c) Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Anzahl und die Unterstützungsbedarfe von Menschen mit Behinderung in den letzten Jahren signifikant angestiegen sind. Zudem haben sich die Lebensverhältnisse und die Bedarfslagen erheblich verändert.
Medizinischer Fortschritt lässt die Lebenserwartung der Menschen stetig ansteigen. Geänderte Anschauungen in der Gesellschaft haben auch die Bedarfslagen geändert. Dazu hat insbesondere die UN-BRK maßgeblich beigetragen. Während früher im Vordergrund stand, die Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft zu integrieren und dafür entsprechende Einrichtungen und Dienste zur Verfügung gestellt wurden, geht es heute nach dem Inklusionsgedanken darum, die behinderten Menschen "in die Mitte der Gesellschaft" zu nehmen und die Lebensumstände so zu gestalten, dass Menschen mit Behinderung ohne bauliche oder gedankliche Barrieren als selbstverständliche Mitglieder der Gesellschaft an ihr teilhaben können. Das in der UN-BRK verankerte Recht aller Menschen mit Behinderung, Wohnort und Wohnform frei zu wählen, wird eine Beschleunigung des Ausbaus der ambulanten Hilfen erforderlich machen. Die Gestaltung eines Sozialraums, in dem sich Menschen mit Beeinträchtigungen im Alltag frei bewegen können, wird eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre sein.
Eine Vielzahl solcher und ähnlicher Faktoren trägt dazu bei, dass die Fallzahlen und Ausgaben für Menschen mit Behinderung seit geraumer Zeit überproportional ansteigen.
Erhielten im Jahr 2000 bundesweit noch 414 000 behinderte Menschen Leistungen der Eingliederungshilfe mit einem Ausgabevolumen von 8 321,6 Millionen Euro, waren es im Jahr 2010 bereits 630 000 Menschen mit einem Ausgabevolumen von 12 481,3 Millionen Euro.
Diese Steigerungen drohen die Leistungsfähigkeit der Länder und Kommunen bei der Eingliederungshilfe - trotz der Entlastung bei der Grundsicherung durch den Bund - auf Dauer zu übersteigen. Mit der Ratifizierung der UN-BRK durch den Deutschen Bundestag ist diese am 26. März 2009 in Deutschland in Kraft getreten. Der Bund hat sich und alle öffentlichen Stellen zur Beachtung der Grundsätze der UN-BRK in Deutschland verpflichtet. Entlastungen der Kommunen sind zwingend erforderlich.
Vor diesem Hintergrund haben Bund und Länder am 24. Juni 2012 im Rahmen der Verhandlungen über die innerstaatliche Umsetzung der neuen Vorgaben des Fiskalvertrages unter anderem vereinbart:
"Deshalb werden Bund und Länder unter Einbeziehung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ein neues Bundesleistungsgesetz in der nächsten Legislaturperiode erarbeiten und in Kraft setzen, das die rechtlichen Vorschriften zur Eingliederungshilfe in der bisherigen Form ablöst."
d) Die Einhaltung der Vorschriften des Fiskalpakts stellt große Anforderungen an die Konsolidierung auch und in besonderem Maße der Haushalte von Ländern und Kommunen. Die Länder tragen im Rahmen des Fiskalpakts die Verantwortung für ihre Kommunen. Infolge der expliziten Einbeziehung der kommunalen Verschuldung in die Defizitobergrenze des Fiskalpakts werden die Länder in ihrer Konsolidierungspolitik vor deutlich größere Herausforderungen gestellt. Vor diesem Hintergrund haben Bund und Länder im Rahmen der Verständigung zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalpakts vereinbart, gemeinsam ein neues Bundesleistungsgesetz zu erarbeiten, das die rechtlichen Vorschriften zur Eingliederungshilfe in der bisherigen Form ablöst. Das vorrangige Ziel dieser Verständigung bestand darin, Länder und Kommunen bei einer Sozialleistung, die eine äußerst dynamische Entwicklung aufweist, zu entlasten.
Vor diesem Hintergrund betont der Bundesrat mit Nachdruck, dass eine Einigung über eine notwendige Strukturreform ohne Mehrkosten bei den Hilfen für behinderte Menschen nur gemeinsam mit der Einigung über die künftigen Finanzierungsverantwortlichkeiten erfolgen kann.
Zu vermeiden ist die Konzipierung eines Bundesleistungsgesetzes, welches zwar infolge des Systemwechsels eine Ausgabenübernahme des Bundes ermöglicht, die dynamische Ausgabenentwicklung aber keineswegs bremst oder diese sogar noch beschleunigt.
Einspareffekte bei Aufwendungen für die Eingliederungshilfe durch die Kostenübernahme durch Dritte können nicht zur Finanzierung neuer Leistungen genutzt werden.