Der federführende Rechtsausschuss (R), der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ), der Ausschuss für Familie und Senioren (FS) und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 Nummer 2 (§ 1303 Satz 2 BGB),
Artikel 2 Nummer 1 Buchstabe a ( Artikel 13 Absatz 3 EGBGB)
Folgeänderungen:
Zu Buchstabe a
Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:
- a) In Nummer 3 sind in § 1310 Absatz 1 Satz 3 Nummer 2 die Wörter "die beabsichtigte Ehe unwirksam wäre oder" zu streichen.
- b) Nummer 4 ist zu streichen.
- c) In Nummer 5 Buchstabe a ist in § 1315 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 die Angabe "Satz 1" zu streichen.
- d) Nummer 6 ist wie folgt zu ändern:
- aa) Buchstabe a ist zu streichen.
- bb) Die bisherigen Buchstaben b und c werden die Buchstaben a und b.
- cc) Im neuen Buchstaben a ist in § 1316 Absatz 2 Satz 2 und in Buchstabe b in § 1316 Absatz 3 Satz 2 jeweils die Angabe "Satz 1" zu streichen.
- e) In Artikel 2 Nummer 2 ist Artikel 229 § ... Absatz 1 zu streichen.
Zu Buchstabe b
- a) In Artikel 2 Nummer 2 ist Artikel 229 §... Absatz 4 zu streichen.
- b) In Artikel 4 Nummer 1 sind in § 26 Absatz 1 Satz 2 die Wörter "unwirksam oder" zu streichen.
- c) In Artikel 5 Nummer 2 sind in § 31 Absatz 2 Satz 2 die Wörter "unwirksam ist oder" zu streichen.
- d) Artikel 7 ist wie folgt zu ändern:
- aa) In Nummer 2 Buchstabe a sind in § 98 Absatz 2 die Angabe "Nummer 2" und die Wörter "das 16., aber" zu streichen.
- bb) In Nummer 3 Buchstabe a sind in § 122 Nummer 6 die Wörter "das 16., aber" zu streichen.
Begründung:
Zu Buchstabe a
Der Bundesrat begrüßt das mit dem Gesetzentwurf verfolgte Ziel der Bundesregierung, zur besseren Wahrung des Kindeswohls klare Regelungen für den Umgang der deutschen Rechtsordnung mit Ehen Minderjähriger zu schaffen und die Rechtslage dahingehend anzupassen, dass bei der Prüfung der Fortsetzung ausländischer Minderjährigenehen in der Bundesrepublik vorrangig Aspekte des Wohls des jeweils minderjährigen Ehegatten zu berücksichtigen sind.
Die in § 1303 Satz 2 BGB-E vorgesehene Unwirksamkeit von Ehen, bei denen ein Ehepartner im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, stößt jedoch auf Bedenken, da sie diesem Ziel nicht in jedem Fall gerecht werden kann. Zum einen dürften sich die Rechtsfolgen einer Unwirksamkeit jedenfalls in der Regel für den minderjährigen Ehepartner oder die minderjährige Ehepartnerin als nachteilig erweisen, da die Verweisung des § 1318 Absatz 2 BGB auf das Recht der Scheidungsfolgen in diesen Fällen nicht greift. Unterhalts- oder erbrechtliche Nachteile für die betroffenen Ehegatten und für eventuell aus der Verbindung bereits hervorgegangene Kinder drohen den Vorteil größerer Rechtsklarheit durch die Schaffung einer starren Altersgrenze zu überwiegen. Zum anderen lässt die dem Entwurf zugrunde liegende Unwirksamkeitsregelung keinerlei Ausnahmen, auch nicht in besonderen Härtefällen, zu, selbst wenn der minderjährige Ehegatte unmittelbar vor Erreichen der Volljährigkeit seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründet und die nach Artikel 13 Absatz 3 Nummer 1 EGBGB-E unwirksame Ehe über viele Jahre tatsächlich gelebt wird, der minderjährige Ehegatte krank oder gar suizidgefährdet ist. Eine Unwirksamkeit entsprechender Ehen gilt kraft Gesetzes ex tunc und stellt die betroffenen Ehegatten zudem vor vollendete Tatsachen. Sie eröffnet für die volljährige Partnerin oder den volljährigen Partner in Deutschland die Möglichkeit, sich sämtlicher familiärer Pflichten zu entledigen und sogar eine neue Ehe zu schließen, obwohl die in Deutschland als unwirksam behandelte Ehe im Ausland nach wie vor Bestand hat. Auch ein Abrutschen in nichtförmliche, ritualisierte Pseudoehen könnte die Folge sein.
Demgegenüber kann ein Aufhebungsverfahren nach den §§ 1313 ff. BGB nicht nur zu größerer Einzelfallgerechtigkeit, sondern auch zu vermehrter Akzeptanz des Verfahrens beitragen und Kindeswohlbelangen besser Rechnung tragen. Es sichert den von diesem betroffenen Minderjährigen eheliche und nacheheliche Unterhaltsansprüche gegen den anderen Ehegatten sowie - für die Dauer der Ehe - ein Erbrecht und weitere materielle Vorteile (z.B. nach § 10 Absatz 1 SGB V, § 32a Absatz 5 EStG). Aus der Minderjährigenehe hervorgegangene Kinder wären eheliche Kinder, so dass die Vaterschaft nicht gesondert anerkannt oder festgestellt werden müsste.
