel 5 EGV verankert. Er ist folglich bei allen verbraucherpolitischen Maßnahmen zu beachten.
- 6. Der Bundesrat regt im Hinblick auf die von der Kommission mit dem Grünbuch verfolgte Verbesserung des Verbraucherwohls bereits jetzt Folgendes an. Unter dem Gesichtspunkt der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips sind künftige Maßnahmen auf ihre voraussichtliche Effizienz und ihren voraussichtlichen Mehrwert hin zu untersuchen. Die dabei zu stellenden Fragen bilden die negative und die positive Abgrenzung für die Zulässigkeit gemeinschaftsrechtlicher Maßnahmen. Zu fragen ist im Rahmen der Effizienz, ob der Bereich transnationale Aspekte aufweist und ob eine ausreichende Verwirklichung der durch die Maßnahme vorgegebenen Ziele durch die Mitgliedstaaten erreicht wird oder möglich ist. Hierzu gehört auch die Frage nach einer Überforderung der Mitgliedstaaten in dem Sinne, ob in zwei oder mehr Mitgliedstaaten das objektive Leistungspotential mit Blick auf das Ziel der in Betracht gezogenen Maßnahme tatsächlich unzureichend ist. Für künftige Rechtsakte ist im Sinne eines Mehrwerts außerdem positiv zu fragen, ob die Maßnahme auf Gemeinschaftsebene wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung einen deutlichen Vorteil im Vergleich zu Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten bringt. Dabei ist ein wertender Vergleich zwischen zusätzlichem Integrationsgewinn und mitgliedstaatlichem Kompetenzverlust vorzunehmen. Entsprechend sind die Gemeinschaftsbefugnisse dort nicht voll auszuüben, wo der zusätzliche Integrationsgewinn minimal der Eingriff in die verbliebenen Zuständigkeitsbereiche der Mitgliedstaaten jedoch beträchtlich ist.