Zu Buchstabe b
Ebenso wie nach deutschem Recht die mit Minderjährigen geschlossenen Ehen aufzuheben sind (oben Buchstabe a) sollen auch nach ausländischem Recht geschlossene Minderjährigenehen einheitlich lediglich nach den §§ 1313 ff. BGB aufhebbar sein. Der Regierungsentwurf differenziert insofern zwischen Verlobten, die zum Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten, und solchen unter 16 Jahren: Ehen, die von zumindest 16-jährigen Minderjährigen geschlossen wurden, sind zunächst wirksam, können - und müssen in aller Regel - aber durch familiengerichtlichen Beschluss aufgehoben werden (Artikel 13 Absatz 3 Nummer 2 EGBGB-E i.V.m. § 1315 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 BGB-E). Ehen, bei deren Schließung einer der Verlobten das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, sind - vorbehaltlich der Überleitungsregelung in Artikel 229 § ... Absatz 4 EGBGB-E - hingegen unwirksam (Artikel 13 Absatz 3 Nummer 1 EGBGB-E).
Diese pauschale Unwirksamkeit wird dem Wohl der betroffenen Minderjährigen vielfach nicht gerecht. Sie hat zur Folge, dass ihnen nach deutschem Recht keinerlei eheliche und nacheheliche Unterhaltsansprüche gegen den anderen Ehegatten zustehen und dass sie, auch solange die "Ehe" tatsächlich gelebt wird, vom Erbrecht und anderen materiellen Vorteilen (z.B. nach § 10 Absatz 1 SGB V oder nach § 32a Absatz 5 EStG) ausgeschlossen sind. Sind aus der ausländischen Minderjährigenehe bereits Kinder hervorgegangen, muss die Vaterschaft bei Anwendung deutschen Rechts gesondert anerkannt oder notfalls familiengerichtlich festgestellt werden.
Vorzuziehen ist daher eine einheitliche "Aufhebungslösung" für alle nach ausländischem Recht geschlossenen Minderjährigenehen. Diese macht nicht nur eine komplizierte Überleitungsregelung entbehrlich, wie sie Artikel 229 § ... Absatz 4 Nummer 2 EGBGB-E enthält, der an die im Einzelfall schwierige Feststellung eines gewöhnlichen Aufenthalts anknüpft, vorsieht. Sie ermöglicht auch eine größere Einzelfallgerechtigkeit, zumal die Familiengerichte bei schwerer Härte ausnahmsweise auch von einer Aufhebung der Ehe absehen können. Zudem müssen die Gerichte bei unklarem Alter nicht feststellen, ob eine Minderjährige oder ein Minderjähriger das 16. Lebensjahr bereits vollendet hat, um beurteilen zu können, ob eine Aufhebung erfolgen kann.
2. Zu Artikel 1 Nummer 4 (§ 1314 Absatz 1a -neu- BGB)
Artikel 1 Nummer 4 ist wie folgt zu fassen:
'4. In § 1314 wird nach Absatz 1 folgender Absatz 1a eingefügt:
- (1a) Eine Ehe ist aufzuheben, wenn sie entgegen § 1303 mit einem Minderjährigen geschlossen worden ist, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte und dieses auch zum Zeitpunkt der familiengerichtlichen Entscheidung nicht vollendet hat." '
Begründung:
Zwar soll für Ehen, bei denen mindestens einer der Verlobten zum Zeitpunkt der Eheschließung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, keine Unwirksamkeit der betreffenden Ehe kraft Gesetzes vorgesehen werden. Stattdessen soll generell das Aufhebungsverfahren nach den §§ 1313 ff. BGB
Anwendung finden. Sofern einer der Verlobten zum Zeitpunkt der Heirat noch keine 14 Jahre alt war und das 14. Lebensjahr auch bis zum Zeitpunkt der im Aufhebungsverfahren zu treffenden familiengerichtlichen Entscheidung nicht vollendet haben wird, trägt allerdings nur eine solche gesetzliche Regelung Kindeswohlbelangen hinreichend Rechnung, die keinerlei Raum für ein Ermessen des Familiengerichts - auch nicht in besonderen Härtefällen - lässt. Vielmehr muss die betroffene Minderjährigenehe stets aufgehoben werden, um dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung Minderjähriger vor dem Hintergrund des § 176 StGB, der das Schutzalter auf 14 Jahre festlegt, hinreichend Rechnung zu tragen.
3. Zu Artikel 1 Nummer 5 (§ 1315 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b BGB)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob die in § 1315 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b BGB-E vorgesehene Härtefallregelung weiter gefasst werden muss, so dass nicht nur bei extremen Ausnahmefällen wie beispielsweise einer krankheitsbedingten Suizidgefahr von der Aufhebung der Ehe abgesehen werden kann, sondern weitere besondere soziale und psychologische Belange der betroffenen Minderjährigen sowie insgesamt das Wohl des Kindes ebenfalls Berücksichtigung finden können.
Begründung:
§ 1315 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b BGB-E sieht vor, dass von der Aufhebung einer Minderjährigenehe nur dann abgesehen werden kann, wenn diese aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte für den minderjährigen Ehegatten darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint. Die Begründung des Gesetzentwurfs nennt beispielhaft eine schwere und lebensbedrohliche Erkrankung oder eine krankheitsbedingte Suizidgefahr des minderjährigen Ehegatten. Eine außergewöhnliche Härte könne sich im Einzelfall auch daraus ergeben, dass die Aufhebung einer unter Beteiligung eines Unionsbürgers geschlossenen Ehe deren Freizügigkeitsrecht verletzen würde.
Die Aufhebungsvorschriften des deutschen Rechts sollen dabei ausweislich Artikel 13 Absatz 3 EGBGB-E auch für nach ausländischem Recht geschlossene Minderjährigenehen Anwendung finden. Insbesondere im Hinblick auf diese Ehen hält der Bundesrat aber eine so weitgehende Ermessensreduzierung aus Kindeswohlgesichtspunkten und Gründen der Einzelfallgerechtigkeit nicht für sachgerecht. Vielmehr besteht die Gefahr, dass eine verhältnismäßig starre Regelung den individuellen Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls insbesondere bei einem besonderen kulturellen Hintergrund der betroffenen Ehegatten nicht mehr gerecht wird und Kindeswohlbelange z.B. in Fällen, in denen kein großer Altersunterschied zwischen den Ehegatten besteht oder in denen durch die häufig traumatische Flucht eine enge Bindung eingegangen wurde und in denen beide Ehepartner die Ehe fortsetzen wollen und dem das Kindeswohl nicht entgegen steht, nicht ausreichend berücksichtigt werden können.
Der Bundesrat betont, dass vor dem Hintergrund der prioritären Pflicht zur Berücksichtigung des Kindeswohls pauschale Lösungen nicht in Betracht kommen, sondern nur eine einzelfallbezogene Prüfung des Wohls des oder der betroffenen Minderjährigen in einem familiengerichtlichen Verfahren Kindeswohlgesichtspunkten hinreichend Rechnung tragen kann.
4. Hilfsempfehlung zu Ziffer 3
Zu Artikel 1 Nummer 5 (§ 1315 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b BGB)
Der Gesetzentwurf sieht in Artikel 1 Nummer 5 in § 1315 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b BGB-E eine Regelung vor, nach der von einer Aufhebung der Ehe abgesehen werden kann, wenn dies aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine schwere Härte für den minderjährigen Ehegatten bzw. die minderjährige Ehegattin bedeuten würde. Die Begründung des Gesetzentwurfs nennt als Beispiel für eine außergewöhnliche Härte lebensbedrohliche Situationen, wie den krankheitsbedingten Suizid oder eine lebensbedrohliche Erkrankung.
Ein zu enger Ausnahmetatbestand lässt aber nicht genug Raum für die Betrachtung des Einzelfalles und der für den Bestand der Ehe sprechenden Aspekte, wie zum Beispiel Fragen des Kindeswohls oder die Bindung der Ehegatten. Der Bundesrat bittet daher zu prüfen, ob dieser Ausnahmetatbestand weiter gefasst werden müsste.
5. Zu Artikel 4 (Änderung des Asylgesetzes)
Der Bundesrat bittet im weiteren Gesetzgebungsverfahren um Prüfung, ob die asylrechtliche Schlechterstellung des im Zeitpunkt der Eheschließung volljährigen Ehegatten mit dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot ( Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes) vereinbar ist.
Begründung:
Der Gesetzentwurf lässt im Fall, dass die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam oder aufgehoben worden ist, den asylrechtlichen Schutz nach § 26 Absatz 1 AsylG nicht entfallen, wenn der Ehegatte des Asylberechtigten im Zeitpunkt der Eheschließung minderjährig war. Entscheidend ist - nach der Begründung des Gesetzentwurfs - die herkunftslandbezogene Betrachtung der Ehe im Sinne des § 26 Absatz 1 AsylG, aber auch die Gefährdungssituation, der die Familienangehörigen ausgesetzt sind. Warum der im Zeitpunkt der Eheschließung volljährige Ehegatte nicht gleichermaßen einen Anspruch auch Familienasyl haben soll, wenn der andere Ehegatte asylberechtigt ist, wird in der Begründung des Gesetzentwurfs nicht erläutert. Die personengebundene Ungleichbehandlung bedarf jedoch einer besonderen Rechtfertigung, wenn sie verfassungsrechtlich Bestand haben soll.
* Bei gleichzeitiger Annahme der Ziffern 6 und 9 werden diese redaktionell zusammengeführt.